Oberappellationsgericht München – Entkommener Arrestant

Textdaten
Autor: Oberappellationsgericht München
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Titel: Mittheilung oberstrichterlicher Erkenntnisse
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1875, Nr. 50, Seite 672–673
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Kurzbeschreibung: Gemeindediener lässt Arrestanten unberechtigt frei
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[672]

Der vormalige Gemeindediener J. B. von O. hatte einen ihm anvertrauten Arrestanten auf dem Transporte vorsätzlich entweichen lassen und wurde deshalb durch Urtheil des k. Bez.-Gerichts T. vom 7. Juli l. Js. wegen Verbrechens im Amte unter Annahme mildernder Umstände zu 4 Monaten Gefängniß verurtheilt.

Seine hiegegen eingewendete Berufung hat das k. App.-Gericht M. durch Urtheil vom 2. Oktober l. Js. verworfen und gleiches Schicksal hatte die gegen dieses Urtheil erhobene Nichtigkeitsbeschwerde.

In dem oberstrichterlichen Urtheile vom 6. November 1875 wird bemerkt:

In der Denkschrift wird zwar geltend gemacht, dem Beschuldigten liege keine strafrechtliche Handlung zur Last, weil der Auftrag an den Gemeindediener J. B. zur Verbringung des wegen Diebstahlsverdachtes festgenommenen P. C. an die Gendarmeriestation F. nicht vom Bürgermeister in O, sondern vom Beigeordneten J. M. daselbst ertheilt worden, letzterer aber hiezu vom Bürgermeister keinerlei Ermächtigung gehabt habe und ohne solche dem Auftrage keine amtliche Wirksamkeit zukomme, daher auch nicht gesagt werden könne, der Gefangene P. C. sei dem Gemeindediener J. B. zum Transporte nach F. im Sinne des §. 347 des R.-St.-G.-B. anvertraut worden.

Diese Einwendungen beruhen jedoch auf einer irrigen Auffassung der in der Denkschrift angezogenen Bestimmungen der Gemeindeordnung vom Jahre 1869. Durch Art. 138 ist die Handhabung der Ortspolizei allerdings zunächst dem Bürgermeister übertragen und es dürfen nach Art. 139 der Beigeordnete und beziehungsweise die Gemeindebevollmächtigten nur auf Anordnung des Bürgermeisters polizeilichen Geschäften sich unterziehen.

Allein die Vorschrift im Art. 138 setzt voraus, daß der Bürgermeister vorkommendenfalls ortsanwesend und somit in der Lage sei, die Polizeigewalt persönlich zu handhaben.

Anders verhält es sich, wenn der Bürgermeister ortsabwesend oder sonst verhindert ist, denn in dieser Beziehung hat der Art. 125 Abs. 3 der Gem.-O. besondere Bestimmungen getroffen und ausdrücklich vorgeschrieben, daß in Verhinderungsfällen der Bürgermeister durch den Beigeordneten und wenn auch dieser verhindert ist, durch den dienstältesten Gemeindebevollmächtigten zu vertreten ist.

Nachdem diese Vorschrift einen allgemeinen Grundsatz aufstellt, so hat derselbe in Verhinderungsfällen bezüglich aller dem [673] Bürgermeister zugewiesenen Geschäftszweige Anwendung zu finden, ohne Rücksicht darauf, ob eine eigentliche Gemeindeangelegenheit oder die Handhabung der Ortspolizeigewalt oder eine anderweitige gemeinbeamtliche Funktion in Frage steht.

Im angefochtenen Urtheile ist nun festgestellt, daß am 16. Januar l. J., an welchem Tage der Arbeiter P. C. festgenommen war, der Bürgermeister von O. ortsabwesend und seine inzwischen erfolgte Rückkunft im kritischen Zeitpunkte nicht bekannt gewesen sei. Angesichts dieser thatsächlichen Verhältnisse kann kein Zweifel obwalten, daß der Beigeordnete J. M. gesetzlich berufen und ermächtigt war, in Vertretung des Bürgermeisters zu handeln und dem Gemeindediener J. B. den Transport des Gefangenen P. C. nach F. zu übertragen.

Wenn nun J. B., wie konstatirt ist, den ihm anvertrauten Arrestanten auf dem Transporte vorsätzlich entweichen ließ, so wurde in dieser Handlungsweise vom k. Appellationsgerichte mit Recht das in § 347 des R.-St.-G.-B. bezeichnete Verbrechen erblickt und es kann daher nicht entfernt davon die Rede sein, daß das Verfahren des genannten Gemeindedieners straflos erscheine.