Melpomene/Band 1/084 Bei dem Grabe eines sechsfachen Mörders
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84. Bei dem Grabe eines sechsfachen Mörders.
Melod. I.
1. Hier liegt der größte Bösewicht,
Ein Mörder ohne gleichen,
Und sicher wird er beim Gericht
Der Strafe nicht entweichen,
Obwohl er hier in kühner Flucht
Derselben zu entgehn gesucht
Durch gräuelvollen Selbstmord.
2. Er setzte auf das blinde Spiel
Sein einziges Vertrauen,
Anstatt sein höchstes Lebensziel
Auf Gott allein zu bauen,
Und statt durch Sparsamkeit und Fleiß,
Und in der Arbeit saurem Schweiß,
Sein Brod sich zu verdienen.
3. Er könnte sich durch Handarbeit
Mit Weib und Kind ernähren,
Doch wollte er in kurzer Zeit
Sein Geld und Gut vermehren,
Und setzte also sein Verdienst
Aufs Spiel, und hoffte durch Gewinnst
Ein reicher Mann zu werden.
4. Was er am Tag verdiente, lag
Am Abend auf den Karten;
Er konnte sehnsuchtvoll den Schlag
[261] Derselben kaum erwarten,
Und wenn er manchmal auch gewan,
So reitzte dieses ihn nur an
Zu grösserem Gewinne.
5. Besonders lag das Lottospiel
Ihm Tag und Nacht im Sinne,
Er hoffte immer, daß er viel
Mit kleinem Satz gewinne:
Er setzte also immerdar,
Und eine große Summe war
In diesem Spiel verloren.
6. So ließ er sich von diesem Spiel
Bei jeder Ziehung täuschen,
Und stets zu des Gewinners Ziel
Noch größre Opfer heischen;
Er setzte also immer nach,
Und hoffte so am Ende doch
Das Glückesloos zu ziehen.
7. Er setzte stets voll Zuversicht
Auf den beliebten Zweyer,
Und dachte: kam er fernd auch nicht,
So kommt er sicher heuer:
Doch als er jahrelang nicht kam,
So stand er ab von ihm und nahm
Dafür den Siebenzehner.
8. Und schon im nächsten Zug erschien
Der dumm verschmähte Zweyer;
Er wählte also wieder ihn,
Und spielte noch so theuer,
[262] Und ließ den Siebenzehner aus;
Doch dieser kam sogleich heraus
Schon in der dritten Ziehung.
9. Die fehlgeschlagne Hoffnung ließ
Ihn lange nicht mehr schlummern;
Am Ende schlief er ein, und stieß
Im Traume auf die Numern
Die in dem nächsten Lottozug
Erscheinen würden, und es schlug
Sein Herz mit neuer Hoffnung.
10. Nun nahm er einen Wechsel auf
Dem Traum gemäß zu spielen,
Und hoffte so sein Glück im Lauf
Des Rades zu erzielen;
Allein die Hoffnung auf den Traum
Zerran in Bälde, wie der Schaum
Gedämpfter Meereswogen.
11. Er suchte also nocheinmal
Sein Glück im Kartenspiele,
Und hoffte: daß er diesesmal
Gewiß gelang zum Ziele,
Und spielte theuer auf der Bank;
Doch seiner Hoffnung Anker sank
In dem verlornen Spiele.
12. Nun kam die Zeit der größten Noth;
Der Wechsel war verfallen,
Er wurde von Ruin bedroht
In scharfen Wechslerkrallen;
[263] Es war gebrandmarkt seine Ehr,
Und möglich keine Rettung mehr
Aus der Verzweiflung Lage.
13. Dazu kam noch die große Noth
Von vier schuldlosen Kindern
Und seinem Weib; – ihr Hungertod
War nicht mehr zu verhindern.
Ach! seufzte er: was fang ich an?
Ich armer, unglückvoller Mann!
Der Tod nur kann uns retten.
14. Mit diesem Mörderplane war
Schon lang der Arme schwanger,
Bis er gereift, und er gebar
Denselben unter banger
Verzweiflung als die böse Frucht
Der unbeherrschten Spielesucht,
Und Hoffnung zu gewinnen.
15. In dieser Absicht ist von ihm
Die Magd entfernet worden,
Und er begann mit Ungestümm
Sein treues Weib zu morden;
Sie wehrte zwar nach Kräften sich
Bis sie zuletzt, durch Hieb und Stich
Entseelt, zu Boden stürtzte.
16. Dann hatte er mit kühner Hand
Die vier schuldlosen Kinder
Gemordet ohne Widerstand,
Und mit grausamer, blinder,
[264] Und ganz verzweiflungsvoller Wuth
In ihrer zarten Herzen Blut
Gebadet seine Hände.
17. Nach diesem Kindermorde wich
Von ihm die Gnade Gottes;
Er henkte voll Verzweiflung sich
Wie einst Iskariotes,
Und machte so die Buß und Reu,
Und Hoffnung, daß ihm Gott verzeih,
Unmöglich sich durch Selbstmord.
18. So fand die Magd an einem Strick
Den Mann im Schopfe hangen,
Und sprang voll Angst ins Haus zurück
Mit leichenblassen Wangen;
Doch welch ein Anblick! ach! sie fand
Hier Weib und Kinder in der Hand
Des blut’gen Todes liegen.
19. Sie floh mit einem Zeterschrey
Davon voll Angst und Beben;
Da kam die Nachbarschaft herbei,
Zu sehn, was es gegeben,
Und fand des Mörders kalten Leib
Am Strick, die Kinder und das Weib
In ihrem Blute liegen.
20. Mit Schaur erblickte Jedermann
Die blut’ge Mordgeschichte.
Man zeigte nun die Sache an
Beim Polizeygerichte,
[265] Und als man Alles untersucht,
So fand man es als eine Frucht
Der unheilbaren Spielsucht.
21. Durch diese war der arme Mann
Versetzt in viele Schulden,
Auch traf man Lottozettel an
Beinah um tausend Gulden;
Er hatte von Verzweiflung blind,
Durch Morden sich und Weib und Kind
Dem Hungertod entrissen.
22. So hat, in der Verzweiflung Nacht
Gestürtzt vom blinden Spiele,
Er den sechsfachen Mord vollbracht
Im Leidenschaft Gewühle,
Wo er in seinem Schuldendrang
In Hungertod und Schande rang
Den Kampf um Tod und Leben.
23. So geht es leider nur zu oft
Wenn man im theuren Spiele
Sein Erdenglück zu finden hofft,
Das uns entfernt vom Ziele,
Und in des Spieles Leidenschaft
Vermögen, Lebenslust und Kraft,
Und Zuversicht verlieret.
24. Besonders bringt die Lottorie
Die Spieler ins Verderben,
Sie werden, was sie hoffen, nie
In diesem Spiel erwerben,
[266] Wo tausend von Familien,
Von ihm getäuscht, zu Grunde gehn,
Wie die Erfahrung lehret.
25. Deswegen sollte überall
Das Glückesrad verschwinden,
Worin die Spieler allemal
Nur ihr Verderben finden,
Und kein zivilisirter Staat
Kann dieses unheilvolle Rad
In seinen Grenzen schwingen.
26. Da hängt er nun an einem Strick
Der sonst so brave Bürger,
Und ist für das gehoffte Glück
Gebrandmarkt als Erwürger
Der Mutter und der Kinderchen;
Und ach! wie wird er dort bestehn
Beim göttlichen Gerichte!
27. Da liegen sie, erwürgt von ihm,
Die fünf schuldlosen Leichen;
Sie unterlagen seinem Grimm,
Und seinen Mörderstreichen:
Doch ihre Unschuld hat gewiß
Dort, in des Himmels Paradieß,
Die Marterkron empfangen.
28. Ihr Mörder aber schmachtet dort
Schon in der Hölle Flammen,
Wozu ihn des Gerechten Wort
Und Heiligkeit verdammen;
[267] Denn für den Mörder, der ergrimmt
Verzweifelnd sich das Leben nimmt,
Ist keine Gnade möglich.
29. Laßt uns daher der Spielesucht
Mit Abscheu widerstehen,
Es möchte sonst die böse Frucht
Am bösen Baum entstehen;
Wir wollen uns durch Sparsamkeit,
Und Arbeit, und Zufriedenheit
Mit unserm Stand, ernähren.
30. Dann wird uns niemal der Verdienst,
Uns zu ernähren, fehlen,
Und nie die Hoffnung auf Gewinnst
Durch ihre Täuschung quälen
Wir werden täglich unser Brod,
Und einst nach einem guten Tod;
Die Seligkeit gewinnen.