Oberlandesgericht München – Gemeindedienste 3
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Durch Urtheil des Schöffengerichtes R. vom 22. Juli 1890 war die Bauernwittwe A. F. von R. einer Uebertretung der Nichtleistung von Gemeindediensten für schuldig erkannt und deßwegen in eine Geldstrafe von 15 Mark sowie in die Kosten des Verfahrens und Strafvollzuges verurtheilt worden.
Ihre hiegegen eingelegte Berufung wurde von der Strafkammer des königlichen Landgerichtes L. durch Urtheil vom 26. September 1890 als unbegründet kostenfällig verworfen, worauf dieselbe am 27. desselben Monats Revision einlegte und, nachdem ihr das Urtheil am 18. Oktober 1890 zugestellt war, am 25. desselben Monats mit ihren Revisionsanträgen einkam.
Die Revision wird mit Verletzung von Art. 29 des Polizei-Straf-Gesetz-Buchs begründet, weil
I. die Festsetzung der die Beschwerdeführerin treffenden Dienste nicht durch den Gemeindeausschuß, sondern durch Beschluß der Gemeindeversammlung vom 10. Januar 1890, also nicht gesetzmäßig im Sinne von Art. 123 der Gemeindeordnung erfolgt und überdieß darin nichts über Entlastung der zu fraglichem Wege Konkurrenzpflichtigen auf andere Wegstrecken gemäß Art. 38 und 49 Gemeinde-Ordnung bestimmt sei, aber auch
II. der Revidentin eine genügende Entschuldigung zur Seite stehe, da sie die Regierungs-Entschließung vom 17. September 1879 [15] für sich habe, bei Verweigerung der Dienste in gutem Glauben gewesen, und ihr die Auskunft über Art und Gründe der beschlossenen Vertheilung vom k. Bezirksamte und der Gemeinde versagt worden sei.
Die richterliche Würdigung ergibt:
Wenn die Revision eine Verletzung des Art. 29 Pol.-St.-G. um deßwillen rügt, weil die Festsetzung der die Beschwerdeführerin treffenden Dienste nicht durch den Gemeindeausschuß, sondern durch Beschluß der Gemeindeversammlung vom 10. Januar 1890, also nicht gesetzmäßig im Sinne von Art. 123 der Gemeinde-Ordnung erfolgt sei, so wäre ihr insoferne beizupflichten, als Art. 29 cit. zum Thatbestand eine Festsetzung der Gemeindeverwaltung fordert, und als nach Art. 123 loc. cit. die Gemeindeverwaltung vorbehaltlich der Befugnisse der Gemeindeversammlung, welche aber nach Art. 147 loc. cit. hier nicht zutreffen, vom Gemeindeausschusse besorgt wird.
Gegen diese Bestimmungen hat jedoch das angefochtene Urtheil keineswegs verstoßen, denn es findet die Festsetzung der die Angeklagte treffenden Dienste nicht darin, daß die Gemeindeversammlung als solche am 10. Januar 1890 einen darauf abzielenden Beschluß gefaßt hat, sondern vielmehr darin, daß demselben sämmtliche Gemeindeausschußmitglieder in dieser Eigenschaft beigetreten sind und ihn so zum Beschlusse des Gemeindeausschusses gemacht haben.
Was der Thatrichter in dieser Beziehung festgestellt hat, erleidet nach § 260, 373 und 376 R.-St.-P.-O. vor dem Revisionsgerichte keine Anfechtung, da die Revision nur auf eine Verletzung des Gesetzes gestützt werden kann, und das Gesetz nur dann verletzt ist, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet wurde.
Es ist aber auch von ihm thatsächlich festgestellt, daß die Angeklagte vom Inhalte dieses sowie des früheren Beschlusses der Gemeindeversammlung vom 11. Dezember 1889 Kenntniß hatte und auch darüber wohl unterrichtet war, daß der Gemeindeausschuß die Vertheilung der Gemeindedienste in der Weise, wie solche die Gemeinde festgesetzt hatte, für sich wolle und als festgesetzt erachte.
Wenn daraufhin der Thatrichter zu der Annahme gelangt, daß eine für die Angeklagte maßgebende Festsetzung der sie treffenden Gemeindedienste durch die Gemeindeverwaltung H. vorliege, welcher sie auch ohne förmliche Verkündung eines der Festsetzung zu Grunde liegenden Beschlusses auf ergangene Aufforderung Folge zu leisten hatte, so hat er rechtlich nicht geirrt: denn die Anwendung des Art. 29 Pol.-Str.-G.-B. ist nur durch das Dasein einer durch die Gemeindeverwaltung H. erfolgten Festsetzung der sie treffenden Gemeindedienste bedingt, und eine solche Festsetzung ist als nachgewiesen erklärt. [16]
Wollte die Angeklagte die Förmlichkeit der Beschlußfassung und Festsetzung bestreiten, so müßte sie nach Maßgabe von Art. 163 Gem.-Ordng. die vorgesetzte Verwaltungsbehörde um Abhilfe angehen: für die Frage, ob sie sich durch Nichtleistung der sie treffenden Gemeindedienste gegen Art. 29 Pol.-Str.-G. verfehlt hat, ist es unerheblich, ob hierüber vom Gemeindeausschuß ein förmlicher Beschluß gefaßt wurde, da Art. 29 loc. cit. in diesem Punkte zum Begriffe der Uebertretung nicht mehr fordert, als daß die Dienste von der Gemeindeverwaltung wirklich festgesetzt worden sind.
Die Strafbarkeit der Nichtleistung ist von einer bestimmten Form der Festsetzung nicht abhängig gemacht.
(Sammlung Bd. III Seite 52.)
Nicht minder unerheblich ist es, ob in der getroffenen Festsetzung bereits bestimmt ist, in welcher Weise die zu dem fraglichen Wege Leistungspflichtigen auf andere Wegstrecken entlastet werden sollen; denn abgesehen davon, daß diese Frage erst bei Heranziehung der Angeklagten zu solchen weiteren Gemeindediensten zum Austrage kommt, sie also durch die hier fragliche Festsetzung noch nicht beschwert ist, war es auch hier ihre Sache, für eine etwaige Beschwerde Abhilfe bei der Verwaltungsbehörde zu suchen.
Die Angeklagte hat sich demnach einer Uebertretung nach Art. 29 loc. cit. schuldig gemacht, es wäre denn, daß ihrer Nichtleistung eine genügende Entschuldigung zur Seite stünde.
In dieser Richtung rügt es die Revision als eine Verletzung des Gesetzes, weil das königliche Landgericht L. mit Unrecht angenommen habe, daß die Leistung ohne genügende Entschuldigung verweigert wurde.
Die Beschwerdeführerin beruft sich hiebei auf die rechtskräftige Entscheidung der königlichen Regierung vom 17. November 1879 und auf die von ihr in erster und zweiter Instanz überhaupt geltend gemachten Einwände.
Die bloße Bezugnahme auf früher vorgebrachte Vertheidigungsmittel kann ohnehin keine Revisionsbegründung im Sinne von § 384 R.-Str.-P.-O. abgeben; was aber die Bezugnahme auf die oben angeführte Regierungsentscheidung betrifft, so läge nur dann eine unrichtige Anwendung des Art. 29 P.-St.-G.-B. durch den Thatrichter vor, wenn diese Entscheidung unter den Rechtsbegriff einer „genügenden Entschuldigung“ fiele, und gleichwohl der Thatrichter, in einer zu engen Auffassung dieses Rechtsbegriffes befangen, eine Würdigung des vorgebrachten Entschuldigungsgrundes unterlassen hätte.
Unter einer genügenden Entschuldigung ist aber nur ein solches Vorbringen zu verstehen, welches bei dem die Aufforderung zur [17] Dienstleistung erlassenden Bürgermeister ein den Pflichtigen hievon enthebendes thatsächliches Hinderniß geltend macht.
(Sammlung Bd. III S. 52 a. E. u. S. 231.)
Daß letzteres geschehen sei, hat die Angeklagte niemals behauptet; vielmehr ist in dem angefochtenen Urtheile thatsächlich festgestellt, dieselbe habe bei Bekanntgabe der Aufforderung erklärt, sie mache den Weg durchaus nicht und leide auch nicht, daß Kies dahin gefahren werde, ja daß sie auch bis jetzt noch die Leistung der von ihr geforderten Gemeindedienste beharrlich verweigert.
Also das gerade Gegentheil einer Entschuldigung, – eine trotzige Weigerung, wozu sie übrigens nach der zutreffenden Ausführung des angefochtenen Urtheils auch durch obige Regierungs-Entscheidung vom 17. November 1879 nicht berechtigt war, weil darin nur ihre Verpflichtung auf Grund eines bestehenden Herkommens verneint ist.
Nach der weiteren Revisionsbegründung soll aber doch immerhin der gute Glaube der A. F., zu fraglichem Weg überhaupt nicht konkurrenzpflichtig zu sein, ihre Weigerung in jeder Weise entschuldigen.
Es ist jedoch ganz gleichgiltig, ob sie hiebei in gutem Glauben an ihre Nichtverpflichtung oder an die Unfehlbarkeit der ihr von ihrem Anwalte ertheilten Rathschläge gehandelt hat.
Der angebliche gute Glaube, wobei sie es nach der Thatgeschichte auf eine Verfehlung gegen das Strafgesetz wollte ankommen lassen, wäre höchstens geeignet, ihrerseits das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit ihres Thuns in Frage zu stellen.
Das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit ist aber kein Thatbestandsmerkmal der in Art. 29 Pol.-Str.-G.-B. aufgestellten Polizeiübertretung.
Diese Strafvorschrift ist in öffentlichem Interesse erlassen und bezweckt, die durch die Gemeindeverwaltung erfolgte Zutheilung einer bestimmten Art von Gemeindediensten unter die Pflichtigen durch Strafzwang zu schützen.
Auch dann, wenn sich die Angeklagte irrigerweise für berechtigt hielt, die hier in Frage stehenden Dienste zu verweigern, befand sie sich nicht in einem Irrthum über einen zum gesetzlichen Begriff der Uebertretung gehörigen Thatumstand, sondern in einem Rechtsirrthum über den Inhalt der Strafvorschrift des Art. 29 Abs. 1 P.-St.-G.-B., welcher als nicht beachtbar die Anwendbarkeit derselben nicht ausschließt.
(Sammlung Bd. III S. 232.)
Wenn endlich zur Begründung ihrer Weigerung noch angeführt wird, sowohl von Seite des königlichen Bezirksamtes als der Gemeindeverwaltung sei ihr jede Auskunft über die Art und die Gründe [18] der von der Gemeindeversammlung beschlossenen Vertheilung versagt worden, so gehört eine solche Auskunft, deren Verweigerung nicht einmal festgestellt ist, jedenfalls nicht zu den Thatbestandsmerkmalen des Art. 29, wonach vielmehr die Nichtleistung der nach Festsetzung der Gemeindeverwaltung treffenden, im vorliegenden Falle zur Erhaltung der Benützbarkeit eines Gemeindeweges angeordneten Dienste eines Pflichtigen bei dem Mangel einer genügenden Entschuldigung den Thatbestand der Uebertretung erschöpft.
Demzufolge eignet sich die Revision der Angeklagten gegen das Urtheil des königlichen Landgerichtes L. vom 26. September 1890 zur Verwerfung.