Oberlandesgericht München – Impfzwang 2

Textdaten
Autor: Oberlandesgericht München
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Auszug aus einem Urtheile des k. Oberlandesgerichts München vom 27. Juli 1886
Untertitel:
aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1886, Nr. 27, Seite 262–267
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: Vorlage:none
Verlag: Vorlage:none
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort:
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung: Die Aussetzung der Impfpflicht aus gesundheitlichen Gründen ist zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu beenden
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]

[262]

Auszug aus einem Urtheile des k. Oberlandesgerichts München vom 27. Juli 1886

in der Sache gegen den Rechtsanwalt Hermann H. von K. wegen Uebertretung des Impfgesetzes.

Rechtsanwalt H. H. wurde Ende des zweiten auf das Geburtsjahr seines am 23. November 1882 zur Welt gekommenen Söhnchens Hermann folgenden Jahres unterm 18. Dezember 1884 aufgefordert, innerhalb 10 Tagen Nachweis über die erfolgte Impfung seines genannten Kindes zu erbringen, oder, gegebenen Falles, ein ärztliches Zeugniß nach §. 2 des Impfgesetzes vorzulegen.

Hierauf schrieb Angeklagter am 30. Dezember 1884 an das Bürgermeisteramt K., die Gesundheitsverhältnisse seines Kindes seien zur Zeit der allgemeinen Impfung derartige gewesen, daß er die Vornahme der letzteren nicht für angezeigt erachtet habe, jedoch beabsichtige, für den Fall andauernder Gesundheit seines Kindes, dessen Impfung im Laufe des nächsten Jahres bethätigen zu lassen. Als ihm hierauf unterm 28. Februar 1885 die Frist zur Beibringung des vorschriftsmäßigen Nachweises, unter Androhung der Einschreitung nach §. 14 Abs. 1 des Impfgesetzes, bis zum 15. Juni vorigen Jahres verlängert worden war, bat er mittels schriftlicher Eingabe vom 16. Juni 1885 um weitere Verlängerung der Frist bis zum kommenden Frühjahre, da es bedenklich sei, in die Entwicklung seines schwächlichen, öfter kränkelnden Kindes jetzt einzugreifen.

Am 3. September vorigen Jahres wurde er, unter Verlängerung der ihm zur Einbringung des mehrberegten Nachweises vorgesetzten Frist, neuerdings zu dessen Vorlage aufgefordert, worauf er unterm 10. September vorigen Jahres ein Zeugniß des praktischen Arztes Dr. J. zu K. der Behörde einsendete, nach welchem wegen der am 26. August vorigen Jahres erfolgten Erkrankung seiner Kinder an den Masern, deren Impfung vor dem 1. Oktober 1885 [263] nicht thunlich sei, und zugleich versprach, die in Rede stehende Angelegenheit für die Folge zu fördern.

Unterm 13. Oktober vorigen Jahres erging Seitens des k. Bezirksamts K., unter Hinweisung darauf, daß nach dem vorberegten Zeugnisse des Dr. J. die Impfung der H.’schen Kinder lediglich vor Anfang Oktober nicht thunlich gewesen sei, Anfrage an den Angeklagten, ob die Impfung inzwischen erfolgt sei, worauf derselbe unterm 8. November reskribirte, daß er zur Zeit eine Verpflichtung zur Impfung seiner Kinder nicht anerkennen könne, da er gemäß §. 2 des Impfgesetzes vom 1. Oktober an noch ein Jahr Zeit hiezu habe.

Daraufhin verwarf die Strafkammer die Berufung des Angeklagten gegen das schöffengerichtliche Urtheil, wodurch derselbe wegen einer Verfehlung gegen das Impfgesetz vom 8. April 1874, dadurch verübt, daß er im Laufe des Jahres 1885 weder den Nachweis über die Impfung seines in Frage stehenden Sohnes, noch über deren Unterbleibung aus gesetzlichem Grunde lieferte, in eine Geldstrafe von 1 Mark, für den Fall der Uneinbringlichkeit umgewandelt in ein Tag Haft, verfällt worden war, in der Hauptsache als unbegründet.

Hiebei ging das Berufungsgericht von der Erwägung aus, daß, wenn auch kein Zustandsdelikt, wie das Schöffengericht annehme, vorliege, und wenn auch die am 28. Dezember 1884 und 15. Juni 1885 konsummirten Uebertretungen als bei der erst am 16. November 1885 betätigten Einleitung des Strafverfahrens bereits verjährt, oder doch wegen der vom Bezirksamte unter Unterlassung der Anzeigeerstattung gewährten weiteren Fristen nicht mehr strafbar erscheinen, und wenn der Angeklagte auch der hier allein noch in Betracht kommenden bezirksamtlichen Aufforderung vom 3. September 1885 durch Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses darüber, daß die Impfung seiner Kinder vor dem 1. Oktober 1885 wegen deren Erkrankung an den Masern nicht möglich sei, Genüge geleistet habe, er doch vom 1. Oktober 1885 an jeden Tag angehalten werden konnte, den Nachweis der Impfung seines in Rede stehenden Kindes zu führen, und von diesem Tage an verpflichtet war, die Impfung desselben alsbald vornehmen zu lassen, daher das Bezirksamt, wie es gethan, berechtigt gewesen sei, am 13. Oktober vor. Jahres, also nach Ablauf von beinahe 14 Tagen nach dem 1. Oktober den Nachweis nach §. 12 des Impfgesetzes vom 8. April 1874 zu verlangen, ohne daß es hiezu der Vorsetzung einer weitern Frist bedurft hatte, da eine solche, wie aus §. 15 der Vollzugsvorschriften zum Impfgesetze unzweifelhaft sich ergebe, nur für die Zeit der ordnungsmäßigen Impfung vorgeschrieben sei, Angeklagter sohin, da er den geforderten Nachweis nicht geliefert habe, und nicht habe liefern [264] können, und seine Anschauung, daß ihm nach §. 2 des Impfgesetzes vom 1. Oktober vorigen Jahres an noch eine Frist von 1 Jahre zur Bethätigung fraglicher Anzeige zustehe, als eine rechtsirrthümliche sich darstelle, der Strafe des §. 14 Abs. 1 des Impfgesetzes verfallen sei.

Hiedurch erachtet die Revision die §§. 2, 4, 10, 12, 14 des Impfgesetzes vom 8. April 1874 und die §§. 1. 12, 15 der bayer. Vollzugsverordnung vom 24. Februar 1875 durch Nichtanwendung oder nicht richtige Anwendung für verletzt, jedoch mit Unrecht.

Nach §. 2 des Impfgesetzes vom 8. April 1874 (Gesetz- und Verordnungs-Blatt 1875 Seite 132 ff.) ist ein Impfpflichtiger (§. 1), welcher nach ärztlichem Zeugnisse ohne Gefahr für sein Leben oder für seine Gesundheit nicht geimpft werden kann, binnen Jahresfrist nach Aufhören des die Gefahr begründenden Zustandes der Impfung zu unterziehen, und hat in zweifelhaften Fällen der zuständige Impfarzt (§. 6) über das Fortbestehen dieser Gefahr zu entscheiden.

Der §. 4 des Impfgesetzes bestimmt, daß, wenn die Impfung ohne gesetzlichen Grund (§§. 1 und 2) unterblieben ist, sie binnen einer von der zuständigen Behörde zu setzenden Frist nachzuholen sei. Nach §. 12 a. a. O. sind Eltern, Pflegeeltern und Vormünder gehalten, auf amtliches Erfordern mittels der im §. 10 vorgeschriebenen Bescheinigungen den Nachweis zu führen, daß die Impfung ihrer Kinder und Pflegbefohlenen erfolgt, oder aus gesetzlichem Grunde unterblieben ist, und nach §. 14 Abs. 1 desselben Gesetzes werden Eltern, Pflegeeltern und Vormünder, welche dem nach §. 12 ihnen obliegenden Nachweis zu führen unterlassen, mit einer Geldstrafe bis zu 20 Mark bedroht.

Das Berufungsgericht sieht die zu einer Bestrafung aus §. 14 Abs. 1 mit §. 12 des Impfgesetzes notwendige Voraussetzung des amtlichen Erforderns zur Beibringung des nach vorallegirtem §. 12 dem Vater etc. obliegenden Nachweises in der bezirksamtlichen Aufforderung an den Angeklagten vom 3. September 1885, im Zusammenhalte mit dem weiters an ihn ergangenen Schreiben des Bezirksamts vom 13. Oktober vorigen Jahres, welche Aufforderungen sich gegenseitig ergänzten, und erachtet den Angeklagten vom 1. Oktober vorigen Jahres, als dem Tage des Wegfalles des durch das beigebrachte ärztliche Zeugniß vom 8. September vorigen Jahres bescheinigten Hindernisses an, zur Führung des Nachweises, daß sein fragliches Kind geimpft sei, für verpflichtet und, unter der weiteren Feststellung, derselbe sei, zur Führung des mehrberegten Nachweises durch das erwähnte Schreiben des Bezirksamts vom 13. Oktober 1885 angehalten worden, ohne dieser Aufforderung nachzukommen, für nach §. 14 Abs. 1 des Impfgesetzes straffällig. [265]

Diese Feststellungen erschöpfen den Tatbestand des §. 14 Abs. 1 des Impfgesetzes, und kann in der Subsummirung derselben unter diese gesetzliche Bestimmung keinerlei Rechtsirrthum gesehen werden.

Der Einwand des Angeklagten, daß ihm nach §. 2 des Impfgesetzes, nach beigebrachter Bescheinigung der Unmöglichkeit der Impfung seines Sohnes Hermann bis 1. Oktober 1885, neuerdings eine Frist von einem Jahre laufe, um den Nachweis über die Impfung dieses Kindes zu liefern, stellt sich nicht als stichhaltig dar. Denn der §. 2 des Impfgesetzes bestimmt nur, daß ein Impfpflichtiger (§. 1), der nach ärztlichem Zeugnisse ohne Gefahr für Leben oder Gesundheit nicht geimpft werden kann, binnen Jahresfrist nach Aufhören dieser Gefahr der Impfung zu unterziehen ist, bezeichnet somit nur den äußersten Termin, bis zu welchem die Impfung bethätigt sein muß, schließt aber in keiner Weise aus, daß schon vor Ablauf der Jahresfrist, ja sofort nach Aufhören des die Gefahr begründenden Zustandes, eine Aufforderung zur Beibringung des Nachweises der erfolgten Impfung der Kinder an deren Eltern etc. auf Grund des §. 12 des Impfgesetzes ergehe, so daß die Ansicht des Angeklagten, es hätte ihm eine neue Frist zur Beibringung des nach §. 12 des Impfgesetzes vorgeschriebenen Nachweises vom 1. Oktober an vorgesteckt werden sollen, als eine rechtsirrthümliche sich erweist. Der weiter als verletzt bezeichnete §. 4 des Impfgesetzes kommt hier gar nicht in Frage, da die nach demselben zu setzende Frist sich auf die Nachholung der ohne gesetzlichen Grund unterbliebenen Impfung bezieht, deren Außerachtlassung nach §. 14 Abs. 2 des Impfgesetzes bestraft wird, während es sich im gegebenen Falle nicht um die Unterlassung der aufgetragenen Nachholung der Impfung, sondern um die Nichtbeibringung des auf Grund des mehrerwähnten §. 12 des Impfgesetzes erforderten Nachweises der bethätigten oder aus einem gesetzlichen Grunde unterbliebenen Impfung handelt.

Ist dieser Nachweis in der einen oder anderen Alternative oder in keiner Richtung erbracht worden, erst dann ist eine gesetzliche Grundlage gegeben, um eine Frist nach §. 4 des Impfgesetzes vorstecken zu können, woraus sich klar ergibt, daß der fragliche §. 4 bei der Entscheidung darüber, ob die Nichtbeachtung der hier in Rede stehenden Aufforderung zu ihrer Bestrafung die Vorsteckung einer bestimmten Frist voraussetze, nicht in Betracht komme. Die §§. 12 und 14 Abs. 1 des Impfgesetzes machen die Bestrafung der Unterlassung der Führung des in ersterer Gesetzesstelle angeordneten Nachweises keineswegs von der Vorsehung einer bestimmten Frist hiefür und deren Ablauf abhängig.

Auch die Bestimmungen des §. 15 Abs. 1 und 2 der auf [266] Grund des §. 18 Abs. 2 des Impfgesetzes erlassenen kgl. bayer. allerhöchsten Vollzugsverordnung vom 24. Februar 1875, (Gesetz-und Verordnungs-Blatt 1875 Seite 117 ff.) wornach die Distriktspolizeibehörden die ihnen am Schlusse des Kalenderjahres zugegangenen Impflisten zu prüfen und bezüglich der ohne gesetzlichen Grund von der Impfung weggebliebenen Kinder etc. deren Eltern etc. nach §. 12 des Impfgesetzes aufzufordern haben, binnen einer bestimmten Frist mittels der vorgeschriebenen Bescheinigung (§. 10 des Impfgesetzes) den Nachweis zu führen, daß die Impfung ihrer Kinder etc. erfolgt oder aus gesetzlichem Grunde unterblieben sei, worauf, bei geliefertem Nachweis, die Impfliste zu ergänzen, bei Nichterbringung dieses Nachweises aber der betreffenden Staatsanwaltschaft Anzeige zu machen, und den Betheiligten nach §. 4 des Impfgesetzes eine Frist zur Nachholung der Impfung vorzusetzen ist, können für die Anschauung des Angeklagten nicht verwerthet werden, da der lediglich eine die einschlägigen Behörden bindende reglementäre Vorschrift enthaltende §. 15 der vorallegirten Vollzugsverordnung nur die einmalige Vorsteckung einer bestimmten Frist zur Führung des Nachweises im Auge hat, ohne deren Verlängerung auf unbestimmte Dauer zu verbieten, und gegenüber dem Umstände, daß, wie erwähnt, die §§. 12 und 14 des Impfgesetzes selbst die Setzung einer solchen Frist in keiner Weise vorschreiben, die Bestrafung des einzelnen Falles nach §. 14 Abs. 1 des Gesetzes keineswegs von der Thatsache, daß eine bestimmte Frist vorgesteckt worden sei, abhängig machen kann.

Worin eine Verletzung des §. 10 des Impfgesetzes und der §§. 1 und 12 der allerhöchsten Vollzugsverordnung liegen soll, ist um so weniger abzusehen, als die erstgenannte Gesetzesstelle nur Formvorschriften für Ausstellung der Impfscheine und einschlägigen ärztlichen Zeugnisse, die hier gar nicht in Frage kommen, der §. 1 der Vollzugsverordnung aber lediglich eine Bestimmung darüber enthält, welche Distriktspolizeibehörde für ihren Verwaltungsbezirk die zum Vollzuge des Impfgesetzes zuständige sei, die deßfallsige Zuständigkeit des Bezirksamts K. vom Angeklagten aber nie bestritten wurde, aus §. 12 endlich, wonach, wenn an einem Orte zu der für die öffentliche Impfung bestimmten Zeit unter den Kindern ansteckende Krankheiten herrschen, die öffentlichen Impfungen auf einen späteren Termin zu verlegen sind, unzweideutig erhellt, daß dieser spätere Termin nicht, wie der Angeklagte aus §. 2 des Impfgesetzes, wie bereits ausgeführt, irriger Weise folgert, erst nach Ablauf eines Jahres, sondern vielmehr sofort nach Aufhören der ansteckenden Krankheiten statthaben dürfe.

Auf die Frage, ob die Strafkammer mit Recht angenommen habe, daß die Nichtbeachtung der früheren bezirksamtlichen Aufforderungen vom 18. Dezember 1884 und 28. Februar 1885 Seitens [267] des Angeklagten zwei selbstständige in sachlichem Zusammenflusse stehende, nach §. 14 Abs. 1 des Impfgesetzes strafbare Uebertretungen bilden und daß dieselben verjährt seien, braucht schon um deßwillen nicht näher eingegangen zu werden, weil Angeklagter durch diese Entscheidungen in keiner Weise beschwert erscheint.

Da auch sonst kein materielles Recht enthaltende Gesetzesnorm als verletzt erscheint, sich sohin die Revision des Angeklagten als unbegründet darstellt, so war dieselbe, entsprechend dem Antrage des dießgerichtlichen Staatsanwaltes, unter Anwendung des §. 505 Abs. 1 der Straf-Prozeß-Ordnung zu verwerfen, wie geschehen ist.