Oberlandesgericht München – Tanzmusik und Polizeistunde

Textdaten
Autor: Oberlandesgericht München
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Titel: Mittheilung von Erkenntnissen des k. Oberlandesgerichtes München.
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1883, Nr. 30, Seite 332–336
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Kurzbeschreibung: 1) Tanzmusik zu Silvester ist nur nach dem ortsüblichen Herkommen erlaubt. 2) Vereinszimmer in Gaststätten sind von dieser nicht getrennt. 3) Tanzmusik am Freitag ist von 0 bis 24 Uhr verboten.
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Mittheilung von Erkenntnissen des k. Oberlandesgerichtes München.

1) Auszug aus einem Erkenntnisse vom 6. September 1883 in der Sache gegen die Oekonomen Johann L. und Johann Ls. von N. wegen verbotwidriger Veranstaltung einer Tanzmusik.

Da der Art. 35 des Polizeistrafgesetzbuches die Vorsteher von geselligen Vereinen auf den Fall mit Strafe bedroht, daß von ihnen eine Tanzmusik an Tagen veranstaltet wird, an welchen die öffentliche Abhaltung einer solchen durch Verordnung untersagt ist, beschränkt das Gesetz nach diesem seinem Wortlaute die Strafandrohung nicht auf jene Tage, für welche die hier maßgebende zu dem, dem Art. 35 des nunmehr geltenden Polizeistrafgesetzbuches entsprechenden, Art. 66 des Polizeistrafgesetzbuches vom Jahre 1861 [333] erlassene k. Verordnung vom 18. Juni 1862 „die Abhaltung öffentlicher Tanzmusik betreffend“ Ausnahme von dem Verbote der Abhaltung öffentlicher Tanzmusik überhaupt nicht zuläßt, sondern die Strafandrohung trifft immer zu, wenn nach dieser Verordnung am betreffenden Orte an dem in Rede stehenden Tage die öffentliche Tanzmusik nicht abgehalten werden darf. Bezüglich der Statthaftigkeit einer öffentlichen Tanzmusik am Sylvestertage macht die Verordnung zwischen katholischen und protestantischen Orten keinen Unterschied, indem sie für die Orte beider Konfessionen gleichmäßig bestimmt, daß an diesem Tage nur da öffentliche Tanzmusik stattfinden darf, wo die Abhaltung einer solchen Herkommens ist. Der Grund, daß die betreffende Vorschrift für die protestantischen Orte nicht die gleiche Wortfassung hat wie jene für die katholische, liegt augenfällig nur darin, daß für die ersteren die sogenannte geschlossene Zeit vom ersten Advent-Sonntage nur bis zum Weihnachtstage einschließlich dauert, während sich dieselbe an katholischen Orten vom gleichem Anfangstage bis zum Feste der heiligen drei Könige einschließlich erstreckt. Die von den Beschwerdeführern gemachte Unterscheidung hätte die Folge, daß entgegen dem klaren Wortlaute des Art. 35 des Polizeistrafgesetzbuches am Sylvestertage von dem Vorsteher eines geselligen Vereines eine Tanzmusik an einem Orte veranstaltet werden dürfte, an welchem wegen Nichtbestehens eines Herkommens für öffentliche Tanzmusik am besagten Tage die Abhaltung einer solchen Tanzmusik durch die k. Verordnung vom 18. Juni 1862 untersagt ist.

Hiernach war für die Schuld der Angeklagten allerdings die Beantwortung der Frage entscheidend, ob in N. die Abhaltung öffentlicher Tanzmusik am Sylvestertage Herkommens sei oder nicht. Die Strafkammer hat nun auf Grund des ihr zu Gebote gestandenen Beweismateriales die Frage verneint. Diese Entscheidung über das Ergebniß der Beweisaufnahme, welche vom Gerichte gemäß § 260 der Strafprozeßordnung nach seiner freien, aus dem Inbegriffe der Verhandlung geschöpften Ueberzeugung zu treffen war, betrifft eine Thatsache, und die Prüfung ihrer Richtigkeit ist nach § 376 der Strafprozeßordnung der Revisionsinstanz entzogen. Daß aber der landgerichtlichen Entscheidung ein Rechtsirrthum zu Grunde liege, ist nicht erkennbar. Die Verordnung enthält keine besondere Bestimmung darüber, was nach derselben unter Herkommen zu verstehen sei, und indem nun die Strafkammer, dem allgemeinen Sprachgebrauche folgend, annahm, ein Herkommen sei nur dann als gegeben zu erachten, wenn eine fortgesetzte Uebung vorliege, hat sie nichts Rechtsirrthümliches ausgesprochen, wohl aber erscheint die Aufstellung der Beschwerdeführer als offenbar gegen das Recht verstoßend, daß sie auch einem durch das Gesetz ausgesprochenen [334] Verbote gegenüber noch ein gegentheiliges Herkommen zu bilden vermöge.

2) Auszug aus einem Erkenntnisse vom 11. September 1883 in der Sache gegen den Gasthofbesitzer Anton V. in D. wegen Uebertretung der Polizeistunde.

Nach § 365 des Reichs-Straf-Ges.-Bchs. wird mit Geldstrafe bis zu 15 Mark bestraft, wer in einer Schankstube oder an einem öffentlichen Vergnügungsorte über die gebotene Polizeistunde hinaus verweilt, ungeachtet der Wirth, sein Vertreter oder ein Polizeibeamter ihn zum Fortgehen aufgefordert hat. Der Wirth, welcher das Verweilen seiner Gäste über die gebotene Polizeistunde hinaus duldet, wird mit Geldstrafe bis zu sechzig Mark oder mit Haft bis zu vierzehn Tagen bestraft.

In Bayern ist die Polizeistunde durch die k. allerhöchste Verordnung vom 18. Juni 1862, die Polizeistunde betr., geboten, und in § 1 dieser Verordnung auf 12 Uhr Mitternacht für die Städte des Königreichs, auf 11 Uhr Abends für die Märkte und die Landgemeinden festgestellt. Nach § 6 Abs. 1 dieser, gemäß Art. 159 und 2 Nr. 4 des Pol.-Straf-Ges.-Bchs. zur Ergänzung der Bestimmungen des § 365 des Reichs-Straf-Ges.-Bchs. dienenden Verordnung[WS 1] sind gesellige Vereine und geschlossene Gesellschaften von der Einhaltung der festgestellten Polizeistunde nur dann befreit, wenn sie ein besonderes mit öffentlichen Wirthschaftsräumen nicht verbundenes Gesellschaftslokal besitzen. Solchen geselligen Vereinen und geschlossenen Gesellschaften aber, welche in einem Wirthshause ein von den allgemein zugänglichen Wirthschaftsräumen getrenntes und ausschließend für sie bestimmtes Gesellschaftslokal haben, kann gemäß Abs. 2 desselben Paragraphen von der Ortspolizeibehörde eine verlängerte Polizeistunde in widerruflicher Weise bewilligt werden.

Hiernach ist für die Frage, ob von einer geschlossenen Gesellschaft eine Polizeistunde einzuhalten, oder ob diese Gesellschaft von der Polizeistunde gesetzlich befreit ist, der Thatumstand entscheidend, daß sie ein mit öffentlichen Wirthschaftsräumen nicht verbundenes Gesellschaftslokal selbst besitze, und wenn sie ihr Lokal in einem Wirthshause hat, so ist die treffende Gesellschaft selbst dann an eine Polizeistunde gebunden, wenn dieses Lokal von den öffentlichen Wirthschaftsräumen vollständig getrennt ist. Der letztere Fall ist hier gegeben; der Verein Frohsinn-Liederkranz hat sein Gesellschaftslokal im Hintergebäude des V.’schen Gasthauses, folglich, da das Hintergebäude ein Bestandtheil des ganzen Gasthofes ist, in einem Wirthshause. Der Verordnung vom 18. Juni 1862 zu Folge muß daher die genannte Gesellschaft die polizeiliche Bewilligung einer verlängerten Polizeistunde erwirken, um in ihrem Gesellschaftslokale im V.’schen Gasthause über die gebotene Polizeistunde [335] hinaus eine Tanzunterhaltung abhalten zu können, und es stellen sich dem gegenüber alle die Merkmale einer im Besitze eines gemietheten Lokals befindlichen geschlossenen Gesellschaft, welche vom Berufungsgerichte hervorgehoben wurden, wie die selbstständige Bewirthung im Gesellschaftslokale, die Nichtberechtigung des Wirths, über dieses Lokal zu verfügen, die Unzugänglichkeit des Lokals für das allgemeine Publikum u. s. f., als bedeutungslos dar.

Streitig ist zwar, ob das Lokal einer geschlossenen Gesellschaft als ein öffentlicher Vergnügungsort im Sinne des § 365 des Reichs-Straf-Ges.-Bchs. angesehen werden könne.

cf. v. Riedel, Pol.-Str.-Ges.-Bch. III. Aufl. S. 83. Note 2b. zu § 365 des Reichs-Str.-Ges.-Bchs. Blätter für administrative Praxis Bd. 24. S. 173. Oppenhof’s Commentar zum Straf-Ges.-Bch., Aufl. IX. S. 873. Note 4 zu § 365.

Der oberste Gerichtshof für Bayern hat jedoch durch Plenarerkenntniß vom 28. Juli 1875 (Sammlung oberstrichterlicher Entscheidungen Bd. V. S. 375) im Hinblick auf die polizeiliche Natur der Bestimmungen des § 365 des Reichs-Straf-Ges.-Bchs. diese Frage im bejahenden Sinne entschieden. Dieser Entscheidung muß auch beigepflichtet werden, da das Gebot einer Polizeistunde illusorisch wäre, wenn es durch privatrechtliche Verträge mit dem Wirthe umgangen werden könnte. Ein Wirths- oder Gasthaus dient zur Benützung für das allgemeine Publikum, ist also in allen seinen Theilen ein öffentliches Lokal, und wenn eine geschlossene Gesellschaft einen Theil desselben zur Benützung zu ihrem Vergnügen für kurz oder lang miethet, so benützt sie einen öffentlichen Vergnügungsort zu ihrem privaten Vergnügen. Der Wirth ist aber vermöge seiner im öffentlichen Rechte gegründeten Verpflichtung gehalten, seinen Gästen, einerlei ob diese ein Separatlokal zu geselligen Zwecken gemiethet haben oder allgemeine Wirthsgäste im Schanklokale sind, die Polizeistunde zu bieten. Da dies V. im gegebenen Falle nicht gethan hat, so hat er sich einer Uebertretung nach § 365 Abs. 2 des Reichs-Straf-Ges.-Bchs. mit § 1 der allerhöchsten Verordnung vom 18. Juni 1862 schuldig gemacht.

3) Erkenntniß vom 18. September 1883 in der Sache gegen Karl R. in N. wegen verbotwidriger Veranstaltung einer Tanzmusik.

In diesem Erkenntnisse ist unter Hinweisung auf das in der allerh. Verordnung vom 18. Juni 1862 (Reg.-Bl. S. 1391) enthaltene Verbot der Abhaltung öffentlicher Tanzmusik an den Freitagen ausgesprochen, daß der Vorsteher eines geselligen Vereines oder einer geschlossenen Gesellschaft der Bestrafung nach Art. 35 des Polizeistrafgesetzbuches unterliegt, wenn eine von demselben für den betreffenden Verein oder die betreffende Gesellschaft an einem [336] Donnerstag veranstaltete Tanzmusik über die Mitternachtsstunde hinaus, sohin bis in die erste Morgenstunde des Freitags, fortgesetzt wird.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Veordnung