Oberlandesgericht München – Falscher Zahnarzt 2
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Der das Gewerbe eines Zahntechnikers ausübende Angeklagte H. G. in M. hat einen von ihm an den Verband bayerischer Zahntechniker gerichteten Brief de dato M. 18. Mai 1890 mit:
„Dr. H. G., American Dentist“
unterschrieben. [25]
Mit den Buchstaben: „Dr.“ wollte er sich als „Doctor“ bezeichnen und können dieselben nach dem Zusammenhange auch nicht anders gedeutet werden, wie sie denn auch von dem Zahntechniker K. F. als „Doctor“ gelesen wurden.
Der Angeklagte ist zwar im Jahre 1887 von der Universität von Maryland in Baltimore graduirt worden, hat aber im Deutschen Reiche weder den Doctortitel noch die in § 29 der Gewerbeordnung vorgeschriebene Approbation erhalten.
Der Titel „Doctor“ ist nicht nur ähnlich der Bezeichnung als „Arzt, Zahnarzt u. s. w.“, sondern auch ohne Zweifel geeignet, im Allgemeinen den Glauben zu erwecken, der Inhaber desselben sei eine geprüfte Medizinalperson, d. h. eine nach § 29 der Gewerbeordnung approbirte Medizinal-Person.
Auf Grund dieser thatsächlichen Feststellungen hat das Schöffengericht am k. Amtsgerichte M. mit Urtheil , vom 7. Juli 1890 den Angeklagten eines Vergehens gegen § 147 Absatz 1 Nr. 3 der Gewerbeordnung für schuldig erachtet und deshalb zu einer Geldstrafe von 20 ℳ. eventuell zu einer 4tägigen Haftstrafe, sowie zur Tragung der Kosten verurtheilt.
Die von dem Angeklagten hiegegen eingelegte Berufung wurde durch Urtheil der Strafkammer des kgl. Landgerichtes M. vom 17. September 1890 kostenfällig als unbegründet verworfen.
In der Revision des Angeklagten wird zur Begründung des Antrages auf Aufhebung des oberrichterlichen Urtheils und kostenlose Freisprechung des Angeklagten die Verletzung der Nr. 7 des § 377 der Reichs-Straf-Proz.-Ordnung und des § 147 Abs. 1 Nr. 3 der Gewerbeordnung geltend gemacht.
Die Verletzung der erstbezeichneten Gesetzesstelle wird darauf zu stützen gesucht, daß der Angeklagte bei einer öffentlichen Verhandlung wider ihn gleichen Betreffs die, auch in die Augsburger-Abendzeitung übergegangene und so in weitere Kreise gedrungene Behauptung vertreten habe: „die amerikanischen Zahnärzte seien gesuchter als die Deutschen“, daß der durch den erwähnten K. F. vertretene Verband bayer. Zahntechniker mit Brief vom 16. Mai 1890 hiegegen remonstrirt und der Angeklagte daraufhin den der Anklage unterliegenden Brief vom 18. Mai 1890 geschrieben habe, demnach aber die Adressaten die Berechtigung des Angeklagten zur Führung des Titels eines amerikanischen Doctors hätten kennen müssen, da diese Berechtigung in der fraglichen Verhandlung festgestellt worden sei, und diese Thatsache in das Referat der Augsburger-Abendzeitung Aufnahme gefunden habe, so daß der Brief des Angeklagten vom 18. Mai 1890 nur zur Kenntnißnahme desfalls bereits unterrichteter Personen bestimmt gewesen sei und der ihn veranlassende Brief vom 16. Mai 1890 antragsgemäß hätte verlesen werden [26] sollen, da zur Würdigung der Frage, ob diese Personen hätten annehmen können: „daß H. G. sich als eine im Inlande geprüfte Medizinalperson habe bezeichnen wollen“, die Würdigung des früheren Falles erforderlich sei, dieß aber zur Verneinung der aufgeworfenen Frage hätte führen müssen und in der Nichtwürdigung desselben daher eine unzureichende Begründung des Urtheils zu erblicken sei.
Die behauptete Verletzung des § 147 Abs. 1 Nr. 3 der Reichs-Gewerbe-Ordnung soll darin liegen, daß die Bezeichnung „Dr.“, – selbst wenn man darunter, wie die Strafkammer irrig annehme, immer einen doctor medicinae verstehen sollte –, desfalls noch nicht erlaube, dahinter eine im Inlande geprüfte Medizinalperson zu suchen, da eine Reihe der in Deutschland praktisch thätigen Aerzte den Titel „Dr. med.“ im Auslande erworben habe, die Anschauung der Strafkammer dahin führen würde, jeden jungen Mediziner, der sich selbst in Deutschland den Doctortitcl erworben habe und sich „Dr. med.“ nenne, ohne noch eine staatliche Approbationsprüfung bestanden zu haben, gleich jedem „Dr. juris“ oder „Dr. phil.“ nach § 147 Nr. 3 der Reichs-Gewerbe-Ordnung zu strafen, daß also die Bezeichnung als „Dr.“ an sich den Thatbestand dieser Gesetzesstelle nicht zu erschöpfen vermöge, da dieser Titel eine Andeutung der staatlichen Approbation nicht enthalte und dieß noch weniger in Verbindung mit der Bezeichnung „american dentist“ bewirken könne, insoferne „dentist“, wie dieß auch in einem Urtheile des Oberlandesgerichtes Darmstadt vom 21. November 1889 anerkannt sei, nicht blos den Zahnarzt, sondern auch den Zahntechniker, überhaupt jeden, der sich mit Zähnen, deren Heilung, Ersatz, Herstellung, Ausziehen etc. befaßt, bezeichne, und darum die Annahme, man habe es mit einem Zahnarzte nach deutschem Begriffe, d. h. mit einer die inländischen Vorbedingungen zur Ausübung ärztlicher Funktionen erfüllt habenden Persönlichkeit zu thun, völlig ausgeschlossen sei, wenn dem „dentist“ auch noch das „american“ beigesetzt sei, darum aber auch die Hinzufügung des Titels „Doctor“ nicht schade, da entweder das Eigenschaftswort „american“ auch zu dem Titel „doctor“ anticipirt werde, und dann jede Täuschung entfalle, oder der Titel „doctor“ allein betrachtet werden müßte, demselben aber die Tendenz der Strafvorschrift nicht innewohnen könne.
Schließlich nimmt die Revisionsschrift noch Bezug auf eine Reihe von Urtheilen, welche von Schöffengerichten, Landgerichten, vom Kammergericht zu Berlin und vom Oberlandesgerichte Dresden ergangen und im Journal für Zahnheilkunde mitgetheilt sind.
Die erhobenen Angriffe gehen jedoch sämmtlich fehl. Zunächst liegt eine Verletzung des § 147 Abs. 1 Nr. 3 der Reichs-Gewerbe-Ordnung nicht vor.
Diese Gesetzesbestimmung, wonach im Anschlusse an § 29 der [27] Gewerbe-Ordnung bestraft wird, wer, ohne hiezu approbirt zu sein, sich als Arzt bezeichnet, oder sich einen ähnlichen Titel beilegt, durch den der Glaube erweckt wird, der Inhaber desselben sei eine geprüfte Medizinalperson, bezweckt den Schutz auf Grund inländischer Approbation zustehenden Arzttitels gegen diejenigen, welche sich ohne solche Approbation diesen Titel oder einen anderen auf die Approbation hinweisenden Titel beilegen, beziehungsweise den Schutz des Publikums gegen die durch den Gebrauch eines solchen Titels ermöglichte Täuschung über die Eigenschaft einer im Inlande approbirten Medizinalperson (Rechtsprechung des Reichsgerichtes Bd. II S. 460; Bd. IX S. 9; Sammlung der Entscheid, des Oberlandesgerichtes München Bd. II S. 451; Bd. VI S. 26).
Die Entscheidung der Frage, ob die von dem Angeklagten gewählte Bezeichnung nach Inhalt und Bedeutung dem gesetzlichen Begriffe eines Arztes ähnlich ist, liegt zwar, da die Umstände des betreffenden Falles von erheblicher Bedeutung sein können, zunächst auf thatsächlichem Gebiete, hat aber auch eine rechtliche Seite, insoferne der Begriff „Arzt“ und „arztähnlich“ technischer und damit rechtlicher Natur ist, und unterliegt daher der Würdigung des Revisionsgerichtes.
Die Strafkammer hat nun aber keineswegs, wie in der Revisionsausführung darzuthun versucht wurde, schon in dem alleinigen Gebrauche der beiden Buchstaben „Dr.“ vor dem Namen: „H. G.“ des Angeklagten einen dem „Arzte“ ähnlichen Titel erblickt; sie hat auch nicht erklärt, daß in der alleinigen Anreihung der Worte: „american dentist“ an den Namen des Angeklagten sich ein dem „Arzte“ ähnlicher Titel darstelle ; sie hat vielmehr das Dasein eines solchen Titels in der auf: „Dr. H. G., American dentist“ lautenden Unterschrift des Angeklagten gefunden, weil das Wort „dentist“ vom Publikum hierzulande allgemein dahin verstanden werde, und nach Wunsch und Willen aller dieses Wort Gebrauchenden auch dahin verstanden werden solle, die Person, die sich als „dentist“ bezeichnet, befasse sich mit Behandlung der Zähne, sei ein Zahnarzt; weil ferner Jedermann annehme und annehmen müsse, derjenige, welcher einen Theil der ärztlichen Wissenschaft praktisch ausübt und sich „Dr.“ schreibt, sei nicht ein Dr. jur. oder theol. etc., sondern ein „Dr. medicinae“ und zwar nicht blos der Inhaber einer akademischen Würde, sondern auch eine staatlich geprüfte Medizinalperson, die sich hiebei den Doctortitel erworben habe.
Die Strafkammer hat also das Dasein des arztähnlichen, zur Täuschung des Publikums geeigneten, Titels in dem gleichzeitigen, aber von einander getrennten, Gebrauche der Bezeichnungen „Dr.“ und „american dentist“ lediglich aus der trotz des Wegfalls der akademischen Doctorpromotion als Vorbedingung der Approbation [28] des Arztes noch bestehenden Bedeutung des Doctortitels hergeholt, wonach dieser Titel geeignet ist, die damit bekleidete Person, wenn sie einen Theil der ärztlichen Wissenschaft praktisch betreibt, als einen berechtigten Arzt, als eine im Inlande geprüfte Medizinalperson erscheinen zu lassen, und diese Annahme ist nicht rechtsirrig, wie dieß auch in der Rechtsprechung schon wiederholt ausdrücklich anerkannt ist. (Vergl. Urtheil des bayer. obersten Gerichtshofes vom 3. Juni – Sammlung Bd. III S. 271 und vom 16. April 1875 Sammlung Bd. V S. 135. Urtheil des Reichsgerichts vom 1. November 1879 R I S. 30; Urtheil vom 10. Dezember 1879 E. Bd. 1 S. 117).
Da nun von dem Thatrichter auch die nur diesem zustehenden, daher gemäß §§ 260, 373 und 376 der Reichs-Straf-Prozeß-Ordnung vor dem Revisionsgerichte nicht mehr anfechtbaren, Feststellungen getroffen wurden, daß der Angeklagte die nach § 29 der Reichs-Gewerbe-Ordnung erforderliche Approbation nicht besitzt, sowie daß er durch die erörterte Art der Unterzeichnung des von ihm am 18. Mai 1890 an den Verband der bayer. Zahntechniker gerichteten und möglicherweise Dritten zugänglichen Schreibens den Glauben erwecken wollte, als sei er eine in Deutschland geprüfte Medizinalperson, so wurde er mit Recht als der Strafvorschrift des § 147 Abs. 1 Nr. 3 der Reichs-Gewerbe-Ordnung verfallen erklärt.
Irrig ist die in der Revisionsausführung hervorgetretene Anschauung, als setze die Anwendung der fraglichen Strafvorschrift voraus, daß der Angeklagte durch den Gebrauch des arztähnlichen Titels auch wirklich dritte Personen getäuscht habe; es genügt vielmehr, daß der gebrauchte Titel den irrigen Glauben, daß der Träger des Titels eine geprüfte Medizinalperson sei, erwecken konnte, und daß der Angeklagte die Erweckung dieses Glaubens beabsichtigte.
Ueberdies hat das Berufungsgericht auch festgestellt, daß sogar die Adressaten des Briefes vom 18. Mai 1890 darüber, wie es sich mit der Berechtigung des Angeklagten zur Führung des Doctortitels verhalte, im Unklaren gewesen seien, sohin auch eine Täuschung dieser Adressaten als gegeben erachtet. –
Die in der Revisionsschrift in Bezug genommenen Urtheile können schon im Hinblicke auf § 385 Abs. 2 der Reichs-Straf-Prozeß-Ordnung nicht berücksichtigt werden. – (Vergl. Entscheid, des Reichs-Gerichts Bd. XIV S. 348.)
Was sodann die Rüge, daß das angefochtene Urtheil auch eine Verletzung der Nr. 7 des § 377 der Reichs-Straf-Prozeß-Ordnung enthalte, anlangt, so macht die Revision nicht die Verletzung des Strafgesetzes gegenüber den als erwiesen erklärten Thatsachen, sondern nur die Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren [29] geltend, was nach § 380 a. a. O., soweit dieser hieher Bezug hat, sich als unstatthaft darstellt. (Vergl. Entscheid. des Oberlandesgerichtes München Bd. II S. 201.)
Die demzufolge unbegründete Revision war, dem Antrage des Staatsanwaltes entsprechend, zu verwerfen.