Melpomene/Band 2/031 Bei dem Grabe eines Jünglings, der erschossen wurde
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31. Bei dem Grabe eines Jünglings, der erschossen wurde.
Melod. III.
1. Noch zittern wir vor Angst und Beben
An diesem neuen Grabesrand,
Weil plötzlich eines Jünglings Leben
Durch einen Unglücksfall verschwand.
Er fiel, von einem Feuergewehre
Getroffen, wie von einem Blitz,
Denn ach! gerichtet war die Röhre
Gerad aufs Herz, den Lebenssitz.
2. Er dachte nicht, daß es geladen,
Und also todesschwanger sey,
Um ihn in seinem Blut zu baden,
Und war ganz ahnunglos dabei;
Er griff, um es herabzulangen,
Nach dem Gewehre an der Wand;
Da sprach sein Bruder: laß es hangen,
Weil oft ein Unglück schon entstand.
3. Allein in seinem Leichtsinn hörte
Er auf des Bruders Warnung nicht,
Und nahm es erst, weil ers ihm wehrte,
Mit stoltzer Klugheit im Gesicht.
Doch ach! sobald er es berührte,
Rieß er es mit dem Hahnen auf,
[98] Der Schuß gieng los, und diesen führte
Gerad auf seine Brust der Lauf.
4. Er fiel, und schwam in seinem Blute,
Und hauchte seine Seele aus,
Und im durchschossnen Herzen ruhte
Der Puls, und ließ das Blut heraus.
Der Bruder hob ihn in die Höhe
Mit einem lauten Jammerschrey;
Die Eltern hörten in der Nähe
Den Schuß, und eilten rasch herbei.
5. Man denke sich der Eltern Schrecken,
Als sie des Sohnes Leiche sahn,
Sie wollten ihn zum Leben wecken,
Und fingen laut zu schreyen an:
Allein ihr Schreyen war vergeben,
Und möglich keine Rettung mehr,
Verlohren war des Sohnes Leben,
Verlohren ohne Wiederkehr.
6. Da lag er nun in ihren Armen,
Der hoffnungvolle Julius,
Der ohne Gnade und Erbarmen
Gemordet war duch einen Schuß;
Sie wuschen seine Herzenswunden
In einem heissen Thränenbach,
Und schrecklich hallt, obwohl verschwunden,
Der Schuß in ihren Ohren nach.
7. Der Bruder mußte nun erzählen,
Wie doch die Sach gegangen sey;
[99] Und er erzählte ohn Verhehlen:
Ich weiß von jeder Schuld mich frey;
Ich sah ihn, voll der Ahnung, langen
Mit kühner Hand nach dem Gewehr,
Und sagte warnend: laß es hangen,
Allein er gab mir kein Gehör.
8. Und als er das Gewehr bewegte,
So gieng auch plötzlich los der Schuß,
Durchbohrte seine Brust, und streckte
Zu Boden hin den Julius;
Ich war betäubt vor Angst und Schmerzen,
Und nahm ihn zitternd auf den Arm,
Und seinem schußdurchbohrten Herzen
Entquoll ein Blutstrom siedend warm.
9. Und plötzlich war in Todesblässe
Verwandelt seine Lebensfarb,
Und durch die leeren Blutgefässe
Kein Puls mehr fühlbar, und er starb.
So ists, und anderst nicht, gegangen
Wie seine Leiche selbst bezeugt,
Obwohl, vom Todesarm umfangen,
Ihr kalter Mund auf ewig schweigt.
10. So sprach der Aug- und Ohrenzeuge
Der schrecklichen Begebenheit
Zu seinen Eltern, doch ich schweige
Da ihr ja selber Zeugen seyt.
Man untersuchte die Umstände,
Und fand des Bruders Aussag wahr
[100] Und Alles stellte sich am Ende,
Gerade, wie er sagte, dar.
11. So starb der Jüngling voll Talente
In seines Lebens Blüthezeit,
Der sechzig Jahr noch leben könnte,
Aus Mangel an Behutsamkeit,
Weil er mit unerfahrnen Händen
Das Feurgewehr nicht hangen ließ,
Das ihn, das Unglück abzuwenden,
Der Bruder hangen lassen hieß.
12. Jedoch er war voll Herzensgüte
Voll Unschuld, Fleiß und Frömmigkeit,
Und hat, mit Ehrfurcht im Gemüthe
Dem Messnerdienste sich geweiht;
Wir können nun getrost erwarten:
Obwohl sein Leib verwesst im Grab,
Daß ihn Gott in den Himmelsgarten
Als edlen Baum versetzet hab.
13. Drum tröstet euch bei seinem Grabe,
Ihr Eltern und Geschwistrigen,
Erhebt euch an dem Hoffnungstabe:
Im Himmel dort ist Wiedersehn.
Ihr aber, welche zu besitzen
Ein Feurgewehr berechtigt seyt,
O lernet diesen Fall benützen
Zur pünktlichsten Behutsamkeit.
14. Ihr aber, die ihr mit Gewehren
Nicht weislich umzugehn versteht,
O lasset euch sie doch verwehren,
Daß euch kein Schuß zu Leibe geht;
[101] Seyt schlangenklug, und fromm, wie Tauben,
Und sorgt für euer Seelenheil,
Dann mag des Lebens euch berauben
Des Todes unfehlbarer Pfeil.