Melpomene/Band 1/040 Bei dem Grabe eines Kindes, das verfahren wurde

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aus: Melpomene
Seite: Band 1, S. 156–159
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[156]

40. Bei dem Grabe eines Kindes, das verfahren wurde.

Melod. I. XVI.

1. Hier liegt ein hoffnungvolles Kind
Von sieben Viertel Jahren,
Es ward, wie viele Kinder sind,
Ein Opfer der Gefahren,
In denen stets ihr Leben schwebt:
So gieng es diesem Kinde,
Es schwand, nachdem es kurz gelebt,
Als wie der Rauch im Winde.

2. Es konnte schon im Flügelkleid,
Wohin es wollte, gehen,
Doch leider! die Gefährlichkeit,
Die es umgab, nicht sehen;
[157] Es kam nur einen Augenblick
Der Mutter von der Seite,
Und wurde durch ein Mißgeschick
Des frühen Todes Beute.

3. Es gieng voll Unschuld, sorgenfrey,
An einem schweren Wagen,
Der in Bewegung war, vorbey,
Auf welchem Steine lagen;
Der Fuhrmann hatte dummerweis
Den Pferdtezug verlassen,
Von dem verlassenen Geleis
Die Geisel aufzufassen.

4. Indessen kam das arme Kind
Zu nah dem vordern Rade,
Dieß faßte es beim Kleid geschwind,
Und warf es ohne Gnade
Dem hintern Rad in seinen Lauf,
Das stieg auf seinen Rücken
Gerade bei dem Kreutz hinauf,
Es grausam zu erdrücken.

5. Des Kindes mörderischer Schrey
Durchdrang der Eltern Herzen;
Erschrocken eilten sie herbey,
Zu lindern seine Schmerzen;
Die Mutter nahm es auf den Arm
Und trug es in das Zimmer,
Und nichts beschreibet ihren Harm,
Und klägliches Gewimmer.

6. Man rief den Artzt um seinen Rath
Zur Rettung seines Lebens
[158] Doch leider! Alles, was er that
Und brauchte, war vergebens:
Die Nieren waren ganz erdrückt,
Das Blut schon ausgetretten,
Sein Lebenshauch schon halb erstickt;
Es war nicht mehr zu retten.

7. Es fieng im Blut zu röcheln an,
Und schon in zwölf Sekunden,
War, was man immer auch gethan,
Sein Lebenshauch verschwunden.
So lag durch einen Unglücksfall
Das hoffnungvolle Mädchen,
Trotz aller Klagen Wiederhall,
Auf seinem Sterbebettchen.

8. Die Eltern rufen tausendmal
Das Kind: Eleonoren,
Und hören nur den Wiederhall:
Es ist, es ist ver — loren!
Sie ringen sich die Hände wund,
Und weinen blut’ge Thränen,
Und geben ihren Jammer kund
In lauten Klagetönen.

9. Sie haben nemlich eine Sünd
Sich täglich vorzuwerfen:
Sie hätten besser auf das Kind
Nur Achtung geben därfen:
Allein geschehen bleibt geschehen,
Was nützt zu späte Reue?
Sie können also nur noch flehn:
Daß ihnen Gott verzeihe.
[159]
10. Doch wißt: nach Jesu Lehre fällt
Kein Haar von unserm Haupte,
Wenn es der große Herr der Welt
Demselben nicht erlaubte:
Es kann daher viel weniger
Ein Kind im Tod erblassen,
Es hab es denn zuvor der Herr
Des Lebens zugelassen.

11. Und Jesus sagte: laßt sogleich
Zu mir die Kleinen kommen,
Denn ihrer ist das Himmelreich,
Ich hab sie aufgenommen.
Wollt ihr ins Himmelreich daher,
Ihr unbekehrten Sünder!
O so befolget Jesu Lehr,
Und werdet wie die Kinder.

12. Dann wird uns Jesus auch sogleich,
Wann wir im Tod erblassen,
Wie dieses Kind, ins Himmelreich
Voll Gnade kommen lassen.
Laßt uns daher, wie dieses Kind,
In reiner Unschuld leben,
Dann wird, wenn wir gestorben sind,
Gott uns zu sich erheben.