Oberappellationsgericht München – Standgenehmigung auf Kirchweihmarkt

Textdaten
Autor: Oberappellationsgericht München
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Titel: Mittheilung oberstrichterlicher Erkenntnisse
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1879, Nr. 12, Seite 165–170
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Kurzbeschreibung: Unerlaubte Eröffnung eines Verkaufsstandes auf einem Spezialmarkt
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[165]

Der oberste Gerichtshof des Königreichs erkannte am 21. Februar dss. Js. in Sachen gegen A. B. und Genossen wegen Uebertretung der Reichsgewerbeordnung zu Recht:

Das Urtheil des k. Bezirksgerichts A. vom 28. Dezember 1878 wird vernichtet, die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Aburtheilung an einen anderen Senat des genannten Gerichtes verwiesen, und der Eintrag des gegenwärtigen Erkenntnisses in das Urtheilsbuch des Bezirksgerichts A. verordnet.

Aus den Gründen dieses Erkenntnisses ist Folgendes hervorzuheben:

Das k. Bezirksgericht A. hat thatsächlich festgestellt, daß die 4 Beschuldigten Legitimationsscheine zum Feilbieten ihrer Waaren im Umherziehen nach § 55 der R.G.O. besitzen, daß dieselben am 22. September v. Js. diese ihre Legitimationsscheine bei sich geführt, und am genannten Tage im Orte C. an dem bei Gelegenheit der dortigen Kirchweihe daselbst abgehaltenen Markte vor den Gasthäusern zur Krone und zur Post Galanterie-, Porzellan-, Cigarren-und Zuckerwaaren feilgehalten haben, daß zum Feilhalten ihrer Waaren A. B. und L. L. je eines Standes, J. V. und C. T. [166] dagegen je eines Tisches sich bedient haben, und daß denselben auf ihre vorherige Anfrage beim Bürgermeister in C. von diesem der Bescheid gegeben worden war, daß er ihnen eine förmliche Erlaubniß zum Feilbieten nicht ertheilen könne. Dadurch, daß das k. Bezirksgericht A. angenommen hat, daß die obenerwähnte Handlung der 4 Beschuldigten durch die §§ 55 und 64 der R.G.O. gesetzlich gestattet gewesen sei, und daß es auf den vorliegenden Thatbestand den § 29 Abs. 4 der zum Vollzuge der Reichsgewerbeordnung in Bayern erlassenen Verordnung vom 4. Dezember 1872, dann die Strafbestimmungen des § 149 Ziff. 6 der R.G.O. für unanwendbar erklärt hat, hat es das Gesetz verletzt. Dieser Ausspruch begründet sich aus den nachfolgenden Erwägungen:

Der Marktverkehr ist in Tit. IV der R.G.O. in den §§ 64 bis 71 in Verbindung mit § 149 Ziff. 6 behandelt. Das Gesetz unterscheidet hiebei 3 Gattungen von Märkten, nämlich: 1) Wochenmärkte (§ 66), 2) Messen und Jahrmärkte (§ 67) und 3) Märkte, welche bei besonderen Gelegenheiten oder für bestimmte Gattungen von Gegenständen gehalten werden, sogenannte Spezial-Märkte (§ 70) –, und wie sich auch aus den zum Gesetzentwurfe erlassenen Motiven ergibt, sichert das Gesetz im Allgemeinen die Freiheit des Besuches der Messen und Märkte und die gleiche Behandlung der Reichsangehörigen in dieser Beziehung, und schließt eine Auslegung der Bestimmungen des den Gewerbebetrieb im Umherziehen betreffenden Titels III dahin aus, als sei zum Besuche der Messen und Märkte ein Hausirschein nothwendig. Ist aber zum Besuche der Messen und Märkte ein Hausirschein nicht erforderlich, und folgt daraus, daß der Besuch der Märkte und Messen nicht als Gewerbebetrieb im Umherziehen angesehen wird, so kann auch der Besitzer eines Hausirscheines durch dessen Besitz allein noch nicht das Recht erhalten, Messen und Märkte zu beziehen und auf denselben seine Waaren unbeschränkt feilzubieten, sondern muß angenommen werden, daß auch der Hausirer, wenn er auf einem Markte feilhalten will, ebenso wie alle anderen Fieranten sich den über den Marktverkehr bestehenden gesetzlichen Bestimmungen zu unterwerfen hat. Indem das Gesetz den Verkehr auf den Messen und Märkten vor dem sonstigen Gewerbebetrieb im Umherziehen bevorzugt und von der Legitimationsscheinpflicht befreit hat, konnte es selbstverständlich die Hausirer nicht wieder durch eine Befreiung von den gesetzlichen Bedingungen, unter welchen ein Markt bezogen werden darf, begünstigen. Der Umstand, daß die Beschuldigten im Besitze von Hausirscheinen gewesen sind, ist demnach für die Beantwortung der Frage, ob dieselben gesetzlich berechtigt waren, den in Frage stehenden Markt zu beziehen, ohne allen Belang.

Der Grundsatz, daß jeder Reichsangehörige das Recht hat, [167] die Messen und Märkte mit allen im freien Verkehre, beziehungsweise nach Gattung des Marktes zugelassenen Waaren zu beziehen, hat nun aber im Gesetze mehrfache Ausnahmen erfahren. Wie schon die Motive zum Entwurfe der Reichsgewerbeordnung (vgl. Reichst.-Verh. von 1869 Bd. III S. 123) ersehen lassen, wurde das oben erwähnte Prinzip, theils um die Ausdehnung der Wochenmärkte zu Jahrmärkten zu verhindern, theils um die Freiheit des Marktbesuches mit anderen Bestimmungen des Gesetzes in Einklang zu bringen, mannigfachen Beschränkungen unterworfen. Allein ganz abgesehen hievon kommt hier zu bemerken, daß der obenerwähnte Grundsatz der Freiheit des Besuches und des freien Verkehrs auf den Märkten schon im Gesetze selbst nicht für alle Gattungen von Märkten ausgesprochen ist, sondern, wie sich aus § 64 Abs. 1 des Gesetzes zweifellos ergibt, nur für die Messen, Jahr- und Wochenmärkte, nicht aber für die oben unter Ziff. 3 aufgeführten Spezialmärkte.

Diese letztgenannten Märkte sind an die Vorschriften der §§ 64 mit 69 der R.G.O. nicht gebunden, sondern in dieser Richtung bestimmt § 70 l. c., daß es bei den bestehenden Anordnungen sein Bewenden hat. Für die Spezialmärkte verbleibt es demnach nach der citirten Gesetzesstelle bei den bis zur Einführung der R.G.O. bestandenen landesgesetzlichen Bestimmungen. Was im Allgemeinen unter diesen zu verstehen ist, ergibt sich aus § 155 der R.G.O., welcher bestimmt, daß, wo in diesem Gesetze auf die Landesgesetze verwiesen ist, unter letzteren auch die verfassungs- oder gesetzmäßig erlassenen Verordnungen verstanden werden. Nach Abs. 2 des § 70 der R.G.O. ist sodann auch noch ausdrücklich bestimmt, daß Erweiterungen dieses Marktverkehrs, also des Verkehrs auf Spezialmärkten, von der zuständigen Behörde mit Zustimmung der Gemeindebehörde angeordnet werden können.

Zu diesen Spezialmärkten gehören unbestritten die sogenannten Kirchweihmärkte, und ein solcher steht hier in Frage. Für diese Märkte ist demnach durch die Bestimmungen der R.G.O, nicht nur keine Aenderung in deren rechtlicher Beurtheilung eingetreten, sondern durch das erwähnte Reichsgesetz ausdrücklich das Fortbestehen der bisherigen Gesetzgebung angeordnet, und demgemäß die Bestimmung des Art. 24 des b. Gew.-Ges v. 30. Jan. 1868, wornach die Einführung neuer Messen und Märkte von der Genehmigung der Regierung abhängig bleibt, dann der Art. 146 des P.St.G.B. v. 1871, soweit er den Erlaß ortspolizeilicher Vorschriften über Spezialmärkte regelt, aufrecht erhalten, und lediglich die Strafvorschrift des letztgenannten Artikels durch § 149 Ziff. 6 der R.G.O. ersetzt worden.

Ueber die Zuständigkeit zur Genehmigung der Einführung, [168] Erweiterung und Abänderung der Messen und Märkte enthält nun der § 29 der zum Vollzuge der R.G.O. in Bayern unterm 4. Dezember 1872 erlassenen allerh. Verordnung die näheren Bestimmungen. Dieser § 29 ist zwar zunächst zu § 65 der R.G.O. erlassen, da er jene Verwaltungsstellen und Behörden namhaft macht, welche zur Verleihung der Marktrechte befugt sein sollen; indem er aber in seinen 5 Absätzen auch die Vorschriften des § 2, des § 4 Abs. 2 und des § 8 der über den Marktverkehr unterm 23. Juni 1868 erlassenen k. Verordnung (vgl. Reg.-Bl. v. 1868 S. 1029) wiederholt, beschäftigt er sich auch mit den Spezialmärkten, und bestimmt in seinem 4. Absatze:

„An Kirchweihen und Patrocinien kann unter Beachtung der bisherigen Ortsgewohnheit von der Ortspolizeibehörde den in der Gemeinde selbst wohnhaften Gewerbetreibenden das Feilhalten von Gegenständen ihres Gewerbes in Buden und Ständen gestattet werden.“

Auf einem Kirchweihmarkte in Bayern ist also zum Feilhalten in Buden und Ständen und mithin zum Bezug des Marktes erforderlich:

1. eine ortspolizeiliche Bewilligung, und darf diese
2. nur den in der Gemeinde selbst wohnhaften Gewerbtreibenden, und auch diesen
3. nur insoweit ertheilt werden, als sie Gegenstände ihres Gewerbes feilhalten.

Die in den Entscheidungsgründen des bezirksgerichtlichen Urtheils vertheidigte Ansicht, daß der Besitz eines Legitimationsscheins zum Hausiren zur Aufstellung eines Verkaufstisches auf einem derartigen Markte berechtige, ist demnach eine vollständig irrige. Der ebenerwähnte vom Bezirksgerichte A. aufgestellte Satz würde auch noch zu der Consequenz führen, daß dann auch unabhängig von dem Bestehen eines Marktes gleichzeitig mehreren Hausirern die Aufstellung von Buden, Tischen u. s. w. auf demselben öffentlichen Platze eines Ortes gestattet sein müßte, und daß auf diese Weise neue Märkte aller Art von beliebiger Dauer entstehen könnten, während doch sowohl § 65 Abs. 1 der R.G.O. als auch § 29 der a. h. Verordn. vom 4. Dezember 1872 eine behördliche Bewilligung hiezu in der Richtung auf die Neueinführung, auf Zahl, Zeit und Dauer aller Messen und Märkte absolut gebietet.

Wenn in den bezirksgerichtlichen Entscheidungsgründen weiter noch die Ansicht ausgesprochen wird, daß sich die Vorschrift in § 29 Abs. 4 der V.O. vom 4. Dez. 1872 zu einer Anschuldigung aus § 146 Ziff. 6 der R.G.O. deßhalb nicht verwenden lasse, weil für die dort bezeichneten Spezialmärkte die Genehmigung des Ministeriums im Voraus ertheilt werde, und weil die Ertheilung [169] der Bewilligung lediglich in das Ermessen der Ortspolizeibehörde gelegt werde, im gegebenen Falle aber nicht constatirt sei, daß in C. die Ortspolizeibehörde bei den Kirchweihen von § 29 Abs. 4 der cit. V.O. Gebrauch gemacht, oder daß dort überhaupt eine Ortsgewohnheit bestanden habe, der Besuch der Messen, Wochen- und Jahrmärkte aber schon nach § 64 Abs. 1 der R.G.O. einem Jeden mit gleichen Befugnissen freistehe, eine Marktordnung für die Kirchweihverkäufe nicht erlassen sei, und aus der Aufrechthaltung einer Befugniß bezüglich der Ortsangehörigen eine Beschränkung der gesetzlichen Rechte der zum Gewerbebetriebe im Umherziehen Ermächtigten nicht gefolgert werden könne, weil die Verordnung vom 4. Dez. 1872 eine solche nicht hätte herbeiführen können, da das Reichsgesetz den partikularrechtlichen Vollzugsverordnungen vorgehe, so muß auch diese Ansicht als eine irrthümliche reprobirt werden. Wie oben schon ausgeführt ist, handelt es sich hier um einen Spezialmarkt, welcher der reichsgesetzlichen Regelung überhaupt nicht unterliegt, und für welche insbesondere die Regel des § 64 Abs. 1 der R.G.O. nicht gilt. Die bayr. Staatsregierung war daher berechtigt, die Vorschriften, welche in Abs. 4 des § 29 der V.O. vom 4. Dez. 1872 ihren Ausdruck gefunden haben, zu erlassen. Diese Anordnung widerspricht nicht nur keiner reichsgesetzlichen Bestimmung, sondern ist vielmehr durch § 70 der R.G.O. selbst gedeckt. Demgemäß konnte die Ortspolizeibehörde in C. anderen Gewerbetreibenden als den daselbst wohnhaften das Feilhalten von Gegenständen in Buden und Ständen gelegentlich der Kirchweihe daselbst gar nicht gestatten, weil ja sonst der betreffende Markt seiner Eigenschaft als Spezialmarkt entkleidet worden wäre. Aus diesem Grunde ist es auch gleichgiltig, ob für den fraglichen Spezialmarkt in C. von der Ortspolizeibehörde eine Marktordnung erlassen worden ist, oder nicht, und ob überhaupt die Etablirung eines Spezialmarktes am fraglichen Tage von der genannten Behörde gestattet war; denn im bejahenden Falle konnte sich die Erlaubniß auf Grund der Verordnung nur auf die in C. Einheimischen erstrecken, zu welchen die Beschuldigten nicht gehören; im verneinenden Falle dagegen haben dieselben dadurch, daß sie ohne ortspolizeiliche Erlaubniß in Buden und Ständen in C. am genannten Tage ihre Waaren feilgehalten haben, eigenmächtig einen Markt etablirt, und sich aus diesem Grunde aus § 149 Ziff. 6 der R.G.O. strafbar gemacht.

Das k. Bezirksgericht A. hat daher dadurch, daß es durch Verwerfung der gegen das erstrichterliche Urtheil erhobenen staatsanwaltschaftlichen Berufung die vom Erstrichter ausgesprochene Freisprechung der 4 Beschuldigten aufrecht erhalten hat, anstatt dieselben wegen je einer Uebertretung aus § 70 und 149 Ziff. 6 [170] der R.G.O., beziehungsweise § 29 der a. h. V.O. vom 4. Dez. 1872 zu bestrafen, die angezogenen Gesetzesstellen durch Nichtanwendung, dann den Art. 324 des St.P.G. vom 10. Nov. 1848 durch unrichtige Anwendung verletzt.