Oberlandesgericht München – Umsage durch Gemeindediener

Textdaten
Autor: Oberlandesgericht München
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Titel: Auszug aus einem Urtheile des k. Oberlandesgerichts München
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1889, Nr. 2, Seite 14–16
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Kurzbeschreibung: Persönliche Aushändigung genügt zur Verkündung ortspolizeilicher Vorschriften
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Auszug aus einem Urtheile des k. Oberlandesgerichts München
in der Sache gegen den Brauereibesitzer Erich M., den Oekonomen Alban Sch., den Söldner Michael Sch. und den Söldner Bonifaz Z., sämmtliche von O., wegen Uebertretung ortspolizeilicher Vorschriften bezüglich Reinlichkeit auf öffentlichen Straßen.

Die Gemeindeverwaltung O. hat ortspolizeiliche Vorschriften erlassen, welche zu §. 366 Nr. 10 des Reichs-Straf-Ges.-Bchs. unter §. 1 Ziff. 4 bestimmen: „Es ist verboten, Mistjauche oder sonstige Flüssigkeiten oder Unrath auf die Straßen, in die Straßengräben, auf öffentliche Wege oder Plätze ablaufen zu lassen, zu schütten oder zu leiten.“

Der in den adhibirten Akten des k. Bezirksamts J. befindliche Abdruck jener Vorschriften hat auf dem Umschlage die Bezeichnung: „Ortspolizeiliche Vorschriften der Gemeinde O., k. Bezirksamts J.,“ enthält sodann den Text der Vorschriften, und trägt am Schlusse den Vermerk: „Die vorstehenden ortspolizeilichen Vorschriften wurden unter Beobachtung der Bestimmung in Art. 3 Abs. 2 des Polizei-Strafgesetz-Buches erlassen, durch Entschließung der k. Regierung, Kammer des Innern, von Schwaben und Neuburg vom 24. Juni 1887 Nr. 11573 als vollziehbar erklärt und sodann in hiesiger Gemeinde durch den Gemeindediener durch Ausruf bekannt gemacht. O.......den 17. Juli 1887. Die Gemeindeverwaltung.“

Diesem Vermerk sind die Unterschriften: B. Bürgermeister, B. Joseph, H. Georg, H. Xaver, und das Gemeindesiegel beigesetzt. Ein mit gleicher Fertigung versehener Abdruck derselben Vorschriften war, wie aus den Entscheidungsgründen des in vorliegender Sache ergangenen schöffengerichtlichen Urtheils zu entnehmen ist, auch dem k. Amtsgericht J. mitgetheilt worden.

Die ortspolizeilichen Vorschriften vom 17. Juli 1887, bezüglich deren in keiner Weise angezeigt ist, daß sie mit einer anderen Bestimmung in Widerspruch stünden, tragen somit alle voraufgeführten gesetzlichen Bedingungen ihrer Giltigkeit an sich, und es ist insbesondere nicht abzusehen, inwieferne die amtlich beglaubigte Fertigung derselben eine formwidrige sein soll.

Das Berufungsgericht findet die Formwidrigkeit der Fertigung darin, daß der den Gerichten mitgetheilte Abdruck der Vorschriften das Datum, unter welchem diese vom Gemeindeausschusse O. erlassen wurden, nicht ersehen lasse, daß der eigentliche Text derselben nicht mit der gemäß Art. 147 Abs. 7 der Gemeinde-Ordnung vom 29. April 1869 erforderlichen Unterschrift des Bürgermeisters versehen sei, und daß die unter dem Vermerk vom 17. Juli 1887 sich findende Unterschrift des Bürgermeisters und einiger Mitglieder [15] des Gemeindeausschusses lediglich den Zweck habe, die von der k. Kreisregierung ertheilte Vollziehbarkeitserklärung und die geschehene Bekanntmachung der Vorschriften zu beurkunden, sonach der eigentliche Text der Vorschriften, die auch nicht erst am 17. Juli 1887 sondern schon früher erlassen worden sein müßten, amtlich nicht gefertigt sei.

Allein hiemit stellt das Berufungsgericht Erfordernisse für die Giltigkeit der ortspolizeilichen Vorschriften auf, welche im Gesetze nicht begründet sind.

Schon nach dem Wortlaute des Art. 11 Abs. 1 des Pol.-Strafges.-Bchs. hat nur eine amtlich beglaubigte Fertigung der den treffenden Gerichten mitzutheilenden ortspolizeilichen Vorschriften stattzufinden, was vorliegenden Falls in der durch Art. 147 Abs. 7 der Gemeindeordnung für die Ausfertigungen des Gemeindeausschusses vorgeschriebenen Form geschehen ist. Davon, daß der eigentliche Text der Vorschriften noch besonders beglaubigt sein müßte, oder was dasselbe ist, daß den Gerichten auch das über die Beschlüsse des Gemeindeausschusses gemäß Art. 147 Abs. 3 der Gemeindeordnung zu führende fortlaufende Protokoll, soweit es die Erlassung der ortspolizeilichen Vorschriften betrifft, in beglaubigter Abschrift oder mit amtlich beglaubigter Fertigung mitgetheilt werden müßte, ist in den Gesetzen nirgends die Rede, und hiemit fällt auch die Nothwendigkeit der Bekanntgabe des Datums, unter welchem der Beschluß des Gemeindeausschusses gefaßt wurde, hinweg. Aber auch aus der Entstehungsgeschichte des Art. 11 Abs. 1 des jetzigen – Art. 40 Abs. 1 des früheren – Pol.-Straf-Ges.-Bchs. ergibt sich, daß die Mitteilung eines Abdruckes der Polizeivorschriften mit amtlich beglaubigter Fertigung zum Nachweise darüber, daß dieselben für den treffenden Ortspolizeibezirk erlassen und gehörig bekannt gemacht worden seien, genügt, denn es wurde im Vortrage des Referenten des Gesetzgebungsausschusses Dr. Edel zu Art. 36 des Entwurfs bemerkt: „Wo in dem Entwurfe die Vorlage einer beglaubigten Abschrift gefordert wurde, ist dies durch eine amtlich beglaubigte Fertigung ersetzt worden, weil z. B. bei gedruckten Polizeibeschlüssen die Einsendung eines amtlich unterfertigten Druckexemplars genügen wird und nicht gerade auf der Mittheilung einer beglaubigten Abschrift zu bestehen sein dürfte“ (Verhandl. der Kammer der Abgeordneten 1859/61; Beil. Bd. II. Seite 160.)

Durch die amtliche Fertigung ist daher der Gesammtinhalt des den Gerichten vorgelegenen Abdruckes der in Rede stehenden Vorschriften von der Aufschrift des Umschlags bis zum Schlusse des Vermerks in gesetzlich genügender Weise beglaubigt worden.

Ueber die Bekanntmachung der ortspolizeilichen Vorschriften besagt der mehrerwähnte Vermerk, daß dieselbe durch den Gemeindediener mittels Aufrufs in der Gemeinde O. geschehen sei. Das [16] Berufungsgericht hat nun aus den zeugschaftlichen Aussagen des Bürgermeisters und des Gemeindedieners von O. entnommen, daß nicht die Form des Ausrufs eingehalten worden sei, sondern daß der Gemeindediener im Auftrage des Bürgermeisters den Gemeindebürgern je einen Abdruck der ortspolizeilichen Vorschriften in das Haus gebracht und hiebei erklärt habe, dieses seien die neuen ortspolizeilichen Vorschriften, und ist der Ansicht, daß die so zugestellten Abdrücke, deren Einer zu den vorliegenden Akten gebracht wurde, keine vollständigen gewesen seien, weil sie nicht ersehen ließen, von welcher Behörde, für welche Gemeinde und wann die fraglichen Vorschriften erlassen worden sein sollten, und zudem den Vermerk über die Vollziehbarkeitserklärung vermissen ließen. Aber auch in dieser Weise stellt sich die Bekanntmachung der Polizeivorschriften als eine in gehöriger Form geschehene dar. Denn die persönliche Umsage durch den Gemeindediener von O. im Auftrag des dortigen Bürgermeisters, daß das zugestellte Druckexemplar die neuen ortspolizeilichen Vorschriften enthalte, gab jedem Gemeindebürger von O. genugsam zu wissen, daß er in dem Druckexemplar den Text der nunmehr für diese Gemeinde erlassenen ortspolizeilichen Vorschriften zu finden habe, und es sind somit in einer gemäß § 2 Abs. 1 der Ministerialentschließung vom 28. Mai 1862 (Reg.-Bl. S. 925) zulässigen Weise zwei der in § 1 daselbst aufgeführten Formen der Verkündung zur Ausführung gebracht worden. Dadurch, daß der einzelne Gemeindebürger den Tag wann die Vorschriften erlassen wurden und die Art und Weise, auf welche diese ihre Vollziehbarkeit erlangten, nicht sofort erfuhr, ist derselbe weder in seinen gemeindebürgerlichen noch in seinen sonstigen Rechten beeinträchtigt worden. Ein derartiger Mangel ist daher nicht geeignet, die Verkündung der ortspolizeilichen Vorschriften als eine ungenügende erscheinen zu lassen.

Erweisen sich hiernach die ortspolizeilichen Vorschriften für O. vom 17. Juli 1887 als eine giltige Ergänzungsvorschrift zu § 366 Nr. 10 des Straf-Ges.-Bchs., so hat das Berufungsgericht diese Vorschriften dadurch, daß es dieselben als ungiltig nicht zur Anwendung bringen zu können erklärte, allerdings verletzt.