Textdaten
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Autor: Dante Alighieri
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Titel: Monarchia
(Zweites Buch)
Untertitel:
aus: aus Dantes prosaischen Schriften mit Ausnahme der Vita Nova – 2. Teil, S. 27 – 58
Herausgeber: Karl Ludwig Kannegießer
Auflage: o. A.
Entstehungsdatum: ca. 1316
Erscheinungsdatum: 1845
Verlag: F.A. Brockhaus
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Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer: Karl Ludwig Kannegießer
Originaltitel: Monarchia
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Das zweite Buch über die Monarchie
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[27]

Zweites Buch.
________________


Wie das römische Volk das Amt der Monarchie oder des Kaiserthums mit Recht übernommen habe.



Warum toben die Völker und reden die Leute so vergeblich? Die Könige im Lande lehnen sich auf, und die Herren rathschlagen mit einander wider den Herrn und seinen Gesalbten? Lasset uns zerreißen ihre Bande und von uns werfen ihr Joch. Sowie wir der Ursache nicht ins Gesicht schauend einer neuen Wirkung uns gemeinschaftlich wundern, so sehen wir, nachdem sich die Ursache uns zeigte, auf Diejenigen, welche in der Verwunderung verharren, mit einer gewissen Verachtung herab. So wunderte ich mich auch einst, daß das römische Volk sich hier auf Erden, ohne Widerstand zu finden, an die Spitze gestellt habe, weil ich bei einer oberflächlichen Betrachtung desselben glaubte, daß es widerrechtlich und nur durch Gewalt der Waffen zu diesem Vorzug gekommen sei. Aber nachdem ich mit den Augen des Geistes tief in das Mark eindrang und mich die überzeugendsten Merkmale belehrten, daß dies der Wille der göttlichen Vorsehung war, trat an die Stelle der Verwunderung eine fast mit Spott verbundene Nichtachtung, wenn ich erfuhr, daß [28] die Völker gegen diesen Vorrang des römischen Volkes gemurrt haben, wenn ich sehe, daß die Leute Eitles reden, wie ich selber that; wenn ich zumal die Könige und Fürsten bedaure, die in dem Punkt allein übereinkommen, daß sie sich gegen ihren Herrn und seinen gesalbten römischen Herrscher auflehnen. Deshalb kann ich nicht anders als verächtlich und nicht ohne Schmerz, wie der Psalmist für den Herrn des Himmels, so für das glorreiche Volk und den Kaiser ausrufen: Warum toben die Völker und reden die Leute so vergeblich? Die Könige im Lande lehnen sich auf und die Herren rathschlagen mit einander wider den Herrn und seinen Gesalbten. Aber weil die natürliche Liebe nicht zuläßt, daß der Spott lange anhalte, sondern gleich der Sommersonne, welche durch ihren Aufgang den Morgennebel zerstreut und mit Licht bestralt, des Spottes vergessend lieber das Licht des Heiles ausströmen will, um die Hüllen der Unwissenheit bei dergleichen Königen und Herren zu zerreißen und zu zeigen, daß das menschliche Geschlecht von ihrem Joche befreit sei, so will ich mit dem hochheiligen Propheten, ihm folgend, mich selbst ermahnen und weiter, wie folgt, mit ihm sprechen: Lasset uns zerreißen ihre Bande und ihr Joch von uns werfen. Und dies wird zur Genüge geschehen, wenn ich den zweiten Theil meines gegenwärtigen Vorhabens ausgeführt und die Wahrheit des in Rede stehenden Satzes dargethan haben werde. Denn durch den Beweis, daß die römische Herrschaft eine rechtmäßige gewesen sei, wird nicht allein von den Augen derjenigen Herrscher, welche in verkehrter Meinung über das römische Volk sich das Ruder des Staats anmaßen, der Nebel der Unwissenheit hinweggenommen werden, sondern die Menschen alle werden wieder erkennen, daß sie von dem Joche dieser Anmaßer frei sind. Die Wahrheit der Behauptung erhellt nicht allein durch das Licht der menschlichen Vernunft, sondern auch durch den Stral des göttlichen Ansehens. Da sich diese beiden vereinigen, [29] muß Himmel und Erde gemeinschaftlich ihnen beipflichten. Daher gestützt auf das bezeichnete Vertrauen und auf das Zeugniß der Vernunft und der Offenbarung mich verlassend, schreite ich zur Untersuchung der zweiten Aufgabe.

Und so ist es denn, nachdem die Wahrheit des ersten Punktes, so weit der Stoff es erlaubt, genügend erwogen ist, meine Absicht, die zweite Frage, nämlich, ob das römische Volk die Würde des Kaiserthums rechtmäßig übernommen habe, in Betrachtung zu ziehen. Es wird aber vor Allem die Untersuchung vorauszuschicken sein, was denn eigentlich der Punkt sei, auf welchen die Gründe der gegenwärtigen Betrachtung, wie auf ihren Grund und Quell sich zurückbeziehen. So ist denn zu bemerken, daß, gleichwie sich bei der Kunst etwas Dreifaches findet, nämlich der Geist des Künstlers, das Werkzeug und der durch den Künstler gebildete Stoff, bei der Natur gleichfalls etwas Dreifaches statthabe, nämlich der Geist des ersten Bewegers, das heißt, Gottes, sodann der Himmel als gleichsam das Werkzeug der Natur, vermittelst dessen ein Bild der ewigen Güte sich dem fließenden Stoffe eindrückt. Und gleichwie unter Voraussetzung eines vollkommenen Künstlers und eines trefflichen Werkzeuges ein zufälliger Fehler an dem Kunstwerke nur dem Stoffe zuzuschreiben ist: so bleibt, da Gott im höchsten Grade vollkommen ist, und sein Werkzeug (der Himmel) keinem Mangel an hinreichender Vollkommenheit unterworfen ist, wie aus unsern Untersuchungen über den Himmel hervorgeht, nichts übrig, als daß jeder Fehler an den irdischen Dingen in dem dabei zum Grunde liegenden Stoffe sich befinde und von Gott und dem Himmel nicht beabsichtigt sei, und daß andererseits alles Gute an den menschlichen Dingen, da es von dem Stoffe selbst nicht herrühren könne, von Gott als dem Künstler, bei dem die urerste Gewalt ist, und demnächst von dem mitwirkenden Himmel herrühre als dem Werkzeug des göttlichen Kunstwerkes, das wir [30] insgemein die Natur nennen. Hieraus leuchtet schon hervor, daß das Recht, da es etwas Gutes ist, dem göttlichen Geiste eignet, und da Alles, was im Geiste Gottes ist, Gott ist (laut Ausspruches: die That ist das Leben des Thäters) und Gottes Wille sich am meisten auf ihn selbst bezieht, so folgt, daß das Recht von Gott sintemal es in ihm ist, gewollt sei. Und da der Wille und das Gewollte in Gott eins und dasselbe ist, so folgt weiter, daß der göttliche Wille das Recht selbst sei. Und abermals folgt hieraus, daß das Recht in den Dingen nichts Anderes sei als ein Bild des göttlichen Willens. Daher kommt es, daß Alles, was mit dem göttlichen Willen nicht übereinstimmt, selbst nicht Recht sein kann, und Alles, was mit dem göttlichen Willen übereinstimmt, selbst Recht ist. Untersuchen, ob etwas mit Recht geschehen sei, heißt also, wenn gleich mit andern Worten doch nichts anderes, als ob es nach Gottes Willen geschehen sei. So darf man demnach voraussetzen, daß Das, was Gott in der menschlichen Gesellschaft will, für ein wahres und lauteres Recht zu halten sei. Außerdem muß man sich erinnern, daß, wie der Philosoph in den ersten Büchern an den Nikomachus lehrt, nicht jeder einzelne Stoff dieselbe Sicherheit gewährt, sondern nur in dem Maße, als es die Beschaffenheit des besondern Dinges zuläßt. Hiefür werden sich nach Auffindung der Grundursache hinlängliche Beweise vorfinden, wenn aus den offenkundigen Zeichen und den Aussprüchen der Weisen das Recht jenes ruhmvollen Volkes in Betrachtung kommt. Der Wille Gottes ist freilich an sich unsichtbar, und Gottes unsichtbarer Wille läßt sich nur durch seine Werke vermöge des Geistes erblicken. Denn ist gleich sein Siegelring verborgen, so gibt das von ihm beprägte Wachs trotz der Verborgenheit offenbares Zeugniß. Auch ist es kein Wunder, wenn der göttliche Wille an den Abdrücken erscheint, daß auch der menschliche ohne den Wollenden nur an den Abdrücken erkannt werde.

[31] Die Behauptung nun, daß das römische Volk rechtmäßig und ohne Anmaßung das Amt des Monarchen, oder das Kaiserthum, ausschließlich übernahm, wird zuerst folgendermaßen bewiesen. Dem edelsten Volke kommt es zu, allen andern vorgezogen zu werden. Das römische Volk war das edelste; folglich kommt es ihm zu, allen andern vorgezogen zu werden. Denn, dies müssen wir hinzunehmen, da die Ehre die Belohnung der Tugend und jede Bevorzugung eine Ehre ist, so ist jede Bevorzugung eine Belohnung der Tugend. Aber es ist bekannt, daß Menschen durch das Verdienst der Tugend geadelt werden, nämlich der eigenen Tugend oder der ihrer Vorfahren. Denn unter Adel versteht man Tugend und alten Reichthum[1], dem Philosophen in der Redekunst gemäß. Auch laut Juvenal:

      – – – Adel ist eins, desgleichen ist eines die Tugend.

Diese beiden Ausdrücke beziehen sich auf einen doppelten Adel, den eigenen und den der Vorfahren. Den Edlen also ist der Ursache gemäß der Lohn der Bevorzugung angemessen. Und da die Belohnung den Verdiensten anzumessen sind laut des evangelischen Spruches: Mit demselben Maaße, womit ihr meßt, sollet ihr wieder gemessen werden, so ziemt dem Edelsten der größte Vorzug. Für den Untersatz aber sprechen die Zeugnisse der Alten. Denn unser göttlicher Dichter Virgil bezeugt zum ewigen Andenken die ganze Aeneide hindurch, daß der glorreiche König Aeneas der Vater des römischen Volkes gewesen sei, und Titus Livius, der ausgezeichnete Beschreiber der römischen Thaten, stimmt ihm bei im ersten Theil seines Werkes, das von der Eroberung Trojas beginnt. Von welchem Adel aber dieser so milde und fromme [32] Vater gewesen sei, nicht nur anlangend seine eigene Tugend, auch die seiner Vorfahren und seiner Gemahlinnen, deren beiderseitiger Adel durch Erbrecht auf ihn überging, möchte ich nicht auseinderzusetzen vermögen; ich will nur den Spuren obenhin folgen. In Betreff also seines eigenen Adels ist unser Dichter zu vernehmen, der in dem ersten Buche der Ilioneus also sprechen läßt:

König war uns Aeneas, dem nicht in Gerechtigkeit Einer, Nicht in Frömmigkeit ja, noch in Krieg und Waffen zuvorging.

Zu vernehmen ist derselbe im sechsten Buche, der, als vom Tode des Misenus, des ehemaligen Kriegsgenossen des Hektor und nachmaligen Kriegsgenossen des Aeneas spricht, den Misenus als Einen schildert, der selber sich nicht herabgesetzt habe, indem er den Aeneas mit dem Hektor vergleicht, dem von Homer vor Allen gepriesenen, wie der Philosoph berichtet in dem Abschnitte über das in sittlicher Hinsicht zu Vermeidende an den Nikomachus. Was aber den geerbten Adel betrifft, so findet sich, daß jeglicher Theil des dreigetheilten Erdkreises sowol durch Ahnherren als durch Gattinnen ihn geadelt habe; Asien nämlich durch nähere Altvordern, z.B. den Assarakus, und Andere, welche in Phrygien herrschten, einer asiatischen Landschaft, weshalb unser Dichter im dritten Buche sagt:

Als nun Asiens Macht und dem Priamus Götterentscheidung Sein unschuldiges Volk ausrottete –

Europa aber durch jenen uralten Dardanus, und auch Afrika durch die Urmutter Elektra, die Tochter des Atlas, des Königs von großem Rufe; wie von Beiden unser Dichter im achten Buche zeugt, wo Aeneas zum Evander also spricht:

Dardanus, Ahn und Stifter der ilischen Veste vor Alters, Sohn, wie der Grajer erzählt, der atlantischen Heldin Elektra –

[33] Daß aber Dardanus von der Europa abstammte, singt unser Seher im dritten Buche folgendermaßen:

Westlich liegt ein Land, Hesperia nennt es der Grajer,
Alternden Ruhms, durch Waffen gelobt und ergiebige Scholle,
Einst vom önotrischen Volke bewohnt; nun, sagt man, die Jüngern
Nannten es Italerland, von Italus' Namen, des Führers.
Dort wird eigener Sitz uns, und Dardanus stammet von dorther.

Daß aber Atlas aus Afrika war, deß zeugt der dortige Berg durch seinen Namen, den Orosius in seiner Beschreibung der Erde nach Afrika versetzt mit den Worten: Die äußerste Grenze ist aber daselbst der Berg Atlas und die sogenannten glücklichen Inseln. Daselbst, das heißt, in Afrika, weil er von diesem Erdtheil sprach. Desgleichen finde ich, daß er auch durch eheliche Verbindung geadelt war; denn seine erste Gemahlin war Kreusa, die Tochter des Königs Priamus in Asien, wie aus dem oben Angeführten hervorgeht. Und daß sie seine Gemahlin war, bezeugt unser Dichter im dritten Buche, wo Andromache den Aeneas als Vater nach seinem Sohne Askanius so fragt:

Was denn macht dein kleiner Askanius? Lebt er und athmet? Den dir, als Troja bereits aufflammte, Kreusa geboren?

Die zweite war Dido, die Königin und Mutter der Karthager in Afrika. Und daß sie seine Gattin war, bezeugt derselbe Dichter im viertem Buche[WS 1], wenn er von der Dido sagt:

Und nicht heimliche Freuden ersinnt die schmachtende Dido; Ehe nennt sie es, also wird Schuld durch Namen beschönigt.

Die dritte war Lavinia, die Mutter der Albaner und Römer, und des Königs Latinus Tochter zugleich und Erbin, laut Zeugnisses unsers Dichters im letzten Buch, wo er den besiegten Turnus sich so flehend an den Aeneas wenden läßt:

[34] – – Du siegtest: und daß ich besiegt ausstreckte die Hände. Sah der Ausonier Heer. Dir ist Lavinia Gattin.

Diese letzte Gattin war aus Italien, dem edelsten Lande von Europa. Wer ist nun nach dem Erweis des Untersatzes nicht vollkommen überzeugt, daß der Vater des römischen Volkes und folglich das römische Volk selbst das edelste unter dem Himmel gewesen sei? Oder wer kann bei jenem doppelten Zusammenfluß des Blutes aus jedem Theil der Erde auf einen einzigen Mann die göttliche Vorausbestimmung verkennen?

Auch daß zu seiner Vollendung die Beistimmung der Wunder ihm zu Hülfe kommt, ist von Gott gewollt, und geschieht folglich mit Recht, und daß dies wahr sei, ist augenscheinlich. Denn Thomas sagt in seinem dritten Buche gegen die Heiden: Wunder ist, was gegen die den Dingen insgemein inwohnende Ordnung von Gott geschieht. Daher billigt er es auch, daß es allein Gott zukomme, Wunder zu thun, und dies wird ferner erhärtet durch die Worte des Moses bei Gelegenheit der Läufe, wenn er die Magier des Pharao, welche sich der Naturgesetze verschlagen bedienten, hier aber nichts ausrichten konnten, sagen läßt: Das ist Gottes Finger. Wenn also das Wunder eine unmittelbare Wirkung der Urkraft ist ohne Mitwirkung der Hülfskräfte, wie Thomas selbst in dem angezogenen Buche sattsam darthut, sofern es zu Gunsten eines Menschen angewandt wird: so ist es Frevel zu behaupten, Dasjenige, dem eine solche Gunst erzeigt wird, sei nicht von Gott, gleichsam eine von ihm zuvorbedachte Gewogenheit, vermöge deren es ihm gefiel einen Widerspruch mit sich selbst zuzulassen. Dem römischen Reiche kam zu seiner Vollendung die Beistimmung der Wunder zu Hülfe; es ist demnach von Gott gewollt, und folglich mit Recht so geschehen und besteht noch. Daß aber Gott zur Vollendung des römischen Reiches Wunder gethan hat, wird durch die Zeugnisse erlauchter Schriftsteller bestätigt. Denn als Numa Pompilius, der [35] zweite König der Römer, nach heidnischem Gebrauche opferte, soll ein Schild vom Himmel in die von Gott auserwählte Stadt gefallen sein nach dem Zeugniß des Livius im ersten Theil, welches Wunders Lucan im neunten Buche der Pharsalien gedenkt, indem er die unglaubliche Gewalt des Südwindes, welchen Lybien zu leiden hat, beschreibt mit folgenden Worten:

                                         So stürzten hernieder Jene dem Opferer Numa gewiß, die der Jünglinge Auswahl Trägt mit patricischem Nacken; es hatte der Süd sie geraubet Oder der Nordwind Völkern, die unsre Ancilien tragen.

Und als die Gallier schon die Stadt erobert hatten, und auf die Finsterniß der Nacht sich verlassend, heimlich zum Kapitolium hinanstiegen, das allein noch dem völligen Untergange des römischen Namens entgangen war, soll nach dem übereinstimmenden Zeugniß des Titus Livius und vieler andern erlauchten Schriftsteller eine daselbst zuvor nicht gesehene Gans die Ankunft der Gallier durch ihren Ruf angezeigt und die Wächter zur Vertheidigung des Kapitoliums angespornt haben, welches Ereignisses auch unser Dichter gedachte, als er den Schild des Aeneas im achten Buche beschrieb, und zwar so:

Oben stand, zur Hut des tarpejischen Hortes bestellet,
Manlius, welcher den Tempel und dich, Kapitolium, schützte;
Frisch war das Königshaus mit romulischem Halme gedecket.
Siehe, die silberne Gans durchflatterte goldene Hallen,
Aengstlichen Flugs, ankündend, die Gallier sei’n an der Schwelle.

Daß aber, als der römische Adel vor dem Drange Hannibal’s dahinsank, und als die Punier nur noch eines Angriffes bedurften, um Rom von Grund aus zu vertilgen, die Sieger durch ein plötzliches und unerträgliches Hagelwetter abgehalten wurden, ihren Sieg bis zur Stadt zu verfolgen, erzählt Livius unter andern Ereignissen in seiner Beschreibung des punischen Krieges. War nicht Clölia’s Flucht wunderbar, als sie, ein Weib und zwar [36] gefangen bei der Belagerung von Porsenna, die Ketten zerbrach und mit Gottes wundersamem Schutze die Tiber durchschwamm, wie fast alle Geschichtsschreiber Roms zu ihrem Ruhme melden? So ziemte es freilich Dem zu verfahren, der Alles in Schönheit und Ordnung von Ewigkeit vorhersah, damit er, der da sichtbar war, um Wunder statt des Unsichtbaren zu offenbaren, zugleich unsichtbar statt des Sichtbaren jenes offenbarte.

Jeder, der überdies das Wohl des Staates beabsichtigt, der beabsichtigt auch den Zweck des Rechtes, und daß dieser Schluß zu machen sei, erweist sich so. Das Recht ist die sächliche und persönliche Angemessenheit des Menschen zum Menschen, dessen Aufrechterhaltung die menschliche Gesellschaft aufrechterhält und das Verderbte verderbt. Denn jene Sammlung von Rechtsschriften oder Digesten bestimmt nicht, was Recht ist, sondern bezeichnet es nur durch die Kunde von der Anwendung desselben. Wenn also jene Begriffsbestimmung das Was und Warum wohl in sich begreift, und wenn der Zweck jeder gesellschaftlichen Vereinigung das gemeinsame Wohl der Theilnehmer ist, so muß der Zweck jedes Rechtes das gemeinsame Wohl sein, und so kann Das unmöglich Recht sein, was nicht auf das gemeinsame Wohl gerichtet ist. Deswegen sagt auch Tullius im ersten Buche der Redekunst richtig: Immer sind die Gesetze auf das Wohl des Staates zu beziehen. Wenn die Gesetze nicht auf das Wohl Derer, die unter dem Gesetze stehen, hingerichtet sind, so sind es nur dem Namen nach Gesetze, in der That können es aber nicht Gesetze sein. Denn die Gesetze müssen die Menschen wegen allgemeinen Nutzens mit einander verknüpfen. Deswegen nennt Seneka in dem Buche über die vier Tugenden das Gesetz sehr passend ein Band der menschlichen Gesellschaft. Es leuchtet also ein, daß, wer das Wohl des Staates, auch den Zweck des Rechtes im Auge hat. Wenn also die Römer das Wohl des Staates [37] beabsichtigten, so läßt sich mit Wahrheit sagen, daß sie den Zweck des Rechtes beabsichtigen. Daß aber das römische Volk das bezeichnete Wohl im Auge hatte, als es sich den Erdkreis unterwarf, das predigen seine Thaten, bei welchen fern von aller Begierde, die dem Staate immer abgewandt ist, und mit freisinniger Hinneigung zum allgemeinen Frieden, jenes heilige, fromme und glorreiche Volk seine eigenen Vortheile vernachlässigt zu haben scheint, um dem öffentlichen Wohle des menschlichen Geschlechtes zu dienen. Daher steht mit Recht geschrieben: Das römische Reich ist aus dem Quell der Frömmigkeit hervorgegangen. Aber weil über die Absicht aller wahlmäßig Handelnden nichts offenbar, sondern in dem Geiste des Beabsichtigers beschlossen ist, ausgenommen durch äußere Zeichen, und die geschichtlichen Zeugnisse nach dem zum Grunde liegenden Stoffe, wie oben gesagt, zu beurtheilen sind: so wird es hier genügen, wenn über die Absicht des römischen Volkes die unbezweifelbaren Zeichen sowol an den gesellschaftlichen Vereinen als an einzelnen Personen aufgezeigt werden. Hinsichtlich der Vereine, durch welche die Menschen mit einem gewissen Rechte an den Staat pflichtmäßig geknüpft sind, genügt schon allein der Ausspruch des Cicero im zweiten Buch über die Pflichten. So lange, sagt er, die Herrschaft sich durch gute, nicht durch schlechte Thaten mit dem Staate verband, gab es nur Kriege für die Bundesgenossen oder für die Herrschaft: das Ende der Kriege war entweder mild oder nothwendig, ein Hafen, ein Zufluchtsort für Könige, Völker und Völkerschaften. Unsere Rathsherren aber und Obrigkeiten und Kriegsobersten suchten besonders durch billige und getreue Vertheidigung der Landschaften und der Bundsgenossen sich Ruhm zu erwerben, und dieses Verhältniß konnte daher mehr eine Vormundschaft über den Erdkreis als eine Herrschaft genannt werden. So weit Cicero. Ueber einzelne Personen aber will ich mich kurz fassen. Muß [38] man aber nicht sagen, daß Diejenigen das allgemeine Wohl beabsichtigten, welche es unternahmen mit Schweiß, mit Armuth, mit Verbannung, mit Trennung von ihren Kindern, mit Verlust von Gliedern, ja mit dem Opfer ihres Lebens das öffentliche Wohl zu befördern? Hinterließ uns nicht Cincinnatus ein hochheiliges Vorbild, indem er, der vom Pfluge zur Diktatur berufen wurde, nach vollendetem Geschäfte seine Würde freiwillig niederlegte, wie Livius erzählt? Und nach dem Siege, nach dem Triumphe lieferte er den Feldherrenstab den Consulen wieder aus und kehrte zur Pflugsterze hinter seine Ochsen zurück. Seiner Großthat war denn auch Cicero eingedenk, als er in seiner Schrift gegen den Epikur über das höchste Gut spricht. Daher, sagt er, führten auch unsere Vorfahren jenen Cincinnatus vom Pfluge weg, daß er Diktator sei. Gab uns nicht Fabricius ein anderes Muster im Widerstande gegen die Habsucht, als er, ein unbegüterter Mann, aus Gewissenhaftigkeit gegen den Staat eine schwere ihm dargebotene Last Goldes belächelte und mit geziemenden Worten die belächelte verachtete und zurückwies? Sein Angedenken schärfte unser Dichter im sechsten Buche durch die Worte:

                     Fabricius, mächtig im Kleinen –

War nicht Camillus ein unvergeßliches Vorbild, daß man die Gesetze dem eigenen Vortheil vorziehen müsse, der, dem Livius zufolge, in das Elend verwiesen, nachdem er die belagerte Vaterstadt befreite, auch die römische Beute an Rom zurückerstattete und trotz dem Widerstreben des Volkes die heilige Stadt verließ und nicht eher heimkehrte, als bis ihm die Erlaubniß dazu von Senatswegen überbracht wurde? Und auch diesen hochherzigen Mann preist der Dichter im sechsten Buch mit den Worten:

               Den Bringer verlorner Fahnen Camillus.

Lehrte nicht jener ältere Brutus, daß Söhne und alle Andern der Freiheit des Vaterlandes nachzustellen [39] sind, von dem Livius sagt, daß er als Consul die eigenen mit den Feinden verschworenen Söhne dem Tode überlieferte? Auch dessen Ruhm erneuert das sechste Buch unsers Dichters durch die Verse:

Und es wird die Krieg erneuernden Söhne der Vater
Selber zur Straf’ herrufen, die heilige Freiheit beschützend.

Was für das Vaterland gewagt werden müsse, davon überzeugt uns Mucius, als er den unvorsichtigen Porsenna anfiel und sodann die Hand, welche geirrt hatte, mit demselben Blick, womit er die Marter eines Feindes betrachten würde, im Feuer verkohlen sah, was ebenfalls Livius mit Bewunderung bezeugt. Dazu kamen die hochheiligen Decier, die für das Wohl des Vaterlandes ihre Seelen zum Opfer brachten, wie Livius nicht zwar nach Würden, doch aber nach Vermögen verherrlichend preist. Dazu kommt auch jenes unaussprechliche Opfer der beiden strengsten Beschützer der Freiheit, Marcus Cato, von denen der eine zum Heil des Vaterlandes vor den Schatten des Todes nicht erbebte, der andere, um die Welt zur Freiheitsliebe zu entflammen, den hohen Werth der Freiheit darstellte, indem er das Leben lieber mit Freiheit verlassen, als ohne Freiheit in ihm länger bleiben wollte. Aller Dieser herrlicher Name flammet neu auf in Tullius’ Ruf; denn in seiner Schrift über das höchste Gut sagt er von den Deciern: Publius Decius, der erste Consul seines Geschlechtes, stürzte, als er sich aufopferte, mit verhängtem Zügel mitten in die Schlachtreihe der Latiner: dachte er etwa an sein Vergnügen, wo er sie angriffe und wann? da er wußte, daß er augenblicklich sterben müsse, und als er diesen Tod mit brennenderem Eifer suchte, als Epikur dem Vergnügen nachtrachten zu müssen glaubte. Wenn diese That nun nicht mit Recht gepriesen wäre, würde sie der Sohn nicht in seinem vierten Consulat nachgeahmt haben, und nicht fernerhin dessen Sprößling, als Consul gegen den [40] Phyrrus Krieg führend, im Treffen gefallen sein und sich, und zwar in ununterbrochener Reihe seines Geschlechtes, dem Staate als drittes Opfer dargebracht haben. – In seiner Schrift über die Pflichten sagt er aber von Cato: Nicht anders war die Sache des M. Cato, anders die der Uebrigen, welche sich in Afrika dem Cäsar auslieferten; und an den Uebrigen würde man es vielleicht getadelt haben, wenn sie sich getödtet hätten, weil ihr Leben unbedeutender und ihre Sitten leichterer Art waren. Cato aber, dem die Natur einen ungewöhnlichen Ernst verliehen und ihn durch eine ununterbrochene Beharrlichkeit gekräftigt hatte, und der einen einmal gefaßten Vorsatz und Entschluß niemals hatte fahren lassen, mußte lieber sterben, als das Antlitz eines Tyrannen schauen.

Zweierlei ist also aufzuhellen, einmal, daß, wer das Wohl des Staates beabsichtigt, den Zweck des Rechtes beabsichtigt, sodann, daß das römische Volk, als es sich den Erdkreis unterwarf, das öffentliche Wohl im Auge hatte. Schließen wir denn so: Wer den Zweck des Rechtes beabsichtigt, verfährt mit Recht: das römische Volk beabsichtigte den Zweck des Rechtes, als es sich den Erdkreis unterwarf, wie in diesem Kapitel zuvor deutlich gezeigt ist: Also unterwarf sich das römische Volk den Erdkreis mit Recht, und eignete sich folglich die Würde der Herrschaft mit Recht zu. Dieser Schluß ergibt sich aus lauter offenkundigen Sätzen. Einleuchtend ist erstlich, daß, wer den Zweck des Rechtes im Auge hat, mit Recht verfährt. Zum Erweis dieses Satzes ist zu merken, daß Alles seinen Zweck hat, sonst wäre es müßig; letzteres darf er nach Obigem nicht sein. Und wie Alles seinen besondern Zweck hat, so hat jeder Zweck seine besondere Sache, deren Zweck er ist. Daher ist es unmöglich, daß zwei Dinge, an sich genommen, sofern sie zwei sind, denselben Zweck beabsichtigen; denn es würde daraus eben die Ungereimtheit folgen, daß eins von beiden unnütz wäre. Wenn also das Recht einen Zweck hat, wie schon [41] dargethan ist, so muß nach Voraussetzung jenes Zweckes das Recht auch angenommen werden, da er der besondere und an sich eine Wirkung des Rechtes ist. Und da es bei jeder Schlußfolge unmöglich ist, das Vorhergehende ohne das Nachfolgende anzunehmen, z. B. den Menschen ohne das Thier, wie aus dem Bauen und Einreißen hervorgeht: so ist es unmöglich, den Zweck des Rechtes zu suchen ohne das Recht, da jedes Ding sich zu seinem besondern Zwecke verhält wie das Nachfolgende zu dem Vorhergehenden. Denn es ist unmöglich, kräftige Glieder zu haben ohne Gesundheit. Deswegen ist klar und deutlich, daß, wer den Zweck des Rechtes beabsichtigt, ihn mit dem Recht beabsichtigen muß; auch gilt nicht der Einwurf, der aus den Worten des Philosophen, welcher die Eubulie behandelt, entlockt zu werden pflegt; denn er sagt [2], aber auch dies mit einem falschen Schlusse: Das Erlangen, was es erlangen muß, muß es erlangen: wodurch aber, nicht: sondern daß der Mittelbegriff falsch sei. Denn wenn aus falschen Schlüssen etwas Wahres gefolgert wird, so geschieht dies zufällig, insofern dies als Wahres hereingebracht wird durch die Worte der Einführung; denn an sich folgt Wahres niemals aus Falschem, Zeichen des Wahren folgen aber allerdings aus Zeichen, welche Zeichen des Falschen sind. So auch bei Verrichtungen; denn wenn gleich ein Dieb mit dem diebisch Entwandten einen Armen unterstützte, so kann man dies doch nicht ein Almosen nennen, sondern es ist eine Handlung, die, wenn sie von eigenem Besitze geschähe, die Form des Almosens hätte. Auf ähnliche Weise ist es mit dem Zwecke des Rechtes, weil, wenn [42] etwas Anderes, als ob es der Zweck des Rechtes wäre, ohne Recht erlangt würde, so wäre es auf diese Art der Zweck des Rechtes, das ist, das allgemeine Wohl; sowie die Spende von dem schlecht Erworbenen ein Almosen ist, und so ist es also kein Einwurf, wenn in dem Satze von dem vorhandenen, aber nicht erscheinenden Zwecke des Rechtes die Rede ist. Es ist also klar, was untersucht wurde.

Und Das, was die Natur anordnete, wird mit Recht bewahrt; denn die Natur läßt in ihrer Fürsorge nicht ab von der Fürsorge für den Menschen, weil, wenn sie abließe, die Ursache von der Wirkung an Güte übertroffen würde, was unmöglich ist. Aber wir sehen, daß in der Einrichtung von Amtgenossenschaften nicht blos die Ordnung der Amtsgenossen unter einander von dem Gründer, sondern auch die Fähigkeit derselben für die Verwaltung der Geschäfte erwogen wird. Dies ist das Erwägen des Ziels des Rechtes in der Amtsgenossenschaft oder in der Ordnung; denn das Recht wird nicht über die Kraft ausgedehnt. Von dieser Fürsorge läßt also die Natur nicht ab in ihren Anordnungen. Daher ist klar, daß die Natur die Dinge mit Rücksicht auf ihre Fähigkeiten ordnet: diese Rücksicht ist die in den Dingen und in der Natur befindliche Grundlage des Rechtes. Hieraus folgt, daß die natürliche Ordnung in den Dingen ohne das Recht nicht erhalten werden kann, da die Grundlage des Rechts mit der Ordnung unzertrennlich verknüpft ist. Es ist also nothwendig, daß Alles, was die Natur geordnet hat, durch das Recht bewahrt werden muß. Das römische Volk war von der Natur zum Herrscher angeordnet, was aus Folgendem erhellt. Wie der von der Vollkommenheit der Kunst abließe, der nur den Zweck der Form im Auge hätte, sich um die Mittel, durch welche sie zur Form gelangte, nicht bekümmerte: so die Natur, wenn sie blos die allgemeine Form der göttlichen Aehnlichkeit im Weltall beabsichtigte, die Mittel aber vernachlässigte. [43] Aber die Natur läßt in keiner Sache von der Vollkommenheit ab, da sie ein Werk des göttlichen Verstandes ist: also hat sie alle Mittel im Auge, wodurch sie bis an das Ende ihrer Absicht gelangt. Wenn also der Zweck des menschlichen Geschlechtes ein nothwendiges Mittel ist zu dem allgemeinen Zwecke der Natur, so muß die Natur diesen selbst beabsichtigen. Deswegen behauptet der Philosoph in dem zweiten Buch über den natürlichen Vortrag richtig, daß die Natur immer des Zweckes wegen handle. Und weil die Natur diesen Zweck nicht durch Einen Menschen erreichen kann, da es vieler Verrichtungen dafür bedarf, welche eine Menge von verrichtenden Personen erfordern, so muß die Natur eine Menge von Menschen hervorbringen für die Verrichtung der Anordnungen, wozu außer dem höheren Einflusse die Kräfte und Eigenschaften der unteren Orte viel beitragen. Daher sehen wir, daß nicht blos einzelne Menschen, sondern auch Völker mit der Fähigkeit des Regirens, andere mit der Unterwürfigkeit und des Dienens geboren sind, wie der Philosoph in seinen Werken über die Staatskunst äußert; und dergleichen Völkern ist es, wie er selbst sagt, nicht blos paßlich, sondern es geschieht ihnen auch Recht, wenn sie regirt werden, auch wenn sie dazu gezwungen würden. Wenn sich dies so verhält, so läßt sich nicht zweifeln, daß die Natur einen Ort und ein Volk in der Welt zur allgemeinen Herrschaft bestimmt hat: sonst hätte sie es fehlen lassen, was unmöglich ist. Welcher Ort aber und welches Volk dies sei, erhellt aus dem Vorigen und aus dem Folgenden sattsam, nämlich Rom, und die Bürger Roms oder das Volk. Dies deutete auch unser Dichter sehr bestimmt an im sechsten Buche [3], wenn er dem Anchises folgende Mahnung an den Aeneas, den Vater der Römer, in den Mund legt:

[44] Andere gießen vielleicht geründeter athmende Erze,
Oder entzieh’n, ich glaub’ es, beseeltere Bildung dem Marmor;
Besser kämpft vor dem Richter ihr Wort, und die Bahnen des Himmels
Zeichnet genauer ihr Stab, und verkündiget Sternen den Aufgang.
Du, o Römer, beherrsche des Erdreichs Völker mit Obmacht;
(Dies sei’n Künste für dich!) du gebeut Anordnung des Friedens;
Demuthsvoller geschont und Trotzige niedergekämpfet!

Die Angabe des Ortes findet sich aber eben so bestimmt im vierten Buche [4], wenn er den Jupiter zu dem Merkur über den Aeneas sagen läßt:

Nicht ja verhieß uns jenen die schöne Gebärerin also,
Und entzog ihn daher zweimal den pelasgischen Waffen;
Nein, der Italia einst voll keimender Herrschaft und Kriegslust
Ordnete. –

Hieraus geht hinlänglich die Ueberzeugung hervor, daß das römische Volk von der Natur zur Herrschaft berufen war. Also gelangte das römische Volk durch Unterwerfung des Erdkreises mit Recht zur Herrschaft.

Zur richtigen Auffindung der Wahrheit dieses Satzes muß man auch wissen, daß das göttliche Urtheil darüber den Menschen bisweilen bekannt, bisweilen verborgen ist. Offenbar kann es auf doppelte Art sein, nämlich durch Vernunft und durch Glauben. Denn es gibt einige Urtheile Gottes, zu welchen die menschliche Vernunft aus eigener Kraft gelangen kann; ein solches ist z. B., daß der Mensch zum Wohl des Vaterlandes sich selbst preisgebe oder aufopfere. Denn wenn der Theil sich zum Wohl des Ganzen opfern muß, so muß der Mensch als Theil des Staates, wie der Philosoph in seiner Staatskunst sagt, sich als das Mindergute für das Bessere [45] für das Vaterland aufopfern. Daher spricht der Philosoph zum Nikomachus: daß dies zwar lieblich und auch für den Einzelnen das Bessere, für Volk und Staat aber etwas Göttliches sei. Und dies Urtheil Gottes ist erkennbar: auf andere Weise würde die menschliche Vernunft auf ihrem geraden Wege die Absicht der Natur nicht erreichen, was unmöglich ist. Es gibt aber auch Rathschlüsse Gottes, zu welchen sich die menschliche Vernunft, ob sie gleich aus eigener Kraft nicht dahin gelangen kann, doch durch Hülfe des Glaubens an Das erhebt, was uns in der heiligen Schrift gesagt ist. Ein solcher ist, daß Niemand, obwol durch sittliche und Verstandesvorzüge und nach Charakter und Werkthätigkeit vollkommen, ohne Glauben errettet werden kann, vorausgesetzt, daß er niemals von Christus gehört hat; denn dies kann die Vernunft an sich nicht richtig einsehen, durch Hülfe des Glaubens aber kann sie es. Denn es steht geschrieben im Briefe an die Hebräer[5]: „Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen.“ Und im dritten Buch Mosis[6]: „Welcher aus dem Hause Israel einen Ochsen, oder Lamm, oder Ziege schlachtet in dem Lager oder außen vor dem Lager, und nicht vor die Thür der Hütte des Stifts bringt, daß es dem Herrn zum Opfer gebracht werde vor der Wohnung des Herrn, der soll des Blutes schuldig sein.“ Die Thür der Stiftshütte ist ein Sinnbild Christi als Thür des ewigen Gemaches, wie aus dem Evangelium ersehen werden kann; das geschlachtete Vieh ein Bild der menschlichen Werke. Verborgen aber ist das Urtheil Gottes der menschlichen Vernunft, sofern sie es nicht durch ein Gesetz der Natur oder ein geschriebenes Gesetz erfährt, wohl aber geschieht dies bisweilen durch besondere Gnade, und zwar auf mehrfache Weise, bisweilen durch einfache Offenbarung, bisweilen durch eine [46] vermöge einer Erörterung vermittelte Offenbarung; durch einfache Offenbarung doppelt, entweder aus eigenem Willen Gottes oder auf Gebet; aus eigenem Willen abermals doppelt, entweder ausdrücklich oder durch Zeichen; ausdrücklich z. B. ward das Urtheil dem Samuel gegen Saul geoffenbart, durch Zeichen dem Pharao die Befreiung der Kinder Israels; durch Gebet erhielten Diejenigen Offenbarung, welche sagten: Wenn wir nicht wissen, was wir thun sollen, bleibt uns Das allein übrig, daß wir auf dich die Augen richten. Vermittelst einer Erörterung aber doppelt, entweder durch das Loos, oder durch Kampfbewährung; denn bewähren heißt so viel wie wahr machen. Durch das Loos wird das Urtheil Gottes bisweilen den Menschen eröffnet, wie es klar ist aus der Wahl des Matthias in der Apostelgeschichte. Durch Kampfbewährung aber doppelt, theils durch Zusammenstoß der Kräfte, z. B. im Zweikampf der Klopffechter, die auch Zweikämpfer genannt werden, oder durch ein Gefecht von Mehreren, die auf ein Zeichen sich den Rang abzugewinnen suchen, z. B. bei dem Kampf der Wettkämpfer, die nach einem Ziele laufen. Die erste von diesen beiden Weisen stellt sich bei den Heiden dar in jenem Kampfe des Herkules und Antäus, dessen Lukan erwähnt im vierten Buch der Pharsalia und Ovid im neunten der Verwandlungen. Die zweite stellt sich bei denselben dar an der Atalanta und dem Hippomenes im zehnten des letztgenannten Dichters. Desgleichen ist es nicht zu verkennen, wie bei diesen beiden Arten des Kampfes die Sache sich so verhält, daß bei dem einen die Streitenden, nämlich die Zweikämpfer, sich rechtmäßig einander verhindern dürfen, bei dem andern nicht; denn die Wettkämpfer dürfen sich keines Hindernisses gegen einander bedienen, obgleich unser Dichter eine andere Meinung zu haben scheint im fünften Buch, wenn er den Euryalus belohnen läßt. Richtiger hat deswegen Tullius dies im dritten Buche der Pflichten verboten, [47] indem er dem Ausspruch des Chrysippus folgt und sich so ausdrückt: „Weislich, wie in vielen Dingen, sagt Chrysippus: Wer in die Wette läuft, muß sich bestreben und aus allen Kräften bemühen zu siegen; ein Bein stellen darf er aber seinem Mitwettläufer auf keine Weise.“ Nachdem dies nun in diesem Kapitel unterschieden ist, können wir zwei für unser Vorhaben wichtige Sätze daraus hernehmen, den einen aus dem Kampfe der Wettkämpfer, den andern aus dem der Klopffechter, welche ich in den nächstfolgenden Abschnitten benutzen werde.

Jenes Volk also, welches bei dem Wettkampf aller Völker um die Herrschaft der Welt die Oberhand behielt, behielt sie nach göttlichem Urtheil. Denn da die Aufhebung der allgemeinen Entzweiung Gott mehr am Herzen liegen muß als die der besondern, und in einigen besonderen Entzweiungen ein göttliches Urtheil durch Wettkämpfe gefordert wird, nach dem allbekannten Sprichwort: Wem Gott etwas gewährt, den segnet auch Petrus: so ist kein Zweifel, daß bei den um die Herrschaft der Welt Wettkämpfenden die Oberhand nach dem Urtheile Gottes erfolgte. Das römische Volk behielt in dem Wettkampf Aller um die Herrschaft der Welt die Oberhand. Dies wird erhellen aus der Betrachtung der Wettkämpfer. Wenn nach dem Preis oder Ziel gefragt wird, so war dies, allen Menschen voransein: denn das nennen wir Oberherrschaft. Aber dies widerfuhr keinem Volke als dem römischen. Dieses war nicht nur das erste, sondern auch das einzige, welches das Kampfziel erreichte, wie sogleich erhellen wird. Denn der Erste unter den Sterblichen, welcher diesem Preis entgegenkeuchte, war Ninus, der König von Assyrien, der zwar mit seiner Lagergenossin Semiramis neunzig Jahre, und länger (wie Orosius angibt) das Weltreich mit seinen Waffen in Angriff nahm und ganz Asien bezwang: die südlichen Theile der Erde aber unterwarfen sich ihnen niemals. Beide erwähnt Ovid im vierten Buche der Verwandlungen, [48] wo er in der Erzählung vom Phyramus sagt von der Stadt[7]:

 Welche Semiramis einst mit thönernen Mauern befestigt,

und weiterhin[8]:

Wählen sie Ninus’ Grab zur Vereinigung, wo sie im Schatten –

Der Zweite, welcher diesen Preis anstrebte, war Vesoges, König von Aegypten, und wiewol er den Süden und Norden in Asien in Bewegung setzte, wie Orosius erwähnt, so erlangte er doch nie die Hälfte des Erdkreises, ja von den Scythen wurde er von seinem verwegenen Vorhaben zurückgebracht. Nachher versuchte es der Perserkönig Cyrus, der nach Zerstörung Babylons und Uebertragung der babylonischen Herrschaft auf die Perser, noch ehe er die Abendländer angegriffen hatte, gegen die scythische Königin Tomyris das Leben zugleich mit seinem Vorhaben aufgab. Nach diesem aber überschwemmte Xerxes, der Sohn des Darius und König der Perser, die Welt mit einer solchen Menge von Völkern und mit einer solchen Macht, daß er das Meer, welches Asien von Europa zwischen Sestos und Abydos trennt, mit einer Brücke bedeckte. Dieses bewundernswerthen Werkes gedenkt Lukan im zweiten Buch der Pharsalia:

Pfade von der Art schuf ob den Wogen, verkündet das Schicksal Xerxes der stolze.

Endlich, von seinem Vorhaben elendiglich zurückgetrieben, konnte er den Preis nicht erringen. Außer ihnen und späterhin kam der macedonische König Alexander der Palme am nächsten, indem er die Römer durch Gesandte aufforderte, sich zu ergeben, starb aber bei Aegypten vor dem Zusammentreffen mit dem Römern, wie Livius erzählt, mitten auf seiner Laufbahn. Von dessen dort befindlicher [49] Grabstätte gibt Lukan im achten Buche, indem er den König von Aegypten, Ptolemäus, schilt, in folgenden Worten Zeugniß:

Letzter entarteter Sprößling des lagischen Stammes, geweihet
Bist du dem Tod, die raubt die verbrechrische Schwester den Scepter,
Wann in geheiligter Gruft macedonischen Staub du geborgen.

O Tiefe und Weisheit der Erkenntniß Gottes, wer könnte hier anders als dich anstaunen? Denn Alexandern, der den wettkämpfenden Römer im Laufe aufzuhalten Willens war, entrissest du, damit seine Verwegenheit nicht weiter fortschreite, von dem Kampfplatz. Aber daß Rom die Palme so großen Siegespreises errungen habe, wird durch viele Zeugnisse bewährt; wie denn unser Dichter im ersten Buche[9] sagt:

Dorther würden Römer dereinst mit den rollenden Jahren,
Dorther Führer entstehn, aus erneuetem Blute des Teukrus,
Welche mit Allgewalt das Meer und die Lande beherrschten.

Und Lukan im ersten Buche:

Theilung empfähet das Reich mit dem Schwert, und des mächtigen Volkes,
Welches das Meer und die Land’ einnimmt und den sämmtlichen Erdkreis,
Schicksal duldet nicht zween –

Und Boethius sagt im zweiten Buch, wo er von dem römischen Herrscher spricht:

Mit dem Scepter lenkt er jedoch die Völker,
Welche Phöbus, bergend im Meer die Stralen,
Wenn von Ostlands Grenz’ er daherkommt, schauet,
Welche drückt das Siebengestirn, das kalte,
Die der Südwind stürmend mit trockner Hitze
Dörret, neu aufwühlend die Glut des Sandes.

[50] Ein solches Zeugniß ertheilt auch der Schreiber Christi, Lukas, der lauter Wahrheit sagt auch in jenem Theile seiner Schrift. Es ging aber ein Gebot vom Kaiser Augustus aus, daß alle Welt geschätzt würde. Aus welchen Worten klärlich hervorgeht, daß die gesammte Gerichtsbarkeit der Welt damals in den Händen der Römer gewesen sei. Aus diesem Allem ist offenbar, daß das römische Volk über alle Wettkämpfer um das Reich der Welt den Sieg davontrug. Also geschah dies nach göttlichem Urtheil, und folglich nahm es dasselbe nach göttlichem Urtheil, das heißt, mit Recht in Besitz.

Auch was durch einen Zweikampf erworben wird, wird mit Recht erworben. Denn wo immer es am menschlichen Urtheil mangelt, entweder weil es in Finsterniß der Unwissenheit gehüllt ist, oder weil der Vorsitz des Richters fehlt, sodaß die Gerechtigkeit verlassen ist und ihres Bleibens nicht hat, so muß man bei Dem Zuflucht suchen, der sie so liebte, daß er ihre Forderung aus eigenem Blute durch den Tod ergänzte. Daher der Psalm: Der gerechte Gott liebt die Gerechtigkeit. Dies geschieht aber, wenn von der freien Beistimmung der Parteien, nicht aus Haß, sondern aus Liebe der Gerechtigkeit, das göttliche Urtheil durch einen gegenseitigen Zusammenstoß der geistigen und körperlichen Kräfte gefordert wird. Diesen Zusammenstoß, als ursprünglich Eines gegen Einen, nennen wir Zweikampf. Aber immer muß man Sorge tragen, daß gleichwie im Kriege die Entscheidung zuerst auf alle Weise durch Erörterung und nur in der äußersten Noth durch die Waffen gesucht werde: wie Tullius und Vegetius einmüthig vorschreiben, dieser in seinem Buch über die Kriegskunst, jener in dem über die Pflichten. Und gleichwie in der Heilkunst Alles versucht wird, ehe man zum Schneiden und Brennen schreitet, und man hiezu nur im äußersten Falle seine Zuflucht nimmt, so untersuchen wir erst alle Wege, um den Streit durch Urtheil zu entscheiden, und nehmen zu [51] diesem letzten Mittel erst durch eine gewisse Nothwendigkeit der Gerechtigkeit gezwungen unsere Zuflucht. Es zeigt sich daher etwas Doppeltes hinsichtlich der Form des Zweikampfes, erstens das eben Gesagte, zweitens das oben Erwähnte, daß die beiden Klopffechter oder Zweikämpfer mit beiderseitiger Gutheißung weder aus Haß, noch aus Liebe, sondern allein aus Eifer der Gerechtigkeit, den Kampfplatz beschreiten. Und daher sagt Tullius, als er auf diesen Gegenstand kommt, sehr richtig: „Aber die Kriege, deren Preis die Herrschaft ist, müssen weniger bitter geführt werden.“ Wenn diese Bedingungen des Zweikampfes beachtet sind (denn sonst wäre es kein Zweikämpf), treten dann Diejenigen, welche aus Nothwendigkeit der Gerechtigkeit unter gemeinschaftlicher Uebereinkunft wegen Eifers für die Gerechtigkeit gegen einander auftreten, nicht im Namen Gottes in die Schranken? Und ist in diesem Falle Gott nicht mitten unter ihnen, da er selbst uns dies im Evangelium verspricht? Und wenn Gott zugegen ist, ist es nicht Frevel zu glauben, daß die Gerechtigkeit unterliegen könne, die er selbst in dem so hohen oben angezeigten Grade liebt? Und wenn die Gerechtigkeit im Kriege nicht unterliegen kann, wird nicht das durch den Zweikampf Erworbene mit Recht erworben? Diese Wahrheit erkannten auch die Heiden, noch ehe die Trommete des Evangeliums erscholl, insofern sie die Entscheidung in dem Ausfalle des Zweikampfes suchten. Daher antwortete Pyrrhus nicht übel, er, den sowol die Gesinnung der Aeaciden als die Abstammung adelte, als die römischen Gesandten wegen Austausch der Gefangenen zu ihm kamen:

Gold für mich nicht fordr’ ich, und ihr auch würdet’s nicht geben,
Denn Kriegführende seid und nicht Kriegfeilschende seid ihr.
Gold nicht, sondern das Schwert bringt uns Entscheidung des Lebens,
Ob euch Hera, ob mich zum Herrn macht. Probe der Kriegsmuth,
[52] Was uns die Zukunft bringt, und zugleich hört, wie ich es meine:
Wenn die Fortuna des Kriegs Jemandes Tapferkeit schonte,
Wohl, deß Freiheit, glaubet es, werd’ ich wahrlich verschonen.
Gab’ und Geschenk ist’s dann, und der Wille der mächtigen Götter.

So Pyrrhus. Unter Hera verstand er die Fortuna, wir wollen mit Rücksicht auf unsere Sache besser und richtiger die göttliche Vorsehung an ihre Stelle setzen. Daher mögen sich die Faustkämpfer in Acht nehmen, den Kampf selbst zum Preis zu machen, weil es dann kein Zweikampf, sondern eine Marktbühne des Bluts und der Gerechtigkeit genannt werden müßte: auch dürfte man dann nicht glauben, daß Gott gegenwärtig sei, sondern jener alte Feind, der der Verführer zum Zank gewesen war. Mögen sie immer, wenn sie Zweikämpfer und nicht Krämer des Bluts und der Gerechtigkeit sein wollen, an dem Eingang zur Kampfbahn des Pyrrhus vor Augen haben, der bei dem Kampfe um die Herrschaft das Gold so verachtete, wie gesagt ist. Wenn aber gegen die aufgezeigte Wahrheit von der Ungleichheit der Kräfte ein Einwand hergenommen wird, wie es der Fall zu sein pflegt, so möge dieser durch den Sieg des David über den Goliath zurückgewiesen werden. Und wenn die Heiden dabei etwas Anderes bezweckten, so mögen sie ihn selbst duch den Sieg des Herkules über den Antäus zurückweisen. Denn es ist sehr thöricht, Kräfte, welche Gott stärkt, bei einem Faustkämpfer als gering anzuschlagen. Hinlänglich deutlich ist es nun, daß das durch den Zweikampf Erworbene mit Recht erworben ist. Aber das römische Volk erwarb die Herrschaft duch den Zweikampf, was durch glaubwürdige Zeugnisse dargethan wird, durch deren Aufzeigung nicht blos dies augenfällig sein wird, sondern auch, daß Alles, was von den Uranfängen des römischen Reiches dem Rechtsauspruch unterlag, durch den Zweikampf entschieden wurde. Denn von dem [53] ersten an, der sich um den Sitz des Vaters Aeneas als ersten Vaters dieses Volkes drehte, in welchem Turnus, der König der Rutuler, der Gegner war, und wobei die beiderseitige Einwilligung stattfand, bis zu dem letzten wegen der Untersuchung des göttlichen Wohlgefallens, stritten sie allein unter sich, wie in den letzten Büchern der Aeneis gekündet wird. Bei diesem Kampfe war die Langmuth des Siegers Aeneas so groß, daß, wenn nicht der Gürtel, welchen Turnus dem von ihm getödteten Pallas abgezogen hatte, ins Auge gefallen wäre, der Sieger dem Besiegten zugleich Leben und Frieden geschenkt hätte, wie die letzten Verse unsers Dichters bezeugen. Und da beide Völker aus derselben trojanischen Wurzel hervorgesproßt waren, nämlich das römische und albanische, und sie über das Zeichen des Adlers, über die trojanischen Hausgötter und die Herrscherwürde lange mit einander gerungen, wurde endlich nach gemeinschaftlicher Einwilligung der Parteien zur Entscheidung der Forderung die Sache von den drei Brüdern, den Horatiern, und eben so viel Brüdern, den Kuriatiern, im Angesicht der von beiden Seiten zuschauenden Könige und Völker mit den Waffen abgemacht, wobei, nachdem die drei Kuriatier und zwei von den Römern gefallen waren, die Siegespalme den Römern unter dem Könige Hostilius zuerkannt wurde. Dies verfaßte Livius im ersten Theile seines Werkes fleißig, und Orosius stimmt ihm bei. Daß nachher mit den Nachbaren nach allem Kriegsrechte, mit den Sabinern, mit den Samnitern, wenn gleich Viele daran Theil nahmen, doch in der Form eines Zweikampfes über die Oberherrschaft gestritten wurde, erzählt Livius, in welcher Kampfweise gegen die Sabiner die Fortuna (so zu sagen) ihr Vorhaben beinahe gereute. Hierauf bezieht sich Lukan im zweiten Buche beispielsweise:

Oder so viel das kollinische Thor aufnahm der Geschlagnen,
Als beinahe der Welt Hauptstadt und die irdische Herrschaft
[54] Wechselte wendend den Sitz, und der Samnier über den Engpaß
Samniums weit ausdehnte den Tod und die Wunden der Römer.

      Nachdem aber die Händel der Italer beseitigt waren und mit den Griechen und mit den Pönern noch nicht nach göttlichem Urtheil gekämpft war und jene nicht minder als diese die Herrschaft in Anspruch nahmen, indem Fabricius für die Römer, Pyrrhus für die Griechen um den Ruhm der Herrschaft mit zahlreichen Kriegerschaaren kämpften, siegte Rom; als aber Scipio für Rom, Hannibal für die Afrikaner in der Weise eines Zweikampfes Krieg führten, unterlagen die Afrikaner den Italern: sowie Livius und alle Verfasser der römischen Geschichte ausdrücklich bezeugen. Wer ist nun noch so stumpfen Geistes, daß er nicht sähe, daß das glorreiche Volk nach dem Rechte des Zweikampfes die Krone des ganzen Erdkreises gewonnen habe? Mit Wahrheit konnte der Römer sagen, was der Apostel an den Timotheus schreibt: „Hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit“ – beigelegt nämlich nach der ewigen Vorsehung Gottes. Mögen nun die vermessenen Rechtslehrer bemerken, wie tief sie unterhalb jener Worte der Vernunft stehen, von welcher der menschliche Geist diese Urgründe erforscht, und mögen sie schweigen und sich begnügen, nach dem Sinn des Gesetzes Spruch und Urtheil abzugeben. Und so ist es denn offenbar, daß durch Zweikampf das römische Volk das Reich erlangte, und folglich dem Recht nach erlangte, denn dies ist der Hauptpunkt in dem gegenwärtigen Buche. Bis hieher ist der Satz klar durch Vernunftgründe, welche sich hauptsächlich auf Urgründe der Vernunft stützen. Aber demnächst ist er auch zweitens aus den Grundsätzen des christlichen Glaubens deutlich zu machen. Denn am meisten murrten und ersannen Eitles gegen die römische Oberherrschaft Diejenigen, welche sich Eiferer für den christlichen Glauben nennen: und sie fühlten nicht Mitleid mit den armen [55] Christen, denen man nicht nur die Einnahmen der Kirchen vorenthält, sondern sogar ihr väterlich Erbe raubt; und es verarmt die Kirche, indem sie Gerechtigkeit zu üben vorgeben, aber keinen Verwalter des Rechtes zulassen. Und nicht mehr geschieht diese Verarmung ohne das Urtheil Gottes, da man weder den Armen, deren Erbgut das Vermögen der Kirche ist, damit zu Hülfe kommt, noch wird dies von der weltlichen Macht Dargebotene mit Dankbarkeit in Besitz behalten. Es kehrt zurück, von wannen es kam: auf gute Art kam es, auf schlechte Art kehrt es zurück, weil es auf gute Art gegeben, auf schlechte Art besessen ist. Wie steht es mit solchen Hirten? Wie, wenn das Kirchengut zerrinnt, während das Eigenthum ihrer Verwandten sich mehrt? Aber es mag wohl besser sein, die Untersuchung fortzusetzen und stillschweigend die Hülfe unsers Heilandes zu erwarten. Ich sage also, daß, wenn die römische Oberherrschaft nicht rechtmäßig war, so beging Christus durch seine Geburt eine Ungerechtigkeit. Aber die Folgerung ist falsch, und daher ist das Gegentheil des Vordersatzes wahr. Denn Widersprüche geben die entgegengesetzte Wahrheit. Die Falschheit der Folgerung braucht man den Gläubigen nicht aufzuzeigen. Denn jeder Gläubige gibt die Falschheit zu, und thut er es nicht, so ist er kein Gläubiger. Aber in desem Fall ist ihm die Beweisführung gleichgültig. Ich folgere nun so. Wer einem Befehl aus Ueberlegung nachkommt, der gibt durch seine Handlung zu erkennen, daß der Befehl gerecht sei; und da Handlungen überzeugender sind als Reden (wie des Philosophen Meinung ist in den letzten Büchern an den Nikomachus), so überzeugt er dadurch mehr, als wenn er durch Rede seinen Beifall gäbe. Aber Christus (wie sein Geschichtschreiber Lukas bezeugt) wollte unter dem Befehl des römischen Ansehens von einer jungfräulichen Mutter geboren werden, damit in dieser einzig merkwürdigen Aufzeichnung der Welt der Sohn Gottes als ein [56] Mensch aufgezeichnet würde, und eben dies war eine Bestätigung jenes Befehls. Und vielleicht ist es eine noch heiligere Meinung anzunehmen, daß dieser Befehl von dem Kaiser durch göttliche Veranstaltung ausgegangen sei, damit Der, welcher so lange Zeiten in der Genossenschaft der Menschen erwartet worden war, sich selbst gleich den übrigen Menschen einschreiben lasse. So bewies Christus durch die That, daß der Befehl des Augustus, der damals das römische Reich verwaltete, gerecht sein müsse. Und da auf ein gerechtes Befehlen die Gerichtsverwaltung folgt, so bestätigte Der, welcher jenen Befehl bestätigte, auch nothwendig die Gerichtsbarkeit. Wenn diese nicht rechtmäßig war, so war sie ungerecht. Auch ist zu merken, daß ein Beweisgrund, der benutzt wird, um eine Folgerung aufzuheben, wenn gleich dieser seiner Form nach einigermaßen an seiner Stelle ist, dennoch seine Stärke durch eine zweite Stellung zeigt, wenn man rückwärts schließt, zum Beispiel mit dem Beweisgrund, der den Vordersatz in der ersten Stellung ausmachte, kann man rückwärts schließend so verfahren: Alles Ungerechte wird ungerecht bestätigt; Christus bestätigte es nicht ungerecht, also bestätigte er nicht etwas Ungerechtes. Umgestellt würde aber der Schluß heißen: Alles Ungerechte wird ungerechterweise bestätigt: Christus bestätigte etwas Ungerechtes: also bestätigte er es ungerechterweise.

Und wenn die römische Herrschaft nicht eine rechtmäßige war, so ist die Sünde Adam’s in Christus nicht bestraft worden. Das wäre aber falsch: also ist der Gegensatz Dessen, woraus es folgt, wahr. Daß die Folgerung falsch sei, erhellet auf diese Art. Denn da wir durch Adam’s Sünde allesammt Sünder waren, wie der Apostel sagt: Sowie durch Einen Menschen die Sünde in die Welt kam, und durch die Sünde der Tod: so ist der Tod über Alle gekommen, weil Alle gesündigt haben: so wären wir, wenn für jene Sünde durch Christus nicht gutgethan wäre, noch fortwährend Söhne des Zorns [57] der Natur, insofern die Natur verderbt ist. Aber dies ist nicht der Fall, da der Apostel an die Epheser schreibt, indem er von Gott dem Vater sagt, „daß er uns verordnet habe zur Kindschaft gegen ihn selbst durch Jesum Christum nach dem Wohlgefallen seines Willens, zum Lobe seiner herrlichen Gnade, durch welche er uns hat angenehm gemacht in seinem geliebten Sohn, an welchem wir haben die Erlösung durch sein Blut, nämlich die Vergebung der Sünden nach dem Reichthum seiner Gnade, welche uns reichlich widerfahren ist.“ Sofern auch Christus die Strafe auf sich nimmt, kann er beim Johannes sagen: Es ist vollbracht. Denn wenn etwas vollbracht ist, bleibt nichts mehr zu thun übrig. Zur Verständigung muß man wissen, daß die Strafe nicht einfach die Strafe Dessen ist, der das Unrecht begeht, sondern die, welche dem Unrecht Begehenden von Dem aufgelegt ist, der das Recht hat zu bestrafen; wenn sie daher nicht von einem ordentlichen Richter aufgelegt ist, so ist sie nicht eine Bestrafung, sondern vielmehr ein Unrecht zu nennen. Daher sagte jener zum Moses: Wer hat dich zum Richter über uns gesetzt? – Wenn Christus also nicht unter einem ordentlichen Richter gelitten hätte, so wäre jene Strafe nicht eine Bestrafung gewesen; und ein ordentlicher Richter konnte es nicht sein, wenn er nicht über das ganze menschliche Geschlecht das Richteramt hatte, da das ganze menschliche Geschlecht in dem fleischgewordenen, unsere Schmerzen (wie der Prophet sagt) tragenden oder duldenden Christus bestraft wurde. Und über das ganze menschliche Geschlecht hätte der Kaiser Tiberius, dessen Stellvertreter Pilatus war, das Richteramt nicht gehabt, wenn er nicht von Rechtswegen römischer Kaiser gewesen wäre. Daher schickte Herodes, obgleich ohne zu wissen, was er that, sowie auch Kaiphas, da er die Wahrheit sagte, nach himmlischem Beschlusse Christum dem Pilatus zur Beurtheilung zu, wie Lukas in seinem Evangelium sagt. Denn Herodes war nicht Stellvertreter [58] des Tiberius unter dem Zeichen des Adlers oder unter dem Zeichem des Senats, sondern König und von ihm über ein besonderes Königreich eingesetzt, und unter dem Zeichen des ihm übertragenen Reiches regierend. Mögen sie denn ablassen, das römische Kaiserthum zu schmähen, sie, welche sich Söhne der Kirche dünken, wenn sie sehen, daß der Bräutigam der Kirche, Christus, dies an den beiden Grenzpunkten seiner Laufbahn als Streiter auf diese Art bestätigt hat. Und nun meine ich es hinlänglich deutlich gemacht zu haben, daß das römische Volk sich mit Recht die Oberherrschaft der Welt angeeignet hat. O beglücktes Volk, o glorreiches Ausonien, wenn entweder niemals jener Schwäche deiner Herrschaft geboren wäre, oder seine fromme Absicht ihn nie getäuscht hätte!

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  1. Siehe die dritte in der vierten Abhandlung des Gastmahls erklärte Kanzone.
  2. Arist. Eth. Nicom. 6, 9: Ἀλλ’ ἔστι καὶ τούτου ψευδεῖ συλλογισμῷ τυχεῖν· καὶ ὃ μὲν δεῖ ποιῆσαι, τυχεῖν· δι’ οὗ δὲ, οὔ· ἀλλὰ ψευδῆ τὸν μέσον ὅρον εἶναι· ὥςτ’ οὐδ’ αὐτή πω εὐβουλία, καθ’ ἣν, οὗ δεῖ μέν τυγχάνει, οὐ μέν τοι δι’ οὗ ἔδει.
  3. V. 846-852
  4. V. 226-230.
  5. 11, 6.
  6. 17, 3 u. 4.
  7. V. 58.
  8. V. 58.
  9. V. 234-236.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Bnche