Murillo’s Betteljungen
[13][19] Murillo’s Betteljungen. (Mit Illustrationen Seite 12 und 13.) Zu den größten Schätzen der Münchener Pinakothek gehören bekanntlich die fünf Kindergruppen Murillo’s, von denen wir hier die beiden berühmtesten in Holzschnitt-Nachbildung wiedergeben, da sie zugleich auch für den Entwickelungsgang des Künstlers selbst am bezeichnendsten sind. Ist doch das Leben dieses größten aller spanischen Maler neben dem Correggio’s eines der eigenthümlichsten Räthsel der Kunstgeschichte. Zunächst durch die allen Traditionen widersprechende Art seiner Ausbildung, denn außer einem zweijährigen Aufenthalt in Madrid hat er seine Vaterstadt Sevilla, wo er am 1. Januar 1618 geboren oder doch getauft ward, nie auf länger verlassen, mußte sich also ganz selbständig ausbilden, da sein Meister Juan de Castillo weit unter ihm stand. Wenn er dann auch in den reichen Sammlungen von Madrid die schönsten Werke des Titian und Rubens kennen lernte und von dem auf der Höhe seines Ruhmes stehenden Hofmaler Velasquez jedenfalls viele Einflüsse erfuhr, so konnte das bei so kurzem Aufenthalt doch nicht viel mehr als den Werth von einer Orientirung in seiner Kunst haben. Murillo ist daher eines der glänzendsten Beispiele für den berühmten Goethe’schen Satz: „Es bildet ein Talent sich in der Stille.“
Die Folgen dieses von dem unserigen so sehr verschiedenen Bildungsganges sieht man nun bei unserem Esteban Murillo in ganz besonders glänzender Weise, speciell an diesen weltbekannten Kindergruppen, die der Meister offenbar alle in Sevilla auf der Gasse aufgelesen hat. Weil sie so unmittelbar aus dem Leben gegriffen sind, finden wir in ihnen eine Poesie des Proletarierthums entwickelt, wie sie eben nur der Süden kennt und möglich macht, wo man mit einem Stück Polenta oder Kürbiß sich einen ganzen Tag ernähren kann und seinen Durst am nächsten Brunnen löscht. Daß ihre Garderobe ihnen auch keine großen Auslagen verursacht, das sieht man bei den zwei Schlingeln des einen unserer Bilder nur zu deutlich, von denen der eine die Melone, der andere ein Körbchen mit Weintrauben wohl in des Nachbars Garten erbeutet hat und die nun nach dem alten Sprichwort: „Brätst Du mir eine Wurst, so lösch’ ich Dir den Durst“ ihre Schätze mit einander austauschen. Denn der Besitzer der Melone hat, wie man sieht, seinem Genossen bereits ein Stück derselben gegeben und erwartet nun die Bezahlung aus dessen Traubenkorb. Der glückliche Inhaber desselben scheint sich indeß viel zu sehr in den eigenen Genuß vertieft zu haben, um den Wünschen des Andern sofort zu entsprechen.
Er wirft ihm im Gegentheil einen Blick zu, als wenn er das bischen Melone bei Weitem nicht ausreichend für seine herrlichen Trauben fände. Unübertrefflich ist die Wonne geschildert, mit der die Beiden sich Gottes Gaben schmecken lassen, es ist die lautere Natur, wie sie mit solcher rücksichtslosen Wahrheit und zugleich so bezauberndem Humor eben nur einer der größten Künstler aller Zeiten wiederzugeben vermochte. Nicht eine Spur von süßlicher Idealisirung ist zu entdecken an den halb verhungerten kleinen Raubthieren, ihre Glieder, wie ihre Lumpen, starren von Schmutz. Man sieht an diesem mit der ganzen Frische der Jugend aufgefaßten Bilde denn auch noch deutlich den Einfluß des großen Landsmannes Murillo’s, des damals schon hochberühmten Ribera oder Spagnoletto der zwar schon lange in Neapel lebte, dessen in Sevilla und Madrid befindliche Bilder aber offenbar mächtig auf den jungen Murillo wirkten.
Auf seiner vollen Höhe sehen wir Murillo dann in dem andern, etwa zehn bis fünfzehn Jahre später entstandenen Bilde, den „Würfelspielern“, wo er abermals die Proletarierjugend verherrlicht. Hier entwickelt er aber bereits neben noch größerer Meisterschaft in der Zeichnung zugleich einen Reiz des die Figuren umspielenden Lichtes und der Luft, einen Zauber der Färbung, jenes wunderbar fein nüancirte Grau, in dem ihn nie wieder [20] Jemand erreicht hat. Jede Spur der früheren, bis zur Härte gehenden Bestimmtheit ist hier verschwunden, Alles schwimmt in magischem Lichte. Dabei ist der Ausdruck ebenso wahr. Wie der vordere als der einfältigere der beiden spielenden Jungen sich über das Glück seines triumphirenden Gegners wundert, mit welcher Unbekümmertheit der daneben stehende kleine Galgenstrick sein Stück Brot verzehrt und den Spitz vergeblich auf einen Brocken spekuliren läßt, das ist alles mit einer großartigen Meisterschaft gegeben, die selbst den dürftigen, ewigen Hunger verrathenden Gliederbau der zerlumpten und auch sonst nichts weniger als schönen, halbwilden Jungen mit einem poetischen Reiz zu übergießen weiß.
Man muß die Welt in irgend einer Weise, sei’s mit dem Pinsel, der Feder oder dem Degen erobern oder sich nicht um sie kümmern, um vollkommen glücklich zu sein; zwischen Diogenes und Alexander giebt es keine halbwegs befriedigende Mittelstufe – unsere kleinen Weltbürger aber haben die Höhe des Ersteren hier schon vollständig erklommen.
Leider hat der herrliche Künstler, der uns diese Meisterwerke geschenkt, die Vergänglichkeit alles irdischen Glückes auch an sich selbst erfahren müssen. Als er auf der Höhe des Ruhmes durch eine lange Reihe von unsterblichen Meisterwerken angelangt war, genügte im Jahre 1686, während er an eine „Vermählung der heiligen Catarina“ in der Kapuzinerkirche zu Cadiz die letzte Hand anlegte, ein einziger falscher Tritt, ihn vom Gerüste stürzen und sein ruhmvolles Leben plötzlich einbüßen zu lassen. Fr. Pecht.