Textdaten
Autor: Johann Gottfried Herder
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Nemesis
Untertitel:
aus: Zerstreute Blätter (Zweite Sammlung) S. 213–272
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1786
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Gotha
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Googleund Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[213]
IV.
Nemesis.


Ein lehrendes Sinnbild.
–––––

[215] Eine der Bedeutungsvollesten und feinsten Dichtungen der Griechen war die Nemesis; eine so vielgewandte Idee, daß sie im Deutschen schwerlich durch ein Wort ausgedrückt werden könnte. Bei Homer kommt sie als eine personificirte Göttin noch nicht vor, obwohl der häufige Gebrauch des Ausdrucks: ου νεμεσις, „Darinn ist kein Tadel, das wird oder das wolle niemand mit Unwillen ansehen“ nebst andern, die ihm verwandt sind, gnugsam zeigen wie tief die Empfindung dessen was durch die Göttin bedeuten ward, in der Seele des Dichters gelegen habe. Allegorische Begriffe führt überhaupt Homer nur selten und kurz auf; auch gab ihm der Inhalt seiner Gedichte, die meistens um kriegerische Thaten sich schlingen, zur epischen Aufführung dieser Göttin keinen Anlaß. In den alten Gedichten aber, die Hesioduus Namen tragen, kommt Nemesis schon als ein personificirtes [216] Wesen und zwar in der zwiefachen Bedeutung vor, die sich nachher beständig bei den Griechen erhalten. a)[1] Sie und die Schaam verlassen die Welt, nachdem die Bosheit der Menschen aufs höchste gestiegen war; mit weißem Gewande die schönen Glieder bedeckt, steigen sie zu den Göttern hinauf und hinterlassen den Sterblichen nichts als schwere Sorgen und ein Rettungsloses [217] Elend. So dichtet Hesioduus in seinem reinsten Gedicht; a)[2] in der Theogonie hingegen, die aus mancherlei Sagen zusammengeflossen zu seyn scheinet, wird Nemesis als eine Plaggöttinn der Menschen beschrieben, die nebst dem Zank, dem Betruge, dem grauen Alter und andern häßlichen Wesen, die Mutter Nacht gebohren. b)[3]

Nun scheinen zwar diese beiden Vorstellungen einander gerade zu widersprechen, wir werden sie aber beide natürlich finden und die spätern, sowohl lyrische als tragische Dichter haben sich daher an keine ausschließend gehalten. Wenn Pindar seinem Helden wünscht, daß Zevs ihm zu seinem Glück nie eine anders-gesinnete Nemesis senden möge, c)[4] wenn er die Glückseligkeit der Hyperboreer auch darinn setzt, daß [218] weder Krankheit noch das verderbende Alter sich dem heiligen Volke nahen dürfe,

Das fern von Müh' und Kriegen wohnt
Und scheut die richtende Nemesis.d)[5]

so hat der Begriff offenbar eine ernste furchtbare Bedeutung. Wenn im Euripides dagegen der Chor singt: e)[6]

Adrastea, du Tochter Jupiters,
Bewahre vor Neide meinen Mund,
Da ich jetzt singen will, was meinem Herzen gefällt:

so ist der Ausdruck von milderer Art, indem er die Göttin, die allen Stolz und Uebermuth hasset, mit diesem Anruf zu versöhnen trachtet. Sie muß selbst nicht mißgünstig und neidisch seyn, da sie angeruffen wird, die Bittenden vor dem Neide d. i. vor der Scheelsucht über ihr Glück und dessen laute Freude zu bewahren.

[219] Doch was dörfen wir mehrere Stellen häufen, da wir eine Bestimmung dieses Begrifs, wie er im gemeinen Gebrauch der Rede vorkam, von strengsten der griechischen Philosophen, dem Aristoteles haben. a)[7] An mehr als einem Ort erklärt er die Nemesis für den Unwillen, den Menschen am Glück der Unwürdigen oder an dessen unwürdigem Gebrauch haben und da er nach seinem System die Tugend immer als ein Mittleres zwischen zwei entgegenstehenden Lasten betrachtet: so stehet auch seine Nemesis zwischen dem Neide und der Schadenfreude als eine Mitte der Tugend. Mit diesem philosophischen Richtmaas, können wir uns sicher durch alle jene Bedeutungen wagen, welche der Sprachgebrauch oder die Dichtkunst der Griechen dem Wort beilegte; wir werden wahrnehmen, daß sie sich auch in ihren Abweichungen um Eine und dieselbe Idee winden. Wenn z. B. die lasterhafte, die freche Klytemnestra ihres eignen Sohnes, [220] des todten Orestes spottet, an wen konnte sich seine liebende, traurende Schwester wenden, als an die Göttin, der jeder freche Stolz gegen Lebendige und Todte gräuelt: b)[8]

„Hör’ o Nemesis, höre den Jüngstverstorbenen!“ und da die ausschweifende Mutter darauf zu fangen wagt:

„Sie hörte, wen sie sollt’ und entschied gerecht:“ so bleibt Elektra bei ihrem Sinne: „Schmähe nur: denn du bist glücklich.“ Auf gleiche Weise warnen Herodot c)[9] und nach ihm Philosophen und Dichter den Glücklichen für Uebermuth, indem sie ihn dabei an die Nemesis oder an den Neid des Schicksals erinnern. Dergleichen Empfindungen lagen und liegen im Herzen aller Menschen; bei den Griechen gingen sie aus der Sprache in die personificirende Dichtkunst, aus dieser in die bilderschaffende Kunst über, die [221] den Begrif zuletzt durch erlesene Attribute veredelte und wie unter den Göttern selbst zur feinsten moralischen Gestalt ausschuf.


Das schönste Bild der Nemesis war zu Rhamnus bei Athen und zwar besaß sie es durch eine Reihe von Zufällen, die ihrem Amt und Namen sehr gemäß waren, Zwei der berühmtesten Schüler des Phidias, Alkamenes und Agorakritus hatten wetteifernd an einer Bildsäule der Venus gearbeitet: a)[10] jener war aus Athen, dieser aus Paros und da die Athenienser das Werk ihres Landsmannes vielleicht parteiisch, vorzogen, verwandelte dieser seine Bildsäule in eine Nemesis. Phidias half seinem vor allen andern geliebten Schüler die Arbeit vollenden; daher die Statue für sein Werk galt und da Venus der Inbegrif der Schönheit weiblicher Formen war, [222] empfing Nemsis von ihr nicht nur ihre holde Gestalt, sondern auch sehr liebliche Attribute. b)[11] Auf dem Haupt hatte sie eine Krone, an welcher Hirsche und andre Siegeszeichen gebildet waren; in der linken Hand trug sie den Zweig von einem Apfelbaum, in der rechten eine Schale, auf welcher Aethiopier abgebildet standen: offenbar Reste von den Attributen einer Venus, die jetzt als eine Nemesis dastand. c)[12] Das war die berühmte Khamnusische Jungfrau, eine Statue [223] zehn Ellen hoch und in ihrer Gestalt eine liebliche Nemesis-Cypris. a)[13] [224] Vielleicht wundern wir uns über eine Verwandlung, die eine nach unsern Begriffen leichtsinnige [225] Göttin zur ernstesten von allen umschuf; allein die Denkart der Griechen fand hierinn keinen Skrupel. Nicht jede Venus war eine Bulerin und da diese gewiß bekleidet war, so hätte schon der sanftgebogene Arm, mit dem die schamhafte Göttin ihr Gewand faßte, dem Künstler die Idee einer Nemesis geben können, die auch, wie wohl zu andrer Absicht eine dergleiche Stellung liebte. Allein auch diese Aehnlichkeit war nicht nöthig; a)[14] vielmehr fanden sich [226] sowohl in der alten Mythologie als in den Zeitumständen, in welchen der Künstler lebte, andre Ideen, die nicht nur seine Verwandlung rechtfertigen, sondern die neue Nemesis auch berühmter machen konnten, als seine Venus gewesen wäre.

Denn zuerst gab es wirklich schon eine irdische Venus, die unter den Himmlichen Nemesis worden war, die Mutter der Helena und der Dioskuren, Leda. So verschieden von ihr die Sagen sprachen, so stimmeten sie darinn überein, daß sie im Olymp diesen Namen trage und sie trug ihn mit Recht, da die vergötterte Mutter ja nicht ohne Unwillen es ansehen konnte, wenn ein frecher Barbar, dessen Hauptcharakter auch im Homer leichtsinniger Uebermuth ist, ihre schöne Tochter zur Schmach der Griechen entführte. [227] Mit diesem moralischen Namen war also die Kunstgestalt der Nemesis als eine schöne Göttin gegeben: denn die, die als eine Sterbliche dem Jupiter selbst Liebe eingeflößt hatte und durch ihn die Mutter der schönen und tapfern Dioskuren, ja des schönsten Weibes auf Erden worden war, konnte auch unter den Unsterblichen nicht anders als schön gebildet werden. So erscheint Leda-Nemesis in ihren Abbildungen: b)[15] Sie, deren Unschuld auf Erden man auf mancherlei Weise zu rechtfertigen suchte. Das Bild der ernstesten Göttin mischte sich also auch schon nach dieser Tradition mit aller Liebreizenden Schönheit.

Noch aber fand sich ein beneidenswerther Umstand, der dem umbildenden Künstler nicht nur diese Idee gab, sondern sie auch über seinen Nebenbuhler triumphirend machte; es war die Materie, aus der diese Bildsäule genommen war. Die Perser nämlich, führt Pausanias bei dieser [228] Statue an, a)[16] waren bei ihrem ersten Einfall in Griechenland ihres Sieges so gewiß gewesen, daß sie ein Stück Parischen Marmors zum Trophäum schon mit sich schleppten. Sie wurden bei Marathon geschlagen und flüchteten mit vielem Verlust in die Sümpfe oder ins blutige Meer; ihren Marmor mußten sie zurücklassen und glücklicher Weise war diese Statue eben aus ihm gemacht. Mit bescheidenem Triumph konnten sie nun der Künstler zu der Göttin umbilden, die allen stolzen Uebermuth zu der Göttin umbilden, die allen stolzen Uebermuth, alle lecke Siegesfreude vor dem Siege, ja jedes pralende Wort, jeden unterdrückenden Hochmuth hasset. Durch die Unternehmung der Perser aufs höchste beleidigt, war die es gewesen, die das Rad des Glückes gewandt und den für nichts geachteten Atheniensern den glänzendsten Sieg, die stolzeste Freiheit verschafft hatte. Ihrem Bilde gebührte also auch das vereitelte Siegesdenkmal der Perser. In Rhammus stand es, das vom Siegesfelde Marathon [229] nicht weit entfernt lag: die Attribute der Venus waren liebliche Sieges- und Friedensbilder oder konnten zu ihnen gemacht werden; b)[17] kurz diese Bildsäule, die nach Plinius Zeugniß der gelehrteste Römer, M. Varro, allen andern Bildern Griechenlandes vorzog, ward durch den glücklichsten Witz eines unrecht-beleidigten Künstlers [230] zu einem Heiligthum Griechenlandes, auf welches Athen jetzt auch außer seinen Mauern stolz seyn mußte. Mehr als Ein Epigramm ward auf die berühmte Bildsäule gemacht und die schöne Idee, die Nemesis selbst dem Schüler Phidias eingehaucht zu haben scheint, ward als die Idee des ganzen Athens gepriesen: a)[18]

[231]

Mich, den glänzenden Stein bracht' einst zu Schiffe der Perser
     her, ihm über Athen Siegestrophäum zu seyn;
Als zu Marathon aber der Wahn der Stolzen gedämpft ward,
     als im blutigen Meer schimpflich-geschlagen sie flohn,
Schuf zur Nemesis mich Athen, die Mutter der Tapfern,
     schuf zur Göttin mich um, die den Vermessenen haßt.
Also halt’ ich schwebend der Hofnung Waage; den Persern
     ward ich Nemesis; Dir ward ich Trophäum, Athen!

Nothwendig hatten die Göttin in andern Gegenden, wo sie ohne diese Zufälle gebildet ward, Zeichen, die ausdrückender waren. Zwar wissen wir vom Bilde ihres ersten Tempels, (wenn solcher [232] ein Bild hatte) nichts, als folgende Nachricht, die Strabo uns aus dem Antimachus aufbehalten: a)[19]

Auch eine Nemesis ist! Die grosse Göttin, der Alles
Unterwarfen die seligen Götter; den Ersten Altar
Hat ihr Adrastus erbaut am Ufer des schnellen Aesepus,
Wo sie noch jetzt verehrt und Adrastea genannt wird,

Aber schon die Nemesis bei Smyrna, wo sie noch in der mehreren Zahl verehrt und jener ältesten Tradition zu Folge, Töchter der Nacht genannt wurden, b)[20] kennen wir aus Münzen. c)[21] Andre Abbildungen der Göttin haben wir auf Gemmen d)[22] [233] weniger in Bildsäulen, e)[23] vielleicht Eine im Gemählde; f)[24] mehrere Stellen der Dichter beschreiben [234] sie und ein Hymnus, a)[25] den Johann von Philadelphia einen Mesodemus zuschreibt, ja von welchem uns selbst ein Theil seiner Gesangweise übrig geblieben, macht sie in ihren Attributen, mithin in ihrer Bedeutung so känntlich, als ob eine Reihe von Bildsäulen vor uns stünde.

[235]

          Nemesis im Bilde.b)[26]
Warum, o Nemesis, hast du das Maas und den Zügel in Händen?
     „Daß du den Handlungen Maas, Worten den Zügel anlegst.“

Nemesis bin ich und halt’ in meiner Rechte das Maas hier,
     Dir zu deuten: „in Nichts schreite je über das Maas.“

Noch mehr aber sagt uns der angezogne vortrefliche Hymnus, der offenbar aus Sinnbildern der Kunst zusammengesetzt und auch den überbliebenen Abbildungen von ihr völlig gemäß ist. Sie erscheint in diesen geflügelt, hebt mit der Einen Hand das Gewand der Brust in die Höhe und blickt in den Busen.c)[27] Oder sie beugt den [236] Arm zur Brust zurück als ob sie vom Finger zum Ellenbogen hinab messe. d)[28] Oder es ist ein Rad unter ihren Füßen und in der Linken hält sie den Zaum, e)[29] von dem das Epigramm redete. Oder [237] sie hat Rad, Schleuder, a)[30] Zaum und den Zweig vom Baume, kurz so viel Symbole bei einander, als sie zusammen fassen kann, daher auch ihr Bild Eins der känntlichsten ist unter den Allegorieen der Alten. Hier ist ihr Hymnus.

[238]

          An die Nemesis.

Geflügelte Nemesis, Du des Lebens Entscheiderin,
Göttin mit ernstem Blick, Tochter der Gerechtigkeit,
Du die der Sterblichen leicht hinschnaubenden Lauf b)[31]
Mit ehrnem Zügel lenkt;
Und hasset ihren verderbenden Uebermuth
Und bannet hinweg den schwarzen Neid.

Ringsum dein Rad, das immer-bewegliche,
Spurlose, kehrt sich um der Menschen lachendes Glück.
Verborgen gehst du ihrem Fuße nach
Und beugst der Stolzen Nacken.

[239]

Und missest stets am Maas der Sterblichen Leben ab
Und blickst zum Busen hinunter mit immer-ernstem Blick,
Indeß die Hand die Waage hält.

Sei gnädig, selige Rechtvertheilerin,
Geflügelte Nemesis, Du des Lebens Entscheiderin,
Nemesis, die untrügliche singen wir
Und ihre Beisitzerin, die Gerechtigkeit.

Die Gerechtigkeit, die mit weiten Flügeln fliegt,
Die Mächtige, die der Sterblichen großes Herz
Der Nemesis und dem Tartarus selbst entzeucht.

Welch ein Hymnus! wie vestgestellt und veredelt sind in ihm alle Begriffe! Keine Tochter der Macht oder des Oceanus ist diese Göttin; [240] Tochter der Gerechtigkeit ist sie, a)[32] die ihr als Mutter und Rechtsbeysitzerin zur Seite ist, ja die so unbetrüglich die Tochter entscheidet, auch Ausnahmen zu machen weiß und jene edle große Seelen, die selbst über das Maas hin ihr Vortrefliches unternahmen, allem Maas der Nemesis, ja selbst der Macht des Tartarus entziehet. – Da mit diesem Gesange der Begrif der Göttin vollendet ist: so wird uns die weite Entwicklung desselben nicht schwer werden.


Zuerst also. Nemesis ist keine Rach- und Plagegöttin; die Mythologen drücken sich unrecht [241] aus, die sie mit Einer derselben verwechseln. Das Bild der Ate, der Schadengöttin, ist aus Homer bekannt. a)[33] Sie ist eine Tochter Jupiters, die allen, auch den Unsterblichen gerne schadet: dem Jupiter selbst brachte sie Unglück, daher er sei bei ihren schönen Haaren ergrif und vom Himmel auf die Erde warf, wo sie jetzt, über dem Scheitel der Menschen wandelnd, ihnen gerne Böses räth, damit sie sie in Verdruß und Nachtheil verwickle. Eine solche Schaden-Freundin ist Nemesis nicht; vielmehr ist sie das Gegentheil derselben, da sie Unrecht verhütet und den Neid zu entfernen trachtet. Noch weniger ist sie mit jenen hohen Rachgöttinnen zu verwechseln, die vergoßenes Blut, Frevel und Unthaten ahnden, den Eumeniden. So fürchterlich oder milde die Griechen solche vorstellten, haben sie mit dieser seinen Bewahrerinn vor dem Uebermaaße nichts gemein.

[242]

Trügt mich mein weissagender Geist,
Trügt mich ahnende Klugheit nicht,
So kommt sie schon und meldet sich an,
In den Händen tragend gerechte Gewalt,
Die vergeltende Rache kommt – –
Sie wird kommen die vielfüßige,
Vielhändige, die noch lauscht in dunklem Hinterhalt
Die Erinnys mit dem ehrnen Tritt.

So singt der Chor bei Sophokles, b)[34] da über Agamemnons Tod die vergeltende Rache sich nahet; und in den Eumeniden des Aeschylus sind diese furchtbaren Unholdinnen so genau bezeichnet, daß niemand leicht sie mit dieser sittlichern Göttin verwirren könnte. Näher ist diese mit dem Begrif der Gerechtigkeit (δικη) verwandt, daher sie der Hymnus für ihre Beisitzerin und Tochter erkläret; aber auch mit ihr ist sie nicht ganz dasselbe. Die Gerechtigkeit hält die große Waage der Wiedervergeltung in ihrer Hand: sie [243] merkt und belohnt alles Gute, sie wägt und straft alles Böse. Oft spät und desto fürchterlicher, dergleichen Strafen die Griechen zum Ungheuer der Pöna personificirten; a)[35] wie denn auch die Erinnyen und alle Zufälle des Schicksals Dienerinnen der Gerechtigkeit waren. Solch einen weiten Begrif hatte diese Tochter der Gerechtigkeit nicht, in deren Gebiet zu greifen die Mutter Recht und Macht hatte. Endlich auch keine Fortuna ist Nemesis, so nahe sich abermals die Begriffe beider begränzen. b)[36] So lange sie den Glückszustand freundlich begleitet; ist freilich das gute Glück (αγαθη τυχη) da; sobald sie finster hinein blickt, verwandelt es sich in [244] Unglück. Also eine Machthaberin über dasselbe, seine einschränkende Bewahrerinn und gleichsam die Zunge an der Glückswaage; kurz Die Göttin des Maasses und Einhalts, die strenge Aufseherin und Bezähmerin der Begierden, eine Feindin alles Ubermuths und Uebermaaßes in menschlichen Dingen ist sie, die sobald sie dieses gewahr wird, das Rad kehret und ein Gleichgewicht herstellt. Wäre mir der Ausdruck erlaubt, so würde ich sie

Die missbilligende Göttin

nennen, die nämlich dem Sterblichen folgt, still in den Busen blickt und ihm die kleinste Ueberschreitung ernst verdenket. Das war der moralisch-feine und sehr philosophische Begrif, den die Kunst der Griechen aus jener rohen Materie von der Veränderlichkeit des Glücks, von seinem Unwillen an Uebermuth und Stolz, vom Neide des Schicksals u. f. geläutert emporzog; wobei ich aber nicht läugne, daß der Name Nemesis und noch mehr ihr Beiwort Adrastea, je nachdem man desselbe ableitet und heraufhob, [245] a)[37] auch hie und da in weiterer Bedeutung gebraucht werde, sogar daß Philosophen es zur [246] austheilenden oder gar in ewigen Dunkel rathschlagenden Gewalt des Schicksals personificirten. So wie aber dieses nur die Metaphysik eines Lehrgebäudes war, die den gemeinen Gebrauch der Kunst und Mythologie weder bestimmen noch ändern konnte: so sind über den letzten, dan gemeinen Begrif, aus welchem jener nur entstand, alle Künstler, Dichter und Prosaisten einig. a)[38] [247] Laßet uns also betrachten, wiefern die Empfindung einer Nemesis in der menschlichen Natur [248] liege und was uns ihre geläuterte Idee für Nutzen gewähre.


Es liegt in der menschlichen Natur, daß wir eher und stärker mit den Unglücklichen, als mit den Glücklichen sympathisiren; und das zwar nicht eben aus jener stumpfen Selbstbehaglichkeit, [249] die sich gern glücklicher als andre fühlet; sondern, wie ich glaube, weil unsre Kräfte, wenigstens unsre Neigungen bei dem Unglück des Andern mehr aufgeboten und auf eine angenehmere Art ins Spiel gesetzt werden, als bei seinem satten Glücke. Dort nämlich fühlen wir uns in dem schmeichelnden Vorzuge ihm helfen zu können; oder wenn wir dunkel empfinden, daß dasselbe Uebel auch uns hätte treffen mögen, von dem wir jetzt durch die Güte des Schicksals befreiet sind, so mischt sich nothwendig der Schmerz des Theilnehmenden mit einer geheimen tröstenden Freude. Und da aus der Fülle und Mannichfaltigkeit gemischter Empfindungen ihr Leben und ihre Anmuth erwächst, so wirkt allerdings das Mitgefühl mit Unglücklichen stärker und süsser, als der kalte Blick auf das Glück des Andern. Dieser bedarf unsrer Hülfe nicht: wir können zu seinem Zustand nichts hinzuthun, wir sollen nur schauen und rühmen; eine Anschauung, die bald gleichgültig macht, ein Ruhm, der bald ermüdet. Unvermerkt schleicht sich also, da unsre [250] Seele nicht müssig seyn kann, eine Vergleichung unsres mit dem Zustande des Glücklichern ein und so wird die leichteste Art der Nemesis gebohren, die eigentlich noch kein Neid, keine Misgunst, aber eine Art von selbstischer Gleichgültigkeit ist, die uns keine gefällige Zusammenschmelzung zuläßt. Bei rohen Gemüthern bricht sie bald in kalten Unwillen aus und je mehr der andere mit seinem Glück groß thut, ja weniger er in Worten und Thaten sich auf eine glückliche Verbergung seiner Vorzüge verstehet; desto mehr erregt er wo nicht Neid, so doch Unwillen gegen sich: denn auch der, der ihm sein Glück gönnet, zürnt darüber, daß jener es nicht weiser zu genießen und mit Mäßigung gefällig zu machen wiße. Diese Nemesis liegt in allen Herzen: sie war auch, wie die griechischen Redarten zeigen, die Erste, die die Sprache und Mythologie bemerkte. Sie ist, wenn sie wilde hervorbricht, eine Tochter der Nacht, die Gesellin des Zanks, des Haßes und der Schadenfreude; kurz die Nemesis, die Hesiodus in seiner Theogonie als eine [251] böse Göttin beschreibt. In edeln Gemüthern gegentheils erhält auch selbst dies kalte Betrachten der Sitten andrer in ihren glücklichen Stunden seine reine Natur und da es sich weder mit dem Neide noch dem Mitleiden mischt: so wird es der schärfste Punkt ihrer Urtheilswaage. Dies ist die gute Nemesis, die kalt und gleichgültig blickt; aber auch geschont und versöhnt werden kann: denn sie ist eine unbestochene Richterin der Tugend und Wahrheit.

Und wie versöhnt man sie am würdigsten? Nicht anders, als daß man sie selbst zur Aufseherin seines Glücks und seiner Sitten macht; siehe da die Göttin mit Maas und Zaum, die den schwarzen Neid hinwegtreibt. Sie vertreibt ihn dadurch, daß sie alle beleidigenden Uebermuth hasset und die Anmaaßungen der Menschen mit ehernem Zügel bändigt: so allein wird die böse Nemesis von der guten besiegt.

Weises, lehrendes Bild! Denn in unserm ganzen Leben, was ist uns schwerer zu lernen als Maas im Glück? Dem Unglücklichen beugt [252] die Noth oder sie spornt ihn mit ihrem ehernen Sporne: ihm setzen sich so viel Umstände entgegen, daß er eher Aufmunterung bedarf, damit er sich selbst nicht verliere und im Staube zu Staube werde; den glücklichen aber, dem Alles gelingt, dem Alle Winde schmeicheln, was hält ihn ein, damit sein Muth nicht Uebermuth werde? Keiner, als die innere Nemesis seiner Gedanken; er muß sich selbst zügeln lernen, auch wenn Hoffnung seine Schritte beflügelt. Selbst in der gerechten Freude soll man nicht groß thun: auch auf der rühmlichsten Freude soll man nicht groß thun: auch auf der rühmlichsten Bahn soll uns ein Ziel vorstehn, jenseit welchem wir den Lauf nicht verfolgen.

Adrastea begleite dich, Jüngling, es trete dir immer
     Sie, die so manches Glück täuschte, die Nemesis nach,
Dir eine günstige Beschützerinn: denn o Drusus, ich fürchte
     Deines edlen Geschlechts tapfere, schöne Gestalt,
Deinen göttlichen Muth und deine Klugheit –

[253] Der Dichter, sehen wir, fürchtet bei dem jungen Helden, der die Bahn seines Ruhms antritt, die Vorzüge seiner edeln Natur am meisten und giebt ihm also die strenge Göttin, ohne welche das glänzendste Glück eben die gefährlichste Täuscherin wird, zur Seite. Dahin zielen so viel goldne Sittensprüche der Griechen, die in ihrer Moral immer auf die Sophrosyne, d. i. auf eine weise Nüchternheit und Mässigung des Gemüths drangen. Da sie in ihrer schönen Sehart menschlicher Dinge diese zum Mittelpunkt machten und die größten ihrer Weisen das ganze Lehrgebäude der Moral auf Gerechtigkeit, auf Ordnung in den Neigungen oder auf die Mittelstrasse zwischen zwei äußersten Enden, welches beide Laster seyn, bauten: so konnten es nicht fehlen, daß auch ohne die Nemesis zu nennen, sie ihren Zaum und ihr Maas immer im Gesicht behielten, ja nicht oft genug an die Folgen erinnern konnten, die aus der kleinsten Ueberschreitung diesseits und jenseits folgen. Ihrem klaren Auge war es nicht entgangen, daß ausser jenen [254] großen Abwechselungen des Schicksals, gegen welche der Mensch, die wahre Ephemere auf Erden, nichts vermag, das Meiste auf ihm selbst beruhe, und er also die kleinere Waage seines Schicksals überall mit sich führe. Nüchterne Mässigung des Gemüths war ihnen die Zunge dieser Waage und indem sie jene nothwendigen Abwechselung des Glücks oft und viel bemerkten, unterließen sie nie, dem Sterblichen das Steuerruder in die Hand zu geben, mit dem er sein zerbrechliches Schif auch durch die wildesten Wellen lenken könnte.

Alles nimm von den Göttern an. Gar oft
Erheben im Unglück sie den Gesunknen, der
Auf schwarzer Erde liegt, oft fällen sie auch
Den Mann, der am vestesten steht und werfen ihn rücklings um:
Dann kommt ihm Böses auf Böses: er irrt umher,
Ein Elend-armer; der Muth ist ihm zerknickt.

[255]

Nie sag’ ein Mensch, was werden wird,
Noch den er sieht, wie lang’ er leben werde;
Die Flügelschwingende Mücke
Verändert so schnell sich nicht, wie der Menschen Glück.

Alles im Menschenleben hebt und beugt die Zeit;
Doch lieben die Götter stets den weisen, nüchternen Sinn
Und hassen den Uebermuth.

Offenbar war mit solchen Lehrsprüchen, die in hundert vermehrt werden könnten, der Grund zu allen den Zügen gegeben, die das Bild der Nemesis vollendeten. Denn wenn diese bescheidene, weise Mäßigkeit der Menschen so oft die augenscheinliche Entscheiderin ihres Glücks und Lebens war, wenn in hundert Fällen es bemerkt wurde, daß der Glückliche nur dadurch gestürzt ward, daß er sich in seinem Glück nicht zu mäßigen wußte, indem er entweder den Neid andrer [256] gegen sich erweckte oder vom guten Fortgange seiner Wünsche betäubt, in einer Art von Schwindel auch das Unmögliche wünschte und über die Linie, die ihm das Schicksal gezogen hatte, die er auch mit nüchternem Auge wohl hätte finden mögen, tollkühn hinausbrach: so gaben ja diese Erfahrungen selbst unsrer Göttin das Rad unter die Füsse, das immer beweglich, Spurenlos hinläuft, und um welches sich der Menschen lachendes Glück wälzet. Mithin ward sie die Entscheiderin, die Zunge auf der Lebenswaage des Menschen, (ροπα βιου;) keine Rach- und Plagegöttin, sondern eine hohe Rechtvertheilerin, eine Unbetrügliche, die in den Busen blickt, wenn sie nach dem eignen Betragen des Menschen der Erfolg seiner Thaten abwäget. Jedes zu glänzende Glück ist durch sich gefährlich, nicht nur indem es den Neid erweckt und das Rad der Zeit sich unaufhörlich wälzet; sondern weit gefährlicher ists dadurch, weil so gern Uebermuth dasselbe begleitet. Und sofort stürzet es sich selbst; die Göttin, die dem Tritt der Menschen verstohlen [257] nachschleicht, weiß die leichtsinnigen Anmassungen des Uebermüthigen zu zügeln und den stolzen Nacken zu beugen. Ein Morgenländer würde ihr zu diesem Zweck den Becher der Verwirrung in die Hand gegeben haben, mit dem sie die Seele des Anmassenden in Taumel oder Schlaftrunkenheit senket; der Grieche blieb bei den Symbolen der Gerechtigkeit und des Glücks, dem Rade, dem Zügel, dem Maas, der Waage; und so stellete er auch in diesen ernsten Beschäftigungen Nemesis als eine Wohlthäterin dar, eine Wohlthäterin fürs Ganze der Menschheit. Indem sie den Uebermüthigen einhält und die wilden Roße seiner Unternehmungen mit vester Hand bezügelt, rettet sie den Unglücklichen, der unter den Fußtritten derselben als ein zerknicktes Rohr da lag. Indem sie das Rad des Glücks mit leisem Fuß, oder die Waage des Schicksals mit leisem Finger ändert, kommt eine neue Gestalt der Dinge zur Ansicht, die ein billigeres Gleichgewicht zeiget. Also führen auch diese Attribute der Nemesis sich auf jene ewigen [258] Wahrheiten zurück, die der Weltlauf bestätigt:

Des Glücks große Gaben haben am meisten auch
Das Glück zu fürchten. Ein weithin glänzend Loos
Lockt weite Gefahr auf sich; im Gebiet der Sterblichen
Ist nichts, was hoch ist, sicher: entweder nagt
Die Zeit es nieder oder der Mensch Neid,
Sobald es je zum Gipfel der Blüte kam.

Gemäßigt Glück ist immer das Sicherste,
Da weder im dunkeln, tiefen Staube du liegst,
Noch auf der Höh’ in den Wolken schwindelnd hangst.
Wer niedrig fället, verbirgt den Schaden leicht,
Was hochher stürzet, stürzet mit schwerem Fall:

[259]

An allem Glänzenden nagt der Neid mit Macht,
Und wen das Glück erhoben, dem stellets nach.

Wie also jener Glückliche ausdrücklich bat, daß Nemesis ihm zu rechter Zeit kleine Widerwärtigkeiten auf die Bahn seines Lebens lege, damit er nicht zu glücklich, d. i. zu rasch und unternehmend werde: so thut es das Schicksal seinen Lieblingen auch und je früher es solches that, um so viel besser. Die kleine bittere Arznei, die es uns zumal in der Jugend gab, stärkt des Mannes Gesundheit; dagegen der Ausgelassene, der weder seinen Wünschen, noch seinem Glück ein Ziel weiß, eine Nemesis hinter sich hat, sie seinen Nacken vielleicht spät aber sodann desto ungewohnter und furchtbarer beuget. Lasset uns also immer, aus Liebe zu unserm Glück, uns mit der Göttin versöhnen, die seine Entscheiderin ist: denn sie ist der Gerechtigkeit Tochter. Vor unsern Augen darf sie nicht stehen, [260] damit ihr ernster Blick und die Waage in ihrer Hand uns nicht zu sorgsam und muthlos mache; aber unserm Fuß möge sie immer folgen, ja manchmal wollen wir zurückblicken und nicht nur auf ihre Stirn merken, sondern sie auch bitten, daß sie uns nicht zu lange nachsehe und am wenigsten uns in der Jugend verzärtle:a)[39]

Nemesis, größte Göttin, du Königin, hör’, ich ruffe
Dich, die alles schauet, die aller Sterblichen Leben
Durchblickt, Vielverehrte, du Ewige, die der Gerechten
Sich erfreuet allein und immer die Regel verändert,
Immer ändert das Maas, das das Glück der Sterblichkeit abmißt.
Mächtige, deren Zaume die Lebenden alle den Nacken

[261]

Fürchtend beugen, sie alle, die dein entscheidender Spruch trift:
Denn du kennst alles, und hörest alles und theilest
Recht und Schicksal; auch ist dir keine der Seelen verborgen,
Die verachtend die Regel des Rechts, muthwillig hinausstürmt.
Komm o du Hocherhabne, Du reine, selige Göttin,
Komm, den Geweiheten hold, daß richtige Sinne sie haben
Und beruhig’ in ihnen feindselige, stolze Gedanken,
Ungerechte Begierden, die fern der Regel des Glücks sind.

Ich kann diese Materie nicht verlassen, ohne noch mit einigen Worten den schönen Geist zu bemerken, der in dieser so wie in allen moralischen Dichtungen der Griechen herrschet. Ohne [262] Zweifel hat es bei allen gebildeten Völkern vortrefliche Lehrsprüche gegeben, die, aus Erfahrungen der Weltgeschichte und des menschlichen Lebens abgezogen, Vieles in Einem darstellen und den gesunden Sinn eines Menschen für das Wahre und Nützliche sehr schärfen. Vorzüglich zeichnen sich unter ihnen die Sprüche der Morgenländer aus, die auch den Artikel des Glücks und der praktischen Weisheit erhaben und scharfsinnig behandeln; indessen zweifle ich, ob irgend Eine Nation der Erde das poco più und poco meno der menschlichen Glückseligkeit, d. i. den feinen Umriß in der Gestalt und Kunst des Lebens so klar und schön ausgedrückt habe, als es die Griechen thun konnten. Ihnen hatte die Muse jenen reinen Anblick aller Gestalten in Kunst und Dichtkunst, jenes unübertriebne und nichts übertreibende Gefühl für das Wahre und Schöne aller Art gegeben, das sich auch in der Philosophie nicht verläugnen konnte und ihren kürzesten Lehrsprüchen, ihren leichtesten Symbolen einen so klaren Umriß, eine so bedeutungsvolle [263] Grazie anschuf, als wir bei andern Völkern vergebens suchen dürften. Freilich ist ihr Horizont nicht weit: er erstreckt sich wenig hinaus über dieses Leben, das ihnen der Mittelpunct ihres Daseyns war; von diesem Mittelpunct aus aber, wie rein sahen sie, wie menschlich fühlten sie alle Formen! wie schön endlich wußten sie solche in ihre Bilder- und Wortsprache zu kleiden! Keine Nation hat sie hierin erreicht, geschweige übertroffen; so daß ich es jederzeit als einen wahren Verlust für die Menschheit ansehen müßte, wenn ihre Philosophie und Symbolik, ihre Dichtkunst und Sprache von der Erde vertrieben und insonderheit von den Augen der Jugend verbannt würde: denn ich sehe nicht, womit sie zu ersetzen wäre.


Eine Probe z. B. sei der bildliche Begrif, den ich zergliedert habe. Welche Feinheiten liegen in ihm nicht nur zu eigner Lebensführung, sondern auch zu Bemerkung des ganzen Laufs menschlicher Geschichte. Der Abt Gainoz hat [264] es bei ältesten griechischen Geschichtschreiber Herodot bemerkt, a)[40] daß er gewisse Maximen zum Grunde lege, auf die er, so oft er kann, seine Begebenheiten zurückführt; und diese Grundsätze sind: „daß man sich durch den Schimmer der Macht und der Reichthümer nicht dürfe blenden lassen; daß ein Mensch, der ein mittelmäßiges Glück genießet, oft glücklicher sei, als der König auf dem Throne; daß man sich dem Geheiß des Schicksals nicht entziehen könne; daß hinieden alles dem Eigensinn einer neidischen Gottheit unterworfen sei, die ein Vergnügen daran finde, den Stolz und die Eitelkeit der Menschen zu hintergehen und ihre Glückseligkeit zu trüben; daß man folglich nicht eher sagen könne, ein Mensch sei wahrhaftig glücklich gewesen, als bis er sein Leben glücklich beschlossen habe.“ Ich überlasse dem Abt die Anwendung, die er davon auf den Plan seines [265] Geschichtschreibers macht; die Bemerkung selbst aber ist wahr und Grundsätze der Art waren nicht nur dem Herodot sondern auch allen Dichtern und Moralisten der Griechen die Lieblingsgedanken, zu welchen sie das Gewebe ihrer Erfahrung oder Dichtung zu leiten suchten. Der größte Theil der griechischen Tragiker und Gnomologen, den Homer selbst nicht ausgenommen, gehet auf diese Sätze hinaus: „weises Maas nämlich, Ordnung und Umriß empfalen sie in allen Begierden und Anstrebungen, ja selbst in Urtheilen und Wünschen der Menschen.“ Nichts Zügelloses war ihnen Recht und wenn es auch Untersuchungen über Gott beträfe: denn es sei der Natur des Menschen, seinem Maas von Kräften und dem Umfange seines Lebens völlig entgegen. Keinen, auch nicht den edelsten Wunsch müsse man übertreiben, seine menschliche Bestimmung erkennen und sich, selbst bei dem wirksamsten Streben, der hohen Haushaltung des Schicksals unterwerfen u. f. Es scheint, daß wir diesen sanften Umriß eines menschlichen Daseyns ziemlich [266] aus den Augen verlohren haben, indem wir statt dieser Schranken so gern das Unendliche im Sinn haben und glauben, daß die Vorsehung immer nur dazu mit uns beschäftigt seyn müssen, um aus unsern Grenzen zu rücken, unsre Schranken unendlich zu erweitern und uns die Ewigkeit in der Zeit d. i. den Ocean in der Nußschaale zu genießen zu geben. Unsre Metaphysik und Wortphilosophie, unser Jagen nach Känntnissen und Gefühlen, die über die menschliche Natur hinaus sind, kennt keine Schranken und so sinken wir, nachdem wir uns in jungen Jahren vergeblich aufgezehrt haben, im Alter wie Asche zusammen, ohne Form des Geistes und Herzens, vielmehr also ohne jene schönere Form der Menschheit, die wir doch wirklich erreichen konnten. Wie selten ist in manchen Zeitaltern der Geschichte jene einfältig schöne Gestalt, nach der die besten Menschen des Alterthums, nicht im Wissen, sondern in der Lebensweisheit streben, indem sie ihr Daseyn als einen Marmor ansahen, dem sie zu allen Verhältnissen [267] eine schöne Gestalt geben sollten und ihr Leben als ein Saitenspiel betrachten, das mannichfaltig, aber immer harmonisch klingen müßte. Das Maas der Nemesis war zu dieser Stimmung nothwendig: denn der Uebermuth oder die Schlaftrunkenheit ist eben das, was einen Menschen am meisten verderbt und ihn zu seinem moralischen oder Glückes-Tode entweder fortreißt oder einschläfert. Eine neidische Gottheit darf es also nicht seyn, die Herodot als eine nachschleichende Feindin jedes menschlichen Glücks betrachtet hätte: man muß vielmehr merken, wer bei ihm solche ernste Lehren und wem er sie sage? Auch bei den griechischen Dichtern äußern dergleichen Klagen nur aufgebrachte oder unglückliche Gemüther; oder es wird zu ihnen nach ihrer Weise geredet. Daß aber eine wachsame, strengaufmerkende Gottheit die Menschen begleite, daß es eine Linie gebe, jenseit welcher der Sterbliche, wie ein Verrückter, der vom Mittelpunct seiner Stärke hinweg ist, aus Tiefe stürzt und aus Ungemach in Ungemach [268] sich wälzet; dies ist nicht nur Herodots Bemerkung, sondern die Lehre aller Zeiten und Völker. Denn wie wenige, auch große und berühmte Menschen giebts in der Geschichte, die Maas zu halten wußten und also auch bis ans Ende ihres Lebens glücklich waren! Die meisten verkannten jene Stralenfeine Linie, über welche die Nemesis nicht hinausläßt, und so war das Alter die Widerlegung ihrer Jugend, die Jugend ein sehr übles Gerüst zum kommenden Alter. Soll also die Geschichte der Menschheit je lehrend werden: so weihe sie der Geschichtschreiber keinem andern als der Nemesis und dem Schicksal! Diesem in allen Dingen, die über der Macht der Menschen liegen und dennoch nach ewigen, uns sehr wohl erkennbaren Gesetzen regiert werden; jener in allen menschlichen Dingen, in denen sich nur die wachsame, bescheidene Klugheit schützet, Unverstand und Uebermuth aber jederzeit sich selbst verderbet.

Auch deßwegen liebe ich dich, du guter alter Homer! daß du bei deinen, dem Anscheine [269] nach rohen Heldengestalten dieses jedem Sterblichen zuständige Maas in Unternehmungen wie im Glück, mit weiser dämonischer Hand zuwogst. So wie du jeder derselben ihre Gestalt ihre Stuffe an Geistes- und Leibesgaben und solchen gemäß sogar ihr Schicksal zutheiltest: so ist Jedem deiner edlen Männer, auch ohne genannt zu werden, die Nemesis heilig. Nur einem Paris kommts zu, gleichgültig darüber zu seyn, was Menschen von ihm denken; selbst Helena ists nicht und ehret die Nemesis, deren Ahndung sie über Troja brachte. Von allen griechischen Helden aber ist keiner, der auch im größten Feuer des Glückes und Muths nicht erinnert werde, sich vor dem Uebermuth zu hüten, damit er den Unwillen der Götter nicht wider sich reize. Keiner wagts mit einem Gott zu streiten; bescheiden weicht er zurück, sobald er dessen Gegenwart entdeckt: denn auch dem Diomedes und Ajax war ihre Kühnheit gegen die Götter verderblich. Unwillig-ernst sieht Jupiter drein, (νεμεσαει) wenn ein Nichtswürdiger [270] den Edeln oder der Ungleiche den Ungleichen angreift: jeder sich selbst rühmende Held beuget vor, daß ihm dieser Selbstruhm nicht möge verdacht werden (νεμεσαειν) ja auch in der stärksten Leidenschaft ist einem Achilles sogar die Warnung der Götter vorm Uebermaasse heilig. Voll von gerechtem Zorn jagt er sein Schwert in die Scheide, da Pallas Athene ihn bei der blonden Locke faßt und ob er es gleich auf seines todten Patroklus Brust geschworen hatte, den Leichnam seines Mörders und Räubers den Hunden zu geben, so läßt er doch alsofort von diesem Vorsatz ab, da seine Mutter ihm andeutet, daß Jupiter an dieser zu weit getriebenen Rache Misfallen haben mögte. Diese bescheidne Scheu vor dem gerechten Misfallen der Götter und Menschen ist die wahre Verehrung der Nemesis, die uns auch von dem zurückhält, was wir uns allenfalls erlauben könnten und was sich der Tollkühne ohne Bedenken erlaubte. Eine Schwester der Schaam, ist diese zarte Empfindung, von der kein Thersites [271] weiß, die aber trotz seines jugendlichen Feuers, Achilles mehr als alle, selbst mehr als Hektor, fühlet. Sein Patroklus scheuet sich zwar vor der Nemesis des Achilles; vergißt aber im Lauf seines Ruhmes des Ziels, das dieser ihm gesetzt hatte und findet sein letztes Schicksal. Dahin gingen die Lehren des Solons und andrer griechischen Weisen, wenn sie selbst im Glück und Ruhm vor dem Uebermaas warnten und das (μηδεν αγαν) „nichts zu viel“ bei jener Gelegenheit einschärften; dahin, die Beispiele jener edlen Römer, a)[41] die den Neid des großen Glückes ihrer Siege lieber mit dem Unglück ihrer Person und Familie als mit dem Sturz des Staates zu versöhnen wünschten, wenn er versöhnt werden müßte. Gegentheils war es eine leere Cerimonie, wenn Augustus in aller seiner Herrlichkeit der Monarchie Einen Tag im Jahre dazu ausgesetzt hatte, daß er [272] mit einer Krümmung seiner Hand, als ob er Allmosen empfinge, die Nemesis seiner Hoheit versöhnte. Durch kein dergleichen Spielwerk, dadurch der Pöbel geäffet wird, läßt sie sich versöhnen; sie blickt in den Busen und wie der Göttin des Gedächtnisses der Ohrzipfel geweihet war, hat sie den Ort hinter dem Ohr zu ihrer Tafel, wo sie sich alle Gedanken und Thaten der Menschen still aber unauslöschbar anmerket. Ehrt also die Nemesis, ihr Sterblichen, und in allen Dingen sei euch das Maas heilig.



  1. a) Diese doppelte Bedeutung hangt nicht sowohl davon ab, daß Nemesis von νεμειν und νεμεσαειν abgeleitet werden kann oder mit beiden Begriffen, dem rechtmässigen Vertheilen und dem Misfallen über Unrecht in Verwandtschaft stehet; sondern vom Gebrauch des Worts selbst, das in gutem oder bösen Verstande genommen, auch einen sehr verschiednen Sinn geben muß. Sein Grundbegrif ist Misfalle, geheimer Tadel und zwar über Glück, Ruhm u. f. Da dieser an den Neid grenzet, so konnte jener mit ihm verwechselt werden, bis eine feinere Denkart ihn davon sonderte und die Philosophie und Kunst endlich ihn zu einem strengen, aber edeln Wesen umschuf.
  2. a) Εργ. ν. 198
  3. b) Θεογ. ν. 223
  4. c) Ολυμπ. η. δ. ια. ν. θ. Νεμεσιν διχοβουλον.
  5. d) Ποθ. 1. ν. 1. ν. 2. υπερδικον Νεμεσιν.
  6. e) Rehs. ν. 342.
  7. a) Ηθικ. I. 2. c. 7. Ηθικ. μεγαλ. I. 1. c. 28.
  8. b)Ηλεκτ. ν. 793.
  9. c) Wesseling. ad. Herodot. p. 216. 59. Svidas in voce Nemisis etc.
  10. a) Plin. I. 36. fecl. 4. n. 3. p. 725. Vol. 2. Ed. Harduin.
  11. b) Pausan. Attic. c. 33.
  12. c) Manche subtile Deutungen dieser Symbole /z. E. Winkelmann. Allegor. S. 54. u. a.) sind vergeblich, so bald man bedenkt, daß sie eigentlich Symbole der Venus seyn sollten. Daß diese Göttin mit einem Zweige, einer Blume, einem Apfel oder sonst etwas Lieblichem vorgestellt wurde, ist bekannt und wir werden bald sehen, warum sie auch als Nemesis hier einen Zweig tragen konnte? Die Schaale hatte Venus vielleicht als die Tochter des Meers (wenn wir die Deutung Pausanias dabei nutzen wollen) vielleicht auch in einer andern Bedeutung; wenn der [223] Künstler, etwa jetzt, Aethiopier darauf bildete, so veränderte er das Symbol so gut er konnte. Es ist bekannt, daß die Götter gern bei den schuldigen Aethiopiern als Gäste waren, so wie Pindar es auch von den Schuldlosen Hyperboreern anführt, daß sie, die Nemesis scheuten. Vielleicht waren also an dieser Schaale, die selbst ans Gastmahl erinnerte, solche unschuldige Freunenfeste der Aethiopier abgebildet. Aus dem angeführten Ursprunge der Bildsäule läßt sich auch die Sage erklären, warum diese Nemesis für eine Tochter des Oceans galt, ohne das wir uns dabei wie Pausanias den Kopf zerbrechen dürfen: denn war Venus nicht die Tochter des Oceans? und das auch diese Nemesis vom Meere herkam, folglich sich als eine oder Nemesis marina in der gemischten Sage erhalten konnte, davon wird sich der Grund sogleich zeigen.
  13. a) Aus dieser Verwandlung einer Venus in die Nemesis erklären sich einige griechische Epigramme, deren Feinheit sonst ziemlich übersehen werden mußte. Wenn Lais sagt:
  14. a) Sie fand auch bei dieser Venus nicht statt: denn da sie nach Pausanias Beschreibung den Zweig in [226] der Einen, die Schaale in der andern Hand hielt, so hätte sie das Gewand ihres Kleides nur mit einer sehr gezwungenen Stellung fassen können, wovon Pausanias auch nichts saget.
  15. b) Pittur. d’ Ercolan. T. III. tab. 9. etc.
  16. a) Attic. c 33.
  17. b) Daher erklären sich nun die Hirsche, die der Schüler Phidias, wahrscheinlich als fliehende, der Krone der Göttin anbildete; ein schimpfliches Denkmal der Flucht der Perser: daher erklärt sich auch die Sage, daß diese Nemesis, wie die Venus eine Tochter des Meers hieß. Denn waren die Feinde und mit ihnen die Nemesis nicht vom Meer hergekommen? mußten sie nicht dahin blutig zurückfliehen? Auch wird hiemit deutlich, warum Agorakritus seinem Bilde den Zweig und die Schaale lassen konnte; es war nicht eine Nemesis überhaupt, sondern eine siegende Nemesis der Athenienser, die also auch Symbole haben konnten, die auf einen glücklichen Ausgang deuteten und die in spätern Denkmalen der Sieg, die Freude oder der gute Ausgang auch wirklich bekam.
  18. a) Gewöhnlicher Weise redet man von der Nemesis zu Rhamnus nach Plinius und Pausanias Beschreibung als von zwei Statuen; da es doch augenscheinlich nur Eine war und beide Sagen sich gar wohl vereinigen lassen. Daß des Pausanias Bildsäule ihren Attributen nach ganz Venus sei, ist offenbar und ohne Plinius-Erzählung könnte man gar nicht begreifen, warum eine Nemesis so ganz außer dem Costume der Nemesis gebildet worden. Mit seiner Erzählung erkläret sich alles und man kann es ihm daher auch glauben, daß weil die Symbole selbst nicht unterscheidend gnug waren, der Künstler auf einer Tafel den Namen der Göttin dazu geschrieben habe. Es war ein kühner Gedanke, den ihm auch für seine Person betrachtet ein gerechter Unwille d. i. die Nemesis eingab.
  19. a) Strab. I. 13.
  20. b) Pausan. I. 7. c. 5.
  21. c) Beger. thesaur. Brandeb. T. I. p. 671. T. II. p. 61. Liebe Gotha nummar. p. 262. et ibi citat.
  22. d) Winkelm. cabin. de Stosch p. 294-96.
  23. e) Winkelmanns Monum. inedit. Fig. 25. bisher die einzige Bildsäule, die von ihr bekannt ist. Sie hat den Zweig in der Rechten und hält mit der Linken das Gewand erhoben. Die Thurmkrone der Cybele ist auf ihrem Haupt: ihr Schritt ist sanft und gleichsam verstohlen: das Rad unter ihren Füssen fehlt, welches auch eigentlich nur auf Anaglyphen gehört und auch auf ihnen nicht allenthalben vorkommt. In der Geschichte der Kunst (S. 428. Dresd. Ausg.) hatte Winkelmann eine andre Nemesis als eine sitzende Statue mit Geissel und Schellen angeführt; allein jedermann siehet, daß dies keine Nemesis seyn kann, wie denn der Verf. durch das Bekänntniß, das Jenes die einzige Statue dieser Göttin sei, (Monum. p. 30. stillschweigend seine Behauptung zurücknimmt. So wenig das Sitzen, als die Geißel und die Schellen kommen der Nemesis zu, weder nach ihren sonstigen Gestalten, noch nach ihrem gegebnen Charakter.
  24. f) Pitture d’ Ercol. T. III. tab. 10. Sie steht mit einem Schwert in der Scheide; daher ich sie eher [234] für eine rächende Gerechtigkeit, als für die Nemesis halte, deren Begrif man überhaupt sehr verwirrt hat. Wenn Winkelmann (Allegor. S. 54.) den Genius, der bei der verlassenen Ariadne steht (Pittur. d’ Ercol. T. II. tab. 15.) für eine Nemesis hält, hat er ihre Idee verfehlet. Die Nemesis ist keine Wiedervergeltung; sie gehört hier weder zur Ariadne, noch selbst hinter den Theseus, der eigentlich nicht sie durch einen übermäßigen Stolz, sondern andre Götter durch Undankbarkeit und Treulosigkeit beleidigt hatte. Auch hat der Genius keine die Nemesis bezeichnende Attribute.
  25. a) Mem. de l’ Acad. des Inscr. T. VII. p. 289. Amsterd. Ausg. Brunk. anal. II. 292.
  26. b) Anthol. gr. I. 4. c. 4. epigr. 72. 73.
  27. c) S. Winkelmann I. c. Die Flügel bedeuten, daß sie sich allenthalben und schnell einfinde: der stille Blick in den Busen sagt, daß sie auch ins Verborgne schaute; deßhalb auch die ältesten Nemeses Kinder der Nacht heißen.
  28. d) Winkelmann ib. Die rohere, aber auch bedeutende Gestalt der Etruskischen Nemesis s. in Gorii Muh. Etrusc. Tab. 6. fig. 3. compend. Schwebel.
  29. e) Montfaucon comp. antiquit. Tab. 35. fig. 8. Beger. thesaur. Brandeb. T. II. p. 61. Hier sind die beiden Nemeses. Sie stehen gegen einander: die Eine hat das Rad neben den Füßen, die andre den Zaum in den Händen; die Eine hält den Arm als Maas, die andre enthebt das Gewand leise dem Busen. Zuweilen stehen sie auch, den Finger gegen den Mund haltend; ein Zeichen der Verschwiegenheit. Sie fahren auch auf einem Wagen von zwei geflügelten Greifen gezogen u. f. Winkelmann (Monum. ined. p. 3.) läugnet, daß sie je das Maas in der Hand führe; sie führt [237] es aber bei den wenigen Abbildungen die ich habe nachsehen können, wirklich auf einer Smyrndischen Münze bei Liebe(p. 282.) auch kann man hierüber gewiß den deutlichen Epigrammen, wie auch dem Hymnus des Misodems, der in allem andern so treu ist, glauben. Ihm glaube ichs auch, daß sie zuweilen mit der Waage in der Hand vorgestellt worden, ob mir gleich auch diese Abbildung noch nicht vorgekommen ist: denn was für ein kleiner Rest des Alterthums hat sich überhaupt für uns erhalten!
  30. a) S. Winkelmanns Allegor. S. 54. ein Symbol daß sie auch in der Ferne erreiche. Als Oupis Der Voraussehung hat sie die Schaale und einen Spieß; bisweilen liegt auch der Greif zu ihren Füßen. Spanhem. not. in Callimach. p. 318.
  31. b) Wahrscheinlich waren dazu die Greife vor ihrem Wagen.
  32. a) Bei Plato (de leg. 3.) ist sie ein aufsehender Bote der Gerechtigkeit; als eine Tochter des Glücks aber (Monum. ined. p. 30.) ist sie mir aus dem Alterthum nicht bekannt, auch wäre dies ihrem Amt und Charakter ganz entgegen.Νεμεσις και Δικη ουκ εωσι, μειζω της φυσεως φρονειν, αλλα ραδιως μικρους εκ μεγαλων ποιουσι, das ist ihr Charakter.
  33. a)Ιλιαδ. τ. 91. 130. [?.] 501.
  34. b) Ηλεκτρ. ν. 474.
  35. a) Pausan. Attic. c. 43.
  36. b) Alle ihre Symbole sind von den Symbolen des Glücks verschieden; indeß beging schon Hesychius den Irrthum, daß er sie durch αγαθη τυχη erklärte und mehrere sind ihm gefolgt. Es thut mir leid, daß ich des Buonaroti osservaz. sopra. alc. Med. entbehre und also nicht weiß, was er über die Nemesis gesagt hat.
  37. a) Die Nemesis als Adrastea bekam nach Strabo vom Tempel des Adrastus diesen Namen; da aber das Wort auch eine Unentfliehbare, eine immer-Wirksame bedeuten konnte und dieser Sinn sich zu ihrem Amt sehr wohl schickte: so konnte es nicht fehlen, daß der Begrif immer erhöhet wurde, daher sie Phurnutus (Cap. 13.) als die Macht der hohen Schicksale ansieht und sie der Verfasser des Buchs περι κοςμ. unter des Aristoteles Schriften (c. 7.) eben so hoch hinausrücket. Gleich weit holt Ammianus Marcellinus (I. 14. e. 11.) den Begrif derselben her, ob er gleich nachher selbst auf die Idee des gemeinen Ausdrucks trift, sobald er sich ihrer symbolischen Beschreibung nahet. So will sie Makrobius (Saturn. I. 22.) gar zur Sonne deuten; er kann aber nicht umhin, dazu zu setzen: „daß sie gegen den Uebermuth verehrt werde“ und damit ist ihr wahrer Begrif gegeben. In allen solchen Fällen muß man die willkührliche Terminologie abstrahirender Philosophen vom gemeinen Gebrauch der Kunst und Rede unterscheiden; sonst kommt man nie aus dem Chaos.
  38. a) Auch die genauern römischen Dichter entfernen sich nicht von diesem ursprünglichen Begrif, den alle Kunstwerke bezeichnen.

    Sed Dea, quae nimiis obstat Rhamnusia votis
    ingemuit, flexitque rotam

    sagt Claudian. Adsensit precibus Rhamnusia instis, sagt Ovid u. f. Es wäre also Zeit, die falschen oder unbestimmten Begriffe der gemeinen Mythologie hierinn zu ändern. Wenn Banier z. B. die Nemesis als eine Höllengöttin betrachtet, wenn Simon (Mem. de l’ Acad. des Inscr. T. v. p. 351.) sie als eine blutgierige Kriegsgöttin ansieht, die der ausziehende Feldherr mit dem Blut und Tode der Fechter habe versöhnen wollen u. f. so ist von dem Allen deine Sylbe Wahrheit. Die [247] Nemesis des Volks wollte er durch die Spiele versöhnen, daß es ihm nichts Böses nachwünschte: auch seine eigne Nemesis wollte er sich zur Freundin machen, damit er sich dieser Ehre nicht überhübe; das wollte die Versöhnung der Nemesis sagen. Auch Winkelmann hat den bestimmten Begrif dieser Göttin nicht immer im Auge behalten und sie bald mit Schicksal, bald mit einer Art Nachgöttinn verwechselt. Seine vorgeschlagene Allegorie z. B. von der den Verbrecher ereilenden Rache unter dem Bilde einer Nemesis, die ihm die Hand auf die Schulter legt (Allegor. S. 145.) ist daher ganz unbestimmt; vielmehr würde dies Bild sagen, daß die Göttin des Maasses den vor ihr Gehenden liebreich einhalte und ihn warne. Der Witz jenes Leo von Byzanz verführte unsern Allegoristen, daß er den ganzen Begrif der Nemesis aus ihm bestimmte. Leo sagte nämlich einem Bucklichten, der ihm die Schwäche seiner Augen vorwarf: „Mich tadelst du über ein menschliches Unglück, du, der die Nemesis selbst [248] auf dem Rücken trägt!“ Allein so schön diese Antwort ist: so kann und will sie nichts weniger sagen, als daß Nemesis Rache oder Wiedervergeltung bedeute. Der Gebrechliche hatte sie auf dem Rücken getragen, ehe er schalt und der Witz liegt also nur darinn, daß Er die Göttin, die dergleichen Vorwürfe haßend bemerkt, vergeßen und verachten könne, die ihm doch gleichsam sichtbar auf dem Rücken sitze, da sie andern nur von fern und verschwiegen nachtrete. - So nimmt auch Gori (Mus. Etrusc. p. 48. Tab. 15. Fig. 1. 2. compend. Schwebel.) Figuren für Nemeses, die es schwerlich sind, weil er sich gleichfalls keinen bestimmten Begrif von dieser Göttin machte.

  39. a) Hymn. Orphic. 60.
  40. a) Memoir. de l’ Acad. des Inscr. T. 19. übersetzt in Gatterers histor. Biblioth. B. 10. S. 29. u. f.
  41. a) Furius Camillus bei LiviusI. 5. c. 21. Fabius Maximus I. 10. c. 13.