Textdaten
Autor: Oberlandesgericht München
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Titel: Mittheilung eines Urtheiles des k. Oberlandesgerichtes München
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1881, Nr. 16, Seite 188–192
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Kurzbeschreibung: Eine bereits rechtskräftig verurteilte Tat kann nicht Gegenstand eines neuen Verfahrens werden.
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[188]

Mittheilung eines Urtheiles des k. Oberlandesgerichtes München.

Das k. Oberlandesgericht München erkannte am 5. Mai 1881 in der Sache gegen die Inwohnersfrau B. G. von W. wegen unbefugten Behaltens fremder Kinder in Pflege zu Recht:

Die Revision des Staatsanwaltes am k. Landgerichte L. gegen das Urtheil der Strafkammer dieses Gerichtes vom 11. Februar 1881 wird unter Ueberweisung der hiedurch veranlaßten Kosten auf die Staatskasse verworfen.
Gründe:

Durch Strafbefehl des k. Amtsgerichts L. vom 25. November vorigen Jahres wurde die Inwohnersfrau B. G. von W., weil [189] sie, ungeachtet ihr durch das k. Bezirksamt L. die Bewilligung zur Aufnahme fremder Kinder entzogen worden, sich weigere, die aufgenommenen Kostkinder M. Z. und B. L. aus ihrer Pflege abzugeben, zu 45 Mark Geldstrafe, für den Fall der Uneinbringlichkeit umgewandelt in eine Haftstrafe von 15 Tagen, verurtheilt.

Hiegegen erhob B. G. Einspruch, worauf sie durch Urtheil des Schöffengerichts beim k. Amtsgerichte L. vom 23. Dezember vor. Js. von der Anklage des unbefugten Behaltens fremder Kinder in Pflege gegen Bezahlung unter Ueberbürdung der Kosten auf die Staatskasse freigesprochen wurde.

Die vom Amtsanwalte hiegegen eingelegte Berufung wurde durch Urtheil der Strafkammer des k. Landgerichts L. vom 11. Februar dieses Jahres unter Ueberweisung der Kosten der zweiten Instanz auf die Staatskasse verworfen.

Gegen dieses Urtheil hat der Staatsanwalt am ebenerwähnten Landgerichte rechtzeitig Revision eingelegt, welche von ihm rechtzeitig dahin begründet wurde, daß das Berufungsgericht den Art. 41 des Polizeistrafgesetzbuches durch Nichtanwendung verletzt habe.

Dabei wurde Aufhebung des Urtheils und Zurückverweisung der Sache zur anderweiten Aburtheilung an das k. Landgericht L. beantragt.

Die Würdigung der Sache hat Folgendes ergeben:

Das Bezirksamt L. theilte in einem Schreiben vom 1. September vor. Js. dem Amtsanwalte am Amtsgerichte daselbst mit, daß die Inwohnersfrau B. G. in W., ungeachtet ihr durch bezirksamtliche Verfügung vom 19. Juni 1880 die früher ertheilte Bewilligung zur Aufnahme fremder Kostkinder entzogen und durch weitere Verfügung vom 19. Juli desselben Jahres die Weisung ertheilt worden sei, die noch bei ihr in Kost befindlichen Kinder M. Z., geboren am 11. November 1875, und B. L., geboren am 5. Februar 1879, den Eltern oder der Heimatsgemeinde derselben zurückzugeben, die beiden Kinder nicht aus ihrer Pflege gegeben habe, und daher Strafeinschreitung nach Art. 41 des Pol.-Str.-Ges.-B. veranlaßt erscheine. In Folge dessen wurde B. G. durch Strafbefehl des Amtsgerichts L. vom 15. September vor. Js., weil sie ohne distriktspolizeiliche Erlaubniß und ungeachtet erfolgter Entziehung der polizeilichen Bewilligung zwei fremde Kinder in Kost und Pflege genommen und behalten habe, auf Grund des Art. 41 des Pol.-Str.-Ges.-B. in eine für den Fall der Uneinbringlichkeit in neuntägige Haftstrafe umgewandelte Geldstrafe von 45 Mark verurtheilt.

Hierauf ersuchte das Bezirksamt L. in einer Note vom 23. November vor. Js. den Amtsanwalt am Amtsgerichte L., wiederholt gegen B. G. Strafeinschreitung auf Grund des Art. 41 des Pol.-Str.-Ges.-B. zu veranlassen, weil dieselbe trotz der bezirksamtlichen [190] Verfügungen vom 19. Juni und 19. Juli 1880 sich nicht bewegen lasse, die beiden Kostkinder M. Z. und B. L. aus ihrer Pflege abzugeben, und wurde auch dem entsprechend vom Amtsgerichte L. am 25. November vor. Js. gegen die Genannte Strafbefehl unter der Beschuldigung erlassen, daß sie, ungeachtet ihr durch die ebenerwähnten Verfügungen die Bewilligung zur Aufnahme fremder Kostkinder entzogen worden sei, sich weigere, die aufgenommenen Kinder M. Z. und B. L. aus ihrer Pflege zu geben. Nach von ihr erhobenem Einsprüche wurde jedoch B. G. vom Schöffengerichte beim Amtsgerichte Landshut von dieser Anschuldigung aus dem Grunde freigesprochen, weil sie wegen der in Frage stehenden That bereits durch rechtskräftigen Strafbefehl vom 15. September vor. Js. verurtheilt worden sei und daher nach dem Grundsätze: „ne bis in idem“ wegen der nämlichen That nicht noch einmal bestraft werden könne.

Die Strafkammer ist, indem sie die amtsanwaltschaftliche Berufung verwarf, der Anschauung des Schöffengerichts beigetreten, weil durch das Verharren der B. G. in ihrem Widerstande gegen die Befehle des Bezirksamts L. nur der nämliche dolus bekundet werde, wegen dessen sie bereits rechtskräftig verurtheilt worden sei.

Dem gegenüber wird zur Begründung der Revisionsbeschwerde, daß das Berufungsgericht den Art. 41 des Pol.-Str.-Ges.-B. mit Unrecht nicht angewendet habe, geltend gemacht, es handele sich hier nicht um eine einzige That, sondern um zwei zeitlich getrennte strafbare Handlungen, von denen nur die erstere, nicht auch die letztere durch den Strafbefehl vom 15. September vor. Js. getroffen worden sei, und greife daher der Grundsatz: „ne bis in idem“ hier nicht Platz.

Die eingelegte Revision kann, wenn dieselbe auch lediglich darauf gestützt wird, daß der Grundsatz „ne bis in idem“ in der vorliegenden Sache mit Unrecht angewendet worden sei, nicht als unzulässig erachtet werden. Denn der Grundsatz, daß, wenn die den Gegenstand der Anklage bildende That bereits rechtskräftig abgeurtheilt wurde, eine weitere Strafverfolgung wegen derselben That nicht stattfinden kann, ist nicht blos prozessualer Natur, sondern gehört, wie auch in Art. 90 des bayerischen Str.-Ges.-B. vom Jahre 1861 anerkannt ist, zugleich dem Gebiete des materiellen Strafrechts an, weil die Entscheidung, daß in Folge dieses Prinzips in einem gegebenen Falle die Strafverfolgung ausgeschlossen sei, zugleich den Ausspruch enthält, daß wegen der der neuen Anklage unterstellten That, auch wenn dieselbe an sich unter ein Strafgesetz fällt, eine Bestrafung nicht eintreten könne.

Die Revision stellt sich jedoch als unbegründet dar.

Das Prinzip, daß das Klagerecht durch die rechtskräftige Aburtheilung [191] der den Gegenstand der Klage bildenden That dergestalt verbraucht wird, daß die Strafklage nicht von Neuem erhoben werden kann, ist zwar weder im R.-Str.-Ges.-B. noch in der R.-Str.-Pr.-O. ausdrücklich ausgesprochen, wohl aber in den Motiven zu den §§ 223 und 337 des Entwurfs der R.-Str.-Pr.-O. anerkannt und liegt dem § 402 der R.-Str.-Pr.-O. zu Grunde. Es findet daher auch seit dem Inkrafttreten der neuen Reichsgesetze Anwendung, wenn die Voraussetzung gegeben ist, daß die That, wegen deren neuerlich Strafverfolgung stattfinden soll, bereits rechtskräftig abgeurtheilt wurde, und letzteres ist hier der Fall.

Der vorerwähnte Strafbefehl des Amtsgerichts L. vom 15. September vor. Js., durch welchen B. G. auf Grund des Art. 41 des Pol.-Str.-Ges.-B. in eine Strafe von 45 Mark verurtheilt wurde, hat, weil gegen denselben Einspruch nicht erhoben worden ist, nach § 450 der Str.-Pr.-O. die Wirkung eines rechtskräftigen Urtheils erlangt und die durch diesen Strafbefehl gegen die Genannte ausgesprochene Strafe wurde wegen derselben That erkannt, wegen welcher nunmehr neuerlich öffentliche Klage erhoben ist. Denn nach Art. 41 des Pol.-Str.-Ges.-B. wird an Geld bis zu 45 Mark bestraft, wer fremde Kinder unter acht Jahren nach entzogener polizeilicher Bewilligung gegen Bezahlung in Pflege oder Erziehung behält, und diese Strafbestimmung wurde gegen B. G. in dem besagten Strafbefehle darum in Anwendung gebracht, weil sie die beiden, noch nicht acht Jahre alten, fremden Kinder M. Z. und B. L., ungeachtet die ihr früher ertheilte polizeiliche Bewilligung vom Bezirksamte L. durch Verfügung vom 19. Juni und wiederholt durch Verfügung vom 19. Juli vor. Js. entzogen worden war, gegen Bezahlung in Pflege behielt.

Die neuerlich erhobene Klage ist aber dahin gerichtet, daß B. G. trotz der ebenbezeichneten Entziehung der polizeilichen Bewilligung die beiden genannten, noch nicht acht Jahre alten, fremden Kinder nach wie vor gegen Bezahlung in Pflege behalte. Es hat dieselbe daher die nämliche That zum Gegenstand, welche durch den Strafbefehl vom 15. September vor. Js. abgeurtheilt worden ist. Denn die hier in Frage stehende Uebertretung besteht darin, daß die Angeklagte trotz polizeilichen Verbots die beiden erwähnten Kinder fortwährend gegen Bezahlung in Pflege behält und damit durch ununterbrochene gesetzwidrige Thätigkeit einen nach Art. 41 des Pol.-Str.-Ges.-B. rechtswidrigen Zustand herbeiführt. Dies begründet einen fortdauernden Reat und bildet in Folge dessen das ganze gesetzwidrige Verhalten der Angeklagten bezüglich der genannten Kinder, so lange es währt, ein Ganzes, eine einzige That, weshalb die Angeklagte, im Falle die Bestrafung vom 15. September vor. Js. nicht erfolgt wäre und ihr seitheriges [192] gesetzwidriges Behalten der beiden Kinder in Pflege erst jetzt zur Aburtheilung käme, nur wegen einer Uebertretung nach Art. 41 des Pol.-Str.-Ges.-B. verurtheilt werden könnte. Ist aber dies der Fall, so kann die den Thatbestand dieser Uebertretung begründende Gesammthätigkeit der Angeklagten nicht in Theile zerlegt und aus diesen eine Mehrheit von Uebertretungen gebildet werden. Es geht darum nicht an, die hier in Frage stehende Thätigkeit der Angeklagten seit dem 15. September vor. Js. gegenüber ihrer Thätigkeit vor diesem Zeitpunkte als einen selbstständigen Reat zu qualifiziren, während doch B. G., wenn ihr ganzes verbotwidriges Inpflegebehalten der genannten Kinder nunmehr erst abzuurtheilen gewesen wäre, nicht wegen zweier, im realen Zusammenflusse stehender Reate, sondern nur wegen Einer Uebertretung und nicht höher als mit 45 Mark hätte bestraft werden können, da Art. 41 des Pol.-Str.-Ges.-B. das in demselben bezeichnete Inpflegebehalten nur mit einer Geldstrafe bis zu 45 Mark bedroht.

Durch den Strafbefehl vom 15. September vor. Js. ist die strafbare Thätigkeit der Angeklagten nicht abgeschlossen und ihr fortwährendes Behalten der beiden Kinder nicht zu einer neuen selbstständigen That geworden. Keine gesetzliche Bestimmung berechtigt, dem erwähnten Strafbefehle eine solche Wirkung beizulegen, und Art. 41 des Pol.-Str.-Ges.-B. besagt nicht, daß das nach ergangenem Urtheile fortdauernde Behalten der treffenden Kinder neuerdings mit Strafe zu belegen sei.

Es kann daher dem vorliegenden gesetzwidrigen Zustande nur durch geeignetes polizeiliches Einschreiten, nicht durch eine wiederholte Strafverfolgung ein Ende gemacht werden.

Hienach hat aber das Berufungsgericht dadurch, daß dasselbe die neuerlich eingeleitete Verfolgung der B. G. wegen der am 15. September vor. Js. erfolgten Verurtheilung derselben für unstatthaft erklärt und daraufhin die amtsanwaltschaftliche Berufung gegen das schöffengerichtliche Urtheil vom 23. Dezember vor. Js. verworfen hat, den Art. 41 des Pol-Str.-Ges.-B. nicht verletzt, weshalb in Anwendung des § 505 Abs. 1 der Str.-Pr.-O., wie geschehen, zu erkennen war.