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aus: Melpomene
Seite: Band 2, S. 270–282
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[270]

Schlußlied.
Der Tod an den Verfasser.

Melod. I.

1. Ich las das mir geweihte Werk
Von deinen Grabesliedern,
Und habe dir darauf, das merk,
In Gnaden zu erwiedern:
Daß es ganz unverzeilich sey,
Mir diese fade Reimerei
Zum Urtheil vorzulegen.
[271]
2. Wie kannst du, ohne Geist im Hirn,
Ein solches Werk verfassen,
Und es, mit unverschämter Stirn,
Im Druck erscheinen lassen?
Ich bin dadurch prostituirt,
Und werde dich, wie sichs gebührt
Nun offen widerlegen.

3. Du bist, voll blinder Phantasie,
Ein blosser Fabeldichter,
Und, mit dem Trug in Harmonie
Ein ungerechter Richter;
Ein Schwärmer ohne Herz und Kopf;
Ich hätte dich, elender Tropf!
Schon lang befallen sollen.

4. Dann hätt ich, noch unausgehekt,
Die Mißgeburt vertrieben,
Und meine Ehr wär unbefleckt
Vor aller Welt geblieben;
So aber stellest offenbar
Du allen Sterblichen mich dar
Als ihren größten Wütrich.

5. Du hättest als ein weiser Christ
Mich besser kennen sollen,
Und kein Gebäude ohne Grüst
Und Grund erbauen wollen;
Es weisst ja doch ein jedes Kind
Daß erst durch ihre eigne Sünd
Die Menschen mich erzeugten. –

6. Ich bin daher die böse Frucht
Der ersten stoltzen Sünder;
[272] Die Erde ward von Gott verflucht
Für sie und ihre Kinder,
Und alle wurden mir zum Raub,
Damit ihr Leib zerfall in Staub,
Zur Strafe übergeben.

7. Du siehst daher mein Wesen nur
Durch ein verfälschtes Prisma, [Glas]
Mißkennest der Vernunft Natur
Getäuscht durch ein Sophisma [Trugschluß]
Und nimmst die Folge für den Grund,
Und wäre dein Verstand gesund,
Du würdest anderst schliessen.

8. Du schlössest: Wären dem Geboth
Die Menschen treu geblieben
So hätte sicherlich der Tod
Sie niemal aufgerieben,
Sie wären dann dem Leibe nach,
Wie ihnen Gottes Wort versprach,
Unsterblich auch geblieben.

9. Laß den Apostel Paulus dich
Des Besseren belehren,
Um wahrhaft zu erkennen mich;
Von diesem wirst du hören:
Daß schon vor mir die Sünde war,
Und mich zu ihrer Straf gebahr
Für alle Kinder Adams.

10. Sey also nimmermehr so dumm,
Und fahre mit der Stange
Im Nebel, wie ein Thor, herum,
[273] Und gieb die Schuld der Schlange,
Durch die das erste Menschenpaar
Zum Sündenfall verführet war,
Und ich erzeuget wurde. —

11. Dann aber kommt zu Adams Schuld,
So bitter zu verschmerzen!
Daß seine Kinder Gottes Huld
Durch eigne Sünd verscherzen,
Und sich durch Lasterhaftigkeit
Und Leidenschaft die kurze Zeit
Des Lebens noch verkürzen.

12. Der Stoltz empöret sich im Krieg
Und greifet zu den Waffen,
Und suchet sich durch mich den Sieg
Gewaltsam zu verschaffen,
Giebt mir der Menschen Leben preis,
Und stürtzt sie millionenweis
Mir in den offnen Rachen.

13. Die Habsucht strebet Tag und Nacht
Nach Gütern, sie zu haben,
Die sie mit Sorgen dann bewacht
Als ihre beßten Gaben,
Und stirbt vor Hunger nach dem Gold,
Um so durch mich zu früh den Sold
Der Sünde zu bezahlen.

14. Der Wohllust blinde Leidenschaft
Reitzt immer zum Genusse,
Verzehret alle Lebenskraft,
Und ziehet mich zur Busse
[274] Und Sündenstraf in Bälde nach,
Um ihre Sklaven dumm und schwach
An mich zu überliefern.

15. Und ach! wie tobt der wilde Sturm
Der Mißgunst, um zu schaden,
Und naget immer wie ein Wurm
An euerm Lebensfaden,
Und kürzt euch so das Leben ab,
Und stürzt euch vor der Zeit hinab
In meinen Staub und Moder.

16. Der Vielfraß der Unmässigkeit
Hat nie genug genossen,
Und wird daher noch vor der Zeit
Von meinem Arm umschlossen;
Denn er verdirbt den beßten Saft,
Und raubet euch die Lebenskraft,
Anstatt sie zu vermehren,

17. Und o wie macht der tolle Zorn
So grenzenlose Schmerzen!
Er wühlet immer wie ein Dorn
Im wundenvollen Herzen,
Und gießt die Galle aus ins Blut,
Und tödtet, wie die Hundeswuth
In Bälde ihre Sklaven.

18. Die Trägheit und der Müssiggang
Versprechen euch vergebens
Durch ihren unbesiegten Hang
Verlängerung des Lebens,
Sie machen nur den Körper krank,
[275] Und werfen euch zum schönen Dank
Entgegen meiner Sense.

19. Dazu kommt die Unwissenheit
Mit ihren tausend Schwänzen,
Und ohne Kopf und Lenksamkeit,
Und ohne Zeit und Grenzen,
Und führt euch blindlings in Gefahr
Des Lebens, und ist offenbar
Die Führerin der Blinden.

20. Der vorsichtlose[1] Leichtsinn ist
Ein tauber blinder Mörder,
Und wie ihr aus Erfahrung wisst,
Mein fleissigster Beförder,
Und führet ohne Rast und Ruh
Mir millionen Opfer zu,
Damit ich sie verschlinge.

21. Und welche reiche Nahrung hat
Von allen Krankheitarten
Mein bodenloser Nimmersatt,
Mein Magen zu erwarten?
Ihr Heer ist zahl und namenlos,
Und täglich wird aus ihrem Schoos
Ein neues Kind gebohren.

22. Ich nenne nur die Kolera
Und Pest mit ihren Namen,
Die kürzlich erst aus Asia
Zu uns herüber kamen,
Die Grippe oder Influenz,
An derer neuen Pestilenz
Die halbe Menschheit leidet.
[276]
23. Nun dieses Alles steht mit mir
Im ungetheilten Bunde,
Und tödtet einen Menschen hier
Mit jeglicher Sekunde,
Und liefert mir an jedem Tag
Gewöhnlich eine Niederlag
Von hundert tausend Leichen.

24. Zu allem diesem kommt dann auch
Die Zögerung der Kranken,
Und statt dem baldigen Gebrauch
Der Mittel, der Gedanken:
Daß es noch nicht gefährlich sey,
Es werde ohne Arzeney
Von selbsten besser werden.

25. So kommt die Hülfe dann zu spat,
Das Übel zu bekämpfen,
Und späte Reue nach der That
Mit Zuckungen und Krämpfen,
Denn wenn ich auf der Zunge sitz,
So kann der Ärzte größter Witz,
Mich nimmermehr vertreiben.

26. Und wenn man auch die Hülfe sucht
So ists bei Medickastern,[2]
Und dann bin ich gewiß die Frucht
Von ihren Brühn und Pflastern.
Die krasse Pfuscherignoranz
Und Frechheit stehn in Allianz
Mit mir und allen Giften.

27. Die Ärzte selbst, wie stehn sie oft
Verpflüfft am Sterbebette,
[277] Sind ganz verlegen und verhofft,
Wenn ihrer Schlüsse Kette,
Im hipokratischen Gesicht,
Trotz ihrer Doktorwürde, bricht
An einer falschen Ansicht!

28. Und überhaupt: es wachst ja hier
Kein Kräutchen auf der Erde,
Wodurch ein einzger Kranker mir
Nicht mehr zur Beute werde,
Und vor des Übels Übermacht
Muß endlich doch in meiner Nacht
Der Ärzte Licht erlöschen.

29. Dieß Alles gehet mir voran
Mit grenzenlosen Wehen,
Ich aber bin nicht schuld daran,
Das wirst du eingestehen;
Ich bin vielmehr von jedem Schmerz
Das End; mein erster Griff ins Herz
Vernichtet die Empfindung.

30. Und dennoch heißt es allgemein:
Der Tod! der Tod! wie schmerzlich!
Allein was könnte falscher seyn?
Ich meine es ja so herzlich
Mit allen Kranken wahrhaft gut,
Indem ich von der Schmerzenwuth
Sie mitleidvoll befreye.

31. Was könnte also besser seyn
Als daß ich sie erlösste?
Die Thoren aber wenden ein:
Gesundseyn sey das Beßte;
Doch sich der Pflicht und Tugend weihn,
[278] Und stets auf mich bereitet seyn,
Ist besser als das Leben.

32. Drum fürchtet vielmehr den, der euch
An Leib und Seel verderben,
Und stürtzen kann ins Höllenreich,
Und nicht des Leibes Sterben,
Denn das ist nur ein Übergang,
So lehrte Jesu Liebedrang,
Ins ewig wahre Leben.

33. Ich komme nun, und laß mich sehn
In meinem wahren Lichte,
Und führe alle Sterblichen
Zum göttlichen Gerichte,
Befrey sie von der Körperqual
Und führ die Frommen allemal
Ins Reich des ewgen Friedens.

34. Wie heftig sehnen sich daher
Nach mir die wahren Frommen!
Sie würden ja, wenn ich nicht wär,
Nie in den Himmel kommen,
Wo sie, von jedem Schmerz befreyt,
In ewiger Glückseligkeit
Bei Gott im Frieden wohnen.

35. Die Sünder, freilich, fürchten mich
Der bittern Folgen wegen,
Denn diese führ ich sicherlich
Der ewgen Straf entgegen;
Allein das ist nicht meine Schuld
Sie könnten sich ja Gottes Huld,
Durch Besserung erwerben.
[279]
36. Sie sind ja selber schuld daran,
Wenn sie so lang nicht büssen,
Bis sie einmal in meinem Kahn
Hinübersegeln müssen,
Und immer voll Vermessenheit
Der Zukunft ungewisse Zeit
Zur Buße stets verschieben.

37. In dieser Hinsicht hab ich dir
Mit Gründen vorzuwerfen:
Daß deine Todten alle schier
Noch Gnade hoffen därfen
Obwohl es, bis ich sie entseelt,
Den meisten immer noch gefehlt
An wahrer Buß und Reue.

38. Zwar macht das deinem Herzen Ehr;
Allein du bist ein Schmeichler,
Verfälschest Jesu reine Lehr,
Und machest wie die Heuchler
Den schmalen Weg zum Himmel breit,
Und das so enge Thor zu weit,
Und täuschest so den Sünder. ...

39. Du hast die Allbarmherzigkeit
Zu sehr hervorgehoben,
Hingegen die Gerechtigkeit
In Hintergrund geschoben,
Daß in der Unbußfertigkeit
Die Sünder voll Vermessenheit
Bis an das End verharren.

40. Dieß Alles mußt du nun, getreu
Der Wahrheit, widerrufen,
[280] Und sagen: daß es mißlich sey:
Von tiefen Laster-Stuffen,
Durch einen kühn gewagten Sprung,
Zur ewigen Beseligung
Hinüber kommen wollen.

41. Die Buße auf dem Sterbebett
Ist allemal verdächtig;
Der Kranke, wenn er Zeit noch hätt,
Ist seiner selten mächtig,
Er wird betrogen von dem Schein,
Und seine Reue kommt allein
Aus Furcht vor dem Gerichte.

42. Und wenn er auch noch Buße thut,
Wo sind der Buße Früchten?
Wer macht die Ärgernisse gut,
Und die verletzten Pflichten?
Wer stellt das fremde Gut zurück?
Und wo ist der Versöhnung Blick,
Wenn ich die Augen schliesse?

43. Ich bin gewöhnlich beim Gericht
Als unparteischer Zeuge,
Und höre, was der Richter spricht,
Wovon ich aber schweige;
Nur wisse: daß vom Richterstuhl
Die meisten Seelen in den Pfuhl
Der Höll verstossen werden.

44. Verkünde nun nach deiner Pflicht
Des Richters heilge Strenge,
Und täusche doch die Sünder nicht
Bei ihrer Sündenmenge;
[281] Ermahne jeden Bösewicht:
Er möchte doch die Buße nicht
Auf mich hinaus verschieben.

45. Sag ihm: ich komme wie ein Dieb,
Das Leben ihm zu rauben,
Es mög ihm leid seyn, oder lieb,
Und werd ihm nicht erlauben,
Daß er vorher noch Buße thu,
Und ihn im Gegentheil im Nu
Ins Feur der Hölle stürtzen.

46. Den Frommen aber sage du:
Sie möchten nicht erschrecken,
Ich schließ nur ihre Augen zu,
Sie wieder aufzuwecken.
Zum Leben ohne Furcht und Qual,
Zu Freuden ohne Maß und Zahl,
Zum ewig selgen Leben.

47. Wozu daher bei einer Leich
Das viele Lamentiren!
Ihr därfet nur bekehren euch,
Und dann ein Leben führen,
Wie ihr am Ende dieser Zeit
Beim Eingang in die Ewigkeit
Geführt zu haben wünschet.

48. Dann werd ich euch willkommen seyn
Zu jeder Lebensstunde,
Ihr werdet euch zum voraus freun
Auf meine frohe Kunde:
Geh ein, du treuer guter Knecht!
Du Sproß vom göttlichen Geschlecht!
Zur Freude deines Herrn.
[282]
49. So predige nach deiner Pflicht
Den dir vertrauten Seelen;
Vor allem aber laß es nicht
An eigner Tugend fehlen,
Daß, wenn du andern predigest,
Du selber nicht zu Grunde gehst
Am Ende deines Lebens.

50. Du darfst dich im geringsten nicht
Auf meine Gnad verlassen;
Denn wo man bald von sechzig spricht,
Da laß ich nicht mehr spassen;
Auch bist du ohnehin nicht fest,
Wie dich dein Körper fühlen[3] läßt;
Drum wache stets, und bethe.

51. Was hast du von der eiteln Welt?
Vom irdischen Vergnügen?
Du hast ja ohnehin kein Gelt,
Und wirst auch keines kriegen;
Und wärest du wie Krösus reich,
So wäre dieß am Ende gleich,
Als wenn du gar nichts hättest.

52. Drum sammle weislich, zum Ersatz
Für alle Erdenschätze,
Dir einen reichen Tugendschatz
Für jene Welt, und setze
Auf Gottes Gnade dein Vertraun,
Dann kannst du mir entgegen schaun
Mit lächelndem Gesichte. —

Anmerkungen (Wikisource)

Jungs Errata (Bd. 2, S. 295) wurden in den Text eingearbeitet.

  1. WS: korrigiert, Original Vorlage: "vorsicht ose" (Druckfehler oder Fehler des Reprints)
  2. WS: Medikaster: Quacksalber, Kurpfuscher
  3. WS: korrigiert, Vorlage: "fuhlen", wohl Druckfehler