Oberappellationsgericht München – Strafbarer Eigennutz

Textdaten
Autor: Oberappellationsgericht München
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Titel: Mittheilung oberstrichterlicher Erkenntnisse
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1879, Nr. 24, Seite 314–318
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Kurzbeschreibung: Veranstaltung einer öffentlichen Lotterie ohne Erlaubnis in Tateinheit mit Steuerhinterziehung
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[314]

Der oberste Gerichtshof des Königreichs erkannte am 11. Juni 1879 in Sachen gegen N. N. wegen Vergehens des strafbaren Eigennutzes u. a. zu Recht:

Die von S. W. und A. W. gegen das Urtheil des k. Appellationsgerichts in M. vom 4. Juni 1879 eingelegten Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen und wird jeder der Beschwerdeführer in die durch seine Beschwerde veranlaßten Kosten verurtheilt.
Gründe.

Durch Urtheil des k. Bezirksgerichts M. vom 23. April l. J. wurden S. W. und A. W. je eines Vergehens des strafbaren Eigennutzes verübt im Jänner 1879 durch Veranstaltung einer öffentlichen Lotterie ohne obrigkeitliche Erlaubniß, sowie je einer Übertretung des Stempelgesetzes vom 8. Nov. 1875 schuldig erkannt und deßhalb S. W. in Gefängnißstrafe von 8 Monaten, wovon 1 Monat als durch die Untersuchungshaft getilgt erklärt ist und in eine neben dem Stempelbetrage von 616 ℳ. zu zahlende Geldstrafe von 6160 ℳ., A. W. aber in eine Gefängnißstrafe von 3 Monaten und in eine neben dem Stempelbetrage von 72 ℳ. 60 ₰ soweit dieser Stempelbetrag nicht von S. W. bezahlt wird, zu zahlende Geldstrafe von 726 ℳ. verurtheilt. Die von den beiden Beschuldigten gegen dieses Urtheil ergriffenen Berufungen wurden durch Urtheil des k. Appellationsgerichtes in M. vom 4. Juni 1879 verworfen und jeder derselben in die durch seine Berufung veranlaßten Kosten verurtheilt. Gegen dieses Urtheil haben die beiden Beschuldigten die [315] Nichtigkeitsbeschwerde ohne Bezeichnung eines besonderen Beschwerdepunktes angemeldet. Die nach Art der Beschwerdeanmeldung gemäß Art. 245 Abs. 2 Ziff. 1 des St.-P.-G. vom 10. Nov. 1848 veranlaßte allgemeine Prüfung der Sache hat ergeben, daß in der Berufungs-Instanz jede wesentliche Förmlichkeit des Prozesses beobachtet und das Gesetz sowohl in Beziehung auf die Anschuldigung aus § 286 des R.-St-G.-B. als bezüglich der Beschuldigung wegen Uebertretung der gesetzlichen Stempelvorschriften richtig angewendet worden ist. Zur Würdigung der von der Vertheidigung gegen die Gesetzesanwendung geltend gemachten Einwendungen ist Folgendes zu bemerken: I. Die tatsächlichen Feststellungen, auf welche sich die Verurtheilung der beiden Beschuldigten aus § 286 des R.-St.-G.-B. gründet, sind nach den Entscheidungsgründen des k. Appellationsgerichtes im Zusammenhalt mit den darin in Bezug genommenen Entscheidungsgründen des Urtheils des k. Bezirksgerichts M. vom 23. April l. J. im Wesentlichen folgende: Die Beschuldigten haben ohne die in § 3 der k. Verordnung vom 10. Juli 1867 für die Veranstaltung von Lotterien etc. vorgeschriebene Erlaubniß erholt zu haben, für das Bankierhaus N. N. zu Ende des vorigen und Anfang d. J. in M. nach vorheriger öffentlicher Ankündigung durch Plakatanzeiger den Verkauf von sog. Cessions-Scheinen betrieben, in welchen das genannte Bankierhaus als Besitzer eines nach Serien- und Loos-Nummer bestimmten Fünftel-Looses des von dem österreichischen Staate im Jahre 1839 durch Verausgabung von ganzen Loosen à 250 fl. CM. und von Fünftel-Loosen à 50 fl. CM. aufgenommenen Prämien-Anlehens dem Inhaber dieses Dokumentes (Cessions-Scheines) den zwanzigsten Theil des darin bezeichneten Fünftel-Looses cedirt und sich verpflichtet, den zwanzigsten Theil des Gewinnstbetrages, welcher in der noch stattfindenden letzten Ziehung (1. März 1879) auf das verzeichnete Loos entfällt, exklusive des kleinsten Treffers, 8 Tage nach der bei der k. k. Staatsschuld-Cassa erfolgten Eincassirung gegen Rückstellung dieser Cessions-Urkunde baar auszuzahlen. Ein weiterer Beisatz in dem Text dieser Cessions-Scheine enthält die Bemerkung, daß 6 Monate nach stattgehabter Ziehung nicht behobene Gewinnste verfallen und diese Cession ungiltig sei. Der Absatz der Cessions-Scheine wurde durch zu diesem Behufe von den Beschuldigten aufgestellte Colporteure ins Werk gesetzt, der baar zu bezahlende Preis eines Cessions-Scheines betrug 22 ℳ., welche in der Art berichtigt wurden, daß der Käufer zuerst von dem Colporteur gegen eine Anzahlung von 5 ℳ. eine gedruckte Anweisung mit Bestellzettel auf einen Cessions-Schein [316] und später den Cessions-Schein selbst durch S. W. oder A. W. gegen Bezahlung von weiteren 17 ℳ. ausgehändigt erhielt. Das k. Appellationsgericht hat in Uebereinstimmung mit dem Erstrichter den Inhalt dieser Cessions-Scheine dahin ausgelegt, daß dem Erwerber eines Cessions-Scheines nicht ein Eigenthumsrecht auf den zwanzigsten Theil desjenigen Gewinnstes, welcher auf das in dem Cessions-Schein nach Serie und Loos-Nummer bezeichnete Original-Loos fallen würde, sondern bloß ein persönlicher Anspruch gegen das Bankhaus N. N. auf Herauszahlung des zwanzigsten Antheils an dem Gewinne – exclusive des kleinsten Treffers – eingeräumt wurde. Mit Recht haben die beiden Instanzen in diesem Unternehmen die Veranstaltung einer öffentlichen Lotterie und den Thatbestand eines Vergehens aus § 286 des St.-G.-B. erblickt, insoferne unter Veranstaltung einer Lotterie jedes Unternehmen zu verstehen ist, durch welches Jemand anderen Personen (den Spielern) gegen Zahlung eines bedungenen Preises das Anrecht zusichert, je nach dem Ausfalle einer Ausloosung entweder einen bestimmten Geldgewinn zu verlangen oder aber den Einsatz ganz oder theilweise zu verlieren.

Vgl. E. d. pr. O. Tr. v. 8. Okt. 1875 in Goltdammers Arch. Bd. 23 S. 540. (Nach dem Worte „verlangen“ sind die Worte „oder aber den Einsatz ganz“ in dem Abdrucke bei Goltdammer ausgelassen).

Zweifellos trifft diese Begriffsbestimmung in allen ihren Merkmalen auf die festgestellten Thatsachen zu. Hienach haben S. W. und A. W. keineswegs, wie die Vertheidigung die Sache darzustellen suchte, nur gleichsam als Untercollecteure des ursprünglichen Lotterie-Unternehmens d. i. des österreichischen Staates gehandelt und, ohne eine neue Lotterie zu veranstalten, bloß den Absatz von Partialloosen des fraglichen österreichischen Staats-Anlehens vermittelt. Denn nach der Feststellung und nach der unverkennbar richtigen Auffassung des Inhalts des Cessions-Scheines repräsentirt dieser nicht ein Partial-Loos in der Art, daß der Inhaber des Cessions-Scheines Miteigenthümer des darin bezeichneten Original-Fünftel-Looses zum zwanzigsten Theile würde, vielmehr ist nach wie vor der Cession das Bankhaus N. N. Alleineigenthümer des betreffenden Original-Fünftel-Looses, wogegen der Abnehmer des Cessions-Scheines in Beziehung auf dieses Loos zu dem österreichischen Staate weder in ein dingliches noch persönliches Rechtsverhältniß tritt, sondern lediglich eine persönliche Forderung gegen das Bankhaus N. N. auf Herauszahlung des zwanzigsten Theils des Gewinnes, vorausgesetzt, daß dieser nicht in dem geringsten Treffer besteht, erlangt. [317] Hienach handelt es sich auf Seite der Beschuldigten um ein selbstständiges, für das Bankhaus N. N. betriebenes Ausspielgeschäft, welches sich nur an die Ziehung der österreichischen 1839er Prämien-Loose in der Art anlehnt, daß durch diese Ziehung der als Bedingung für die Verpflichtung des Hauses N. N. zur Herauszahlung des zwanzigsten Theils seines Gewinnes gesetzte Zufall entschieden wird. Der Unterschied und damit der selbstständige Character dieses Unternehmens gegenüber dem Geschäfte eines bloßen Collecteurs von Lotterie-Loosen tritt in dreifacher Beziehung hervor: zunächst darin, daß, wie schon gezeigt, der Käufer des Cessions-Scheines weder Eigentümer noch Miteigentümer eines Partial-Looses wird, zweitens darin, daß durch die Cessions-Scheine für Spiellustige, welche nicht die Mittel zum Erwerbe der in hohem Curswerthe stehenden Original-Loose besitzen, die Möglichkeit geschaffen wird, sich auf mittelbare Weise mit Aufwand eines geringeren Betrages an dem Prämien-Spiel zu betheiligen, und endlich darin, daß der Erwerber des Cessions-Scheines für den dafür bezahlten Preis nicht, wie der Käufer eines Original-Looses, unbedingt das Recht auf den versprochenen Kliquoten Theil des dem Verkäufer des Cessions-Scheines auf das in diesem bezeichneten Loos anfallenden Gewinnes erlangt, sondern daß er unter Verlust seines Einsatzes von 22 ℳ. von diesem Gewinn gänzlich ausgeschlossen ist, wenn derselbe nur in dem geringsten Treffer besteht. Hieraus ergiebt sich von selbst, daß der von der Verteidigung hervorgehobene Umstand, daß die Serien der in den Cessions-Scheinen bezeichneten Loose zur Zeit des Verkaufes der Cessions-Scheine schon gezogen waren und die Abnehmer der letzteren nach ihrem Inhalt im Voraus wußten, daß sie ihren Einsatz an das Bankhaus verlieren, falls auf das Loos nicht ein höherer, als der geringste Treffer fallen würde, völlig unerheblich ist. Denn dadurch, daß der Spieler die volle Einsicht in die Bedingungen des Spielvertrages hat, wird nur der Thatbestand des Betruges, von welchem nach der Anschuldigung nicht die Rede ist, nicht aber bei den angeführten tatsächlichen Feststellungen die Anwendbarkeit des § 286 des R.-St.-G.-B. ausgeschlossen.

Vgl. das oben alleg. E. v. 8. Okt. 1875 u. Erk. v. 10. Mai 1878 in Goltd. Arch. Bd. 26 S. 340.

Eventuell wurde von der Vertheidigung geltend gemacht, daß S. W. und A. W. nicht als Thäter, sondern nur als Gehilfen des Bankhauses N. N. nach § 49 des R.-St.-G.-B. hatten verurtheilt werden dürfen und nur das Bankhaus N. N. als Thäter in Betracht kommen könnte, jedoch mit Unrecht. [318] Veranstaltet im Sinne des § 286 ist eine Lotterie erst dann, wenn nicht bloß das Object derselben, die Gewinne, bestimmt bezeichnet, sondern auch die Loose Anderen zur Erwerbung zugänglich gemacht sind.

Samml. d. oberstr. Entsch. Bd. 8 S. 18.

Im gegebenen Falle sind aber die Loose, nämlich die von dem Bankhause N. N. ausgefertigten Cessions-Scheine und die Anweisungen auf diese Cessions-Scheine, innerhalb des bayerischen Staatsgebietes und speciell in M. erst und nur allein durch die von S. W. und A. W. vorgenommenen Veranstaltungen für Jedermann zugänglich gemacht worden. Als physische Urheber der in § 286 verpönten Handlung können daher auch nur die beiden Angeschuldigten betrachtet werden. II. In Ansehung der Beschuldigung wegen Stempelhinterziehung wurde von der Verteidigung das angefochtene Urtheil mit der Behauptung bemängelt, daß nicht festgestellt sei, daß die von S. W. zum Zwecke des Absatzes nach Bayern gebrachten 280 und die von A. W. abgesetzten 33 Loose – Cessions-Scheine – nicht mit dem in Art. 16 des Ges. vom 8. Nov. 1875 Abänderungen der Tax- und Stempel-Gesetze betr. vorgeschriebenen Stempel versehen waren. Allein abgesehen davon, daß jene Feststellung als selbstverständliche Voraussetzung der Anschuldigung, die von den Beschuldigten auch niemals bestritten wurde, schon in den erstrichterlichen Entscheidungsgründen vermöge des inneren Zusammenhanges, wenn auch nicht ausdrücklich doch indirect enthalten ist, so ist diese Feststellung in den zweitinstanziellen Entscheidungsgründen (S. 17) jedenfalls genügend durch die in Beziehung auf die von S. W. zum Zwecke des Absatzes nach Bayern gebrachten 280 Loose (Cessions-Scheine) und die von A. W. abgesetzten 33 Stücke dergleichen gemachten Bemerkung ausgedrückt, daß die Beschuldigten hiebei der bestehenden Stempelpflicht nicht nachgekommen seien und sich deßhalb einer Uebertretung gegen das Stempelgesetz vom 8. Nov. 1875 schuldig gemacht haben. Die von beiden Beschuldigten erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden stellen sich demnach als unbegründet dar.