Textdaten
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Autor: Adolf Ebeling
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Titel: Mohammedanische Friedhöfe
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aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 799–801
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Mohammedanische Friedhöfe.

Von Adolf Ebeling.


Auch die Mohammedaner ehren ihre Todten, und die Strenggläubigen unter ihnen, die genau alle Vorschriften des Korans befolgen, könnten in dieser Beziehung den Bekennern anderer Religionen vielfach zum Muster dienen. Freilich enthalten jene Vorschriften auch manches nach unseren christlichen Begriffen Verkehrte und manchen Aberglauben, aber die ihnen zu Grunde liegenden Hauptideen sind doch zumeist wohlthuend und erhebend.

Mit dem Glauben an die Unsterblichkeit der Seele verbindet der Moslim den Gedanken an die verheißenen Freuden des Paradieses, die allerdings sehr materieller Natur sind, ihm aber die Schauer des Todes weniger schrecklich erscheinen lassen. „Der Gläubige geht ein durch die Himmelspforte,“ sagt der Koran, „nur der Ungläubige wird zurückgestoßen in das ewige Feuer.“ Auch der dem Mohammedaner von frühester Jugend an eingeprägte Fatalismus (der Glaube an das Kismet, das unwiderruflich vorherbestimmte Fatum) macht ihn mit dem Tode vertrauter, an den er noch außerdem, nach dem Gebote des Propheten, jeden Morgen bei Anlegung des Turbans zu denken hat; denn das Turbantuch muß vorschriftsmäßig „sieben Kopflängen“ haben, d. h. siebenmal um den Kopf herumgehen, weil es später als Leichentuch seines Trägers dienen soll.

Ein eigentlicher priesterlicher Beistand des Sterbenden ist nicht vorgeschrieben und wird auch nur selten verlangt, aber gewöhnlich nähert sich ihm doch einer der Umstehenden mit der Frage: „Bekennst Du, daß es keinen Gott giebt außer Allah?“ worauf dann die Antwort, wenn sie überhaupt noch gegeben werden kann, lauten muß: „Ich bekenne.“ Daß sofort nach dem Hinscheiden die Leiche gewaschen wird, ist wohl kaum nöthig zu erwähnen; gehört doch schon für den Lebenden die tägliche mehrmalige Waschung vor dem Gebet zu den Hauptvorschriften des Korans, und dies geht so weit, daß an Orten, wo es kein Wasser giebt, oder wo man es doch wegen seiner Kostbarkeit sparen muß, wie z. B. auf Pilgerfahrten oder Karawanenreisen durch die Wüste, der Sand die Stelle des Wassers vertritt, nur damit man dem Gesetz genüge. Bei den Reichen und Vornehmen wird dann oft noch die Leiche mit Rosenwasser besprengt, bevor man sie in die Grabtücher hüllt, die auch, je nach dem Range und Vermögen des Verstorbenen, sehr einfach (oft nur das obenerwähnte Turbantuch) oder sehr kostbar sind. Mittlerweile haben sich auch schon die Klageweiber eingestellt, die vor dem Hause oder im inneren Hofe desselben ein ohrbetäubendes Geschrei anstimmen, oft aber auch wirkliche Klagelieder singen, monotone Melodien, die sie mit der Tarabukka (dem arabischen Schellentamburin, aber bei dieser Gelegenheit ohne Schellen) begleiten. Einige dieser Weiber bleiben gewöhnlich im Trauerhause zurück; die anderen folgen der Leiche nach dem Friedhofe, und zwar in dunkelblauen Gewändern, der allgemeinen Trauerfarbe des Orients, nachdem sie sich vorher noch Kopf und Schultern mit Asche oder Erde bestreut haben. Sonst sind helle Farben, roth, gelb und grün, bei allen Begräbnissen vorherrschend, und die Bahre selbst, auf welcher die Leiche ruht, wird stets mit einem schimmernden hochrothen Shawl bedeckt. Särge kennt man nämlich im Orient nicht; der Körper wird von der Bahre, auf der man ihn hinausgetragen hat, herabgenommen und in seiner Umhüllung in die Gruft gelegt, wobei man namentlich Sorge trägt, daß das Gesicht in der Richtung nach Mekka hin zu liegen kommt. Auch geht Alles schnell von Statten; denn wenn der Tod Vormittags eingetreten ist, so muß die Beerdigung noch am Abend desselben Tages geschehen, wenn Nachmittags, am nächsten Morgen.[1] Auch darf keine Leiche gefahren, sondern sie muß getragen werden, gleichviel ob eines Königs oder eines Bettlers, und zwar immer mit dem Kopfe voran, was ebenfalls sehr gewissenhaft beobachtet wird.

Alsdann setzt sich der Zug in Bewegung, und ob groß oder klein, ob vornehm oder gering, stets wird die Leiche in die nächste Moschee getragen und vor dem Imam (Geistlichen) niedergesetzt, der die Angehörigen fragt:

„War der Todte während seines Lebens ein treuer Bekenner Allah’s? War er gerecht und war er mildthätig gegen die Armen?“

„Er war es; er war es,“ antwortet man von allen Seiten, und die Ceremonie ist beendigt. Nur bei vornehmen Leichen wird sie durch Gebete und Koranlectüre sehr verlängert, und für solche wird dann auch noch am Abend ein besonderer Gottesdienst abgehalten, bei dem alle Lampen der Kuppel, oft viele hundert an der Zahl, angezündet sind, was einen feierlichen Eindruck macht.

Wer es irgend erschwingen kann, nimmt einen Fiki (einen gewöhnlichen Schulmeister), der zwei oder drei Knaben mitbringt, von denen der eine einen Koran, der andere ein Rauchfaß und der dritte eine Schüssel mit Salz trägt (das Salz wird umhergestreut, um die bösen Geister zu bannen), und ebenso einen Moscheediener, der mit einer grünen Fahne voraufgeht. Blinde und Bettler schließen sich immer von selbst an; sie beklagen den Todten und preisen seine Tugenden, auch wenn sie ihn gar nicht gekannt haben, und die Vorübergehenden reichen ihnen oft eine kleine Gabe. Die nachfolgenden Klageweiber heulen unaufhörlich, und die übrigen Leidtragenden singen, gleichfalls ununterbrochen und in schnellem, fast lustigem Tact, den üblichen Begräbnißvers: „La illah ill Allah, Mohammed rassuhl Allah!“ (Es giebt keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist sein Gesandter.)

Auf dem Friedhof angelangt, wird die Leiche sofort und ohne weitere Ceremonien in die für sie bestimmte Gruft gelegt. Diese Grüfte sind immer längliche, aus Ziegelsteinen gemauerte Gewölbe, in Aegypten, in Arabien und Syrien einige Fuß über der Erde und selten mehr als ein Meter tief, in der europäischen Türkei und in Kleinasien tiefer und gewöhnlich mit einem einzigen großen flachen Stein bedeckt; dort sind sie auch mit aufrechtstehenden und oft reichverzierten Steinen geschmückt, voll Koransprüche und Sentenzen, während sie in den ersteren Ländern nur am Kopfende eine kleine steinerne Säule tragen, auf welcher oben ein Turban ausgemeißelt ist. Werden Frauen in der Gruft des Mannes beigesetzt, was nicht immer der Fall ist, da man ihnen besondere Gräber baut, so wird der Raum durch eine kleine Mauer abgetrennt; denn auch im Tode will der Mohammedaner keine Gleichberechtigung der Frauen, die er im Leben immer als tief unter sich stehend betrachtet. Giebt es doch noch heutzutage gelehrte Koranausleger in der Ashar-Moschee zu Kairo, die höchst ernsthaft die Frage erörtern, ob die Frauen wirklich eine Seele wie die Männer und dadurch ein Anrecht auf ein jenseitiges Leben haben.

Begraben werden übrigens die Frauen im Orient auf ganz ähnliche Weise wie die Männer, und in den höheren Ständen oft mit großer Pracht.[2]

Eigenthümlich ist die Sitte, auf der Bahre der weiblichen Leichen eine Stange zu errichten, die mit bunten Tüchern umwunden und mit allerlei Schmuck, sogar mit goldenen Uhren und Ketten behängt wird und auf der Spitze auch wohl noch eine goldene Krone trägt.

Ein schöner Gebrauch herrscht aber bei allen mohammedanischen Begräbnissen, das ist die Armenspende, und wenn auch der Todte selbst noch so arm war, ein Korb voll Datteln und Brod wird doch immer an seiner Gruft vertheilt. Sind die Ueberlebenden nicht im Stande, die Gabe zu erschwingen, so findet sich stets ein bemittelter Nachbar oder Freund, der die wenigen Piaster dazu schenkt, „denn das Grab des Gläubigen soll gesegnet sein durch den Dank der Armen“.

Die Reichen lassen ihren Leichenzügen oft mehrere mit Lebensmitteln aller Art beladene Kameele folgen, auch wohl [800] einen Büffel und eine Anzahl Hammel. Die Thiere werden an einem bestimmten Platz des Friedhofes geschlachtet, zerlegt und mit den anderen Eßwaaren unter die Armen vertheilt, die sich bei solchen Gelegenheiten aus allen Gegenden der Stadt in großer Menge einfinden.

Die Mohammedaner haben auch einen Feiertag im Jahr, der, ähnlich wie der Allerseelentag der Katholiken, dem Andenken der Verstorbenen ganz besonders gewidmet ist, nämlich den zweiten Tag des Beiramfestes nach Schluß des Ramadan, des allgemeinen Fastenmonats. Alsdann ziehen schon am Vorabend jenes Tages viele Tausende, aber fast nur Frauen, nach den Friedhöfen hinaus; alle tragen Palmenzweige, Brod und Früchte, die begleitenden Kinder aber große Papierlaternen; der Zug dauert die ganze Nacht hindurch und hat etwas ungemein Feierliches und Ergreifendes. Auf dem Friedhofe begeben sich die Theilnehmer zu den Gräbern ihrer Angehörigen, um dort zu beten und den übrigen Theil der Nacht mit Besuchen ihrer Bekannten auf anderen Gräbern zu verbringen. Vornehme Damen ziehen wohl auch auf Eseln oder Kameelen hinaus und lassen sich ein Zelt aufschlagen, in welchem sich alsdann eine zahlreiche Gesellschaft versammelt und oft mehrere Tage zusammen bleibt. Für die Mohammedanerinnen, die bekanntlich sonst streng überwacht werden, ist jenes Fest ein Freiheitsfest, das viele von ihnen auch sehr gut zu benutzen wissen, vorzüglich in großen Städten, wie in Kairo, wo Liebesabenteuer bei solchen Gelegenheiten nichts Seltenes sind.

Eigenthümlich, aber den Sitten des Orients vollkommen entsprechend, sind auch die vor dem Friedhofe an jenen Tagen errichteten russischen und gewöhnlichen Schaukeln mit lautem Schellengeklingel, ferner die Kaffeezelte mit Märchenerzählern, die Buden mit Eßwaaren und Zuckerwerk, auch die Schaustellungen von Equilibristen und dem beliebten „Karagös“, dem türkischen Hanswurst, dessen derbe Späße nirgends fehlen dürfen.

Im Allgemeinen machen aber die mohammedanischen Friedhöfe einen tristen und monotonen Eindruck, schon durch die schmucklose Gleichheit der Gräber, die sämmtlich einander fast zum Verwechseln ähnlich sehen. Von Blumenschmuck, wie auf christlichen Friedhöfen, ist vollends keine Rede; selbst Bäume sind selten, obwohl einige Friedhöfe in Syrien und Palästina und vornehmlich ein berühmter bei Constantinopel, den wir weiter unten noch besonders beschreiben werden, davon eine Ausnahme machen. Jene Einförmigkeit wird jedoch in etwas durch die sogenannten Schechgräber unterbrochen, deren man auf großen Friedhöfen sehr viele antrifft. Es sind dies viereckige, würfelförmige Bauten von ziemlicher Höhe, deren Bedachung eine Kuppel bildet, unter welcher der „Heilige“ oder sonst ein angesehener Bekenner des Islam, ein Schech, begraben liegt. Heilige giebt es nämlich im Orient eine unzählbare Menge, wenn auch die meisten derselben so absonderlicher Art sind, daß man sie nach unseren Begriffen weit eher Verrückte nennen möchte, aber in ihrer mohammedanischen Heimath stehen sie, sowohl bei Lebzeiten wie auch nach dem Tode, in großer Verehrung.

Je toller sie sich geberden und je nackter und schmutziger sie umherlaufen, um so „heiliger“ erscheinen sie dem Volke, und die Frauen der unteren Classen wallfahren, in lange Schleier gehüllt, an bestimmten Tagen zu ihrem Grabe und singen dort bei angezündeten Kerzen halbe Nächte lang ihre disharmonischen Klagelieder, welche sie mit dem unaufhörlichen Getrommel der Tarabukka zu begleiten pflegen.

Einzelne Derwischorden haben bestimmt abgegrenzte Plätze auf den Friedhöfen, wo nur Mitglieder ihrer Genossenschaft begraben werden dürfen. Diese Derwische ziehen gleichfalls an bestimmten Abenden in langen Reihen, unter Vorantragung ihrer mit Koransprüchen gestickten grünen Fahnen und mit ihren großen weißen Papierlaternen auf jene Gräber hinaus, um dort einen sogenannten „Zikr“ abzuhalten, eine seltsame Art von Gottesdienst, bei welchem sie im Kreise sitzen und unter beständigem Hin- und Herschaukeln des Oberkörpers nichts wie „Allah, Allah!“ rufen und zuletzt wie Besessene toben, daß man meint, eine Gesellschaft von Verrückten vor sich zu haben. Das sind die im ganzen mohammedanischen Orient bis weit nach Indien hinein verbreiteten heulenden Derwische, zu denen sich oft noch die tanzenden gesellen, die sich minutentang mit weit ausgestreckten Armen und erstaunlicher Geschwindigkeit wie Kreisel drehen. (Vergl. „Gartenlaube“ Nr. 28, Jahrg. 1871.)

Doch wenden wir uns von diesen kläglichen Auswüchsen des Islam, die übrigens auch von allen verständigen und gebildeten Mohammedanern streng verdammt werden, ab und einem würdigeren Bilde zu, das uns die Ruhestätte mohammedanischer Todten in ihrer vollen Schönheit zeigt! Es ist dies der türkische Friedhof von Kadi-Kjoï bei Constantinopel, der unweit Skutari, also auf asiatischem Boden liegt und den Lord Byron den „schönsten Friedhof der Welt“ genannt haben soll; er ist die größte und auch wohl erhabenste Gräberstadt der Mohammedaner und der Hauptfriedhof von Stambul, weil die gläubigen Türken ihn als einen ganz besonders geheiligten Ort ansehen. Dies beruht auf einer alten Prophezeiung, nach welcher die Herrschaft des Halbmondes in Europa nur vierhundert Jahre dauern und dann untergehen soll, freilich um in Asien und Afrika dann nur desto glänzender fortzuleben.[3] Dieser Zeitpunkt war eigentlich schon im Jahre 1853 eingetreten; denn gerade vierhundert Jahre früher (1453) erfolgte die Eroberung Constantinopels durch die Türken und mit ihr der Untergang des oströmischen (byzantischen) Kaiserreiches. Als daher im Jahre 1854 der Krimkrieg ausbrach, meinten die Türken bereits, die gefürchtete Stunde habe geschlagen, was auch wohl der Fall gewesen, wenn nicht die Franzosen und Engländer ihnen gegen die Russen zu Hülfe gekommen wären. Trotzdem lebt die Prophezeinng im türkischen Volke fort, und mehr als zuvor läßt sich heute jeder gute Mohammedaner, wenn er die Kosten irgend erschwingen kann, in Kadi-Kjoï, also in asiatischer Erde, begraben, um nicht etwa später bei den Ungläubigen zu ruhen.

Einen ernsteren und erhabeneren Friedhof als diesen dürfte es aber auch wohl kaum auf der Welt geben. Viele christliche Gottesäcker – und namentlich manch berühmter Campo santo in Italien mögen schöner und durch ihre Denkmäler und Mausoleen prächtiger sein, aber die eigentliche Friedhofsruhe, die einsame und stille Majestät des Grabes findet sich nirgends so wie in Kadi-Kjoï. Uralte Cypressen, deren Alter nach Jahrhunderten, ja oft nach halben Jahrtausenden zählt, bilden stundenlang ein dunkles Schattendach, und wo die kolossalen Stämme einen Durchblick gestatten, sieht man nichts als den glänzenden Meeresspiegel, der seine hellen Lichter auf die meist nur schlichten weißen Grabsteine wirft. Unzählige dieser Steine sind verwittert und zerfallen, aber die Ruhe der darunter Schlafenden wird dadurch nicht gestört; denn der Islam verbietet streng die Rückgabe der Gräber, gleichviel nach welcher Reihe von Jahren, zur Bestattung neuer Geschlechter.

Vom jenseitigen Ufer des Bosporus sieht man häufig und meist in den Abendstunden die mit grünen Tüchern verhangenen Boote herübergleiten, in denen die Leichen nach Kadi-Kjoï befördert werden; Stand und Vermögen der Verstorbenen machen natürlich auch hier einen Unterschied. In jüngster Zeit versehen sogar kleine Dampfer die Ueberführung vornehmerer Leichen, doch der strenggläubige Mohammedaner zieht hier die einfachere Weise des Transports mittelst des gewöhnlichen Leichenbootes vor, wie er ja auch auf seiner Pilgerfahrt nach Mekka Dampfschiffe und Eisenbahnen vermeidet. Oft folgen aber in einem zweiten Boote die Leidtragenden, und Andere sind schon voraufgefahren, um den Todten auf dem Friedhofe zu empfangen und ihm die letzten Ehren zu erweisen.

Ich habe oft solchen abendlichen Leichentransporten über den Bosporus zugesehen. Es ist ein feierlicher Anblick. Die im Marmarameere versinkende Sonne sendet noch einmal ihre Strahlen auf die Riesenstadt und übergießt die vielen hundert Kuppeln und Gebetthürme und alle Dächer der höhergelegenen Paläste und Gebäude mit rother Gluth; die zahllosen Fenster der Landhäuser auf den Terrassen von Pera und Galata funkeln wie flüssiges Gold, und hoch am Himmelsgewölbe schwimmen helle Rosenwolken – nur der Cypressenwald von Kadi-Kjoï steht dunkel und ernst da, ein lautmahnender Gegensatz der schweigsamen Stätte der Todten zu der gegenüberliegenden daseinsfrohen Welt der Lebendigen.



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Türkischer Friedhof in Kadi-Kjoï bei Skutari.0 Nach einer Photographie.

  1. Wir sprachen oft mit türkischen und arabischen Aerzten darüber, schon wegen der Möglichkeit des Scheintodes und des Lebendig-begraben-werdens, hörten aber stets dasselbe, daß nämlich das Gesetz es so vorschreibe und daß die eben erwähnten Eventualitäten nicht vorkämen. In allen größeren Städten sind übrigens auch Leichenbeschauer angestellt, die den Tod vorher constatiren müssen. Eine große Autorität auf diesem Gebiete, H. Petermann („Reisen im Orient“), ist freilich anderer Meinung und behauptet, daß sehr viele Mohammedaner lebendig begraben würden.
  2. Die „Gartenlaube“ brachte in Nr. 38 des Jahrg. 1875 von demselben Verfasser eine Schilderung des Leichenbegängnisses der Lieblingstochter des Khedives, bei welchem ein ganz außerordentlicher Pomp entfaltet wurde. D. Red. 
  3. Was Afrika betrifft, so sieht es dort wegen der französischen Suprematie in Tunis und mehr noch wegen der englischen in Aegypten augenblicklich mit dieser Prophezeiung bös aus, und auch die asiatische Türkei erweckt in dieser Beziehung keineswegs sehr günstige Aussichten. D. Red.