Oberappellationsgericht München – Spanische Fliege

Textdaten
Autor: Oberappellationsgericht München
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Titel: Mittheilung oberstrichterlicher Erkenntnisse
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1879, Nr. 13, Seite 175–178
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Kurzbeschreibung: Unerlaubte Weitergabe eines apothekenpflichtigen Präparates
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[175]

Der oberste Gerichtshof des Königreichs hat in seiner öffentlichen Sitzung vom 5. April l. Js. in Sachen gegen J. B. E. wegen unbefugter Abgabe von Arzneien zu Recht erkannt:

Das Urtheil des k. Bezirksgerichts K. vom 24. Januar 1879 wird vernichtet, die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Aburtheilung an einen anderen Senat des genannten Gerichtes verwiesen, und der Eintrag des gegenwärtigen Erkenntnisses in das Urtheilsbuch des Bezirksgerichts K. verordnet.

Aus den Gründen dieses Erkenntnisses ist Folgendes hervorzuheben: Durch die Instanzgerichte ist thatsächlich festgestellt, daß der [176] Beschuldigte, welcher als Privatier in St. lebt, am 28. Oktober v. Js. zur Heilung eines auf dem Wege plötzlich erkrankten und in die Stallung der Schloßbräuerei zu St. gebrachten Pferdes die sogenannte Cantharidensalbe – spanische Fliegen – angewendet und zur Fortsetzung der von ihm begonnenen Kur dem Eigenthümer des Pferdes den benöthigten Vorrath von dieser Arznei überlassen hat. Trotz dieser Feststellung ist nun das Berufungsgericht zu einer Freisprechung des E. von der demselben wegen dieser That zur Last gelegten Übertretung des § 367 Ziff. 3 des R.St.G.B. und zwar aus dem Grunde gelangt, weil es weiter noch angenommen hat, daß E. für die Ueberlassung der genannten Arznei keine Bezahlung erhalten, sondern diese ärztliche Hilfe unentgeltlich nur aus Gefälligkeit und weil augenblickliche Hilfe nöthig gewesen, geleistet hat.

Aus dieser letztaufgeführten Thatsache kann die erfolgte Freisprechung aber nicht gerechtfertigt werden. Nach § 367 Ziff. 3 des R.St G.B. wird bestraft, wer ohne polizeiliche Erlaubniß Gift oder Arzneien, soweit der Handel mit denselben nicht freigegeben ist, zubereitet, feilhält, verkauft oder sonst an Andere überläßt.

Der § 6 Abs. 2 der Reichsgew.-O. erklärt, daß eine Verordnung des Bundespräsidiums bestimmen wird, welche Apothekerwaaren dem freien Verkehre überlassen sind.

Die in dieser Richtung erlassene kaiserliche Verordnung vom 4. Januar 1875, den Verkehr mit Arzneimitteln betreffend, bestimmt in § 1, daß das Feilhalten und der Verkauf der in dem der Verordnung anliegenden Verzeichnisse A aufgeführten Zubereitungen als Heilmittel nur in Apotheken gestattet, und in § 2, daß auch das Feilhalten und der Verkauf der in dem der Verordnung anliegenden Verzeichnisse B aufgeführten Droguen und chemischen Präparate ebenfalls nur in Apotheken erlaubt ist.

Unter den in dem ebenerwähnten Verzeichnisse B aufgeführten chemischen Präparaten befinden sich: Chantaridesspanische Fliegen – und unter den im Verzeichnisse A aufgezählten Zubereitungen alle Arzneisalben – Unguenta medicinalia – mit Ausnahme von Pappelpomade, Cold-Cream und Lippenpomade.

Die von dem Beschuldigten zur besagten Pferdekur verwendete und dem Eigenthümer des Pferdes überlassene Chantaridensalbe ist mithin eine Arznei oder ein chemisches Präparat, deren Feilhaltung nur in Apotheken gestattet ist, und welche demnach ohne polizeiliche Erlaubniß nicht an Andere überlassen werden darf.

Da nun festgestellt ist, daß der Beschuldigte ohne polizeiliche [177] Erlaubniß eine derartige Salbe an den Eigenthümer des genannten Pferdes überlassen hat, so ist hiedurch der Thatbestand einer Uebertretung des § 367 Ziff. 3 des R.St.G.B. erschöpft.

Mit Unrecht hat das Berufungsgericht dem Thatumstande, daß die Überlassung im gegebenen Falle eine unentgeltliche, nur aus Gefälligkeit in einem Nothfalle geleistete gewesen ist, einen für die Beantwortung der Schuldfrage bestimmenden Einfluß eingeräumt.

Die Unterscheidung, welche das Bezirksgericht K. zwischen entgeltlicher und unentgeltlicher Überlassung der im § 367 Ziff. 3 des R.St.G.B. bezeichneten Arzneien an Andere gemacht hat, und die Behauptung, daß die Zubereitung oder Überlassung derartiger Präparate in eigennütziger Absicht geschehen sein müsse, um unter die genannte Bestimmung des R.St.G.B. subsumirt werden zu können, ist irrig und findet weder in dem Wortlaute noch in dem Zwecke und der Absicht des Gesetzes eine Unterstützung.

Schon nach dem Wortlaute der in Frage stehenden gesetzlichen Vorschrift: „Wer . . .verkauft oder sonst an Andere überläßt . . ." kann darüber kein Zweifel bestehen, daß nicht bloß der Handel, sondern jede – sei es käufliche, sei es nicht käufliche Ueberlassung der fraglichen Arzneien an Andere von einer polizeilichen Erlaubniß hat abhängig gemacht werden wollen.

Auch Zweck und Absicht des Gesetzes sprechen aber für diese Interpretation; das Verbot des unkonzessionirten Ausgebens von Arzneien, deren Verkauf nur den Apothekern gestattet ist, deren Zubereitung mithin kunst- und sachverständige Kenntnisse voraussetzt, soll dem Publikum polizeilichen Schutz gewähren gegen die Folgen des Mißbrauchs medizinischer Substanzen, deren zweckwidrige Verwendung Leben und Gesundheit zu gefährden geeignet ist.

Es ergibt sich dieses schon aus der Zusammenstellung der dem Handel nicht freigegebenen Arzneien mit den Giften.

Auch die Entstehungsgeschichte des § 367 Ziff. 3 bietet hiefür einen Anhalt; derselbe ist nämlich hervorgegangen aus dem § 345 Ziff. 2 des preuß. St.G.B., welcher sich unter den Übertretungen in Beziehung auf die persönliche Sicherheit, Ehre und Freiheit aufgeführt findet. 

Der Zweck des Gesetzes würde demnach nur sehr unvollständig erreicht werden, wenn blos die entgeltliche Ueberlassung von Giften und Arzneien der fraglichen Art von einer polizeilichen Erlaubniß abhängig gemacht sein sollte.

Hiezu kommt, daß der Grund der Strafandrohung des § 367 Ziff. 3 nicht blos in diesen gesundheitspolizeilichen, sondern auch noch in gewerbspolizeilichen Rücksichten liegt. [178]

Vgl. auch das Plenar-Urtheil des ob. G.H. v. 28. Okt. 1874 U.B. Nr. 450 (neue Samml. Bd. IV S. 490 u. folg., insbes. S. 494).
Urth. des o. G.H. v. 18. Aug. 1877 – U.B. Nr. 511 (neue Samml. Bd. VII S. 386 u. ff., insb. S. 394),
Urth. des o. G.H. vom 3. Mai 1878 – U.B. Nr. 224 (neue Samml. Bd. VIII S. 215 u. ff.),
k. a.h. VO. v. 25. April 1877, die Zubereitung und Feilhaltung von Arzneien betr. (G. u. VO.Bl. v. 1877 S. 235).
Erk. des k preuß. Obertrib. v. 8. Okt. 1875 (mitgetheilt in Goltdammer’s Arch. Bd. XXIII S, 555 u. 556).

Das k. Bezirksgericht K. hat daher durch diese zu enge Auslegung des § 367 Ziff. 3 des R.St.G.B. und die dadurch herbeigeführte Nichtanwendung desselben auf den gegebenen Fall und die in Folge davon ausgesprochene Freisprechung des Beschuldigten das Gesetz, nämlich den genannten § 367 Ziff. 3 des R.St.G.B. durch Nichtanwendung und den Art. 324 des St.P.G. v. 10. Nov. 1848 durch unrichtige Anwendung verletzt und war demgemäß in Stattgebung der staatsanwaltschaftlich erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde das betreffende Urtheil zu vernichten, und in Gemäßheit des Art. 139 des Einf. Ges. v. 10. Nov. 1861, dann Art. 262 des St.P.G. v. 10. Nov. 1848 weiter zu erkennen, wie oben geschehen.