Nach dem Tode meines geliebten Bruders

« Lied einer jungen Mutter an ihr ungeborenes Kind Gedichte (Friederike Brun) Der Sonnenaufgang im Winter »
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Textdaten
Autor: Friederike Brun
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Titel: Nach dem Tode meines geliebten Bruders
Untertitel: 1786
aus: Gedichte, S. 57–60
Herausgeber: Friedrich von Matthisson
Auflage:
Entstehungsdatum: 1786
Erscheinungsdatum: 1795
Verlag: Orell, Gessner, Füssli & Comp.
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Erscheinungsort: Zürich
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Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[57]
Nach dem Tode meines geliebten Bruders.

                1786.


„Strahlender Jüngling, woher?„ –
          – Schwester!
„Bruder du mir? Jüngling im Silbergewand?
     „Ach! dieß Auge! der Blick ist sein!„

5
Ich taucht’ im frölichen Jugendspiel,

     Die heissen Glieder im kühlenden Strom,
Da brauste die Woge schwellend empor –
     Schwester! ich sank tief in des Stromes Schoos.
Weine nicht, Du, die ich liebte,

10
     Als ich, ein Pilger noch, wallte;

Du, die ich nun inniger liebe!

     [58] Leicht, wie Blumenduft,
     Fühlt’ ich empor mich gehoben –
Es schwebten Engel über der Flut!

15
Ach! mehr als Engel – es schwebten

     Freund’ um mich!
Wie tönte, gleich Harfengelispel,
     Lieblich die zärtliche Stimm’
Unsers Tiresias mir!

20
„Willkommen, willkommen, Geliebter!

     Steig’ empor aus der Endlichkeit Strom,
          Unsterblicher Jüngling!
O, labe dich an der Ewigkeit Born„.

     O Geliebte! ich trank,

25
          Trank aus der Ewigkeit Strom,

     Der silbern hernieder
          Sich vom Thron des Erbarmers gießt!
               Jeder Schatten entfloh’.
          Ach! die Thräne,

30
          [59] Die Thräne der Trennung von Euch,

     Sie löste sanft in Entzückung sich auf!

     In kindlich schüchterner Unschuld
          Schwebte zwischen den Blüten
     Ein wonniges Knäblein um uns.

35
„Siehe der Deinen Einen!„

          Rief Tiresias, hob das schimmernde Knäblein,
Und küßte mit dem Kusse des Friedens ihn;
     Und glänzender blühten die Rosen
     Auf den Wangen des Knäbleins auf.

40
     Du gebahrst ihn, dein Leben!

          Traure nicht, Schwester! um uns.
     Laß deine Klage seyn
          Wie der sanften Laute Nachhall,
     Die bald emportönt zum höhern,

45
          Seelenvolleren Lied;

     Zum Liede meines Erwachens,
          Meines Jubels am Thron!

[60] Jammernde Mutter, die mich gebahr,
     Ein winselndes, hülfloses Kindlein,

50
          Mutter! Vater! freuet euch mein,

Und seegnet die Flut, die von Schlacken
     Hat gereinigt das Gold!

               Schwester ich scheide!
Wenn einst die große Stunde dir kömmt;

55
     Wenn in die Nacht des Todes

          Dahinsinkt dein Haupt,
Zum Leben emporstrebt dein Geist,
          Siehst du mich wieder!