Oberlandesgericht München – Beweidung von Hochwasserschutzdämmen

Textdaten
Autor: Oberlandesgericht München
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Titel: Mittheilung eines Urtheils des k. Oberlandesgerichtes München
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1882, Nr. 7, Seite 42–47
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Kurzbeschreibung: Vorhandene Hochwasserschutzbauten dürfen nicht beschädigt werden
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Mittheilung eines Urtheils des k. Oberlandesgerichtes München.

Das k. Oberlandesgericht München erkannte in der Sache gegen die Gütler J. R. und M. W. von F. wegen Uebertretung der Vorschriften über die Sicherung der Wasserbauten gegen Beschädigung unter’m 9. Februar 1882 zu Recht:

Die Revisionen des J. R. und des M. W. gegen das Urtheil der Strafkammer des k. Landgerichts T. vom 16. November 1881 werden unter Verurtheilung eines jeden der Beschwerdeführer in die durch seine Revision veranlaßten Kosten verworfen.
Gründe

Durch Urtheil des Schöffengerichts beim k. Amtsgerichte T. vom 24. September vorigen Jahres wurden die Gütler J. R. und M. W. von F. wegen Uebertretung der Vorschriften über die Sicherung der Wasserbauten gegen Beschädigung in eine Geldstrafe von je 3 Mark 60 Pfg., für den Fall der Uneinbringlichkeit umgewandelt in eine Haftstrafe von je 2 Tagen, sowie in die Kosten verurtheilt. Die Berufungen der Genannten gegen dieses Urtheil wurden von der Strafkammer des k. Landgerichts T. am 16. November vorigen Jahres unter Verurtheilung eines jeden in die durch seine Berufung erwachsenen Kosten verworfen. [43]

Hiegegen legten die beiden Angeklagten rechtzeitig Revision ein und begründeten dieselbe gleichfalls rechtzeitig dahin, daß durch das angefochtene Urtheil die Art. 21 und 26 des Gesetzes über den Uferschutz und den Schutz gegen Ueberschwemmungen vom 28. Mai 1852, dann § 3 der hiezu erlassenen oberpolizeilichen Vorschriften vom 11. Juli 1856, ferner die Art. II und III des Gesetzes vom 17. November 1837, die Zwangsabtretung von Grundeigenthum für öffentliche Zwecke betr., und Tit. IV § 8 der Verfassungsurkunde verletzt worden seien. Dabei wurde Aufhebung des Urtheils und Freisprechung der Angeklagten von Schuld und Strafe, eventuell Zurückverweisung der Sache an das k. Landgericht T. beantragt.

In der öffentlichen Sitzung des k. Oberlandesgerichtes vom 9. Februar 1882 wiederholte der Vertreter der Angeklagten, Rechtsanwalt W. in M., den vorbezeichneten Antrag, während der oberlandesgerichtliche Staatsanwalt die Verwerfung der Revisionen beantragte.

Was die Würdigung der Sache anbelangt, so wurde durch das angefochtene Urtheil Nachstehendes festgestellt. Behufs Korrektion des Privatflusses „Achen“ zum Schutze der anliegenden Ländereien gegen Ueberschwemmung wurde im Jahre 1872 auf Antrag der Gemeinde Uebersee eine Genossenschaft gebildet, deren Unternehmen nach Einvernahme einer Reihe von Betheiligten und erfolgter öffentlicher Aufforderung zur Erhebung etwaiger Einwände und Ansprüche durch Beschluß des k. Bezirksamts Traunstein vom 24. Oktober 1872 die nach Art. 20 des Gesetzes vom 28. Mai 1852 über den Uferschutz und den Schutz gegen Ueberschwemmungen erforderliche polizeiliche Genehmigung erhielt. Von Seite der betreffenden Weideberechtigten war wegen allenfallsiger Beeinträchtigung ihres Weiderechtes keine Erinnerung vorgebracht und bezüglich der Ablösung von Grund und Boden oder von Servituten kein Antrag gestellt worden. Nach erfolgter Genehmigung wurde mit der Errichtung von Hochwasserdämmen und Faschinenbauten auf dem rechten und linken Ufer der Achen von der Eisenbahnbrücke bei Uebersee bis zum Einflusse der Achen in den Chiemsee begonnen und dieses zum Schutze mehrerer Gemeinden gegen Ueberschwemmungen und zugleich zur Entsumpfung der treffenden Grundstücke unternommene Werk im Jahre 1875 in der Hauptsache vollendet.

In dem am linken Ufer der Achen gelegenen Mittermoose und dem am rechten Ufer befindlichen Winkelmoose üben die Eigenthümer der an und hinter den Uferstrecken liegenden Antheile dieser Moose in Gemeinschaft mit den auf denselben weideberechtigten Anwesensbesitzern aus der Gemeinde Uebersee und mehreren [44] anderen Gemeinden seit langer Zeit die Weide aus, und wurde von diesen Weideberechtigten im Jahre 1877, nachdem mehrere derselben, weil ihr Weidevieh die Hochwasserdämme betreten hatte, bestraft worden waren, am linken Ufer der Achen der Wasserdamm von dem Weideplätze unter Herstellung eines Weges für das Vieh zu den Trinkwasserplätzen durch einen Zaun abgetrennt, während ein solcher Zaun am rechten Ufer schon im Jahre 1876 angebracht worden war. Diese Zäune verfielen jedoch allmählich, so daß das unbeaufsichtigte Weidevieh auf die Dämme gelangte und dieselben beweidete. Solches geschah namentlich am 20. und 21. Mai vorigen Jahres durch das Weidevieh der beiden weideberechtigten Angeklagten, indem am ersteren Tage ein Ochse des J. R. und am darauffolgenden vier Pferde des M. W. auf dem Damme und dessen Böschungen am linken Ufer der Achen weideten.

Auf Grund dieser Thatsachen hat das Berufungsgericht die Angeklagten einer Uebertretung der Vorschriften über die Sicherung der Wasserbauten gegen Beschädigung schuldig erklärt, weil hier ein Wasserbau im Sinne des erwähnten Gesetzes vom 28. Mai 1852 vorliege und die Angeklagten für das Weiden ihrer Thiere auf diesem Baue verantwortlich seien, da von denselben, obwohl sie gewußt hätten, daß ihr ohne jede Aufsicht gelassenes Weidevieh bei dem ruinösen Zustand des Schutzzaunes auf den Wasserbau gelangen könne, weder durch Verzäunung noch durch Aufstellung von Hirten oder in sonstiger Weise Vorkehrungen hiegegen getroffen, vielmehr dem Zufalle überlassen worden sei, ob ihr Vieh die Dämme betreten werde oder nicht.

Von den Revisionsbeschwerdeführern wird hiegegen geltend gemacht, die polizeiliche Genehmigung sei der Achen-Korrektions-Genossenschaft unter Außerachtlassung der Vorschrift des Art. 21 des Gesetzes vom 28. Mai 1852 ertheilt worden, da keiner der Weideberechtigten hiewegen vernommen worden sei und eine allgemeine Bekanntmachung diese Einvernahme nicht zu ersetzen vermöge. Sache der Korrektionsgenossenschaft sei es gewesen, die Dämme durch Zäune oder Gräben zu schützen und dadurch den Weideberechtigten die Ausübung der Weide möglich zu machen. Die Weideberechtigten seien nicht berechtigt, auf Grund des Gesetzes über Zwangsabtretung Entschädigung zu verlangen, wogegen der Genossenschaft, wenn sie das Mitter- oder Winklmoos eigenthümlich erwerben und das darauf ruhende Weiderecht ablösen wolle, das Recht der Expropriation zustehe. Die durch Tit. IV § 8 der Verfassungsurkunde den Angeklagten gewährleisteten Weiderechte könnten nur auf verfassungsmäßigem Wege, nicht durch ein Strafgesetz, also auch nicht durch den Art. 26 Abs. 2 des Gesetzes vom 28. Mai 1852 über den Uferschutz, welches nicht die [45] Eigenschaft eines Verfassungsgesetzes habe, entzogen oder beschränkt werden. Deßhalb seien die Art. 21 und 26 des ebenerwähnten Gesetzes, der § 3 der oberpolizeilichen Vorschriften vom 11. Juli 1856, die Art. II und III des Zwangsabtretungsgesetzes vom 17. November 1837 und Tit. IV § 8 der Verfassungs-Urkunde verletzt.

Die Beschwerde ist jedoch nicht gerechtfertigt.

Nach Art. 26 Abs. 2 des Gesetzes vom 28. Mai 1852 über den Uferschutz und den Schutz gegen Ueberschwemmungen sind die Kreisregierungen befugt, zur Verhütung der Beschädigung von Uferschutz-Damm- und Deichbauten Polizeiverordnungen unter Androhung von Polizeistrafen, die jedoch 30 Tage Haft und 180 Mark in Geld nicht übersteigen können, zu erlassen, und daraufhin hat die k. Regierung von Oberbayern, Kammer des Innern, zur Sicherung der Wasserbauten gegen Beschädigung am 11. Juli 1856 die in Nr. 40 des Kreisamtsblattes für Oberbayern vom Jahre 1856 (S. 1091 ff.) veröffentlichten Bestimmungen getroffen, welche in § 3 das Weiden von Pferden, Hornvieh, Schafen, Schweinen und Ziegen auf den Wasserbauten und in den Pflanzungen bei Strafe von 1 Mark 80 Pfg. bis zu 18 Mark verbieten. Diese auf Art. 26 Abs. 2 des erwähnten Gesetzes beruhende strafrechtliche Bestimmung hat nach Art. 3 Ziff. 10 lit. d des Ausführungsgesetzes zur Reichs-Strafprozeßordnung auch dermalen noch rechtliche Geltung und in Folge dessen auf die im angefochtenen Urtheile festgestellten Thatsachen mit Recht Anwendung gefunden.

Der Einwand der Beschwerdeführer, daß dem vorbezeichneten, am 20. und 21. Mai vorigen Jahres beweideten Damme an der Achen nicht die Eigenschaft eines unter dem Schutze des Art. 26 Abs. 2 des Gesetzes vom 28. Mai 1852 stehenden Wasserbaues zukomme, weil in dem der oberpolizeilichen Genehmigung zur Errichtung dieses Dammes vorausgegangenen, von dem zuständigen Bezirksamte gepflogenen Verfahren die Weideberechtigten nicht vernommen worden seien, ist unbehelflich.

Nach Art. 20 des Gesetzes vom 28. Mai 1852 ist zu allen Uferschutzdammbauten, die von Privaten oder Genossenschaften ausgeführt werden wollen, die vorgängige polizeiliche Genehmigung erforderlich, und demgemäß die endgiltige Entscheidung darüber, ob diese Genehmigung zu ertheilen ist, den Verwaltungsbehörden übertragen, welche nach Art. 21 vor der Erlaubnißertheilung alle durch das Unternehmen Betheiligten einzuvernehmen haben, ohne daß jedoch nach Art. 22 die Erhebung von Einsprüchen auf Grund von Privatrechtsverhältnissen die Genehmigung hindern kann, weil das öffentliche Interesse nicht zuläßt, den Beginn eines Uferschutzbaues von dem Ausgange eines Rechtsstreites oder der Beseitigung privatrechtlicher Einreden abhängig zu machen. (Motive zu Art. 20 [46] des Gesetzentwurfes. Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten von 1851, Beilagen-Band 1 S. 594).

Hiernach sind aber Erinnerungen gegen die Errichtung eines solchen Baues, sowie Beschwerden über Nichtbeachtung der Vorschrift des Art. 21 bei den Verwaltungsbehörden anzubringen, und kann daher, da den Gerichten nicht zukommt, zu untersuchen, ob der von einer Verwaltungsbehörde innerhalb ihrer Zuständigkeit erlassenen Entscheidung eine erschöpfende Instruktion der Sache vorausgegangen ist, und da das Gesetz die Strafbarkeit der Zuwiderhandlungen nach Art. 26 Abs. 2 nicht an die Voraussetzung knüpft, daß der Strafrichter die vor der polizeilichen Genehmigung des Schutzbaues gepflogenen administrativen Erhebungen der Bestimmung des vorerwähnten Art. 21 entsprechend erachtet, das Strafgericht nicht mit der Frage befaßt werden, ob bezüglich des treffenden, in Folge polizeilicher Erlaubniß errichteten Uferschutzdammes vor der Ertheilung dieser Erlaubniß der ebenbezeichneten Vorschrift genügt wurde oder nicht.

Deßhalb kann auch keine Beachtung finden, was von den Beschwerdeführern darüber vorgebracht wird, ob und von wem wegen des fraglichen Dammbaues auf Grund des Gesetzes vom 17. November 1837 über die Zwangsabtretung von Grundeigenthum für öffentliche Zwecke Entschädigungsansprüche geltend gemacht werden können, da diese Frage für die Bescheidung der vorliegenden Strafsache keine Bedeutung hat.

Die Strafbarkeit einer Uebertretung nach Art. 26 Abs. 2 des Gesetzes vom 28. Mai 1852 ist vielmehr nur dadurch bedingt, daß der treffende Uferschutzbau mit polizeilicher Genehmigung aufgeführt und daß der einschlägigen Strafbestimmung der Polizeiverordnung der Kreisregierung zuwidergehandelt wurde, und diese Voraussetzungen sind nach den Feststellungen des angefochtenen Urtheils hier gegeben.

Was insbesondere das Strafverbot in § 3 der angeführten Vorschriften der oberbayerischen Regierung vom 11. Juli 1856 betrifft, so ist dasselbe ein unbedingtes und ausnahmsloses. Es unterscheidet nicht, ob das Weiden auf dem Wasserbau vorsätzlich oder durch Unterlassung der erforderlichen Aufsicht fahrlässig veranlaßt wurde, und ebensowenig, ob der Wasserbau gegen das Betreten durch Weidevieh geschützt ist oder nicht. Es liegt daher auch nicht demjenigen, von dem der Wasserbau errichtet wurde, sondern dem Weideberechtigten ob, Vorkehrung zu treffen, daß das Vieh nicht den Bau beweidet.

Dem Strafverbote steht auch nicht entgegen, daß nach Tit. IV § 8 der Verfassungs-Urkunde der Staat jedem Einwohner Sicherheit [47] seiner Person, seines Eigenthums und seiner Rechte gewährt. Denn dies ist nicht dahin zu verstehen, daß jede Beschränkung der persönlichen Freiheit, der Benützung des Eigenthums oder der Ausübung von Nutzungsrechten an fremdem Eigenthume, insoferne sie nicht auf einem in der Form des Tit. X § 7 der Verfassungs-Urkunde zu Stande gekommenen Gesetze beruht, ausgeschlossen wäre. Dem Staat steht vermöge seiner Polizeigewalt zu, in Vorsorge für die allgemeine Wohlfahrt zur Abwendung von Gefahren, insoweit das öffentliche Bedürfniß es nothwendig erscheinen läßt, sowohl gebietend als verbietend einzugreifen und die Wirksamkeit der hierauf gerichteten Anordnungen im Wege der Gesetzgebung durch Strafandrohung zu sichern, was manichfache Beschränkungen der Freiheit in persönlicher und vermögensrechtlicher Beziehung zur Folge hat, und diese Befugniß wird durch die Gewährleistung des Tit. X § 7 der Verfassungs-Urkunde nicht berührt. Es kann deshalb die Rechtswirksamkeit der Bestimmung des Art. 26 Abs. 2 des im Interesse des öffentlichen Wohles zum Schutze gegen Ueberschwemmungen erlassenen Gesetzes vom 28. Mai 1852 und des auf Grund derselben in § 3 der oberpolizeilichen Vorschriften vom 11. Juni 1856 zur Sicherung der Uferschutzbauten unter Strafandrohung erlassenen Weideverbots nicht darum bestritten werden, weil dieses Verbot nothwendig macht, daß bei dem Weiden in der Nähe von Uferschutzdämmen besondere Achtsamkeit daraus zu richten ist, daß die Dämme nicht von dem Vieh betreten werden.

Die eingelegten Revisionen sind mithin unbegründet, weshalb unter Anwendung des § 505 Abs. 1 der Straf-Proz.-Ordng. wie geschehen zu erkennen war.