Mutterpflichten und Muttersünden

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Titel: Mutterpflichten und Muttersünden
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aus: Die Gartenlaube, Heft 4, 30, S. 52–53, 431-432
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Mutterpflichten und Muttersünden.
Von einem Lehrer und Erzieher.


Die Gartenlaube vertritt die Interessen der Familie. Unterhaltung, Belehrung und Anregung spendet sie unter dem freundlichen Schatten ihres anspruchlosen Titels. Sie verbreitet sich über die wichtigsten Zweige des menschlichen Wissens, und führt die Familienglieder in verständlicher Unterhaltung wie an Freundeshand an die Quellen der Weisheit und Erfahrung.

Zu den Interessen der Familie zählt auch die Erziehung. Die Nachwelt entsproßt ihrem Schooße. Das Wohl kommender Geschlechter wird in ihr begründet oder begraben. Die Erziehung ist der Familie größtes Privilegium, ihre heiligste Pflicht, ihre schönste Aufgabe. Ihr Pfad ist aber oft labyrinthisch, ihr Ziel verschleiert. Leicht ist’s, auf Abwege sich verirren, und nicht selten ermüdet Geduld und Kraft an ihren Verschlingungen, und das Pflichtgefühl erschlafft an ursprünglichen oder selbsterschaffenen Schwierigkeiten. Sollte man darum nicht die Hand eines erfahrenen Rathgebers willkommen heißen, wenn er, durchglüht von heiliger Begeisterung, sie als Führer bietet?

Als solcher auf verschiedene Höhenpunkte zu führen und von dort her eine Aus- und Umschau zu halten, das ist des Verfassers Absicht. Beginnen wir zuerst mit der Bedeutung der Mutter für die Erziehung.

Suchen wir die Namen der Edlen unserer und aller Nationen aus der Geschichte hervor, sie, die Bürgerkronen schmückten, sie, die Glanz der Großmuth umstrahlte, sie, die als Dichterfürsten glänzten: der Mutter Einfluß weckte entweder das Talent oder leitete es in seine Bahnen. Ohne diese ihre Mutter würden sie nur gewöhnliche Menschen oder doch ganz andere geworden sein, als wie wir sie kennen.

Die besten unserer Zeitgenossen, die edelsten von unsern Freunden, fragt man sie, wessen Name noch ihr Herz mit freudiger Rührung füllt, wenn schon der Schnee des Alters auf dem Haupte lagert; wessen Worte, Blick und Wesen sie stets frisch und jugendlich bewahren, hier zur Ermunterung und drüben zur Verwarnung: der Mutter! – Und geht es uns denn selber anders? Ist nicht das Bild der Liebe, das sich um die Tage unserer Kindheit flechtet, auch unauslöschlich tief in’s eigne Herz gegraben? – Der aber, dem es fehlt, ihm füllt Nichts auf der Welt die Lücke aus.

„Die Mutter kann nicht ohne Hülfe des Vaters erziehen“ – das ist eine weit verbreitete Ansicht; aber es ist nicht minder wahr: „Der Vater auch nicht ohne Mitwirkung der Mutter.“ Die Kraft und Strenge, die Härte und Schärfe, das Markige und Eckige, das Strebende und Kämpfende, das Schaffende, mit einem Wort, das Männliche des Charakters verlangt den Mann der That zum Vorbild und zur Stütze. Das Pflegen und Erhalten, das Ordnen und das Dulden, das Zarte und das Sinnige, das Glättende und Gleichende, das Schmückende und Empfangende, kurz, das Aesthetisch-Weibliche kann nur dem Mutterherzen entquellen. Und wie jene erst gemeinschaftlich den edlen Charakter bilden, so kann ein solcher auch nur in vereinter Einwirkung von Vater und Mutter gedeihen.

Der Verfasser hat als Lehrer mannichfache Gelegenheit gehabt, den Charakter der Kinder in ihrem Verhältnis zu dem der Eltern zu beobachten. Es ist Thatsache, daß Leidenschaften und Laster, welche sich auf übermäßiges Begehren zurückführen, wie Trunksucht, Dieberei, geschlechtliche Sünden u. a. m. selten vom Vater auf die Kinder übergehen. Wie mancher Sohn eines Trunkenbolds z. B. ist der nüchternste Mensch, der Sohn des Geizigen oder Habsüchtigen ist in der Regel Verschwender. Kinder sind dem Verfasser bekannt, deren Vater ein fleißiger Insasse des Zuchthauses war, sie selbst waren ehrlich. – Wenn aber die Mutter sich dieser oder ähnlicher Laster schuldig macht, so folgen die Kinder ihren Fußstapfen.

Der erziehliche Einfluß der Mutter ist größer, als der des Vaters. Der Letztere kann oft nur durch die Erstere wirken. – Der Mutter allein ist des Kindes früheste Kindheit anvertraut, die ersten Eindrücke auf das zarte Wesen kommen von ihr, ihrer Hut ist nicht allein die früheste Entwickelung des hülflosen Körpers, nein, auch die unscheinbare, aber unendlich wichtige Anregung der Empfindung und des Bewußtseins anvertraut. Darin liegt aber der Urquell von „Glück und Unglück“ im ganzen spätern Leben; denn nur Gesundes kann Gesundes erzeugen, nur dem Reinen kann das Reine entsprießen.

In seinen ersten Lebensjahren ist das Kind nur ein treues Abbild seiner Umgebung. Achtet man auf seine Lebensäußerungen, es bewegt sich, blickt, drückt in Mienen und Gebehrden aus, spricht in Ton und Urtheil wie die Mutter oder wie die Wärterin, die es stets umspielt. Das ist mehr als blos äußerliche Nachahmung. Man stelle es auf die Probe! Bald wird man sich überzeugen, daß die Denk- und Empfindungs-Weise des Kindes ganz mit derjenigen übereinstimmt, von welcher es täglich Zeuge gewesen. – Der Charakter wird also begründet und angelegt durch die Mutter, wenn sie sich dem Kinde weiht. Aber auch fernerhin ist das Kind immer mehr auf die Mutter angewiesen, als auf den Vater, den sein Geschäft, seine Sorge für das Wohl der Familie häufig und anhaltend daran hindert. Da hat die Mutter Gelegenheit, das zu pflegen, was unter ihren Augen gekeimt hat, was durch ihr eigenes Wesen und Walten entstanden ist.

Ein großer Theil des „Glücks“ der Kinder ist mithin der Mutter in die Hand gegeben. – Welch ein erhabener Gedanke, beseligendes Bewußtsein für jede Mutter, welche erfüllt sie nicht mit wahrem Stolz!

Allein es ist eine Aufgabe, ein Problem für die Mutter. Ihr Ziel zu erreichen, kostet Mühe, Anstrengung und Opfer. Ja, und die Opfer eben sind es, woran ihre Kraft, ihr Pflichtgefühl so leicht scheitert. Es ist so erhebend, so begeisternd, eine Mutter, die ihre Aufgabe begriffen hat, in mütterlicher Liebe und Würde unter den Kleinen walten zu sehen; aber dieses Bild hat man nicht allzu häufig. – Gäbe es mehr Cornelien an Muttertreue, es würde mehr Gracchen geben an Mannesmuth und Edelsinn!

Aber in vielen Fällen scheint die Mutter keine Vorstellung zu haben von ihrem erhabenen Berufe, von ihren heiligen Pflichten, von der Wichtigkeit ihres Wirkens, von der großen Verantwortung gegen sich selbst, ihre Kinder und gegen Gott. Leider aber werden unsre jungen Mädchen auch zu allem Möglichen, zu verkrüppelten Zierpflanzen mißverstandener Civilisation eher erzogen, als zu Müttern.

Die Würdigung des Kleinen in der Erziehung.

Schon im täglichen Verkehr hat es das Volksbewußtsein durch den Volksmund (Sprüchwort) zur Weisheit gestempelt „das Ehren des Kleinen.“ Die tägliche Erfahrung hat es gelehrt. – [53] Am glänzendsten bewährt sich der Werth des Kleinen in der Natur, und wer auch nicht die Wunder der mikroskopischen Welt aus eigener Anschauung kennt, sie sind durch die populären Werke unserer Tage, auch durch verschiedene Artikel der Gartenlaube, einem Jedem zugänglich. Ueberdies gibt jeder Gegenstand in unserer Umgebung, jedes Geschehen in unserm Bereiche, die Blumen in unserer Fensterbank, die Vögel im Käfig, der Verkehr mit Speisen und Getränken etc. etc. jedem aufmerksamen Beobachter Gelegenheit, sich mit eigenen Sinnen von dem Werthe des Kleinen zu überzeugen. – Es ist zu beklagen, daß die Mehrzahl dies auf’s Wort hin blos – glaubt, um bei nächster Gelegenheit wieder zu zweifeln, anstatt sich zu überzeugen und in dieser Ueberzeugung zu eigenem Nutz und Frommen zu handeln.

Nirgends wird aber „das Kleine“ häufiger und leider mit größeren Nachtheilen unterschätzt, als auf dem Gebiete der Erziehung. Immer kehrt der Refrain wieder: „Ach, das ist ja so unbedeutend, das wird nicht schaden!“ – So erklärlich dies ist, da die Einwirkung auf die Seele sich dem Auge verbirgt, dem Kundigen sich oft nach langer Zeit erst, dem Unkundigen niemals offenbart: so verderblich und unheilvoll ist es aber auch.

Wer freilich unter Erziehung sich nichts Anderes denkt, als Befehle und Strafen ertheilen, der wird es nie begreifen. Die Erziehung ist aber die Arbeit für die Gesundheit und Reinheit der Seele im gesunden und kräftigen Körper. Der Grund, worauf sie fußt, ist die Natur des Menschen. Da die körperliche Erziehung aber durch die Artikel des hochverehrten Herrn Prof. Bock in der Gartenlaube so klar und gründlich uns an’s Herz gelegt ist, so darf hier nur von der seelischen Erziehung noch geredet werden. Ihr Grund ist die Natur der menschlichen Seele. Wie die Medicin, so ist die Erziehung empirische Wissenschaft und Kunst zugleich und der Erzieher sollte im vollsten Sinne des Wortes der Arzt der Seele sein. Da ist denn wohl nöthig, die Erscheinungen des menschlichen Seelenlebens auf ihren Ursprung zurückzuführen und die Einwirkungen auf die Seele in ihren Entwickelungen zu verfolgen. – Von diesem Standpunkte aus sind die „Fehler und Sünden“ der Jugend seelische Krankheitserscheinungen, deren Ursache man zu erforschen und durch deren Hinwegräumung man die Seele auf ihren Naturzustand zurückzuführen hat.

Einige Beispiele aus des Verfassers eigener Praxis mögen den Werth des sogenannten „Kleinen“ nachweisen und das vermeintlich Kleine als bedeutsam darthun!

Ein Knabe nicht unbemittelter Eltern, talentvoll und mit vorherrschend gutmüthigem Charakter, zeigte schon vom neunten Jahre an eine heftige Neigung für geistige Getränke. Durch allerlei Mittel, selbst durch Betrügerei und Diebstahl, suchte er solche zu erlangen und wurde häufig betrunken gefunden. Und woher dieser Abgrund sittlichen Verderbens in so früher Jugend? – Die Eltern, übrigens achtungswerthe Leute, sind durch ihr Geschäft abgehalten, speciell die Kinder zu beaufsichtigen – sie haben ein Gasthaus – haben wohl bemerkt, daß der Knabe sich die Tropfen aus den kaum geleerten Gläsern der Gäste sammelte, und hielten das für unbedeutend, und als er später sich an die Neigen wagte, da war auch das noch unbedeutend. Erst als er an die Flaschen im Schenkschranke sich machte, da schien es ihnen bedeutend genug, um einzuschreiten. Es ist aber nur zu gewiß, daß auch die strengsten Strafen ihn nicht bessern werden. In dem Hause seiner Eltern, unter den Augen von Vater und Mutter wird er vom Strudel der Leidenschaft fortgerissen und sehr elend werden. – Strenges Abhalten vom Kosten der Tropfen hätte dies verhütet.

Wie oft tritt Eltern und Erziehern die Unwahrheit, die Lüge so plötzlich entgegen, daß sie im höchsten Grade erstaunen. Es ist ihnen ein Räthsel, wie der sonst „so aufrichtige und wahrheitliebende“ Zögling so geschickt und so frech zu leugnen, zu lügen vermag. – Das Gefühl leitet uns richtig. Die Lüge und ihre Begleitung ist eine solche Abweichung von dem Rechten, das Natur uns in die Brust gegraben, daß die erste Lüge und eine Reihe Nachfolgerinnen sich auf der Stelle verrathen. – Die geschickte, freche Lüge setzt eine Gewohnheit, eine Uebung voraus, welche leider übersehen ist, weil man das Alles ja nur Kleinigkeiten nannte. – Hier die Beispiele einzeln anzuführen, würde zu viel Raum in Anspruch nehmen, aber wir müssen wieder darauf zurückkommen, wenn wir die Jugendsünden einzeln betrachten. – Auch Lügner werden nicht geboren, sondern erzogen und die Schuld liegt in den meisten Fällen in den Erziehern.

Welch’ einen Eindruck des Mitleidens und des Ekels erregt es, wenn Kinder sich vor jedem Dinge fürchten, schreiend fliehen oder zitternd nahen. Diese Furcht ist nicht unbedeutend; denn durch Schläge und Einsperren und andere Gewaltmaßregeln will man sie vertreiben. – Als aber für das kleine Kind jeder Platz, den es meiden sollte, einen „schwarzen Mann“ beherbergte, jedes Ding, das es nicht anfassen sollte, „beißend“ war, des Kindes Unvorsichtigkeit nicht, sondern der unschuldige Tisch etc., an den es sich gestoßen hattet bestraft wurde und die ängstliche Mutter bei jedem Aufschrei des Kindes einen ganzen Erguß von Mitleid und Trost aufwandte, da ward dem warnenden Freunde entgegnet: „das sind ja Kleinigkeiten, was können die schaden!“

„Es ist ja nur eine Kleinigkeit,“ wenn das kleine Kind ein paar Mal seinen Willen erhält, gegen den ausdrücklich ausgesprochenen Willen des Erziehers, man mag es ja solcher „Kleinigkeit“ halber nicht schreien lassen, sich nicht deshalb bemühen. Nach kurzer Zeit „ist es mit dem eigensinnigen Kinde nicht mehr auszuhalten,“ und da gibt’s dann Strafe über Strafe, welche nur zu oft nicht hilft, manchmal das Uebel verschlimmert.

Erstaunen und Schreck sind nicht zu unterdrücken, wenn wir die Arglist und Pfiffigkeit endlich erkennen, welche Kinder, und besonders Mädchen, in ihren „Tricks“ gegen Eltern, Geschwister, Dienstboten und Andere entwickeln. Das beifällige Lächeln bei den „kleinen allerliebsten Schelmenstreichen der Kleinen“ war ja auch eben nur „eine Kleinigkeit.“

Massenhaft sind in der That die betrübenden Beispiele, wo durch Nichtachtung des vermeintlich „Kleinen“ eben die Kleinen selbst verdorben oder doch leicht zu vermeidenden schmerzlichen Strafmitteln entgegengeführt werden. Das Angeführte mag genügen, um die denkenden Eltern auf das Kleine aufmerksam zu machen. Sie werden sich sehr bald überzeugen, daß ohne Aufmerksamkeit auf das „Kleine“ und also ohne große Mühe keine Erziehung möglich ist. In der Erziehung gibt es nichts Unbedeutendes. – Die Kinder sind klein, ihre Handlungen geschehen in dieser ihrer kleinen Welt und haben für sie dieselbe Bedeutung, als unsere Handlungen in unserer großen Welt. Was in dieser ihrer kleinen Welt sich ereignet, macht auf sie nicht den Eindruck des Kleinen, es erregt sie so stark und nachhaltig, wie uns die Ereignisse in der Welt der Erwachsenen. Der Erzieher muß den Charakter der Zöglinge erkennen. Dieser offenbart sich im Kleinen. – Der Erzieher muß die Anlagen, Talente und Neigungen seiner Kinder erkennen, um sie zu leiten, zu benutzen und endlich seinen Beruf zu bestimmen. Sie zeigen sich nur klein und im Kleinen. Je früher aufmerksam geworden, je früher erkannt, desto leichter und erfolgreicher die Einwirkung. Man klage nicht über Stümper in diesem oder jenem Berufe, diese könnten eher klagen über die Stümperei in ihrer Erziehung.

[431]
Muttersünden.


Wenn das Muttergefühl mit seinem ersten Entzücken den weiblichen Busen durchbebt, dann erheben sich wohl in jedem Mutterherzen heiße Wünsche für des Kindes Glück, Ahnungen von dem, was die Mutter sein kann, sein soll, und fromme Entschließungen, was die Mutter dem Kinde sein und werden will. Ein Bild malt sie sich aus voll Lust und Liebe. – Das ist das Werk der Natur, o würde nur ein Theil von diesen Phantasien Wirklichkeit! Allein Gewohnheit schwächt die Freude ab. Bald das tägliche Geschäft der thätigen Hausfrau, bald die Ansprüche des geselligen Lebens, die Convenienzen und die zerstreuenden Genüsse desselben verwischen jenen ersten Eindruck einiger heiligen Momente, entfremden die Mutter den Kindern, und dann ist das bedauernswerthe Verhältniß erreicht, welches leider zur Zeit immer mehr „modern“ zu werden und zum bon ton zu gehören scheint.

Nachdem die jungen Mädchen aus den Töchterschulen oder Töchterpensionaten entlassen sind, in welchen sie mit wenigen Ausnahmen einzig und allein für das „Erscheinen“ zugestutzt werden, so geht von Stund an ihr und ihrer eitlen Mütter Streben vornehmlich dahin, „Effect zu machen“ und zu „erobern.“ Zu dem Ende muß ihre „Erziehung“ hin und wieder noch „vollendet“ werden. Piano spielen und Singen, Tanzen und Malen, Unterhaltung führen, Putzen und Coquettiren sind unvermeidliche Kenntnisse und Fertigkeiten. Wehe dem Mädchen, dem sie fehlen! Ihr Loos ist Verachtung aller ihrer Schwestern. In minder anspruchsvollen Kreisen muß das erwachsene Mädchen eine Zeit lang „den Haushalt erlernen.“ Wie und wo aber wird das junge Weib für den Mutterberuf vorbereitet? – Unvorbereitet und mit Werth und Wesen dieser natürlichsten aller weiblichen Berufspflichten unbekannt, treten die meisten in den Ehestand, und glücklich sind noch die Kinder zu schätzen, deren Mutter sich durch ihr natürliches Gefühl leiten läßt. – Wir wollen nicht weiblichen Berufsanstalten („Universitäten“) das Wort reden, sie sind gefährlich. Aber für eine unabweisbare Pflicht müssen wir es erklären, daß das Mädchen sich auf den Mutterberuf vorbereite. Die Familie, das deutsche Haus, der Kinderkreis, die Kinderstube sind die geeignetsten Stätten, wo unter Aufsicht und Leitung einer gebildeten und verständigen Mutter das Mädchen sich vorbereiten kann, und einer solchen Mutter Lehre und Beispiel muß die reichen natürlichen Anlagen des Weibes zu duftigen Blüthen entfalten. – Auch unter den Erziehungsschriften gibt es Bücher, die im zugänglichen Gewände das Mädchen vorzubereiten vermögen, einige unter ihnen aus weiblicher Feder. – Wie selbst die Schule schon diesen weiblichen Beruf nicht unbeachtet lassen darf, hoffen wir später darzuthun. – Wenn aber Männer von wissenschaftlicher Bildung und pädagogischem Takte Vorlesungen hielten, und die Zeitschriften ihre Spalten diesem Gegenstande mehr öffneten, so wären auch damit mindestens Anregungen gegeben.

Eine an Genuß und Vergnügen gewöhnte Mutter, die schon seit ihrem zwölften Jahre die „Dame“ gespielt, alle Moden mit durchgemacht, von allen Freudenbechern genascht, thés dansants und Bälle besucht und die Huldigungen (pour ainsi dire) der Männerwelt empfangen hat; eine solche Mutter ist für die höchste und natürlichste Freude des Weibes, für die Mutterfreude verdorben. Mag sie eine solche bei Gelegenheiten affectiren, es ist rein äußerer Schein, wie Alles, was man an ihr sieht. Die tiefe, innige, beseligende, zum höchsten Opfer begeisternde Mutterfreude, Mutterliebe – wie sie jedem fühlenden Wesen der Natur eigen ist – kennt sie nicht, als aus Romanen; sie ist ihr eben auch nur romantisch; wirklich, selbst empfunden wird sie nicht. – Tritt sie in die Kinderstube hinein, da blüht ihr nur Verdruß statt Freude. Das Geräusch, das fröhliche Tummeln, das Weinen und das Jauchzen können ihre „zarten Nerven nicht vertragen“ und ihre Roben-Crinoline und eine ganze Reihe von Putzsachen können das Nahen der Kinder eben so wenig vertragen. Wenn die Aerzte dann klagen über Verwahrlosung der Körpers, so haben wir Erzieher noch weit mehr über geistige und sittliche Verwahrlosung zu klagen.

Wärterinnen und Dienstboten werden so oft mißachtet; ihr Betragen, ihre Sittlichkeit, ihre mangelhafte Bildung so sehr gerügt. Schränke, Keller und Cassen sind sorgfältig vor ihnen verschlossen. Die Kinder aber, den köstlichsten Schatz der Eltern, vertraut man ihnen unbedenklich an. – – Wir erachten es für unerläßliche Pflicht jeder Mutter, sich ihren Kindern ganz zu weihen, einen Theil ihrer Vergnügungen und Genüsse ihnen zu opfern, unter ihnen ihren Thron aufzuschlagen, ihre kleinen Freuden und Leiden zu theilen, die Eindrücke zu überwachen, welche die jungen Seelen empfangen, und mit ängstlicher Sorgfalt alle, auch die kleinsten Regungen ihres seelischen Lebens zu beobachten. Das Vertrauen und die ungeheuchelte Liebe der Kinder wird sie belohnen, jeder dazu verwandte Tag ihr höhere Befriedigung gewähren, als ein Tag des rauschendsten Genusses.

Die meisten Eltern und viele Erzieher wollen mit Worten erziehen. Sie ertheilen Befehle und Verhaltungsregeln, sie predigen und moralisiren, sie warnen, drohen und strafen fast ausschließlich mit Worten, mit Phrasen. Das ist eine traurige Täuschung. Erziehen heißt handeln. Die Thaten des Erziehers vollbringen die Erziehung und durch sie erhalten seine Worte erst Werth und Bedeutung. Wir müssen mehrfach hierauf zurückkommen.

Die erziehende Mutter verlangt Resignation Die Kinder sollen sich etwas versagen können. Sehr schön! Sie befiehlt, sie [432] überredet, sie schildert, sie warnt, sie droht und züchtigt endlich: vergeblich! zur freien Entsagung des Genusses kommen sie nicht, denn die Mutter vermag sich selbst nichts zu versagen, und das wissen die Kleinen besser, als die Mutter, die nicht auf sich Acht hat. Sobald sie aber die Mutter ohne Rumor und freudig Opfer bringen sehen, lassen sie sich leicht und willig daran gewöhnen und ein einziges Wort der leisen Anerkennung wiegt jener tausend auf.

So lange die Mutter sich nicht scheut, die Kleinen im Scherz und Ernst zu täuschen, oder den Vater oder Andere, werden alle moralischen Predigten und die härtesten Strafen das Kind nicht zur Offenheit, zur Wahrheit führen. Die Reinlichkeit und Ordnung, die Pünktlichkeit, die Vorsicht und Bedachtsamkeit, Bescheidenheit und Anstand in Benehmen und Sprache muß das Kind der Mutter absehen können (natürlich auch anderen Personen, mit denen es in Berührung kommt), wenn dasselbe sie lernen, lieben und üben soll. – Darum achtet die verständige Mutter (wie auch jeder Erzieher) auf sich selbst mit der größten Sorgfalt und führt die Kinder mitten in die Sache hinein, benutzt die Gelegenheiten ihres kleinen Kreises, um sie zu gewöhnen, und erspart sich Verdruß und alle vergeblichen Redensarten und Scheltworte.

„Ich erziehe meine Kinder mit der größten Strenge,“ rühmt jene Mutter von sich. Nehmen wir doch diese mütterliche „Strenge“ ein wenig näher in Augenschein! – Die Kleinen haben sich unter den Augen der Mutter eine Zeitlang beschäftigt, plötzlich ist es die strenge Mutter überdrüssig und die Ruthe verschafft ihr Ruhe. – Wirklich, diese Strenge ist eine sehr sonderbare. Dasselbe, was viele Male erlaubt ist, zieht den Kindern Strafe zu. Die Kinder folgen bewußtlos ihren Neigungen, kein freundliches Leiten, kein Ablenken ihrer Thätigkeit auf ein anderes Gebiet, kein Blick, kein Wink der Mißbilligung, keine Frage nach der Ursache – das Alles ist ja keine Strenge. Sobald die Mutter irgend eine Unbequemlichkeit von ihrem Treiben empfindet, Heftigkeit, Zürnen, Scheltworte und Strafe! – Strafen ist kein Erziehen! – Die Strafe ist das letzte und folglich das seltenste Erziehungsmittel, kein Mittel, um des Erziehers Verdruß austoben zu lassen. Züchtigung ist nur dann am Platze, wenn das Kind mit Bewußtsein das Unrechte thut.

Miene, Wesen und Verhalten der Mutter muß gleichmäßig ruhig, heiter, freundlich sein. Es muß dem glatten Spiegel eines ruhigen See’s gleichen, aus dessen Grunde stets nur die Sonne der Liebe wiederstrahlt. Heftiges Zürnen und Schelten, lieblose und unästhetische Ausdrücke, lautes, lärmendes Gebühren und nie endendes „Klapsen“ ist keine Strenge, ist kein Erziehen. Es ist ein völlig zweckloses, unvernünftiges und seiner traurigen Einflüsse – auf die Mutter selbst, sowie auf die Kinder – halber durch nichts zu entschuldigendes Verhalten. Der wirklichen Strenge aber ist ebenfalls die Mutter nicht zu entbinden. Sie ist aber auch nichts Anderes, als das unerschütterliche Festhalten an dem einmal ausgesprochenen Willen, mit anderen Worten, Consequenz. Damit dies möglich werde, muß solcher Willensausdruck möglichst selten vorkommen, ein freundlicher Wunsch oder Wink der Mutter und, im besten Falle, das in den Kindern selber erregte freie Gefühl für’s Rechte und Schöne muß in den meisten Fällen genügen. Eine große Anzahl von Gesetzen kann der Erzieher selbst nicht, geschweige die Kinder behalten. Ferner muß der Ausdruck des Willens wohl überlegt sein, nicht eine augenblickliche Laune, die uns nöthigt, selbst ihn wieder aufzuheben, weil kein Kind ihn ausführen kann oder mag.

Ein solcher Ernst und solche Strenge schließt die Freundlichkeit nicht aus, dieselbe bleibt vielmehr die Alles beherrschende Gebieterin.

Mutterliebe ist vielleicht die edelste und stärkste Empfindung, deren ein Menschenherz fähig ist. Mütterliche Zärtlichkeit rührt jeden Menschen. Hochachtung und tiefe Verehrung daher diesen Genien der Menschheit! Allein was Mütter manches Mal mit diesem Namen belegen, das verdient sie nicht. – Welche Gewalt üben oftmals Kinder über die Mutter aus – oft durch Verstellung! – Sie weinen schmerzlich, sie stellen sich ungebehrdig, sie schmollen oder toben oder schmeicheln, warum? – Weil sie die schwachen Seiten der Mutter genau kennen, und sie greifen sie so geschickt an, daß sie in der Regel ihren Willen durchsetzen und recht verzogene und noch dazu verschlagene Kinder werden. Es ist unvergleichliche Schwäche, wenn die Mutter sich durch jedes Weinen rühren läßt, keinen Wunsch verweigern, keine Bitte abschlagen, keinen Befehl durchsetzen, kann; und strömte ihr Herz gleich über von zärtlicher Besorgniß, und wäre es ihr heißester Wunsch, ihr ganzes Streben, ihnen eine gute Mutter zu sein: sie könnte es nicht sein. Die Mutter bedarf neben der Seelenruhe auch der Seelenstärke für ihren Beruf.

Kennen die verehrten Leserinnen den Schmerz der Mutter über ungerathene Kinder, die Thräne, die vom Auge rinnt und in’s Gewissen den Vorwurf der Selbstverschuldung brennt, das von Aerger und Kummer gebleichte Haar und das von Kindern gebrochene Herz? – Sie sind nur zu häufig zu finden!

Kennen dieselben den Stolz, die Wonne der Mutter am Arme des edlen, des dankbar ihre Hand verehrenden Kindes, die Thräne der glücklichsten Rührung, die sie erquickt, im Auge? – Sie sind nicht allzuhäufig zu finden! – Dann kennen sie auch Strafe und Lohn!