Merckwürdige Nachricht aus Ost-Indien/Sechster Brieff

« Fünffter Brieff Merckwürdige Nachricht aus Ost-Indien Der siebende Brieff »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


[21]
Sechster Brieff,

[vom 1. September 1706]

Von der Hoffnung und von einigem Anfang der Bekehrung.

In unserm Heilande Christo JESU
Werthgeschätzte Gönner und Freunde!

ES werden ihnen unsere Worte annoch bekant seyn, da wir in ihrer Gegenwart wünscheten, daß uns GOtt nur eine Seele von den Heiden schencken möchte; so würde unsere Reise schon belohnet seyn. Als wir denn anjetzo schon dieses unsers Wunsches gewehret worden sind, so hab ich solches zum Preiß Göttlicher Gnade, und zu ihrer Auffmunterung, hiemit nicht verschweigen sollen. Denn, so bald, als wir allhie nur Ancker geworffen hatten, kam unter andern ein feiner junger Mensch von den Malabaren auff unser Schiff, und, nachdem er unsert wegen Nachforschung gehalten, fragte er mich; Ob ich ihn nicht zu meinem Diener annehmen wolte? Ich befragte mich deßwegen mit Herrn Plütschau, [22] und als wir es beyderseits für Göttliche Schickung erkanten, nahmen wir ihn an. Sein Name heist Modaliapa, seines Alters etwa 20 Jahr. Seine Mutter, die annoch lebet, ist aus Fürstlichem Geschlechte, sintemal ihr Groß-Vater dieses Landes Fürst gewesen. Sein Vater hat allhie in der Compagnie Diensten gestanden, und ist ein Mann von grossem Reichthum gewesen: hat aber alles vor seinem Tode der Compagnie geschencket, mit Bitte, daß sie einsmahls seinen Sohn in ihre Dienste nehmen, und erziehen lassen möchte; Wie ihm denn hierzu ein gewisses Geld gelassen worden. Um dieses ist er aber nachmals auch gekommen, also daß sein und seiner Mutter Vermögen nunmehro gantz gering ist, und er andern Leuten dienen muß. Dieser, als er etwa acht Tage um uns gewesen, und unsern Wandel gesehen hatte, bekam er eine ungemeine Liebe zu uns, und fragete auff Portugiesisch, deren Sprache er sehr wohl mächtig ist: Ob er nicht immer bey uns bleiben, und auch dermaleins mit nach Europa gehen könte? Wir sageten: So fern er solches verlangete, müste er ein Christ werden, und die Teutsche Sprache lernen: Darauff begehrete er erstlich von dem Christenthum rechten Unterricht zu haben und fieng also bald an Teutsch zu lernen, also daß er anjetzo schon wohl buchstabiren, und auch vieles reden kan. Wir waren dazumahl der Portugiesischen Sprache noch nicht recht kundig, und musten es bey ihm nur mit Bildern anfangen, und durch eusserliches weisen ihm deren Verstand beybringen. Indessen liessen wir von andern ihm bald dieses, bald jenes, sonderlich von dem allein wahren GOtt, und seinem Sohne Christo JEsu, nebst dem Heiligen Geist, deßgleichen auch von unserm tieffen Elend und Verderben erzehlen, also daß er immer nach und nach der Göttlichen Warheit überzeuget wurde, und zu bekennen anfing: Daß der Malabaren ihr GOttes-Dienst falsch, und der Christen ihrer warhafftig wäre. In diesen allen hab ich solche Klugheit und tieffen Verstand bey ihm angetroffen, daß ich mich billig über ihn, als einen Heiden, verwundern müssen. Den 25. Julii war einer bey uns, der wohl Portugiesisch verstund, mit welchem er einem Discours anfieng von den Königen in Europa, und wuste selbige nach der Reihe zu erzehlen. Ich ließ ihn aber durch den guten Freund, der auch Teutsch verstund, sagen, wie wahre und rechtschaffene Christen geistliche Könige wären, und gleichfalls herrliche Güter in Christo zu besitzen hätten. Er antwortete darauff, das glaube er wohl, aber doch nur von denjenigen, die stets mit GOTT umgingen, und sich eines heiligen Lebens befleißigten. Er wüste auch, daß ein König keinen andern Ursprung hätte, als der geringste Mensch; ja er wüste und glaubte, daß dieses nicht das rechte Leben wäre, sondern daß zukünfftige, allwo weder unter Königen noch geringen Leuten, auch weder unter schwartzen, noch blancken Menschen, ein solcher Unterscheid seyn würde, als nunmehro in dieser Welt zu sehen wäre. Hierauff ließ ich ihn ferner fragen: Ob er einen einigen GOtt glaubete? er sagete, ja, es wäre nur ein einiger GOTT, der ihn und alle andere Dinge in der Welt geschaffen hätte, und diesem GOTT gehörete er so wohl an, als die blancken Leute, ob er gleich dem Leibe nach schwartz wäre; Dieser GOTT belohne das [23] Gute, und straffe das Böse, und diesen GOTT suche er immer mehr und mehr zu erkennen; solche Wahrheit würde ihm niemand ausreden können. Nachdem wurde er wieder gefraget: Ob er denn die Malabarische Abgötter für wahre Götter erkennete, und ihnen göttliche Ehre erweise? Nein, antwortete er: Ein Mensch könte kein GOtt seyn, vielweniger Götter machen; und er wüste gnugsam, daß die Malabaren nicht den rechten Weg hätten des zukünfftigen Lebens: Was er hievon erkennete, das verstünden andere seines gleichen sehr wenige. Dahero er auch niemand etwas anjetzo davon sagen wolte, weil sie ihn für einen Lügner ausgeben und ihm allerley Leid anthun würden. Ich ließ ihn abermal fragen: Was er von Christo JEsu hielte und dem Christenthum? Er sagte: Ich bin hierinnen noch nicht recht gründlich unterrichtet, und kan nicht wohl viel anjetzo davon sagen; begehre aber solches immer weiter zu hören, und darinnen besser gelehret zu werden. Er wurde abermahl gefragt: Ob er alsdenn um der ewigen Seeligkeit willen, welche ihm lieblich vorgestellet wurde, lieber alles verleugnen, und von seiner Freundschafft excommuniciret werden wolte, als bey diesem Erkäntniß ewig verlohren gehen? Hierauff gab er sehr gute rationes, warum solches anjetzo noch nicht geschehen könte; nemlich er begehrete erst in seinem Hertzen alles dessen völlig überzeuget zu werden, was die Christen glaubeten und für wahr erkenneten: sintemal es ein grosses Auffsehen unter den Malabaren machen würde, wenn er sich schon itzo tauffen liesse; dahero wolte er es so lange anstehen lassen, biß er nachmahls ihnen insgesamt die Ursache dessen anzeigen, und diejenige Warheit, die er annehme, beweisen könte. Er erzehlete hierauff seine wunderbare Führunge GOttes, wie er ehemahls an Halse, Händen und Füssen in lauter güldenen Ketten gegangen wäre, und nunmehro anderen dienen müste, da er selbsten vorhin eine grosse Menge Sclaven hinter sich gehen gehabt: jedoch wäre er bey diesen allen vergnüget, weil es ihm zu vielen Guten dienen müssen, und weil er auch wüste, daß der Mensch nichts auff die Welt brächte, noch etwas in seinem Tode wieder mit sich nehme, ohne allein seine Seele, und das Gute, das er in der Welt gethan hätte. Darauff wurde ihm das Exempel Josephs aus dem ersten Buch Mosis erzehlet, wie wunderbar ihn GOtt geführet hätte, also, daß es offt geschienen, als wäre er gäntzlich dem Verderben übergeben, aber doch endlich nachmals herrlich von GOtt erhöhet worden. Dahero solte er GOtt vertrauen, und von nun an anfangen, ihn recht zu fürchten, sonderlich aber sich mit dem himmlischen Joseph, Christo JEsu, recht bekant machen, so würde er jederzeit von GOtt auch dem Leibe nach nothdürfftig unterhalten werden, etc. Den 30. Julii gieng ich mit ihm gantz alleine auffs Land spatziren, und hatte viele gute Gespräch mit ihm: unter andern fragte ich: Ob die Malabaren die Sonne, welche uns dazumal gleich sehr lieblich anschiene, als einen Gott venerireten, er sagte ja, aber er erkennete sie nur für ein Geschöpff des Grossen GOttes, und sprach: Gleichwie ich weiß, daß dieser Weg, darauff wir anjetzo gehen, recht; hingegen aber alle Neben-Wege, in Ansehung des jenigen Orts, da wir hingegen wollen, falsch seyn; also bin ich versichert, daß [24] alles dasjenige, welches ich bißhero von euch gehöret, und gesehen habe, recht und warhafftig, hingegen aber unser Heidnischer Gottes-Dienst falsch und dem wahren GOtt mißfällig sey. Ich erzehlte ihm darauff, wie auch unsere Vor-Eltern in gantz Europa blinde Heiden gewesen wären; zur Zeit Christi aber und nachmahls von ihrer Finsterniß zu dem Licht des heiligen Evangelii bekehret worden, und wie auch GOtt noch heute zu Tage denen Malabaren und andern Heiden seine Gnade zu ihrer Bekehrung darböthe, und gerne wolte, daß ihnen allen geholffen werden möchte. Dieses alles hörete er mit grosser Attention an; sagete aber dabey, wie daß fast alle Christen ein weit ärger Leben führeten, als die Malabaren. Ich antwortete: Er solte sich damit nicht aufhalten lassen, sondern nur auff unser Leben und Lehre recht achtung geben, und dasjenige kleine Lichtlein, das der liebe GOtt in ihm schon angezündet hätte, recht gebrauchen, und selbiges immer weiter auffblasen lassen; so würde er nachmahls schon den Unterschied zwischen einem wahren und falschen Christen erkennen lernen. Hernach hatten wir noch viel andere dergleichen Unterredungen, von der grossen Herrlichkeit eines Menschen, der GOtt recht fürchte, und in der Gemeinschafft JEsu Christi stünde, etc. also, daß er aus Überzeugung solcher Wahrheit sagte: Er begehre mit mir zu leben und zu sterben, und verlange in dieser Zeit nichtes mehr, als nothdürfftige Unterhaltung seines Leibes, wenn er nur darbey könne desjenigen theilhafftig werden, von welchem er anjetzo gehöret hätte, und dadurch sehr wäre erfreuet worden. Von der Zeit an habe ich nebst Herr Plütschauen keinen Fleiß gesparet, ihn zu unterweisen aus dem Worte des HErrn, und würden die Discourse, welche hierbey fürgefallen sind, den lieben Freunden zwar angenehm zu hören seyn, aber auff 20. Bogen nicht alle können auffgezeichnet werden. Er hat uns täglich solche Fragen fürgeleget, deren wir uns höchlich verwundert haben. Als zu Exempel: Warum denn GOTT für sich selbst nicht wäre mächtig gewesen, das gefallene Menschliche Geschlecht ohne Sendung seines Sohnes wieder in seine Freundschafft auffzunehmen? Warum eben Christus deswegen hätte leiden und sterben müssen? Wie er denn allein ohne Sünde wäre gebohren worden, weil ja die allgemeine Geburth der Menschen nicht ohne Sünde hätte geschehen können? Warum nicht von der Welt Anfang wären Christen gewesen? Warum GOtt die Menschen nicht mit Gewalt zu seinem Dienste zwingen könte? Warum Christus den Teuffel nicht gäntzlich tödten, und auff der Welt für ihn Friede machen könte? Warum nicht alle Christen selig würden? Warum so gar wenig Christen in der Welt wären? Warum einer nicht so wohl fromm und gottselig leben könte, als der ander? Warum so viel Secten unter denen Christen wären? Woher die Mahometaner kämen? Ob denn nicht einige von den Heiden, so da nach ihrem Vermögen fromm in der Welt lebeten, gleichfalls ausser dem Erkäntniß Christi könten selig werden? Ob denn in Europa ebenfalls die Christen so böse lebeten, als hier? Ob denn die andern Christen nicht eben das jenige wüsten, was wir täglich lehreten? Warum eben die Tauffe zum Christenthum [25] nöthig wäre, weil ja diejenigen, die da selbige empfangen hätten, verdammet würden? Ob dem lieben GOtt die Schwartzen, wenn sie Christen würden, eben so lieb und angenehm wären, als die Weissen? Was es mit der Lehre und dem Leben Christi für eine Bewandniß habe, etc. Von diesen und dergleichen mehr haben wir ihn theils selbst unterrichtet, theils auch, in Ermangelung dieser und jener Portugiesischen Wörter, durch einen Interpretem unterweisen lassen. Anjetzo aber hat er durch die tägliche Übung so viel Teutsch gelernet, und wir so viel Portugiesisch, daß er uns, und wir ihn, in allen Dingen wohl verstehen, und gegen die Malabaren schon als unsern Interpretem gebrauchen können. Er ist 5. Jahr in ihren Schulen gewesen, und hat ziemlicher massen ihre Theologie und Philosophie nebst Rechnen und Schreiben gelernet. Damit er aber in allen recht perfectioniret würde, und uns in unserm Amte durch Translatiren und andern Handlungen gute Dienste thun könte; so halte ich ihm anjetzo einen eigenen Schulmeister in unserm Hause, welcher den gantzen Tag mit ihme zu thun hat. Er kostet mir zwar viel Geld, jedoch, weil er so gar grosse Lust hat, mit mir nach dem Vaterlande zu gehen, und stets bey mir zu verbleiben; so gedencke ich, daß er alsdenn, wenn er recht fertig Deutsch gelernet hat, in Europa eben so wohl seinem Volcke gute Dienste thun kan, als hier, durch stetes Zuschreiben, und durch Verfertigung Malabarischer Bücher vom wahren Christenthum. Nebst ihm haben wir noch zwey andere Diener, die sich gleichfalls resolviret haben, Christen zu werden. Des einen Eltern aber wollen es nicht zugeben, und wiewol er willens ist, sie gäntzlich zu verlassen, und uns dafür anzunehmen, so haben wir doch bis daher noch kein solches Auffsehen unter den Malabaren machen wollen, als dadurch sie auff einmal von uns möchten abgeschrecket werden. Es kam gestern Abend eine Frau zu uns, und beschenckte uns, mit ihrem Malabarischen Confecte aus grosser Liebe gegen uns; Und als wir sagten, daß wir in jener Welt erst die besten Gaben Gottes, oder den rechten Confect über GOttes Tisch zu essen bekommen würden: so bat sie uns, wir möchten doch für sie bitten, daß sie auch alsdenn bey uns seyn, und dergleichen geniessen könte. Wir redeten sonst mit ihr noch viel gutes, also, daß sie dadurch sehr bewogen wurde, und unsere Sclavin zu seyn sich erboth, unerachtet sie von Fürstlichem Geschlechte ist. GOtt wolle ihre Seele zum Gehorsam des Glaubens bringen, und unter den Erstlingen eine seyn lassen. Unser Gerücht ist schon fast allenthalben im Lande erschollen, und kan auch dem Könige Tranjou nicht mehr verborgen seyn, sintemal uns den 6. Augusti einer von seinen Bedienten zusprach, und als er durch Gespräch, vermittelst eines Dolmetschers, sehr contentiret wurde, fragte er uns, ob wir nicht Lust hätten das Land zu beschauen, er wolte uns 30. Soldaten schicken, die uns sicher geleiten solten; er wolle auch unsert wegen an den König einen Brieff schreiben, damit wir mit ihm in gute Bekantschafft kommen könten. Im übrigen ist zu diesem heilsamen Wercke, das Evangelium unter den Heiden fortzupflantzen, nechst der Gnade GOttes, eusserlich nichts nöthiger und dienlicher, als ein mit der Lehr übereinkommendes unsträffliches Leben, und ein Vorschub von zeitlichen Mitteln zu allerhand guten Anstalten. Wir werden Ihro [26] Königliche Majestät von Dennemarck zur fortsetzung dieses Wercks unterschiedliche unmaßgebliche Vorschläge thun. Es wäre zu wünschen, daß sich alle Evangelische Könige und Fürsten zusammen thäten, und zur Bekehrung so vieler Millionen armen blinden Heiden euserlich etwas beytrügen, oder sich doch zum wenigsten allgemach einer nach dem andern rühmlichst von GOtt hierzu erwecken liessen. GOtt würde sich gewißlich nicht unbezeuget, und solche löbliche Werckzeuge nicht ungesegnet seyn lassen. Hieraus können die lieben Freunde erkennen, daß GOtt auch diesen geringen Anfang nicht werde ohne Segen seyn lassen, weßwegen wir getrost sind, ob wir schon allenthalben starcken Widerstand finden. Sie hören nicht auff zu flehen, daß GOtt mit uns seyn und selbsten arbeiten wolle an den Hertzen der blinden Heiden. Die Gnade JEsu Christi sey mit ihnen. Herr Plütschau läßt sie freundlich grüssen. Wir grüssen alle, die den HErrn fürchten. Ich verbleibe

Ihrer
Ost-Indien zu Trangebar, den 1. Septembris 1706
Zu Gebet und Liebe verbundener Mitt-Bruder
Bartholomæus Ziegenbalg.