Oberlandesgericht München – Abgesenktes Straßenniveau

Textdaten
Autor: Oberlandesgericht München
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Titel: Mittheilung oberstrichterlicher Erkenntnisse
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1880, Nr. 1, Seite 7–9
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Kurzbeschreibung: private Aufwendungen zum Ausgleich von Nachteilen durch öffentlichen Straßenbau werden nicht erstattet
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(Abgedruckt aus den Blättern für Rechtsanwendung. 44. Jahrgang. Nr. 15. S. 234–237).

Für die Besitzer der an einer öffentlichen Straße anliegenden Anwesen besteht kein privatrechtlicher Anspruch auf die Benützung der Straße in ihrem dermaligen Zustande, daher die Abänderung der Straßen-Niveaus durch die zuständige Behörde einen Ersatzanspruch für dieselben nicht begründet.

Durch eine vom Stadtmagistrate M. vorgenommene Straßen-Correktion wurde das Niveau der Straße durchschnittlich um einen Meter tiefer gelegt, so daß an den Zugängen zu den rechts und links der Straße gelegenen, zur Aktien-Brauerei S. gehörigen Anwesen Abänderungen vorgenommen werden müssen, besonders deshalb, weil von der Polizei auf Herstellung eines der Höhe des Straßenniveaus entsprechenden und gleichmäßig fortlaufenden Trottoirs gedrungen wird. Wegen des ihr dadurch zugehenden Schadens im Voranschlage von 12800 M. erhob die gedachte Brauerei Ersatzklage gegen den Stadtmagistrat M., es wurde jedoch dieselbe abgewiesen und die deshalb erhobene Nichtigkeitsbeschwerde verworfen. In den oberstrichterlichen Entscheidungsgründen ist gesagt:

Das bayr. Ldr. habe in Thl. IV c. 13 § 4 Nr. 10 die aus der römisch-rechtlichen lex Rhodia entnommenen Bestimmungen auf den allgemeinen Grundsatz zurückgeführt, daß Niemand mit anderer Leute Schaden bereichert werden solle, und in Anwendung dieses Grundsatzes die über den ursprünglichen Zweck der lex Rhodia hinausreichende gesetzliche Regel aufgestellt, daß wegen aller Schäden, welche Jemand nicht wegen seines eigenen, sondern zum gemeinschaftlichen Beßten zu leiden habe, von demselben Vergütung beansprucht werden könne. Dabei werde nach dem Gesetzestexte und nach den in den Anm. hiezu Nr. 2 aufgestellten Beispielen vorausgesetzt, daß Vermögenstheile aufgewendet worden seien und in Folge dessen Anderen, namentlich einem Gemeinwesen, eine Vermögensmehrung zugegangen, oder von solchen eine Vermögensminderung abgewendet worden sei.

Im Allgemeinen betreffe nun die Benützung der erwähnten, zu den öffentlichen Wegen zählenden Straße von Seite einzelner Grundbesitzer, möge diese als Staats- oder als Gemeinde-Anstalt in Betracht zu kommen haben, ein Verhältniß, welches dem Bereiche des öffentlichen Rechtes angehöre, und, insoweit als dieses der Fall sei, einem vor den Gerichten verfolgbaren privatrechtlichen Ansprüche überhaupt nicht zur Grundlage dienen könne. OAGE. [8] vom 20. Juni 1854 Rggsbl. S. 503 u. f., vom 7. Mai 1861 Rggsbl. 489 u. f., 7. Juni 1862 Rggbl. S. 1983 u. f., vom 26. März 1867 Rggsbl. S. 418 u. f., u. v. 18. Nov. 1874 Ges.- und VO.-Bl. Beil. VI S. 27 u. f.

Andererseits habe die klagende Partei bei Begründung der Klage nicht behauptet, daß die Abänderung der Straße mit einem Eingriff in das Eigenthum an den angrenzenden Grundstücken verbunden gewesen sei oder daß ihr aus einem privatrechtlichen Titel die Befugniß zugestanden habe, zu verlangen, daß ihren Anwesen der Zugang zur Straße stets in der früheren Weise gewahrt bleibe.

Wäre das Letztere der Fall, und würde Klägerin dadurch, daß sie sich in der bisherigen Ausübung eines ihr zukommenden Privatrechts habe Einschränkungen gefallen lassen, der Stadtgemeinde M. eine für sie vortheilhaftere Gestaltung einer Straße ermöglicht haben, so könnte etwa die Erstere auf die erwähnte Bestimmung des bayer. Ldr. sich berufen und auf deren Grund Ersatz der für die Herstellung neuer Zugänge zur Straße anzuwendenden Kosten und damit Ersatz für ein Vermögen beanspruchen, welches sie unter gedachter Voraussetzung zum Vortheile der Stadtgemeinde M. aufgeopfert hätte.

Zwar werde von einzelnen Rechtslehrern und in einzelnen richterlichen Urtheilen eine Auffassung vertreten, welche schon durch den Umstand, daß ein Gebäude an einer öffentlichen Straße liege, ein privatrechtliches Verhältniß zwischen dem Eigenthümer des Gebäudes und dem hinsichtlich der öffentlichen Straße betheiligten Gemeinwesen entstehen lasse, indem entweder eine stillschweigende Uebereinkunft der beiden genannten Interessenten dahin angenommen werde, daß der jeweilige Zustand der örtlichen Verbindung zwischen Gebäude und Straße auch in der Zukunft fortdauere, oder als Zweck einer Ortsstraße unter Anderem das Gehen und Fahren zu den angrenzenden Gebäuden und Liegenschaften bezeichnet, und hieraus ein der Wegegerechtsame gleichzustellendes Gebrauchsrecht mit privatrechtlichem Charakter abgeleitet werde. Sintenis, Civ.-R. Bd. 1 § 40 Note 37 S. 420, 421 3. Aufl.; Seuffert, Arch. Bd. 18 Nr. 141, Bd. 22, 144.

Allein für derartige Begründungen eines Rechtsverhältnisses fänden sich in dem geltenden Rechte die genügenden Voraussetzungen nicht, und es hätten dieselben auch in der Rechtsprechung eine ungetheilte Anerkennung nicht erlangt. Bl. f. RA. Bd. 1 S. 332, Bd. 31 S. 236 u. f.; Seuffert, Arch, Bd. 12 Nr. 124; Bd. 15, 121, Bd. 29, 243.

Daher habe das Appell.-Gericht, da zur Begründung der [9] Klage nur angeführt worden sei, daß die Anwesen der Klägerin an der fraglichen Straße angrenzten und deren Tieferlegung einen Aufwand für Herstellung neuer Zugänge und im Zusammenhange damit verschiedene Abänderungen an einzelnen Bestandtheilen der Anwesen nothwendig mache, mit Recht angenommen, daß jener Aufwand, dessen Ersatz beansprucht werde, blos die Wiedergewinnung von Vortheilen betreffe, gegen deren Entziehung die Klägerin durch einen Privatrechts-Titel nicht geschützt gewesen sei.

Anlangend das in fr. 2 D. 43, 8 sich findende Verbot der Abänderung einer öffentlichen Straße zum Schaden eines Anderen, habe dasselbe keinen Bezug auf Fälle, in welchen eine solche Abänderung unter obrigkeitlicher Genehmigung erfolgt sei, und müßte auch, wenn jene Gesetzesstelle auf derartige Fälle Bezug hätte, dem in dieser Hinsicht maßgebenden öffentlichen Rechte weichen. Sintenis a. a. O.; Linde, Ztschr. f. Civ.-R, und -Proz. neue Folge Bd. 12 S. 96–99. Urth. vom 12. Mai 1879 HVNr. 4949.