Oberappellationsgericht München – Urkundenfälschung im Amt

Textdaten
Autor: Oberappellationsgericht München
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Titel: Mittheilung oberstrichterlicher Erkenntnisse
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1874, Nr. 11, Seite 129–132
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Kurzbeschreibung: Urkundenfälschung im Amt
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Durch Urtheil des k. Bezirksgerichtes L. vom 17. November 1873 sind M. M., Bürgermeister von M., wegen Vergehens der Urkundenfälschung nach § 270 des R. St. G. B. zu einwöchentlichem und K. W., Gemeindebevollmächtigter von dort, wegen Beihilfe zu diesem Vergehen zu dreitägigem Gefängnisse, sowie Beide in die Kosten des Verfahrens solidarisch und Jeder in die betreffenden Strafvollzugskosten verurtheilt worden. In Folge der von beiden Beschuldigten eingelegten Berufung hat das k. Appellationsgericht in B. durch Urtheil vom 3. Januar 1874 den K. W. von der fraglichen Anschuldigung freigesprochen, die Berufung des M. M. dagegen verworfen. Durch Urtheil des obersten Gerichtshofs vom 9. Februar 1874 wurde die von M. M. gegen das letzterwähnte Urtheil erhobene Nichtigkeitsbeschwerde verworfen und zwar aus folgenden Gründen: Was die Anwendung des Gesetzes anbelangt, so beruht der Antrag des Vertheidigers lediglich auf der Ausführung, daß das k. Appellationsgericht mit Unrecht den Thatbestand einer strafbaren Urkundenfälschung angenommen habe, indem die fraglichen drei Schriftstücke – Gemeindebeschlüsse vom 15. Juni 1872, 29. Juni 1872 und 15. October 1871 – keine öffentlichen Urkunden seien, weil der Gemeindeausschuß nur in Vertretung der Gemeinde als juristischer Person, nicht in der Eigenschaft einer öffentlichen Behörde gehandelt habe, dann daß auch keine Fälschung der Urkunden in einem erheblichen Punkte gegeben sei, weil die drei Schriftstücke nicht in Protokollsform abgefaßt nur als Ausfertigungen des Gemeindeausschusses zu erachten seien, wozu gemäß Art. 145 Absatz 7 der Gemeinde-Ordnung vom 29. April 1869 die Unterschrift des Gemeindvorstandes genügt hätte, daher die fälschliche Hinzufügung der Namensunterschrift des Gemeindebevollmächtigten J. K. überflüssig und gleichgiltig erscheine.

Diese Ausführung ist nach keiner Richtung haltbar.

Nach Art. 1 der Gemeindeordnung sind die Gemeinden öffentliche Körperschaften mit dem Recht der Selbstverwaltung nach Maßgabe der Gesetze. Schon aus dieser ihrer Stellung im Gebiete des öffentlichen Rechtes folgt, daß die in ihnen nach Art. 124 gebildeten Gemeindeausschüsse, welchen die Verwaltung der eigentlichen Gemeindeangelegenheiten, insbesondere des Gemeinde- und örtlichen Stiftungsvermögens, gemäß Art. 130 und 134 gesetzlich zukommt, ein öffentliches Amt ausüben und öffentliche Behörden bilden, was auch aus den Bestimmungen in Art. 126, 127 und 157 der Gemeindeordnung zweifellos hervorgeht, nach [130] welchen die Ausschußmitglieder in öffentliche Pflicht genommen, in Amt und Stellen eingewiesen werden, nach Umständen von der vorgesetzten Verwaltungsbehörde vom Amte suspendirt werden können, und auch in Ansehung der eigentlichen Gemeindeangelegenheiten eine Staatsaufsicht über die Verwaltung aufrecht erhalten worden ist, behufs welcher den vorgesetzten Verwaltungsbehörden das Recht der Kenntnißnahme von der Thätigkeit der Gemeindebehörden, insbesondere das Recht der Amts- und Kassavisitation eingeräumt wurde. Die in Frage stehenden drei Schriftstücke betreffen das Rechnungswesen der Gemeindeverwaltung M. und zwar den Nachweis über das den Gemeindeverwaltungen in Art. 136 der Gemeindeordnung vorgeschriebene Verfahren, wonach

a) die Rechnungen nach vorgängiger Bekanntmachung an bestimmten Tagen verlesen und 14 Tage lang öffentlich aufgelegt werden sollen, und jedem Umlagenpflichtigen freisteht, binnen dieser Frist bei Vermeidung des Ausschlusses seine Erinnerungen anzubringen,
b) sodann aber die Rechnungen durch den Gemeindeausschuß unter Würdigung der abgegebenen Erinnerungen und nach Vernehmung des Rechners über etwa erhobene Beanstandungen festzustellen und nebst Belegen mit allen Verhandlungen an die vorgesetzte Verwaltungsbehörde einzusenden sind, von welcher die Rechnungen geprüft und rechnerisch beschieden werden.

Indem der Gemeindeausschuß von M. mittels der mehrerwähnten drei Gemeindebeschlüsse die ihm nach vorstehenden Vorschriften obliegende Amtspflicht zu erfüllen und nachzuweisen hatte, hat er unverkennbar als öffentliche Behörde gehandelt, und bilden die drei Schriftstücke, welche die gefaßten Ausschußbeschlüsse zum Ausdrucke bringen, nicht bloße Ausfertigungen der Beschlüsse, sondern Beurkundungen der Beschlüsse in ihrem amtlichen Entstehungsakte, also öffentliche Urkunden, einerseits dazu bestimmt, die Wahrung des den umlagepflichtigen Gemeindebürgern zustehenden Erinnerungsrechtes, anderseits die Beobachtung der zur ersprießlichen Ausübung des Staatsaufsichtsrechtes vom Gesetze nöthig erachteten Kautelen mit öffentlichem Glauben zu konstatiren.

Wenn nun auch im Art. 145 Abs. 3 der G.-O. vorgeschrieben ist, daß über die Beschlüsse des Gemeindeausschusses ein fortlaufendes Protokoll zu führen ist, so kann gleichwohl der Beurkundung eines Gemeindebeschlusses auch in einer andern Form der Charakter einer öffentlichen Urkunde nicht versagt werden, soferne die gewählte Beurkundungsform noch eine genügende formelle Garantie für die legale Entstehung eines Beschlusses darbietet. Solche Garantie [131] sollte im vorliegenden Falle, in welchem mit Rücksicht auf die Bestimmung im Art. 145 Abs. 2 der G.-O. die Theilnahme von mindestens 5 Ausschußmitgliedern an der Beschlußfassung nothwendig erschien, dadurch geboten werden, daß die beschlußfassenden Ausschußmitglieder den niedergeschriebenen Beschluß eigenhändig unterzeichneten, und sie wäre unter der Voraussetzung auch hinreichend geboten gewesen, daß die unter den Beschlüssen vorfindliche Namensunterschrift des J. K. als 5. Ausschußmitgliedes in Wirklichkeit von diesem Gemeindebevollmächtigten selbst in Folge seiner Theilnahme am Beschlüsse beigesetzt worden wäre, gleichwie die darunter befindlichen weiteren 4 Namensunterschriften von den Namensträgern selbst in Folge ihrer Theilnahme am Beschlusse beigesetzt worden sind, mit andern Worten, es wäre unter der Voraussetzung der Aechtheit der Namensunterschrift des J. K. das legale Vorhandensein der fraglichen Gemeindebeschlüsse in äquipollenter Weise urkundlich nachgewiesen, wie es durch deren Niederschreibung in ein fortlaufendes Protokoll hätte geschehen können. Gerade aus dieser Bedeutung der Namensunterschrift eines 5. Ausschußmitgliedes für die Beweiskraft der vorliegenden öffentlichen Urkunden folgt von selbst, daß die vorgenommene fälschliche Unterzeichnung des Namens des J. K., welcher an der Beschlußfassung nicht Theil genommen hat, eine Veränderung der Urkunden in einem höchst erheblichen Punkte somit eine strafbare Urkundenfälschung im Sinne des Reichsstrafgesetzbuches enthält. Gleichwohl hat aber das k. Appell-Gericht auf die in unanfechtbarer Weise von ihm festgestellten Thatsachen das Gesetz insoferne nicht richtig angewendet, als es seinen Schuldausspruch auf dem Thatbestandsgrunde des § 270 statt jenem des § 267 des R.-St.-G.-B. erließ. Die Feststellung umfaßt nemlich außer der Thatsache, daß Bürgermeister M. die drei gefälschten Urkunden wissentlich zum Zwecke der Täuschung durch deren Vorlage bei dem k. Bezirksamte gebraucht hat, auch die weitere Thatsache, daß M. den Gemeindebevollmächtigten W., als physischen Urheber der Fälschungen, in rechtswidriger Absicht durch Erregung eines Irrthums zur Vornahme der Fälschungen verleitete, weshalb W. wegen Mangels des erforderlichen dolus von der gegen ihn erhobenen Anschuldigung freigesprochen wurde. Letztere Thatsache qualifizirt den Bürgermeister M. auch als Thäter der Fälschungen mittels eines willenlosen Werkzeuges in der Person des Ausschußmitgliedes W. und erschöpft in Verbindung mit der ersteren Thatsache vollständig die Thatbestandsmerkmale der Urkundenfälschung nach § 267 R.-St.-G.-B.

Da indessen die §§ 267 und 270 die ganz gleiche Strafbestimmung enthalten, so ist dem Beschuldigten durch die unrichtige [132] Anwendung des § 270 statt des § 267 keinerlei Nachtheil zugegangen, wie ebensowenig für denselben ein Nachtheil dann zu ersehen wäre, wenn angenommen werden wollte, daß bei der vorliegenden Fälschung von drei verschiedenen Gemeindebeschlüssen die Verurtheilung nicht auf Ein Vergehen der Urkundenfälschung hätte beschränkt, sondern in Anwendung des § 74 R.-St.-G.-B. eine Gesammtstrafe wegen drei real konkurrirender Vergehen der Urkundenfälschung hätte ausgesprochen werden sollen, weshalb hierauf auch nicht weiter eingegangen zu werden braucht.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war demnach mit Rücksicht auf Art. 232 Abs. 2 und Art. 245 Abs. 3 des R.-Pr.-G. vom 10. Nov. 1848 zu verwerfen und Beschwerdeführer in die veranlaßten Kosten gemäß Art. 274 Abs. 1 daselbst zu verurteilen.