Oberappellationsgericht München – Straßenbeschädigung

Textdaten
Autor: Oberappellationsgericht München
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Titel: Mittheilung oberstrichterlicher Erkenntnisse
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1874, Nr. 15, Seite 189–193
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Kurzbeschreibung: Landesgesetzlicher Vollzug von Reichsgesetzen
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[189]

II.

Auf die Anzeige des Straßenwärters F. von R., daß der Ackersmann D. K. von B. auf der von O. nach B. führenden Distriktsstraße am 14. August 1873 mehrere hundert Meter mit einer Pflugschleife gefahren sei, hiedurch das Straßenmaterial aufgerissen und einen Schaden von acht Kreuzern verursacht habe, wurde der Beschuldigte durch das im Ungehorsamsverfahren erlassene Urtheil des k. Landgerichts L. vom 16. Oktober 1873 von der Anschuldigung der Uebertretung straßenpolizeilicher Vorschriften freigesprochen und die hiegegen am 23. desselben Monats von Seite des k. Polizeianwalts erhobene Berufung durch das ebenfalls im Ungehorsamsverfahren erlassene Urtheil des k. Bezirksgerichts K. vom 9. Dezember 1873 abgewiesen.

Hiegegen hat der k. Staatsanwalt am genannten Bez.-Gerichte Kassation angemeldet, der oberste Gerichtshof aber hat unterm 27. Februar 1874 erkannt, das Urtheil des k. Bezirksgerichts K. vom 9. Dezember 1873 wird vernichtet und die Sache zur weiteren Verhandlung und Aburtheilung an das k. Bezirksgericht Z. verwiesen.

In den Gründen ist ausgeführt:

Das angefochtene Urtheil nimmt an, daß die oberpolizeiliche Vorschrift der k. Regierung vom 24. Juni 1862 Ziff. 1, worin der Gebrauch der sog. Pflugschleifen auf Staats- und gebauten Distriktsstraßen untersagt ist, auf Grund des Art. 157 des bayer. P.-St.-G.-B. vom Jahre 1861 erlassen worden und schließt dann, daß an dessen Stelle der Art. 90 des bayer. P.-St.-G.-B. vom [190] Jahre 1871 getreten sei, nach letzterer Gesetzesbestimmung aber nur solche Anordnungen in Bezug auf Distriktsstraßen wirksam sein könnten, welche durch distriktspolizeiliche, nicht aber solche, welche durch oberpolizeiliche Vorschriften erlassen worden seien und daß daher jene oberpolizeiliche Vorschrift der k. Regierung mit Einführung des neuen Polizeistrafgesetzbuches ihre Wirksamkeit verloren habe.

Zu diesem Schlusse gelangt erwähntes Urtheil durch die Erwägung, daß die Bestimmungen des bayer. Polizeistrafgesetzbuches vom Jahre 1861, welche von der Sicherstellung, Reinlichkeit und Bequemlichkeit des Verkehrs auf öffentlichen Straßen handelten, durch § 368 Ziff. 10 des R.-St-G.-B.[1] ersetzt seien und das neue bayer. Polizeistrafgesetzbuch sich nur mehr mit Vorschriften zur Sicherstellung des Straßenkörpers gegen Beschädigungen u. dgl. befasse, daß der Art. 90 dieses letzterwähnten Gesetzes ganz ausdrücklich von der Sicherstellung der Straßen gegen Beschädigungen handle und das Befahren einer Straße mit Pflugschleifen offenbar eine Beschädigung des Straßenkörpers, keineswegs eine Störung der Sicherheit und Bequemlichkeit des Straßenverkehrs zur unmittelbaren Folge habe, daher das Verbot einer Pflugschleife auf öffentlicher Straße keinen andern Hauptzweck haben könne, als den, die Straße vor einer Beschädigung sicher zu stellen, weshalb der Art. 157 des alten bayer. P.-St.-G.-B. vollständig ersetzt und es ganz undenkbar sei, daß das Verbot des Schleifens solcher Gegenstände, die zur Beschädigung des Straßenkörpers sich eigneten, auf Staats- oder Distriktsstraßen in erster Linie einen anderen Zweck, als den, die Straße vor Beschädigung zu sichern, habe.

Allein weder die Bestimmungen des alten bayer. Polizeistrafgesetzbuches, noch die des Reichsstrafgesetzbuches, welche hier in Frage stehen, haben so ausschließliche Richtungen, wie sie das angefochtene Urtheil voraussetzt.

Schon die Motive des obenerwähnten, das Schleifen schwerer Körper auf öffentlichen Straßen zum Gegenstande habenden Art. 157 des alten bayer. P.-St.-G.-B. legen dar, daß, obgleich sein Wortlaut nur die Straßenbeschädigung betont, der Schutz vor solchen Beschädigungen weder der ausschließliche noch der nächste Zweck jener Gesetzesstelle war. Inhaltlich der Motive zum X. Hauptstücke bezielten vielmehr die Art. 178–180 des Entwurfes des genannten Polizeistrafgesetzbuches die Erleichterung und Bequemlichkeit des Verkehrs, sowie die Sicherung von Gefahren, während der Art. 182 und 183, welch letztere Bestimmung als Art. 157 in das Gesetz aufgenommen wurde, neben diesen Zwecken zugleich auf Sicherung der öffentlichen Straßen gegen Beschädigungen gerichtet waren.[191]

Verh. d. Gesetzgeb.-Aussch. der K. d. Abg. des bayer. Landt. in den Jahren 1859/61 Beil. Bd. II p. 111.

Also Schutz vor Beschädigung der Straße, Sicherung des Verkehrs gegen Gefahren und Erleichterung und Bequemlichkeit des Verkehrs auf derselben sollte durch den Art. 157 und wohl auch durch Ziff. 1 der erwähnten oberpolizeilichen Vorschrift vom 24. Februar 1862, welche ja nur zum Vollzuge dieser Gesetzesstelle erlassen war, gleichmäßig bewirkt werden.

Die nemlichen Zwecke verfolgt § 366 Ziff. 10 des R.-St.-G.-B. Auch er will die Sicherheit und Bequemlichkeit des Verkehrs auf öffentlichen Straßen erhalten und wenn er den Schutz des Straßenkörpers nicht ausdrücklich erwähnt, so ergibt sich doch aus der Natur der Sache, daß, da sehr häufig eine erhebliche Beschädigung des Straßenkörpers auch eine Störung der Sicherheit und der Bequemlichkeit des Straßenverkehrs zur sofortigen Folge hat, durch die erwähnte reichsgesetzliche Bestimmung auch eine solche Straßenbeschädigung mit getroffen wird.

Sonach betreffen beide Gesetzesstellen dieselbe Materie, weshalb schon aus diesem Grunde anzunehmen wäre, daß an die Stelle des Art. 157 des alten bayer. P.-St.-G.-B. nicht der Art. 90 des neuen, sondern der § 366 Ziff. 10 des R.-St.-G.-B. getreten ist.

Von gleicher Anschauung ist aber auch der Gesetzgeber bei Erlassung des Polizeistrafgesetzbuches vom Jahre 1871 ausgegangen.

In den Motiven zu diesem Gesetzbuche und vorerst in deren allgemeinen Bemerkungen dazu wird nemlich angeführt, daß diejenigen Vorschriften, welche nach der Anschauung der Staatsregierung durch adäquate Bestimmungen des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich vollständig gedeckt erscheinen, im Hinblicke auf § 2 des Einf. Ges. vom 31. Mai 1870 einfach weggelassen worden seien und in den Motiven zum VII. Hauptstücke wird weiter bemerkt, die Art. 153, 154, 157, sowie die Ziffern 1 und 2 und der letzte Absatz des Art. 156 seien im Hinblicke auf § 366 Ziff. 9 und 10 und § 368 Ziff. 9 des R.-St.-G.-B. aus dem Entwurfe weggelassen. Die bayerische Regierung hat also den Art. 157 in dem Entwurfe des Polizeistrafgesetzbuches vom Jahre 1871 deshalb nicht mithinübergenommen, weil sie seine Bestimmungen durch die gleichen des § 366 Ziff. 10 des R.-St.-G.-B. als ersetzt erachtete. Sie konnte daher nicht die Absicht haben, jene Bestimmung ganz oder theilweise durch den Art. 90 des neuen P.-St.-G.-B., welcher ja bereits von ihr als Art. 92 in den Entwurf des letzteren aufgenommen war, ersetzen zu wollen. Dieser Anschauung der Regierung wurde auch nicht vom Gesetzgebungsausschusse [192] entgegen getreten, vielmehr wurde im Ausschußreferate ausdrücklich bemerkt, daß der Art. 90 des neuen P.-St.-G.-B. an die Stelle, nicht des Art. 157, sondern des Art. 158 des alten P.-St.-G.-B. treten solle und zugleich die Streichung des Art. 90 beantragt. Dieser Antrag stieß auf Widerspruch im Ausschusse, wobei allerdings ein Abgeordneter bemerkte, er glaube, daß unter § 366 Ziff. 10 des R.-St.-G.-B. nicht alle jene Vorkommnisse fielen, welche zur Beschädigung einer Straße führen könnten und als Vorkommnisse dieser Art unter Anderem das Schleifen von Baumstämmen und Faschinen auf den Straßen und die Benützung von Pflugschleifen bezeichnete. Allein diese Ansicht im letzten Punkte wurde von Niemand unterstützt und der Ausschußreferent trat ihr mit einer Bemerkung entgegen, aus welcher zu entnehmen ist, daß er den Art. 157 des alten P.-St.-G.-B. durch § 366 Ziff. 10 für gedeckt erachtete. Daß aber nunmehr jener Art. 157 oder einer der in demselben erwähnten oder auf Grund desselben durch polizeiliche Vorschriften für strafbar erklärten Fälle nunmehr nach Art. 90 des P.-St.-G.-B. vom Jahre 1871 (92 des Entwurfes) beurtheilt werden sollte, das wurde weder damals, noch überhaupt jemals im Gesetzgebungsausschusse beschlossen oder beantragt.

Es kann daher nicht bezweifelt werden, daß der Gebrauch von Pflugschleifen auf öffentlichen Straßen gegenwärtig nach § 366 Ziff. 10 des R.-St.-G.-B. zu beurtheilen ist.

Vergl. Verh. des besondern Gesetzgeb.-Aussch. der K. d. Abg. v. J. 1871 Bd. I p. 21, 25, 111, Bd. II p. 36.

Nun wird zwar im angefochtenen Urtheile zur Unterstützung der darin niedergelegten Ansicht angeführt, daß, wenn jede Straßenbeschädigung, welche in letzter Linie Störung des öffentlichen Verkehrs zur Folge habe, nach § 366 Ziff. 10 beurtheilt werden wollte, der Art. 90 des P.-St.-G.-B. (Art. 92 des Entw.) keinen Gegenstand mehr hätte, weil alle Straßenbeschädigungen ohne Ausnahme diese Folge haben könnten und nur zum Zwecke der Sicherstellung des Straßenverkehrs verboten seien.

Allein angenommen, diese Aufstellung wäre richtig, so könnte deßhalb die Anwendbarkeit des § 366 Ziff. 10 des R.-St.-G.-B. keine Beeinträchtigung erleiden, weil, wie die Motive zum Reichsstrafgesetzbuche und zum neuen bayer. Polizeistrafgesetzbuche anerkennen, da, wo Bestimmungen des Reichsstrafgesetzbuches vorliegen, auch im Gebiete des Polizeistrafrechtes die Sondergesetzgebung der Reichsgesetzgebung weichen muß, nicht aber umgekehrt die Wirksamkeit des Reichsgesetzes durch ein Landesgesetz beeinträchtigt werden kann.[193]

Vgl. Stenogr. Ber. der Verh. des nordd. Bundes v. J. 1870 Bd. III S. 86 ff.
Verh. des Gesetzgeb.-Aussch. der bayer. Abg.-K. v. J. 1870 Bd. I S. 21.

Obige Aufstellung ist aber auch nicht einmal richtig, denn dem Antrage des Ausschußreferenten in der Abgeordnetenkammer auf Streichung des Art. 90 des neuen P.-St.-G.-B. wurde, wie bereits oben erwähnt, deshalb entgegengetreten, weil es Vorkommnisse von Straßenbeschädigungen gebe, welche nicht von § 366 Ziff. 10 des R.-St.-G.-B. getroffen würden und der obenerwähnte Abgeordnete hat das Beispiel von Straßenbeschädigungen durch Ablagerung von Baumstämmen oder Holz in Chausseegräben oder an Straßenböschungen aufgeführt, welche eine Störung der Sicherheit und Bequemlichkeit des Verkehrs in der Regel nicht zur Folge haben. Und der Antrag auf Streichung dieses Artikels wurde abgelehnt, nachdem sowohl der k. Ministerialkommissär, als der k. Staatsminister des Innern erklärt hatten, daß der Art. 90 (92 des Entwurfs) unentbehrlich sei und seine spezielle Bedeutung für die Gemeindestraßen und zwar für den Fall habe, wenn durch Anlage einer Fabrik, durch Eisenbahnbauten und dgl. die Verkehrsverhältnisse geändert und Gemeindewege in Mitleidenschaft gezogen werden. In einem solchen Falle sollen die Gemeinden durch jene Gesetzesstelle ermächtigt werden, die Unternehmer solcher Anlagen, die Eisenbahnbauakkordanten etc. zu nöthigen, Beschädigungen des Straßenkörpers durch allzuschwere Fuhren zu unterlassen oder den Gemeinden für die Wegabnützung Entschädigung zu leisten.

Vgl. die cit. Verh. des bayer. Gesetzgeb.-Aussch. Bd. II S. 36, 37.

Daraus ergibt sich, daß der Art. 90 des P.-St.-G.-B. vom Jahre 1871 nicht gegenstandslos ist, sondern Beschädigungen des Straßenkörpers betrifft, welche nicht unter § 366 Ziff. 10 des R.-St.-G.-B. fallen.

Ist aber die obenerwähnte reichsgesetzliche Bestimmung an die Stelle des Art. 157 des bayer. P.-St.-G.-B. vom Jahre 1861 getreten, so gilt die zum Vollzuge der letzteren Bestimmung erlassene oberpolizeiliche Vorschrift der k. Regierung vom 24. Juni 1862, deren Wirksamkeit durch Art. 159 des bayer. P.-St.-G.-B. v. J. 1871 aufrecht erhalten blieb, nunmehr als Vollzugsanordnung des § 366 Ziff. 10 des R.-St.-G.-B., deren Wirksamkeit als polizeiliche Vorschrift um so weniger bezweifelt werden kann, als nach Art. 2 Ziff. 6 des letzterwähnten P.-St.-G.-B. die nach jener Stelle des Reichsstrafgesetzbuches zulässigen Polizeiverordnungen auch durch oberpolizeiliche Vorschriften der k. Kreisregierungen erlassen werden können.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Gemeint ist sicher § 366, Ziff. 10