Oberappellationsgericht München – Überschreitung Bahndamm

Textdaten
Autor: Oberappellationsgericht München
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Titel: Mittheilung oberstrichterlicher Erkenntnisse
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aus: Amtsblatt des K. Staatsministeriums des Innern, Königreich Bayern, Band 1879, Nr. 8, Seite 111–116
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Kurzbeschreibung: Überschreitung eines Bahndammes an verbotener Stelle mit Sachbeschädigung
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[111]

Der oberste Gerichtshof des Königreichs erkannte am 7. Februar 1879 in Sachen gegen N. N. von K. wegen Sachbeschädigung und Uebertretung bahnpolizeilicher Vorschriften zu Recht:

die von N. N. gegen das Urtheil des k. Bezirksgerichts P. vom 19. Dezember 1878 erhobene Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen und Beschwerdeführer in die hiedurch veranlaßten Kosten verurtheilt.
Gründe.

Durch Urtheil des k. Landgerichts P. vom 17. Okt. 1878 ist N. N., Bauer von K., bezüglich der Anschuldigung von 7 Vergehen der Sachbeschädigung zum Schaden des k. bayer. Eisenbahnärars und 6 Uebertretungen des unbefugten Ueberschreitens des Eisenbahnkörpers unter Ueberbürdung der Kosten auf das k. Aerar freigesprochen worden.

Auf von Seite der Staatsbehörde gegen dieses Urtheil erhobene Berufung hat das k. Bez.-Gericht P. den Beschuldigten mit Urtheil vom 19. Dez. 1878 wegen 6 Vergehen der Sachbeschädigung zum Schaden des k. bayer. Staatsärars in sachlichem Zusammenfluße mit einer fortgesetzten Uebertretung bahnpolizeilicher Vorschriften und zwar wegen der Vergehen in eine Geldstrafe von 60 Mark, für den Fall der Uneinbringlichkeit in 12tägiges Gefängniß umgewandelt, wegen der Uebertretung dagegen in eine im Falle der Uneinbringlichkeit in 2tägige Haft umgewandelte Geldstrafe von 10 Mark, sohin in eine Gesammtgeldstrafe von 70 Mark und in die Kosten des Verfahrens 1. Instanz und des Strafvollzugs verurtheilt, die Kosten der 2. Instanz dagegen der k. Staatskasse überbürdet.

Gegen dieses Urtheil hat N. N. am 21. Dezember 1878 das Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet.

In einer Denkschrift wird auszuführen versucht, daß das Berufungsgericht die zur Rechtfertigung der ergangenen Entschädigung angeführten Gesetzesstellen dadurch verletzt habe, daß es sie auf Fälle in Anwendung brachte, auf welche sie nicht passen, und [112] wird unter der Behauptung, daß der Beschuldigte im gegebenen Falle zu den ihm zur Last gelegten Handlungen gesetzlich berechtigt gewesen sei, um Vernichtung des bezirksgerichtlichen Erkenntnisses und Freisprechung des Beschuldigten gebeten.

Die nach Art der eingelegten Beschwerde veranlaßte allgemeine Prüfung der Sache hat nun ergeben, daß im Verfahren 2. Instanz keine wesentliche Förmlichkeit des Prozesses verletzt, und daß auch das Gesetz auf die festgestellten Thatsachen richtig angewendet worden ist.

Der in das 6. Hauptstück des PStGB. vom 26. Dez. 1871, welches die Ueberschrift führt: „Uebertretungen in Bezug auf Leben und Gesundheit“, aufgenommene Art. 88 bestimmt, daß bestraft wird, wer den oberpolizeilichen Vorschriften über Schutz der Eisenbahnen und des Bahnbetriebs zuwiderhandelt.

Eine derartige oberpolizeiliche Vorschrift ist die vom k. Staatsministerium des k. Hauses und des Aeußern unterm 1. Jan. 1872 unter Bezugnahme auf Art. 88 des PStGB. erlassene und im Regierungsblatte publizirte den Schutz und die Aufrechthaltung des Eisenbahnbetriebs betreffende Bekanntmachung, welche in Ziff. 1 bestimmt, daß derjenige straffällig ist, welcher die Eisenbahn an anderen als den Uebergangsstellen als Fußgänger, Reiter oder mit Wagen oder Schubkarren überschreitet.

Das k. Bezirksgericht P. hat nun thatsächlich festgestellt, daß der Beschuldigte innerhalb der letzten 3 Monate zu wiederholten Malen den in der Nähe seines Anwesens befindlichen Bahnkörper der von P. nach V. führenden Eisenbahn an einem Platze überschritten hat, an welchem sich keine Uebergangsstelle befindet.

Mit dieser Feststellung ist der Thatbestand einer Uebertretung der ebenerwähnten bahnpolizeilichen Vorschrift erschöpft, und stellt sich all dasjenige, was in der Denkschrift über das Bestehen eines angeblichen Privatrechts des Beschuldigten zur Ueberschreitung des Bahndammes an besagter Stelle erörtert wird, als völlig irrelevant dar.

Der Verfasser der Denkschrift behauptet nämlich, daß das Grundstück, durch welches jetzt die genannte Eisenbahn gebaut ist, mit einer dem Beschuldigten zustehenden Wegservitut belastet sei, daß der Eisenbahndamm den fraglichen Weg durchschneide, daß beim seinerzeitigen Eisenbahnbaue und den deßhalb eingeleiteten Expropriationsverhandlungen diese Servitut deren Besitzer nicht abgelöst, sondern diesem damals gestattet worden sei, seinen Weg an der betreffenden Stelle über den Eisenbahndamm zu nehmen, daß der Beschuldigte über 15 Jahre lang und so lange die in Frage stehende Bahn im Besitze der Ostbahngesellschaft gewesen sei, unbeanstandet an besagter Stelle den Bahndamm überschritten habe, [113] daß selbst nach Erlassung der Bekanntmachung vom 1. Jan. 1872 der Uebergang hier nicht verwehrt gewesen sei, und daß erst seit dem Verkaufe der Ostbahn an den Staat der Beschuldigte von den betreffenden Bahnbehörden an dem Uebergange des Bahnkörpers an der bisher von ihm begangenen Stelle gehindert und angehalten werden wolle, die Bahn an einer anderen in der Nähe befindlichen Stelle, woselbst eine förmliche Uebergangsstelle errichtet ist, zu überschreiten.

Wenn selbst alle diese Thatsachen sich in Richtigkeit verhalten würden, was hier nicht näher zu untersuchen ist, so würde dennoch eine Straffälligkeit des Beschuldigten wegen der ihm zur Last gelegten Uebertretung hiedurch nicht beseitigt werden können.

Daß unter einer „Uebergangsstelle“ im Sinne der obenerwähnten Ministerialbekanntmachung, welche den Schutz des Eisenbahnbetriebs bezweckt, nur ein von der betreffenden Bahnbehörde zu diesem Zwecke ausdrücklich bestimmter und durch die den Schutz des verkehrenden Publikums und des Bahnbetriebs bedingenden Vorrichtungen kenntlich gemachter Platz verstanden werden kann, bedarf keiner weiteren Ausführung.

Die gesetzliche Bestimmung, welche das Ueberschreiten einer Eisenbahn an einem andern Platze, als wo zu diesem Zwecke eine solche Uebergangsstelle errichtet ist, verbietet und unter Strafe stellt, leitet sich nicht, wie der Verfasser der Denkschrift irrthümlich zu glauben scheint, aus den Rechten des Eisenbahnunternehmens ab, sondern ist im öffentlichen Interesse erlassen, ist, wie schon ihre Quelle, der Art. 88 des PStGB. und dessen Stellung in dem Hauptstücke, welches die Uebertretungen in Bezug auf Leben und Gesundheit behandelt, beweist, eine Vorschrift zum Schutze des Eisenbahnbetriebs im Interesse der öffentlichen Sicherheit, mithin eine sicherheitspolizeiliche Vorschrift.

Die in Frage stehende Bestimmung entspringt demnach aus der Polizeigewalt des Staates.

In Ausübung dieser Gewalt steht aber dem Staate das Recht zu, im Interesse des öffentlichen Wohles und zum Schutze gegen dessen Beeinträchtigung innerhalb der vom Gesetze gezogenen Schranken den Privaten nicht blos in Beziehung auf ihr persönliches Thun und Lassen, sondern auch in Bezug auf den Gebrauch ihres Eigenthums Beschränkungen aufzuerlegen.

Ohne eine solche Befugniß wäre in vielen Fällen die Erreichung der Zwecke der staatlichen Polizeigewalt nicht möglich.

Mit Unrecht beruft sich der Beschwerdeführer auf die in der Verfassungs-Urkunde Tit. IV § 8 garantirte Sicherheit des Eigenthums[WS 1] und der Privatrechte.

Diese Stelle der Verfassungsurkunde ist nicht dahin zu verstehen, [114] daß dadurch auch jede Beschränkung der Benützung des Eigenthums und privatrechtlicher Nutzungsrechte an fremdem Eigenthume ausgeschlossen wäre.

Vgl. oberstr. Erk. v. 4. Okt. 1867. U. B. Nr. 407. (ält. Samml. Bd. I S. 389 ff.)
Vgl. oberst. Erk. v. 30. Okt. 1867. U. B. Nr. 463. (ält. Samml. Bd. I S. 436.)

Die Verordnung vom 1. Jan. 1872 steht daher weder mit den Bestimmungen der Verfassungsurkunde noch mit einem anderen Gesetze in Widerspruch, so daß sich mit Grund auch nicht auf Art. 10 des PStGB. berufen werden kann.

Der Strafrichter hatte sich nicht mit der Frage zu befassen, ob das im öffentlichen Interesse allgemein erlassene Verbot, die Eisenbahn an anderen als den Uebergangsstellen zu überschreiten, den Beschuldigten in der Ausübung eines Privatrechtes beschränkt, sondern hatte lediglich die Frage zu untersuchen, ob der Beschuldigte die Bahn an einer Stelle überschritten hat, an welcher sich keine Uebergangsstelle befindet. Gelangte derselbe zu einer Bejahung dieser Frage, so war er auch zur Bejahung der Schuldfrage und zum Strafausspruche berechtigt.

Der Umstand, daß N. N. zur Rechtfertigung der Ueberschreitung des Bahnkörpers an besagter Stelle auf einem privatrechtlichen Titel sich berufen zu können glaubt, berechtigte demnach diesen nicht, dem im Interesse der öffentlichen Sicherheit erlassenen polizeilichen Verbote zuwiderzuhandeln, und kann seinen Ungehorsam gegen die polizeiliche Vorschrift vor dem Strafrichter nicht entschuldigen.

Erachtet sich der Beschuldigte durch das Verbot in der Ausübung seines angeblichen Privatrechts beschränkt oder gehindert, so mag er deßhalb die hiezu competenten Civilbehörden um Schutz desselben angehen, und insoferne ihm nicht etwa ein früher schon geleisteter Verzicht entgegensteht, entweder im Hinblick auf die Bestimmungen des Art. II Ziff. 2 des Expropr.-Ges. v. 17. Nov. 1837 die Ablösung seines angeblichen Rechtes, oder falls der jetzige Eigenthümer des dienenden Grundstücks sich hiezu nicht versteht, die Errichtung einer Uebergangsstelle an dem fraglichen Platze verlangen.

Insolange aber diese Uebergangsstelle nicht errichtet ist, berechtigte selbst eine unbestritten ihm zustehende Wegservitut ihn nicht zum Ueberschreiten der Eisenbahn, und würde demgemäß seinen Ungehorsam gegen das polizeiliche Verbot nicht straflos machen.

Anlangend die 6 Vergehen der Sachbeschädigung, wegen deren N. N. verurtheilt worden ist, so hat das k. Bezirksgericht in dieser [115] Richtung thatsächlich festgestellt, daß, nachdem dem Beschuldigten unter Hinweis auf die Bestimmungen der Ministerialbekanntmachung vom 1. Jan. 1872 von der zuständigen Bahnbehörde wiederholt untersagt worden war, seinen Weg an der kritischen Stelle über den Bahnkörper zu nehmen, von der genannten Behörde an besagter Stelle auf dem Bahnkörper ein 2 Meter hoher Pallisadenzaun errichtet worden ist, und daß N. N. in der Nacht vom 31. August auf den 1. Sept. 1878 und noch an darauffolgenden 5 Tagen diesen Zaun nach jedesmal erfolgter Wiederaufrichtung desselben vorsätzlich und rechtswidrig zerstört hat.

Dadurch, daß das Berufungsgericht auf diese Thatsachen den § 303 des RStGB. angewendet und bei vorliegenden rechtsförmlich gestellten Strafanträgen den Beschuldigten auch wegen 6 Vergehen der Sachbeschädigung so wie geschehen, verurtheilt hat, hat es das Gesetz nicht verletzt.

In der Denkschrift wird die Rechtswidrigkeit der Handlung des Beschuldigten in Abrede gestellt und auszuführen versucht, daß der Beschuldigte auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen über Selbstschutz im Besitze nach Ldr. Th. II C. 5 § 8 Ziff. 1 zu der in Frage stehenden Handlung berechtigt gewesen sei.

Der Verfasser der Denkschrift übersieht aber hiebei, daß die eben citirte Stelle des bayer. Landrechts einen unrechtmäßigen Eingriff in den Besitzstand voraussetzt, während es im gegebenen Falle an dieser Voraussetzung gebricht.

Wie oben schon ausgeführt wurde, ist das Verbot des Ueberschreitens des Bahnkörpers an anderen Plätzen, als den hiezu errichteten sogenannten Uebergangsstellen eine vom Staate in Ausübung der Polizeigewalt im Interesse der öffentlichen Sicherheit zum Schutze des Eisenbahnbetriebs erlassene sicherheitspolizeiliche Vorschrift.

Wenn nun die betreffende Bahnbehörde zum Schutze des Vollzugs dieser Vorschrift und zur Brechung des Ungehorsams gegen dieselbe an einem Platze, welcher keine Uebergangsstelle ist, einen Zaun errichtet hat, welcher hier den Uebergang zu verhindern bestimmt ist, so kann sie hiemit wohl einen Eingriff in den Besitzstand eines Dritten begangen haben, allein dieser Eingriff ist kein unrechtmäßiger, weil sie ja gesetzlich dazu berufen ist, den Vollzug der zum Schutze des Eisenbahnbetriebs erlassenen gesetzlichen Bestimmungen zu überwachen und die diesen Betrieb gefährdenden Handlungen nach Möglichkeit zu verhindern, und die Aufrichtung des in Frage stehenden Zaunes demnach in rechtmäßiger Ausübung ihrer Befugnisse erfolgt ist.

Es ist daher vom Instanzgerichte mit Recht auch die Rechtswidrigkeit der dem Beschuldigten gegenüber in Bezug auf die Zerstörung [116] des Pallisadenzaunes festgestellten Handlungen angenommen worden.

Eine ausdrückliche Feststellung darüber, daß sich der Thäter bei der Zerstörung des Zaunes auch der Rechtswidrigkeit seiner Handlungen bewußt gewesen ist, ist in den bezirksgerichtlichen Entscheidungsgründen nicht gemacht; allein abgesehen davon, daß aus dem übrigen Inhalte der vom Berufungsgerichte bethätigten Feststellungen wenigstens mittelbar gefolgert werden muß, daß dasselbe auch dieses Bewußtsein des Beschuldigten als vorhanden angenommen hat, hat es auf diesen Thatumstand hier aus dem Grunde nicht weiter anzukommen, weil es sich im gegebenen Falle nur um einen Irrthum über die Existenz oder den Sinn und die Tragweite eines Strafgesetzes, nämlich der Bekanntmachung vom 1. Jan. 1872 handeln könnte, und ein solcher Rechtsirrthum die Strafbarkeit nicht ausschließt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: das Eigenthums