Melpomene/Band 1/010 Bei dem Grabe eines erschossenen Jägers
[48]
10. Bei dem Grabe eines erschossenen Jägers.
Melod. I.
1. In diesen neuen Grabe ruht
Der Leib von einem Manne.
Er fiel durch seiner Feinde Wuth
Als wie die Riesentanne,
Die gäh durch einen zacken Blitz,
Von todesschwangerm Wolkensitz,
Gefällt zu Boden sinket.
2. Er gieng als Jäger in den Wald
Auf Pfaden die ihn führen,
Um des Gewildes Aufenthalt
Und Wechsel auszuspüren,
Und stürtzte auf der Bahn der Pflicht
Von einem kühnen Bösewicht
Durch Meichelmord erschossen.
3. Er fiel, und schwamm in seinem Blut,
Und blieb im Walde liegen,
Und röchelte voll Schmerzenwuth
In seinen letzten Zügen;
Und hauchte seine Seele aus,
Und kam daher nicht mehr nach Haus
Zu der bestimmten Stunde.
[49]
4. Man harrte seiner lange Zeit
Im Kreise seiner Lieben,
Und fragte sich: Wo ist wohl heut
Der theure Mann geblieben?
Und wurde für sein Leben bang;
Denn ach! er hätte ja schon lang
Zurüke kehren sollen.
5. Man fand daher für nöthig, ihn
Im Walde aufzusuchen,
Und sah begierig her und hin
Durch Birken, Tannen, Buchen,
Da blieb kein Dükicht undurchsucht,
Doch leider immer ohne Frucht
Des glüklichen Entdekens.
6. Nun schrie man über kreuz und quer,
Und nannte seinen Namen,
Wovon doch keine Töne mehr
In seine Ohren kamen;
Vergebens schrie man hin und her,
Das Echo rief: er ist nicht mehr,
Er ist nicht mehr am Leben.
7. Sein Perdri lag dem todten Herrn
Getreu an seiner Seite,
Vernahm daher von weiter Fern
Den Ruf bekannter Leute,
Verließ sogleich in rascher Eil
Den Herrn und kam im Klaggeheul
Den Suchenden entgegen.
[50]
8. Er wedelte, und gieng voran
Durch Bäume und Gesträuche,
Und führte sie auf seiner Bahn
Zu seines Herrn Leiche.
Und welch ein Klaggeschrey entstand
Als man die starre Leiche fand
Vom Todesarm umschlungen!
9. Denn, welch ein Anblik! ach! da lag
Der Jäger todtgeschossen;
Gekommen war sein letzter Tag,
Sein Auge war geschlossen,
Und taub sein Ohr für jeden Ton,
Und seine kalte Lippe schon
Von Füchsen angefressen.
10. Das hat, so sagte Jedermann
Sogleich ganz unverholen,
Das hat ein Wilderer gethan,
Der Teufel soll ihn holen,
Und sich dann aus dem Staub gemacht. —
Allein was nützte der Verdacht
Beim Mangel an Beweisen?
11. Man machte also ein Gerüst,
Die Leiche heimzutragen,
Da doch kein Trost vorhanden ist,
Und hört nicht auf zu klagen,
Und schwört der wilden Mörderbrut
Der Wilderer in blinder Wuth
Die fürchterlichste Rache.
[51]
12. Und erst noch: als die Jägerin
Den todten Mann erblikte!
Sie sank wie todt in Ohnmacht hin,
Und ihre Brust durchzükte
Der Anblik wie ein Donnerkeil,
Und ihrer Kinder Klaggeheul
Erwekte sie zum Leben.
13. Allein die Frau erwachte nur
Zu namenlosen Schmerzen;
Sie sah der Wunden tiefe Spur
In ihres Gatten Herzen;
Er lag in ihrem Arm und ach,
Sie wusch in einem Thränenbach
Das Blut aus seinen Wunden.
14. O! rief sie aus: wer wird nun mich
Und meine Kinder nähren?
O daß für meinen Mann doch ich
Und sie gestorben wären!
Denn ohne seine Nahrung droht
Der fürchterlichste Hungertod
Uns langsam aufzureiben.
15. Man mußte endlich ihrem Arm
Den todten Mann entwinden,
Und ach! sie weißt für ihren Harm
Kein Mittel auszufinden;
Ihr Ach verhallet in der Luft,
Und schon ist in die Todtengruft
Ihr Mann hinabgesunken.
[52]
16. So ist der edle Jägerstand
Nicht nur an sich beschwerlich,
Er wird auch durch die Mörderhand
Der Wilderer gefährlich;
Denn, wie bei Wilden, herrschet auch
Noch unter beiden der Gebrauch,
Einander todt zu schiessen.
17. Seyd also, Jäger! nicht so streng,
Und wenn die Wildrer fliehen,
So laßt sie sich aus dem Gedräng
In Gottes Namen ziehen,
Und schiesset ihnen blindlings nach,
Um durch des Feurgewehrs Gekrach
Sie künftig abzuschreken.
18. Und merkt: wer lange leben will,
Muß andre leben lassen;
Und stände auch ein Wildrer still,
Euch auf die Muk zu fassen,
So fliehet lieber selbst davon,
Sonst ist am Ende beider Lohn,
Daß ihr erschossen werdet.
19. Du aber, Wittwe! tröste dich
Mit deinen armen Waisen,
Und denke: Gott wird sicherlich
Sie, wie die Raben, speisen.
So tröste jede Wittwe sich,
Der allzufrüh der Mann verblich
In kalten Todesarmen.
[53]
20. Verzeiht den Mördern seinen Mord,
Wie Jesus einst verziehen,
Und denket nur, sie werden dort
Der Strafe nicht entfliehen,
Denn wer des Bruders Blut vergießt,
Und Menschen wie das Wild erschießt,
Ist reif zur Höllenstrafe.
21. Nun ruhe sanft, Unglüklicher!
In deinem frühen Grabe,
Wir hoffen, daß dir Gott der Herr
Die Schuld verziehen habe,
Die du aus Mangel an der Zeit
Vielleicht noch nicht genug bereut,
Und noch bereuen würdest.
22. Laßt uns daher die Tugendbahn
Mit weiser Vorsicht wallen;
Denn ohne einen Mörder kann
Uns gäh der Tod befallen;
Dann werden wir bei dem Gericht
Besteh’n, und Gott von Angesicht
Zu Angesichte sehen.
Anmerkungen (Wikisource)
Jungs Errata (Bd. 2, S. 293) wurden in den Text eingearbeitet.