Oberlandesgericht München – Nichtgeleistete Spanndienste

Textdaten
Autor: Oberlandesgericht München
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Titel: Auszug aus einem Urtheile des k. Oberlandesgerichts München vom 16. Oktober 1884
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1884, Nr. 39, Seite 373–375
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Kurzbeschreibung: Pflichtige können sich den von der Gemeinde auferlegten Diensten nur mit einer genügenden Entschuldigung entziehen.
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Auszug aus einem Urtheile des k. Oberlandesgerichts München vom 16. Oktober 1884.

Der Angeklagte, Oekonom J. Sch., Besitzer des zur Gemeinde Wohnsgehaig gehörigen Anwesens Nr. 1 in Außerngraben, wurde, weil er die nach Festsetzung der Gemeindeverwaltung Wohnsgehaig auf ihn für das Jahr 1884 treffenden Spanndienste zur Herstellung der Gemeindeverbindungswege und Ortsstraßen dieser Gemeinde unentschuldigt nicht geleistet habe, vom Schöffengericht auf Grund des Art. 29 Abs. 1 des Polizei-Strafgesetzes wegen einer Uebertretung in Bezug auf öffentliche Verpflichtungen zu einer Geldstrafe von 6 ℳ., für den Fall der Uneinbringlichkeit umgewandelt in eine zweitägige Haftstrafe, sowie zur Tragung der Kosten verurtheilt unter der Feststellung, daß durch Beschluß des Gemeindeausschusses zu Wohnsgehaig vom 29. März 1884 die Vertheilung der Leistung der erwähnten Spanndienste nach den in der genannten Gemeinde vorhandenen Gespannen erfolgte, und hiebei nach der Art der Vertheilung der Angeklagte, welcher ein Gespann von zwei Kühen und von zwei dreijährigen Ochsen besaß, sechs Fuhren Steine zu leisten zugetheilt erhielt, derselbe aber, ungeachtet dieser Beschluß ihm durch den Gemeindediener eröffnet wurde, jede Beifuhr von Steinen ohne Entschuldigung unterließ.

Die Ferienstrafkammer hat die von Johann Sch. hiegegen eingelegte Berufung unter Verurtheilung desselben in die Kosten verworfen, weil der Einwand des Angeklagten, nicht in rechtswidriger Absicht gehandelt zu haben, indem er die ihm auferlegte Leistung von sechs Steinfuhren um deswillen unterlassen habe, weil er des guten Glaubens gewesen, daß er nach seinen Steuerverhältnissen und da ein Theil seiner Felder nicht zur Gemeinde Wohnsgehaig gehöre, zu hoch mit Spanndiensten angelegt worden sei, keine Beachtung finden könne. Die Verbindlichkeit des Angeklagten zur Leistung der erwähnten Dienste stehe, nachdem er von seinem Beschwerderecht keinen Gebrauch gemacht habe, rechtskräftig fest, und könne er daher mit der Einrede des Irrthums nicht gehört werden. Seine Unterlassung stelle sich vielmehr als eine absichtliche Auflehnung gegen eine durch die Gemeindeverwaltung Wohnsgehaig in zuständiger Weise erfolgte Auferlegung einer öffentlichen Verpflichtung dar, deren Notwendigkeit vom Strafrichter nicht zu prüfen sei.

In der Revision wird hiegegen geltend gemacht, der Art. 29 des Pol.-Str.-Ges.-Bchs. setze zu seiner Anwendung das Bestehen einer Rechtspflicht zur Leistung der geforderten Gemeindedienste voraus; daß eine solche bestehe, sei vom Angeklagten, bestritten und durch den gemeindlichen Beschluß vom 29. März dieses Jahres [374] nicht entschieden. Hierüber zu entscheiden, sei der Gemeindeausschutz gar nicht zuständig. Das Berufungsgericht habe daher mit Unrecht sich der Prüfung der Pflichtigkeitsfrage entschlagen. Der Angriff ist jedoch nicht gerechtfertigt.

Nach Art. 29 Abs. 1 des Pol.-Str.-Ges.-Bchs. werden an Geld bis zu fünfzehn Mark Pflichtige gestraft, welche die nach Festsetzung der Gemeindeverwaltung sie treffenden Dienste zur Erhaltung der Fahrbarkeit der Gemeindewege ohne genügende Entschuldigung nicht leisten. Gemäß der Bestimmung des Art. 54 Abs. 4 der rechtsrheinischen Gemeindeordnung in der neuen Fassung findet die im Art. 29 des Pol.-Str.-Ges.-Bchs. vorgesehene Strafeinschreitung bei allen nach Art. 50 der Gemeindeordnung gemeindedienstpflichtigen Personen Anwendung, und zu den Letzteren gehören unter Anderen die selbständigen Gemeindeinwohner, welche seit sechs Monaten in der Gemeinde wohnen und daselbst mit einer direkten Steuer angelegt sind – Art. 50 Ziff. 3 – sowie die Besitzer eines in der Gemeinde gelegenen Wohnhauses – Art. 50 Ziff. 4. Hiezu verordnet der Art. 51 weiter, daß die Gemeindespanndienste ausschließend unter den mit Gespann Versehenen nach der Zahl der in der Gemeinde vorhandenen, nicht zum öffentlichen Dienst gehaltenen, Gespanne der Verpflichteten zu vertheilen sind. Hiernach steht aber außer Zweifel, daß der Angeklagte ein Gemeindedienstpflichtiger im Sinne des Art. 29 des Pol.-Str.-Ges.-Bchs. und zur Leistung von Spanndiensten in der Gemeinde Wohnsgehaig verbunden ist, da derselbe, abgesehen davon, daß er, wie aus seiner Verteidigung hervorgeht, schon seit mehreren Jahren in dieser Gemeinde wohnt und als Oekonom steuerbare Liegenschaften daselbst in Besitz hat, ein in der Gemeinde gelegenes Wohnhaus und ein Gespann besitzt.

In der Revisionsausführung wird auch nicht sowohl die Pflicht des Angeklagten, der Gemeinde Wohnsgehaig Spanndienste zu leisten, in Abrede gestellt, als vielmehr, weil sein Grundbesitz nur zum Theil in dieser Gemeinde liege, die Angemessenheit der ihm durch den Gemeindeverwaltungsbeschluß vom 29. März ds. Js. aufgetragenen Leistung bestritten, was jedoch nach Vorschrift des Art. 163 der Gemeindeordnung lediglich vor der Verwaltungsbehörde geschehen kann. Der Umstand, daß der Angeklagte sich durch das Maß der ihm vom Gemeindeausschuß zur Leistung zugewiesenen Spanndienste überbürdet erachtet, berechtigte der Strafandrohung des Art. 29 des Pol.-Str.-Ges.-Bchs. gegenüber ihn nicht, die Leistung zu verweigern. Durch deren Unterlassung wurde Sch. vielmehr strafbar, wenn er nicht genügend entschuldigt gewesen ist, da das Gesetz in diesem Punkte zum Begriff der im Art. 29 Abs. 1 vorgesehenen Übertretung nur erfordert, daß die [375] fraglichen Dienste nach bei Festsetzung der Gemeindeverwaltung den Pflichtigen getroffen haben. Daß aber die Nichtleistung der Steinfuhren Seitens des Angeklagten eine unentschuldigte war, ist keineswegs, wie in der Revision weiter gerügt wird, festzustellen unterlassen worden. In der tatsächlichen Ausführung des schöffengerichtlichen Urtheils, auf welcher das zweitinstanzielle Urtheil beruht, da Letzteres in seinen Entscheidungsgründen nur mit der Würdigung des daselbst bezeichneten Vertheidigungsvorbringens des Angeklagten sich befaßt, ist ausdrücklich als feststehend erklärt, daß der Angeklagte die Steinfuhren ohne Entschuldigung nicht geleistet habe, und diese Feststellung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Denn von dem Angeklagten wurde gar nicht behauptet, an der Leistung thatsächlich gehindert gewesen zu sein, während nur eine solche Verhinderung eine genügende Entschuldigung begründet.

Ebendeßhalb ist es auch unerheblich, wenn der Angeklagte, wie in der Revision endlich noch eingewendet wird, der irrigen Meinung war, zur Verweigerung der ihm vom Gemeindeausschuß zugetheilten Dienstleistung berechtigt zu sein, und in Folge dessen nicht absichtlich widerrechtlich handelte. Ein absichtlich rechtswidriges Handeln fordert der Art. 29 Abs. 1 des Pol.-Str.-Ges.-Bchs. nicht. Der Thatbestand der treffenden Uebertretung ist nur durch die daselbst bezeichneten Voraussetzungen bedingt, und in Folge dessen befand sich der Angeklagte, wenn er sich wegen vermeintlicher Ueberbürdung für berechtigt hielt, die hier in Frage stehenden Dienste zu verweigern, nicht in einem Irrthum über einen zum gesetzlichen Begriff der Uebertretung gehörigen Thatumstand, sondern in einem Irrthum über den Inhalt der Strafvorschrift des Art. 29 Abs. 1 des Pol.-Str.-Ges.-Bchs., welcher als nicht beachtbar die Anwendbarkeit derselben nicht ausschließt.

Hiernach sind im vorliegenden Falle alle Voraussetzungen der dem Angeklagten zur Last gelegten Uebertretung gegeben und stellt sich daher die von demselben eingelegte Revision als unbegründet dar.