Nacht (Haller)
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Nacht
Mit stummen Glocken läutet
Die Nacht durchs müde Feld.
Mit weißen Fingern deutet
Der Mond auf die gestorbne Welt.
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Mein Ohr hört eine BrandungDie keinen Felsen hat,
Mein Auge sieht die Landung
Des Geisterschiffs an ferner Stadt.
Dort braust ein Jubelklingen
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Wie’s hier kein Ohr vernahm;Dort glänzt aus goldnen Ringen
Ein Bildnis himmlisch, wundersam.
Auf Tönen, stark und milde,
Fliegt mein entrückter Sinn;
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Vor jenem klaren BildeNeigt sich mein Leib in Demut hin.
O Lebensstrand voll Freude,
Wie ferne magst du sein!
O selger Sehnsucht Weide,
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Wo leuchtet mir dein grüner Schein?
Laß deiner Lust Gedröhne
Mir fern herüber wehn,
Und deines Bildes Schöne
Im Traum vor meinen Pfaden stehn!