Oberlandesgericht München – Elektro-Homöopathie

Textdaten
Autor: Oberlandesgericht München
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Titel: Auszug aus einem Urtheile des k. Oberlandesgerichts München vom 11. Februar 1890
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1890, Nr. 9, Seite 81–84
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Kurzbeschreibung: Die Führung arztähnlicher Titel für Nichtärzte ist verboten
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Auszug aus dem Urtheile des k. Oberlandesgerichts München vom 11. Februar 1890
in der Sache gegen den A. K. von M. wegen Vergehens wider die Gewerbeordnung.

Der Angeklagte, welcher als Arzt nicht approbirt ist, hat am 2., 19. und 21. Februar 1889 dem erkrankten Gastwirth M. J. zu M., zu dem er gerufen worden war, Arzneien auf drei Zetteln verschrieben, welche in Druck hergestellt die Ueberschrift „Medikamenten-Nota“ und die Unterschrift „Aelteste Anstalt für Mattei’sche Elektro-Homöopathie in Deutschland“ tragen, und hat dieser Unterschrift seinen Namen hinzugefügt, ferner weitere Mittel zum innerlichen und äußerlichen Gebrauche auf drei Zetteln, welche die gedruckte Aufschrift tragen: „Ordination“, dann auf der Vorderseite: „Innerlich“, auf der Rückseite: „Aeußerlich“ und die Unterschrift „Aelteste Anstalt für Mattei’sche Elektro-Homöopathie in Deutschland“ nebst dem Beidrucke: „Sprechstunden von 10–12 und 1–3 Uhr, mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage Nachmittags.“ Diese Ordinationen sind vom Angeklagten nicht unterschrieben. Eine förmliche Anstalt, worin Kranke aufgenommen werden, steht hier nicht in Frage, sondern der Angeklagte übt seine Thätigkeit lediglich in der Weise aus, daß er seine Patienten entweder besucht oder in seinen Sprechstunden empfängt. Der vorbezeichneten Zettel bedient sich der Angeklagte bei jedem Rezept, und er beabsichtigte, daß die Bezeichnung: „Aelteste Anstalt für Mattei’sche Elektro-Homöopathie in Deutschland“ im Publikum bekannt werde.

Das Berufungsgericht vermochte aus diesen von ihm festgestellten Thatsachen nicht zu entnehmen, daß der Angeklagte sich einen arztähnlichen Titel, durch welchen der Glaube erweckt wird, der Inhaber desselben sei eine geprüfte Medizinalperson, beigelegt habe.

Im angefochtenen Urtheil wird zunächst dem Umstande, daß die Unterschrift „Aelteste Anstalt für Mattei’sche Elektro-Homöopathie“ etc. mit der Wirklichkeit, in welcher eine eigentliche Anstalt nicht besteht, nicht übereinstimmt, kein Gewicht beigelegt, sondern angenommen, daß die unrichtige Bezeichnung von keiner rechtlichen Erheblichkeit, und allein entscheidend sei, daß der Angeklagte sich als eine Person bezeichnet habe, welche berufsmäßig mit der Heilung von Krankheiten sich beschäftige, womit derselbe jedoch nicht einen ärztlichen Titel sich beigelegt, sondern lediglich von der allgemeinen Befugniß Gebrauch gemacht habe, die Heilkunde auszuüben, ohne approbirter Arzt zu sein.

Sodann nimmt die Strafkammer an, daß in der sogenannten „Elektro-Homöopathie“ ein medizinisch-wissenschaftliches System nicht zu erblicken, daß sie als solches bis jetzt noch nicht anerkannt sei, daß das Publikum, wenigstens im südlichen Bayern, genau wisse, [81] daß die Mattei’schen Mittel keine Arzneien im Sinne der ärztlichen Wissenschaft seien und daß ein Arzt diese Mittel niemals verordne, derjenige aber, welcher sie verordne, kein Arzt sei, daß sonach in in der Ankündigung des Angeklagten, Krankheiten auf elektro-homöopathische Weise und nach der Mattei’schen Methode zu heilen, die Beilegung eines ärztlichen Titels nicht gefunden werden könne und jene Bezeichnung auch nicht geeignet sei, über die nicht-ärztliche Qualität des Angeklagten zu täuschen, jedenfalls aber der Angeklagte durch den Beisatz „Matteische“ habe ausdrücken wollen, daß er kein Arzt sei, sohin, da er habe annehmen dürfen, daß in diesem Sinne der Beisatz vom Publikum verstanden werde, nicht das Bewußtsein gehabt habe, daß der gewählte Titel zur Täuschung geeignet sei. Die Strafkammer hält es ferner zwar für erforderlich, auch die Ausdrücke „Medikamenten-Nota“ und „Ordination“ in’s Auge zu fassen, weil dieselben als begleitende Umstände in Betracht kämen, erachtet es jedoch für unvermeidlich, daß die Kurpfuscher, nachdem sich dieselben nun einmal mit der Behandlung von Krankheiten beschäftigen, hiebei ähnlicher Ausdrücke wie Aerzte sich bedienen, und hält auch die Angabe des Angeklagten für glaubwürdig, daß er diese Überschriften gerade deshalb gewählt habe, um dadurch seine Rezepte von den ärztlichen Rezepten, bei welchen keine Ueberschrift üblich sei, durch ein äußerlich erkennbares Zeichen zu unterscheiden.

Endlich spricht das Berufungsgericht seine Ueberzeugung aus, daß der Angeklagte beabsichtigte, daß die in den mehrbesprochenen Aufdrücken auf den fraglichen Zetteln enthaltenen Ankündigungen, welche zwar nicht unmittelbar an das Publikum gerichtet sind, aber unter das Publikum dringen, im Publikum bekannt werden, und verkennt auch nicht, daß eine Möglichkeit der Täuschung immerhin vorhanden sei, hält aber den Ausschluß jeder Möglichkeit einer Täuschung nicht für erforderlich, um die Strafbarkeit zu beseitigen, weil das Publikum, namentlich in Städten, über die nichtärztliche Eigenschaft eines Kurpfuschers auch durch andere Umstände als durch den vom Kurpfuscher vielleicht im besten Glauben gewählten Titel getäuscht werden könne.

Diese Begründung vermag jedoch die Freisprechung des Angeklagten vom Vergehen nach § 147 Ziff. 3 der Reichs-Gewerbeordnung nicht zu rechtfertigen.

Diese Gesetzesbestimmung, wornach mit Geldstrafe bis zu 300 ℳ. und im Unvermögensfalle mit Haft bestraft wird, wer, ohne hiezu approbirt zu sein, sich als Arzt bezeichnet oder sich einen ähnlichen Titel beilegt, durch den der Glaube erweckt wird, der Inhaber desselben sei eine geprüfte Medizinalperson, steht im Zusammenhange mit dem § 29 desselben Gesetzes, welcher vorschreibt, daß einer Approbation, welche auf Grund eines Nachweises der Befähigung [83] ertheilt wird, Apotheker und diejenigen Personen bedürfen, welche sich als Aerzte oder mit gleichbedeutenden Titeln bezeichnen oder seitens des Staates oder einer Gemeinde als solche anerkannt oder mit amtlichen Funktionen betraut werden sollen, sowie mit der Ziffer 1 des § 147, wodurch der ohne die vorschriftsmäßige Genehmigung unternommene Betrieb eines stehenden Gewerbes, zu dessen Beginn eine Approbation erforderlich ist, bedroht wird.

Wenn daher die Gewerbeordnung zwar nicht im Allgemeinen die Ausübung der Heilkunde von der Ertheilung einer Approbation abhängig macht, so verbietet sie doch allgemein und unter Strafandrohung jedem Nichtapprobirten die Ausübung der Heilkunde unter Beilegung des ärztlichen oder eines arztähnlichen Titels.

Dieser Gesichtspunkt ist von der Strafkammer nicht genügend berücksichtigt worden, indem sie sich der Anschauung hingab, der Angeklagte habe sich durch die Unterschrift auf den Medikamenten-Noten: „Aelteste Anstalt für Mattei’sche Elektro-Homöopathie in Deutschland“ nicht einen arztähnlichen Titel beigelegt, sondern sich nur als eine Person bezeichnet, welche sich berufsmäßig mit der Heilung von Krankheiten beschäftige.

Diese Anschauung gibt, ganz abgesehen davon, daß in Folge derselben aus dem Urtheil nicht entnommen werden kann, worin sonst, wenn nicht in jener Unterschrift, die Beilegung eines Titels auf Seite des Angeklagten liegen sollte, dem Zweifel Raum, ob nicht das Berufungsgericht von der rechtsirrthümlichen Annahme ausgegangen ist, daß in der Art und Weise der Ankündigung, die Heilkunde auszuüben, nicht auch die Beilegung eines Titels gefunden werden könne.

Wenn aber in Wirklichkeit, wie das Urtheil feststellt, eine Anstalt als solche gar nicht besteht, so muß die Bezeichnung: „Anstalt für Mattei’sche Elektro-Homöopathie“ auf irgend etwas Anderes Bezug haben, und wenn sie auf die Berufs- oder Gewerbsthätigkeit des Angeklagten Bezug hat, so ergibt sich die Frage, ob hiemit der Person des Angeklagten eine Bezeichnung oder ein Titel beigelegt ist. Hiebei kommt auch die Beziehung in Betracht, welche aus der Beifügung des Namens des Angeklagten zu der Bezeichnung einer nicht existirenden Anstalt entnommen werden kann.

Ist aber die mit dem Namen des Angeklagten verbundene Bezeichnung „Anstalt für Mattei’sche Elektro-Homöopathie“ als ein der Person des Angeklagten beigelegter Titel das ist so aufzufassen als der Angeklagte sich den Titel beigelegt hätte: „Mattei-Elektro-Homöopath“, dann kann die Aehnlichkeit dieses Titels mit der Bezeichnung als Arzt nicht dadurch beseitigt werden, daß der Titel als Ganzes genommen auf kein anerkanntes medizinisch-wissenschaftliches System hinweist. [84]

Wie in der Rechtsprechung anerkannt ist, bezweckt die Strafbestimmung des § 147 Ziff. 3 a. a. O. den Schutz des Publikums, besonders des nicht sachverständigen Publikums, vor Täuschung (Entscheid. des Reichs-Gerichts Bd. XV S. 170; Sammlung diesgerichtl. Entscheid. Bd. II S. 451.)

Die Täuschung liegt in der Aehnlichkeit des Titels mit dem eines Arztes, und ist dadurch nicht ausgeschlossen, daß der Bezeichnung eines anerkannt medizinisch-wissenschaftlichen Systems, wie ein solches, was auch die Strafkammer nicht verkennt, in der Homöopathie gegeben ist, eine oder mehrere auf eine nicht wissenschaftliche oder auf eine modifizirte Heilmethode deutende Bezeichnungen hinzugefügt werden.

Demnach erscheint es als belanglos, daß das Publikum davon Kenntniß hat, daß die Mattei’schen Mittel Arzneien im Sinne der ärztlichen Wissenschaft nicht sind und von keinem Arzte verordnet werden.

Endlich bildet es kein Erforderniß für die Anwendung der Strafbestimmung des § 147 Ziff. 3, daß die Täuschung beabsichtigt wurde, sondern es genügt, daß die gewählte Bezeichnung inhaltlich einen dem Arzte ähnlichen Titel darzustellen geeignet ist und die Annahme einer Prüfung als Arzt erwecken kann. (Entscheid. des Reichs-Gerichts Bd. I S. 127.)

Hiernach kann auch nicht in Frage kommen, ob der Angeklagte sich bewußt war, daß der gewählte Titel zur Täuschung geeignet sei, sondern nur, ob er sich bewußt war oder wissen mußte, daß derselbe einen dem Arzte ähnlichen Titel darstelle.

Die Entscheidung der Strafkammer erweist sich sonach als eine von rechtsirrthümlichcr Anschauung beeinflußte und das Gesetz verletzende.

Demzufolge mußte, dem Antrage des diesgerichtlichen Staatsanwalts theilweise entsprechend, in Anwendung der §§ 393 und 394 Abs. 2 der Straf-Prozeß-Ordnung das angefochtene Urtheil nebst den ihm zu Grunde liegenden, von der Gesetzesverletzung betroffenen Feststellungen aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, welche sich auch auf die Kosten der Revisionsinstanz zu erstrecken hat, an die landgerichtliche Strafkammer zurückverwiesen werden.