Melpomene/Band 1/021 Bei dem Grabe dreier Kinder, die im Kohlendampf erstickten

<<< 021 Bei dem Grabe dreier Kinder, die im Kohlendampf erstickten >>>
{{{UNTERTITEL}}}
aus: Melpomene
Seite: Band 1, S. 95–100
von: [[{{{AUTOR}}}]]
Zusammenfassung: {{{ZUSAMMENFASSUNG}}}
Anmerkung: {{{ANMERKUNG}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[[Index:{{{INDEX}}}|Wikisource-Indexseite]]
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe

[95]

21. Bei dem Grabe dreier Kinder, die im Kohlendampf erstickten.

Melod. I.

1. Hier modern in der Todtenbahr
Die Leichen dreier Kinder
Die Ursach ihres Todes war
Ein vorsichtloser, blinder,
Und wohlgemeinter Unverstand
Der Mutter, welche sie der Hand
Des Todes übergeben.

2. Es war ein schrecklich kalter Tag,
Des Nordens Winde bliesen,
Des Winters weisse Decke lag
Auf Wäldern, Feld und Wiesen:
Da war die Mutter auf die Nacht
Auf eine warme Ruh bedacht
Für ihre lieben Kinder.

3. Die Kinder lagen ruhevoll
In ihren warmen Betten,
In denen sie die Kälte wohl
Gar nicht empfunden hätten;
Dieß war der Mutter nicht genug,
Indem sie noch die Sorge trug:
Sie möchten ihr erfrieren.
[96]
4. Sie meinte es nur gar zu gut
Mit ihren lieben Kindern,
Und setzte also eine Glut,
Die Kälte zu verhindern,
Von Kohlen in ihr Schlafgemach,
Und sah aus weiser Vorsicht nach,
Damit kein Feu’r entstehe.

5. Hievon versichert gieng sie auch
Zu Bett mit ihrem Manne,
Und dachte nicht mehr an den Rauch,
Und an die Kohlenpfanne,
Und sagte nichts zu ihrem Mann,
Und glaubte wunder was gethan
Zu haben für die Kinder.

6. Sie kam am Morgen ahnungslos
Zu ihnen in die Kammer,
Und rief sie aus dem Schlummerschoos,
Doch leider, welch ein Jammer!
Denn alle dreie lagen kalt
Und athemlos, durch die Gewalt
Des Kohlendampfs ersticket.

7. Der Mann vernahm das Klaggeschrey
Der Mutter bei den Kindern.
Und eilte schreckenvoll herbey,
Wo möglich zu verhindern,
Was ihr den Klageruf erpreßt;
Die raucherfüllte Kammer läßt
Ihn fürchten: daß es brenne.
[97]
8. Wo brennt es denn? so rief er aus,
Ich seh doch keine Flammen,
Und ließ sogleich den Rauch hinaus;
Da brach das Weib zusammen,
Indem es ihr an Kraft gebrach,
Und seufzte laut: die Kinder! ach!
Die Kinder! und verstummte.

9. Da nahm der Vater erst gewahr
Den Tod der theuren Kinder,
Und was hievon die Ursach war,
Erkannte er nicht minder,
Und rief sogleich den Arzt herbei,
Ob etwa noch ein Mittel sey,
Sie wieder zu beleben.

10. Indessen kam das Weib zu sich
Aus ihren Ohnmachtwehen,
Und schrie und weinte fürchterlich,
Und wollte fast vergehen,
Und warf sich jammernd wechselweis
Auf ihre Leichen kalt wie Eis,
Und konnte sich nicht fassen.

11. Der Arzt erschien aufs erste Wort,
Die Mittel anzuwenden;
Doch ihre Seelen waren fort,
Und schon in Gottes Händen,
Und ihre Leiber blieben todt,
Und Alles war umsonst, die Noth
Der Eltern zu erleichtern.
[98]
12. Allein war nützt ihr Jammerschrey?
Was helfen ihre Klagen? –
Man mußte also alle drei
Entseelt zu Grabe tragen,
Und nichts versüßt der Eltern Schmerz,
Und nichts vermag ihr armes Herz
In seinem Leid zu trösten.

13. Da kams der Mutter erst in Sinn:
Sie hätte keine Kohlen,
Die Kinder zu erwärmen, in
Die Kammer stellen sollen;
Sie that es aus Unwissenheit,
Deswegen hätte sie zur Zeit
Der Mann belehren sollen.

14. Nun aber war es schon zu spat
Beim Tod vor ihren Kindern,
Und die Belehrung nach der That
Kann ihn nicht mehr verhindern.
Deswegen soll dieß Unglück uns
Als weise Regel unsres Thuns
Zum Warnungsbeispiel dienen:

15. Die Kohlendämpfe taugen nicht
Zum Athmen für die Lungen,
Erlöschen unser Lebenslicht,
Wann sie hineingedrungen,
Und wer den gift’gen Kohlendampf
Einathmet, fällt in Todeskampf,
Und muß an ihm ersticken.
[99]
16. Deswegen soll das Schlafgemach
Die reinste Luft enthalten,
Sonst zieht es böse Folgen nach,
Und, diese abzuhalten,
Soll es beim Tage offen stehn,
Damit wir, wenn wir schlafen gehn,
Gesund und wohl erwachen.

17. Nun ruhet sanft im Erdenschoos
Ihr unschuldvollen Kinder!
Beneidenswerth ist euer Loos;
So kamet ihr geschwinder
Ins Reich der ew’gen Seligkeit,
Die ihr vielleicht im Kampf und Streit
Der Welt verloren hättet.

18. So suchet nun in euerm Leid,
Ihr Eltern! euch zu trösten,
Und denkt: sie sind in höchster Freud
Schon dort bei den Erlößten,
Und bethet Gottes Vorsicht an,
Der nach der Liebe weisen Plan
Dieß Unglück zugelassen.

19. Bestrebet euch, dieß Herzenleid
Euch selbsten zu versüssen,
Die sträfliche Unwissenheit
Durch Leiden abzubüssen,
Die euch der theuren Kinder Tod
Verursacht; und nach dem Geboth
Die Tugendbahn zu wallen.
[100]
20. Dann werdet ihr im letzten Streit
Mit Heldenmuth bestehen,
Und einst im Reich der Seligkeit
Die Kinder wieder sehen,
Die euch, bei größter Zärtlichkeit
Für sie, doch die Unwissenheit
So früh entrissen hatte.