Textdaten
Autor: J.S.
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Titel: Moderne Koloristen
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aus: Vorwärts, 37. Jahrgang, Nummer 309 (Samstag 19. Juni 1920), Abend-Ausgabe, [S. 2]
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Erscheinungsdatum: 19. Juni 1920
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Moderne Koloristen.

Jeder echte Maler liebt die schönen Farben, wie jeder echte Poet die klingenden Worte liebt, und dieser wie jener wird auf die Wirkungen rein sinnlicher Reize nie ganz verzichten wollen. Aber wie ein Gedicht kein bloßes Wortgeklingel sein darf, so muß ein Gemälde, das ein wirkliches Kunstwerk ist, seelische Wirkungen auslösen, die über die eines farbenprächtigen Teppichs hinausgehen. Die Vertreter der modernsten Richtung sind der Farbenschönheit im Sinne der klassischen Meister freilich meist abgeneigt, weil sie meinen, daß deren Ausdruckswerte sich im Laufe der Jahrhunderte abgenutzt haben, und sie suchen die neuen Gefühlsgehalte in einer neuen Farbensprache zu gestalten. Daneben aber gibt es auch unter den Zeitgenossen, selbst unter den modernsten, immer noch Künstler, die die sinnliche Schönheit mit geistiger Ausdruckskraft zu vereinigen wissen.

Im Sturm (Potsdamer Str. 134a) sehen wir Gemälde einer jungen belgischen Kubistin Tour Donas, die durch das Raffinement ihrer koloristischen Reize auch auf ein der neuen Kunst fremdes Publikum wirken müssen. Aus der Ferne betrachtet, bieten sie schlichte, fein getönte Harmonien, und in der Nähe entdeckt das Auge eine Fülle farbiger Einzelwerte von berückender dekorativer Schönheit und zugleich tiefer Durchgeistigung. Man versenke sich in irgendeines dieser Bilder, etwa den „Tanz” (Nr. 39), und beachte, wie die blauen, roten, stahlgrauen und lila Flächen zu einander stehen, wie am rechten Bildrande das Graublau in Rosa übergeht, wie an einzelnen Stellen die Oberschicht des Malkörpers durch eine fast reliefartige Behandlung belebt ist und wie die klaren Farbformen der kräftig ausgearbeiteten Kegel und Zylinder überall, wo man sie sicher zu fassen glaubt, gewissermaßen in die vierte Dimension entschwinden, so daß der Eindruck nüchterner stereometrischer Wirklichkeit niemals aufkommen kann und, während das Auge in sinnlicher Farbenschönheit schwelgt, der Geist in übersinnliche Sphären entrückt wird.

Mehr im Irdischen wurzelt die Farbenkunst Martin Blochs, der bei Cassirer (Viktoriastr. 35) eine umfangreiche Ausstellung hat. Die optischen Eindrücke der Wirklichkeit geben seinem Schaffen die entscheidenden Anregungen und unter südlichem Himmel – der Künstler mußte die Kriegsjahre in Spanien zubringen — haben seine Arbeiten ihre sinnliche Glut und Leuchtkraft erhalten. Aber er ist nicht reiner Naturalist. Die dekorativen Tendenzen der Matisse-Schule haben ihn stark beeinflußt, und er wurde zum Farbendichter, der in koloristischer Kühnheit das Ungeheuerlichste wagt, ohne eine vornehme, fein abgewogene Gesamtwirkung zu verlieren (Nr. 22: „Halt an einer Schenke”, Nr. 16: „Stilleben im Freien”) und starke impressionistische Raumgestaltung mit ruhiger Monumentalität zu vereinen weiß (Nr. 12: „Der rote Berg”). Nur selten entgleist er, wie in der „Baskischen Landschaft mir Wäscherinnen” (Nr. 10), wo das Gegenständliche unklar bleibt und eine einheitliche Wirkung der reinen Farben- und Liniensprache nicht zustande kommt. Blochs ganz auf die Farbe gestellte Kunst ist frischer und kräftiger als die der Belgierin, aber sie bleibt mehr an der Oberfläche haften und dringt nicht so tief in die Seele.

Aus tragischem Kriegsschicksal ist dem Maler Rudolf Hellwag eine neue, geläuterte Kunstauffassung erwachsen. Der Ausbruch der großen Zeit überraschte ihn in London, er wurde interniert, und in dem Schmutz und Elend des Gefangenenlagers entstand eine Reihe feiner und tiefer Farbenwerke, die jetzt einige Tage in den Hochschule für die bildenden Künste ausgestellt waren. Nicht Wirklichkeitseindrücke, sondern Erinnerungsbilder haben sich hier zu Visionen gestaltet, aus deren stillen, matt leuchtenden Flächen die Stimmung englischer Parks wiederklingt. Die Bilder haben keine Aehnlichkeit mehr mit den früheren Arbeiten Hellwags. Sie bedeuten einen entscheidenden Schritt zum strengen Stil. Dem Gehalt nach sind sie Farbenlyrik, der Form nach dekorative Wandmalerei von ausgesprochenem Flächencharakter. Ihre eigenartige Schönheit tritt in den Landschaften noch deutlicher zutage als in den Figurenbildern, wo eine gewisse Härte, namentlich der Umrißlinien, zuweilen stört. Es wäre zu wünschen, daß dem Künstler Gelegenheit geboten würde, sein neues Können und Wollen an größeren Aufgaben zu erproben. Die Instanzen, die Aufträge für monumentalen Wandschmuck zu vergeben haben und denen der Expressionismus noch zu extravagant erscheint, mögen Hellwags reife, vornehme und wirkungsvolle Farbenkunst sich zunutze machen.

J. S.