Oberappellationsgericht München – Frauen und Politik

Textdaten
Autor: Oberappellationsgericht München
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Titel: Mittheilung oberstrichterlicher Erkenntnisse
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1876, Nr. 12, Seite 138–140
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Kurzbeschreibung: Frauen ist nach der Landessitte die Teilnahme am politischen Vereinsleben verboten
Die Überschrift wird in der Transkription aus Gründen der Einheitlichkeit weggelassen.
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Der oberste Gerichtshof des Königreichs hat unterm 7. Februar 1876 in der Sache gegen I. B. in N. wegen Uebertretung des Vereinsgesetzes zu Recht erkannt, daß die von I. B. gegen das Urtheil des k. Bezirksgerichts N. vom 17. Dezember 1875 erhobene Nichtigkeitsbeschwerde verworfen werde, und zwar aus folgenden Gründen:

Die hier in Frage stehende Anschuldigung einer Uebertretung des Art. 5 (mit Art. 15) des Gesetzes vom 26. Februar 1850, die Versammlungen und Vereine betr., gründet sich darauf, daß I. B. als Leiter der am Sonntag den 25. Juli 1875 zu Sch. abgehaltenen Volksversammlung der von dem anwesenden Distriktspolizeikommissär an ihn ergangenen Aufforderung, die anwesenden Frauenspersonen zum Verlassen des Saales anzuhalten, keine Folge geleistet habe.

Der dieser Aufforderung zu Grunde liegende Art. 15 des allegirten Gesetzes bestimmt wörtlich:

Frauenspersonen und Minderjährige können weder Mitglieder politischer Vereine sein, noch den Versammlungen derselben beiwohnen.

Das Verbot ergeht also in zweierlei Richtungen, wobei selbstverständlich dem zweiten Verbote die Voraussetzung unterstellt sein muß, daß zu Versammlungen politischer Vereine nicht oder doch nicht immer blos Vereinsmitglieder, sondern auch andere Personen, überhaupt Nichtmitglieder zugelassen werden, beziehungsweise auch an solche oder an das Gesammtpublikum die Einladung ergeht.

Der Grund des im Art. 15 enthaltenen Verbotes liegt nach der Natur der Sache und nach einzelnen, in den betreffenden Landtagsverhandlungen deßfalls enthaltenen Bemerkungen darin, daß der Ausschluß der Frauenspersonen von politischen Verhandlungen durch Landessitte und Sittlichkeit geboten erscheine,

(vgl. vom Landtage 1849 die Verhandlungen der Kammer d. Reichsräthe, Beil.-Bd. 3. S. 319 zu Art. 14 nun 15. Vhdlgn. der Kammer d. Abg, Beil.-Bd. 3, Ausschußbericht S. 33 lks. zu Art. 14, etc. etc)

und es erscheint hiedurch besonderer Anlaß gegeben, bei der Anwendung der fraglichen Prohibitivbestimmung vorzugsweise deren eigentlichen Grund, nemlich die in der Natur der Sache gelegene Unstatthaftigkeit der Theilnahme weiblicher Personen an politischen Verhandlungen in’s Auge zu fassen, so daß nach dieser Erwägung in Verbindung mit der einsprechenden Würdigung des Wortlautes des Gesetzes eine Versammlung als die eines politischen Vereins im Sinne des Art. 15 dann anzuerkennen ist, wenn dieselbe von einem politischen Vereine ausgehend öffentliche Angelegenheiten zu [139] Zwecken des Vereins verhandelt, beziehungsweise zu verhandeln bestimmt ist, wobei es als gleichgültig erscheint, ob zu dieser Versammlung lediglich an die Vereinsmitglieder oder auch an deren sonstige Gesinnungsgenossen oder an das Gesammtpublikum die Berufung beziehungsweise Einladung ergeht, und ob diese Versammlung als Vereins- oder als Volksversammlung angezeigt wird.

Nun hat das k. Bezirksgericht festgestellt, daß die obenerwähnte Versammlung von dem Schuhmacher G., einem Mitgliede der sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschlands, durch eine in einem Zeitungsorgane dieser Partei erschienene Einladung an Gesinnungsgenossen – einberufen, als Tagesordnung das Programm dieser Partei etc. angezeigt, die Versammlung selbst von I. B., einem Mitgliede des Vereins als erstem Vorstande geleitet, auch nur von Mitgliedern des Vereins daselbst gesprochen worden ist, und daraus die Folgerung gezogen, daß, wie auch dort Jedermann angenommen habe, die fragliche Versammlung eine veranstaltete Zusammenkunft der Mitglieder jenes allgemeinen politischen Vereins und für die Interessen des letzteren bestimmt gewesen sei.

Diese Schlußfolgerung erscheint auch im Allgemeinen als gerechtfertigt; denn wenn auch durch die vorliegende Feststellung keine genügenden Anhaltspunkte für die Annahme gegeben sind, daß zu jener Zeit in dortiger Gegend eine Vereinigung der Mitglieder der mehrbezeichneten Arbeiterpartei in der Art bestanden habe, daß dieselbe als ein eigener, lokalisirter Verein zu betrachten wäre, so bildet doch die sozialdemokratische Arbeiterpartei selbst einen einheitlich organisirten über ganz Deutschland verbreiteten politischen Verein, nach dessen Organisation die einzelnen Mitglieder und Mitgliedervereinigungen für die Zwecke des Vereins in bestimmten Richtungen zu wirken, dabei an den einzelnen Orten zeitweise Versammlungen abzuhalten haben u. s. w.

Vgl. das in der Denkschrift selbst in Bezug genommene, in der neuen Sammlung oberstrichterlicher Entscheidungen, Bd. IV. S. 429 ff., veröffentlichte Erkenntniß des obersten Gerichtshofes vom 13. Oktober 1874 in der Sache gegen Grillenberger, Baumann u. And. wegen Verfehlung gegen das Vereinsgesetz.

Steht aber hienach fest, daß die in Frage stehende Versammlung von einem Mitgliede des politischen Vereins der sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Ausführung einer den Parteigenossen obliegenden allgemeinen Verpflichtung zur Erfüllung der Zwecke des Vereins berufen, ferner von einem Mitgliede desselben Vereins geleitet, und darin die Erörterung öffentlicher Angelegenheiten dem Vereinsinteresse entsprechend erfolgt ist, so sind jene Erfordernisse der Ausgehung der Versammlung von einem politischen Vereine [140] zum Behufe der Verfolgung der Zwecke dieses Vereins in jener Versammlung vollständig gegeben, so daß dieselbe als die Versammlung eines politischen Vereins im Sinne des Art. 15 l. c. mit Recht betrachtet worden ist.

Es war deßhalb auch die fragliche Aufforderung des Distriktspolizeikommissärs, die Frauenspersonen aus dieser Versammlung auszuweisen – gesetzlich begründet und das k. Bezirksgericht hat auf die erfolgte Weigerung des Leiters der Versammlung, dieser Anordnung Folge zu leisten, das Gesetz in den Art. 5, 15 und 20 des Vereinsgesetzes richtig angewendet.