Oberappellationsgericht München – Anlegung von Düngerstätte
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Durch Strafverfügung des k. Landgerichts München l./J. vom 15. November 1872 wurde gegen den Bauern Michael S. v. A. auf Grund der Beschuldigung, daß er in jüngster Zeit vor seiner Behausung eine bis auf die vorüberführende Vicinalstraße sich erstreckende Düngerstätte angelegt und dadurch gegen die oberpolizeiliche Vorschrift vom 1. Juli 1872 und §. 366 Ziff. 10 des R.-St.-G.-B. sich verfehlt habe, eine Geldstrafe von einem Thaler (für den Fall der Uneinbringlichkeit umgewandelt in eine Haft von einem Tage) ausgesprochen.
Nachdem Michael S. gegen diese Strafverfügung Einsprache erhoben hatte, wurde derselbe durch Urtheil des k. Landgerichts München l/I. vom 10. Jänner 1873 von der erhobenen Anschuldigung unter Ueberbürdung der Kosten auf das k. Aerar freigesprochen, wobei das k. Landgericht in Betracht zog, daß die fragliche Düngerstätte, welche nach den gepflogenen Erhebungen im Widerspruche mit den in den oberpolizeilichen Vorschriften vom 1. Juli 1872 gegebenen Normen unmittelbar an die beim S.’schen Anwesen vorüberführende Straße stoße, nicht erst jetzt angelegt worden sei, sondern in ihrem dermaligen Zustande schon seit Jahren bestehe; daß die besagten oberpolizeilichen Vorschriften sich nur auf Düngerstätten bezögen, welche neu angelegt werden und daß eine Aufforderung zur Umlegung der alten Düngerstätte seitens der Verwaltungsbehörden bisher an den Beschuldigten nicht ergangen wäre.
Die von dem Vertreter der Staatsanwaltschaft hiegegen ergriffene Berufung wurde von dem k. Bezirksgerichte München l/J. mit Urtheil vom 8. März 1873 verworfen unter Ueberweisung der Kosten 2. Instanz auf die k. Staatskasse. – Das k. Bezirksgericht ging hiebei, in Uebereinstimmung mit dem Gerichte 1. Instanz zunächst von der Erwägung aus, daß die erwähnten oberpolizeilichen Vorschriften auf bereits bestehende Düngerstätten keine Anwendung fänden und fügte noch weiter bei, daß die erhobene staatsanwaltschaftliche Berufung im Hinblick auf §. 59 R.-St.-G.-B. auch aus dem Grunde nicht gerechtfertigt erscheine, weil der Beschuldigte bei der großen Zweifelhaftigkeit der oberpolizeilichen Vorschriften die Strafwürdigkeit seiner Abänderungsunterlassung nicht gekannt habe, sohin das zum Begriffe des Reats erforderliche Bewußtsein der Widerrechtlichkeit ausgeschlossen sei.
Gegen letzteres Urtheil meldete der II. Staatsanwalt am k. Bezirksgerichte noch an dem nemlichen Tage die Nichtigkeitsbeschwerde an, weil durch irrige Auslegung der oberpolizeilichen Vorschriften vom 1. Juli 1872 und Nichtanwendung des §. 366 [446] Z. 10 R.-St.-G.-B. sowie durch irrige Anwendung des § 59 R.-St.-G.-B. auf die von dem Beschuldigten behauptete Unkenntniß der gedachten Vorschriften das Gesetz verletzt worden sei.
Durch Erkenntniß des obersten Gerichtshofes vom 16. April l. Js. wurde das Urtheil des k. Bezirksgerichts München l/J. vom 8. März 1873 vernichtet, und zwar aus folgenden Gründen:
Die auf Grund des § 366 Z. 10 R.-St.-G.-B., Art. 2 Z. 6 und Art. 90 P.-St.-G.-B. vom 26. Dezember 1871 erlassenen oberpolizeilichen Vorschriften für den Regierungsbezirk Oberbayern vom 1. Juli 1872 bezwecken, wie aus deren Ueberschrift und Inhalt hervorgeht, die Erhaltung der Sicherheit, Bequemlichkeit und Ruhe des Verkehrs auf den öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen. Wenn in § 2 dieser Vorschriften verordnet ist, daß Düngerstätten an öffentlichen Wegen und Straßen nicht näher als einen Meter von dem äußersten Rande des Straßengrabens oder, wo ein solcher nicht besteht, der Fußbank angelegt werden dürfen, so wollte hiemit eine allgemeine Maßregel in Betreff aller in der Nähe öffentlicher Wege und Straßen gelegenen Düngerstätten getroffen werden. Es wird deshalb durch erwähnten § 2 nicht die Neuanlage, sondern die Anlage von Düngerstätten überhaupt in allzugroßer Nähe öffentlicher Straßen und Wege untersagt und ist diese Bestimmung dahin aufzufassen, daß in allen Fällen zwischen der Straße und den anliegenden Düngerstätten ein Raum von mindestens einem Meter bestehen soll, daß sohin die bereits vorhandenen näher gelegenen Düngerstätten auf die vorgeschriebene Entfernung zurückzuverlegen sind. Eine gegentheilige Anschauung ließe sich mit dem Zwecke, zu welchem die oberpolizeilichen Vorschriften erlassen wurden, nicht vereinen und würde mit denselben geradezu in Widerspruch stehen.
Nachdem nun aus den Urtheilen der Instanzgerichte hervorgeht, daß die Düngerstätte des Beschuldigten unmittelbar auf den an seinem Anwesen vorüberführenden öffentlichen Weg aufstößt, so ist hiemit ein Zustand festgestellt, welcher durch § 2 der oberpolizeilichen Vorschriften untersagt ist und beruht die Freisprechung, insoferne sie aus der Erwägung erfolgte, daß die fragliche Düngerstätte in ihrem dermaligen Zustande schon seit Jahren bestehe, aus irriger Auslegung obiger Vorschrift.
Aber auch die weitere, auf § 59 R.-St.-G.-B. gestützte Erwägung vermag die Freisprechung nicht zu rechtfertigen. Denn § 59 R.-St.-G.-B. verfügt nur, daß wenn Jemand bei Begehung einer strafbaren Handlung das Vorhandensein von Thatumständen nicht kannte, welche zum gesetzlichen Thatbestande gehören oder die Strafbarkeit erhöhen, diese Umstände ihm nicht zugerechnet werden sollen. Diese Gesetzesstelle beschäftigt sich sohin nur mit dem [447] thatsächlichen Irrthum und der Unkenntniß der Thatsachen, welche entweder die Strafbarkeit an sich bedingen oder erhöhen, während sie den Irrthum oder die Unkenntniß bezüglich strafrechtlicher Vorschriften nicht berührt. Aus diesem Schweigen des Gesetzes muß aber gefolgert werden, daß der Gesetzgeber dem Richter die Befugniß nicht einräumen wollte, den Irrthum über die Existenz oder den Sinn und die Tragweite strafrechtlicher Vorschriften in Berücksichtigung zu ziehen.
Das k. Bezirksgericht hat daher, indem es den Beschuldigten Michael S. von der erhobenen Anschuldigung freisprach, die §§ 366 Z. 10 und 59 R.-St.-G.-B., sowie den § 2 der oberpolizeilichen Vorschriften für den Regierungsbezirk Oberbayern vom 1. Juli 1872 verletzt und es war demgemäß zu erkennen, wie geschehen in Anwendung des Art. 139 E. G. vom 10. November 1861.