Mein Roman
Mein Roman.
Es war wunderschön im Garten, etwas kühl zwar, aber doch wunderschön! Der See strahlte im reinsten Blau, der Himmel wölbte sich darüber so hell und klar, als hätte er noch nie von Wolken und Nebel auch nur reden gehört; die großen, herrlichen Buchen am Wasser standen da wie junge Könige, in fröhlicher Majestät, die dunklen Tannen waren über und über mit zartgrünen Schößlingen bestreut, und überall zwitscherte, sang, hüpfte und flatterte es von kleinem Gevögel, das in den Zweigen hin und wider huschte. Und das alles konnte ich von meinem Platz unter unserer Rotbuche aus sehen, als wäre es mein, denn unser Garten stieß an dieser Seite unmittelbar an Wald und See; ich hätte nur ein wenig links um die Ecke und dann durch das Pförtchen zu gehen brauchen, so wäre ich mitten in all der Herrlichkeit gewesen. Das freilich wagte ich nicht zu thun, Mutter hätte mich dann unfehlbar gesehen und mich an die mir übertragene Aufgabe gemahnt, Gardinen zu plätten.
Die kühle Luft empfand ich freilich auch, aber das machte mir nicht viel aus, war mir doch vom Dichten ganz warm ums Herz. Nur an den Händen und Füßen fror mich ein wenig, doch das nimmt man eben so in Kauf im Wonnemonat Mai.
Natürlich hörte ich, daß Mutter mich rief, – selbstverständlich. Aber ich fand es diesmal nicht angemessen, gleich darauf zu antworten. Ich war gerade beim siebzehnten Kapitel angelangt, welches mit einer sehr spannenden Situation eröffnet wurde, und von welchem ich mir eine durchschlagende Wirkung versprach. Die rotgemusterten Gardinen aus der Fremdenstube, welche ich plätten sollte, hätten mir die Stimmung vollständig verdorben, die ich doch eben jetzt so dringend nötig hatte.
Denn, daß nur niemand sich einbilde, das Dichten sei eine Kleinigkeit, ein Kinderspiel! Im Gegenteil, es ist sehr ernste, anstrengende Arbeit und keineswegs immer leicht, richtig herauszubringen, was „er“ sagt und was „sie“ sagt und wie sie sich dabei benehmen. Die Kleider, welche die Heldin bei den verschiedenen Gelegenheiten trug, machten mir am wenigsten Schwierigkeit, die beschrieb ich einfach, wie ich sie selbst gerne gehabt hätte, aber ich fand es schwer, die Gespräche geistreich genug zu gestalten, und nicht immer war eine Verwicklung, in welche ich „ihn“ und „sie“ mit großer Feinheit hineingebracht hatte, auch eben so leicht gelöst wie geschürzt. So hatte ich z. B. einmal – aber nein, es würde zu weit führen, das hier auseinanderzusetzen, ich müßte dann den ganzen Plan des Romans darlegen.
Ich dichtete nämlich, daß ich es nur gleich unumwunden sage, meinen ersten Roman. Zwar zählte ich schon volle zwanzig Jahre und muß mich daher fast schämen, einzugestehen, daß es noch mein erster war, aber ich hatte mein Talent nun einmal nicht früher entdeckt, was soll man da machen? Eigentlich war das wunderlich genug. Schon in der Schule waren meine deutschen Aufsätze stets gelobt, ja ausgezeichnet worden, und eine „Kahnfahrt bei Mondschein“, aus meiner Feder stammend, war sogar bei einer Schulprüfung als Musterarbeit ausgelegt worden. Verse schüttelte ich nur so aus dem Aermel. Keine Schlummerrolle, kein Rückenkissen, kein Paar Pantoffeln und keine Sandtorte wurde in unserem Hause verschenkt, ohne daß ein Gedicht von mir die Gabe begleitet hätte. Und die besten Sachen bekam gar niemand zu sehen, die trug ich heimlich spät am Abend, wenn das ganze Haus im Schlummer lag, in mein verschließbares Poesiebuch ein, welches ich ganz hinten in der rechten Ecke meiner obersten Kommodenschieblade unter dem Kasten mit Handschuhen, Spitzen und Bändern aufbewahrte. Den kleinen krausen Schlüssel zu diesem geheiligten Buche trug ich im Portemonnaie stets bei mir, und ich muß leider hinzufügen, daß er recht oft den einzigen wertvollen Inhalt desselben ausmachte, denn Vater hielt mich kurz mit Taschengeld. Er sagte, es müßte so sein: ein preußischer Beamter mit sieben Kindern – nun ja, er hatte wohl recht!
Aber diese mitunter recht störende Leerheit meines Portemonnaies war es durchaus nicht, was mich zu dem Entschluß gebracht hatte, für den Druck zu schreiben. Ich suchte Schätze, welche die Motten und der Rost nicht fressen: berühmt wollte ich werden. Wie manches Mal hatte ich in irgend einem Winkel mit heißen Augen und glühenden Wangen über ein Buch gebückt gesessen und Seite um Seite klopfenden Herzens heruntergehastet, um nur an das Ende zu gelangen und zu sehen, „ob sie sich bekämen“, ob die arme kleine Gouvernante Gräfin würde, und ob der hartherzige Vater die um ihrer Liebe willen verstoßene Tochter wieder aufnehme, ob die unglückliche Braut dem ungeliebten und schurkischen, aber reichen Bräutigam angetraut würde oder ob noch im letzten Augenblick der rechte, für tot gehaltene Geliebte zurückkehre und sein „Nein!“ dazwischen donnere, – wie oft hatte ich dann, wenn alles zum glücklichen Ziel gelangt, die Treue und Tugend belohnt und der Bösewicht vernichtet war, hochaufatmend gedacht, wie herrlich, ja, wie himmlisch es sein müßte, so etwas auch zu schreiben, andere Herzen so klopfen zu machen wie meines vor Spannung und Erwartung! Ich wollte unter dem Namen Viola Odorata schreiben, den ich besonders passend für ein Pseudonym fand.
In Wirklichkeit hieß ich natürlich nicht so. Ich hieß Helene Peters und wurde gewöhnlich schlankweg Lene genannt.
Berühmt sein! Ich war einmal mit den Eltern vier Wochen auf Sylt gewesen. Da hatte man sich gegenseitig auf eine ganz unscheinbar und unbedeutend aussehende Dame aufmerksam gemacht. Es war eine berühmte Schriftstellerin, die sich dort zur Erholung aufhielt. Die Köpfe wandten sich nach ihr, wenn sie vorüberging, und wer in ihren Kreis gelangen konnte, betrachtete es als Vorzug. Und sie war schon ziemlich alt und nichts weniger als hübsch. Wie mußte es nun erst sein, berühmt zu werden, wenn man jung und hübsch war! So war mir der Gedanke nach und nach von selbst gekommen, es einmal zu wagen. Warum sollte ich mit meinem unleugbaren Talent nicht erreichen können, was andere erreichten?
Uebrigens daß sich hier nur niemand falsche Vorstellungen mache – hübsch war ich eigentlich auch nicht. Ich sah ganz nett aus. Es gab Menschen, die fanden, ich hätte eine niedliche Figur, während andere meinten, sie wäre beinahe gar zu zierlich. Es gab auch Leute, die der Ansicht waren, ich hätte schöne, zarte Farben, andere, denen meine krausen dunklen Haare, und wieder solche, denen meine blauen Augen gefielen, manche sagten, ich sähe anziehend aus, und manche, ich hätte kein Alltagsgesicht; aber mein schmales, himmelan strebendes Näschen fanden sie immer höchstens keck und pikant, und meinen Mund, obgleich er rot und frisch war mit regelmäßigen weißen Zähnen, den hielt niemand, niemand für klein! Er war groß und blieb groß. Nein, hübsch war ich nicht, aber es ging so an.
Bis zum siebzehnten Capitel meines Romans war ich also in aller Stille bereits gediehen und hatte für meine Verhältnisse sehr viel Geld für Papier ausgegeben, obgleich ich auf jeden leeren halben Briefbogen, ja auf jede einigermaßen reinliche Papierdüte fahndete, alle in das Haus gelangenden Briefcouverts wendete, um die weiße Innenseite zu benutzen, und sogar die vollgeschriebenen Schulhefte meiner jüngeren sechs Geschwister ihres weißen Randes wegen vor mir nicht sicher waren. Aber siebzehn Kapitel sind keine Kleinigkeit, besonders wenn man dann und wann streichen und ändern muß, was natürlich bisweilen vorkam.
Die Zeit für diese siebzehn Capitel hatte ich mir sozusagen stehlen müssen. Ungern möchte ich bei irgend jemand ein übles Vorurteil gegen Mutter erwecken, aber ich traute ihr ein Eingehen auf meine Pläne und Hoffnungen nicht zu. Nie hatte sie Verständnis für mein geistiges Streben gezeigt! Ob es nun kam, weil unser Hausstand groß war und wir nur ein Mädchen hatten, – ob sie einen Stolz darin suchte, für die tüchtigste Hausfrau der Stadt zu gelten, was sie, glaube ich, auch war, genug, sie hatte für nichts Sinn und Zeit als für Kochen und Abstauben, Stopfen und Flicken von früh bis spät und schien gar nicht einzusehen, daß man auch auf eine andere Art fleißig sein könne als auf die ihrige. Kaum hatte man sich vor dem Kinderlärm irgendwo ein ruhiges Plätzchen erobert, um ein Stündchen lesen zu können, gleich erschien Mutter mit einem Arm voll Strümpfen, die man stopfen sollte. Und ging mir vielleicht ein Gedicht im Kopfe herum und ich zählte und maß in Gedanken die Silben und Reime ab – sicher kam „Male“, unser dienstbarer Geist, um mich auf Mutters [146] Befehl in die Waschküche zu beordern, wo ich Wäsche zählen sollte. So etwas verstimmt natürlich.
Wie gesagt, ich will niemand gegen Mutter einnehmen, aber sie erschwerte es mir, das vorgesteckte Ziel zu erreichen. Heimlich trug ich immer ein Bündel Konzeptpapier und einen Bleistift in der Tasche, und sowie mir nur ein freier Augenblick blieb, schrieb ich an meinem Roman, bei dem meine Gedanken immer weilten, auch wenn ich die Suppe schäumte, Tassen wusch oder sonst etwas Prosaisches that. Mußte ich am Herde stehen, nur auf die Milch zu achten, die nicht kochen wollte, gleich zog ich meinen Roman aus der Tasche; glaubte Mutter, ich läge abends längst in süßem Schlaf in meinem Bett, so saß ich statt dessen bei einer heimlich hinaufgeschmuggelten Küchenlampe in meinem kalten Stübchen und schrieb Roman. Und bei all diesen Opfern hätte die Sache mir unglaubliches Vergnügen gemacht, wäre nicht die Milch öfters übergekocht und die Lampe immer in einer für Mutter unerklärlichen Weise leer gebrannt gewesen. Dann wurde Mutter ärgerlich – ach, manchmal so ärgerlich! Darin lag eben der Unterschied zwischen unseren Naturen und der Grund, warum sie mich nicht verstand: ihr deuchte ein verdorbenes Mittagsessen eine Sache von großer Wichtigkeit, während es mir ganz gleichgültig war.
Auch heute mußte sie mich natürlich gerade im besten Gedankengange stören. Meiner Heldin schwebte eben ein Wort auf den Lippen, welches, von dem Helden falsch gedeutet, beide für lange Zeit so voneinander trennen sollte, daß ich bis jetzt noch nicht wußte, wie ich sie später im vierunddreißigsten Kapitel wieder zusammenführen wollte. Sie hatte schon den Mund – einen sehr kleinen, feingeschnittenen, hübschen Mund geöffnet, um dieses verhängnisvolle Wort zu sprechen, da tönte es beinahe unmittelbar vor meinem Ohre: „Lene, Lene – Lene! –“ das letzte „Lene“ mit einem Seufzer und einem Nachdruck der Empörung gesprochen. Es schien, als wenn Mutter – denn sie war es selbstverständlich, die rief – daran verzweifelte, mich im Laufe dieses irdischen Lebens noch zu irgend einer nützlichen That verwendbar zu finden. Obgleich ich Mutter nicht sah, fühlte ich doch mit unfehlbarem Instinkt, daß sie jedenfalls tragisch den Kopf schüttelte.
Hastig und schuldbewußt, denn ich entsann mich der Gardinen, die ich hätte plätten sollen, recht gut, stopfte ich mein Papierbündel in die Tasche, doch nicht schnell genug, daß Mutter nicht noch einen Blick darauf erhascht hätte.
„Da sitzt nun das Mädchen und schreibt Tagebuch oder Verse oder sonst einen Unsinn, während wir mitten im Reinmachen sind und vor Arbeit nicht aus noch ein wissen! Nun sage mir bloß das eine: was denkst Du Dir eigentlich, Kind?“
Was ich mir dachte? Ja, das konnte man Mutter, noch dazu, wenn sie in diesem Tone fragte, nun doch nicht so ohne weiteres sagen! Ich that es deshalb auch nicht, sondern ging nur gesenkten Kopfes hinter ihr her, die vor mir mit raschen Schritten dem Hause wieder zueilte.
Wenn man Mutter von der Rückseite betrachtete, sah sie eigentlich noch ganz jugendlich aus, beinahe wie ein junges Mädchen, und in Wirklichkeit war sie ja auch noch garnicht alt, erst vor vierzehn Tagen war sie dreiundvierzig geworden. Ich dachte mir, sie müßte früher einmal etwa so ausgesehen haben, wie ich jetzt, aber Vater sagte immer, sie wäre viel hübscher gewesen. Nun, das ist gewiß, ihre Nase war auf keinen Fall so impertinent und ihr Mund nicht so groß wie meiner. Mutter hielt viel auf zierliche Kleidung. Wie sie so vor mir herging, mußte ich denken, sie wäre wie eine Bachstelze, so sauber, so behend und so fein, obgleich sie doch den ganzen Vormittag tüchtig herumgewirtschaftet hatte, wie ich wohl wußte. Ich bewunderte das immer sehr an Mutter und konnte es ihr doch nicht nachmachen. Wenn mir ein Knopf absprang oder irgendwo eine Naht ein wenig platzte, wollte ich den Schaden wohl immer gleich wieder gutmachen – wirklich, ich war meiner innersten Neigung nach so ganz besonders ordentlich –, aber ich vergaß es dann manchmal über meinen Roman oder über sonst etwas, wie es Leuten, deren Hauptinteressen geistiger Natur sind, gewiß oft geht. Mutter verstand das nicht.
„Als ich so alt war wie Du,“ sagte sie ein paar Minuten später, als wir beide am Plättbrett standen, „als ich so alt war wie Du, Lene, sorgte ich bereits seit Jahren ganz selbständig für meinen Vater, die Geschwister und ein paar Kostgänger und pflegte meine kränkliche Mutter. Liebe Zeit, wenn ich hätte dasitzen wollen wie Du, was hätte aus uns werden sollen?“
Die Thatsache war mir nicht neu, im Gegenteil hatte Mutter, um meinen Ehrgeiz anzustacheln, bereits ziemlich oft darauf hingedeutet. Ich sagte deshalb auch bloß, ohne besondere Zeichen von Bewunderung oder Erstaunen: „Mochtest Du es eigentlich gerne?“ – „Ich hätte es nicht gemocht,“ fügte ich in Gedanken hinzu, aber das sagte ich nicht.
„Ich weiß nicht,“ sagte Mutter, eifrig plättend, was sie mit wunderbarer Schnelligkeit verstand, „ich weiß nicht, ob ich es im Anfang gerade sehr gerne mochte. Darüber nachzudenken hatte ich nicht viel Zeit und darauf kam es ja auch gar nicht an. Jedenfalls freute ich mich später – Lene, ums Himmels willen, laß doch das Eisen nicht stille stehen, Du brennst ja ein Loch! ich sage, später, als ich heiratete, freute ich mich jedenfalls sehr, eine so gute Schule durchgemacht zu haben, und Dein Vater freute sich auch, das kannst Du mir glauben! Wir hätten ja sonst gar nicht heiraten können. Vermögen hatten wir beide nicht, und wenn ich da nicht einmal zu wirtschaften verstanden hätte bei dem kleinen Anfangsgehalt –“ Doch da unterbrach sie sich heftig: „Lene, wenn Du die Gardine so schief über das Brett ziehst, kann sie nun und nimmermehr ordentlich werden!“
Ich sagte nichts, zog die Gardine gerade und dachte an meinen Roman.
„Wenn Du ’mal heiraten solltest – dann gnade Gott dem Mann!“
„Ich will gar nicht heiraten,“ sagte ich, den Kopf ein wenig zurückwerfend, „habe ich nie gewollt!“ Ich sagte das keineswegs aus Trotz oder sonst einem verwerflichen und bösartigen Grunde, sondern in aller Ehrlichkeit, einfach, weil ich es so meinte. Ich war ein etwas emancipiertes Frauenzimmer, nicht nur aus Grundsatz, sondern auch aus Neigung, oder vielmehr aus Mangel an Neigung, nämlich für alle männlichen Wesen, welche mir bisher in den Weg gekommen waren. Alle meine Freundinnen hatten bereits einmal für jemand geschwärmt oder schwärmten eben jetzt! Ich rümpfte mein impertinentes Näschen mit leisem Hohn über solches Beginnen. Keiner hatte mir bis jetzt so gefallen, daß ich ihn meiner Liebe, so wie ich mir nämlich Liebe dachte, Wert gehalten hätte. Manche waren ja ganz nett, nun ja, einige tanzten auch sehr gut, aber die Sehnsucht, einen von ihnen zu heiraten, hatte ich noch nie verspürt. Im Gegenteil dachte ich von den meisten, wie langweilig es doch sein müßte, sie mein ganzes Leben lang immer in meiner Nähe zu haben – immer, unentrinnbar, und wie gräßlich es sein würde, einem von ihnen einen Kuß geben zu müssen. Uebrigens hatte mich auch noch nie jemand um dieses Glück gebeten, und da ich also kühlen Herzens das ehrwürdige Alter von zwanzig Jahren bereits erreicht hatte, war ich ganz frohen Mutes darauf gefaßt, eine alte Jungfer zu werden. Wenn ich nur berühmt wurde, das genügte mir, und ich betrachtete es als einen ganz besonderen Beweis meines schriftstellerischen Talents, daß ich trotzdem wundervoll ergreifende Worte für die Liebeserklärungen gefunden hatte, welche der Held meines Romanes doch machen mußte, da Helden dies ja bekanntlich zu thun pflegen.
Ich will hier einschalten, daß der Held meines Romanes, meinem eigenen Ideal von Männlichkeit entsprechend, groß, schlank, blond, blaß, genial, schwermütig und arm, jedoch im Besitze eines unbegrenzten Edelmutes und eines wunderbaren Vollbartes war. Aber dies gehört wohl eigentlich nicht hierher.
„Ich will gar nicht heiraten – habe ich nie gewollt!“
Mutter warf mir einen halben Blick von der Seite zu. „Nun, das paßt ja gut,“ sagte sie gleichmütig, „denn so wie Du jetzt noch bist, wird Dich auch wohl schwerlich jemand haben wollen. Beamtentöchter ohne Vermögen müssen wenigstens tüchtig und liebenswürdig sein, wenn man sie begehrenswert finden soll. Uebrigens, mein Kind, hat man auch Pflichten im Leben, wenn man nicht heiratet.“
Es wurde still. Wir plätteten beide, Mutter schnell und vorzüglich, ich langsam und – nicht vorzüglich. Ich weiß nicht, wie es kam, daß ich immer Falten in alles hineinplätten mußte, was glatt werden sollte, und alles das glatt und platt machte, was faltig und bauschig hätte aussehen müssen. Ich wollte gern etwas sagen und verschluckte es dann doch wieder, denn Mutter hatte für philosophische Erörterungen nicht viel Neigung, und wenn ich auch manchmal im verborgensten Herzenswinkel glaubte, ihr in einigen Dingen überlegen zu sein, so hatte ich doch, wenn [147] ich ihr Auge in Auge gegenüberstand, einen sehr großen Respekt vor ihr.
„Mutter,“ sagte ich nach einer Weile doch, emsig auf meine Arbeit niederblickend, „hat man nicht auch Pflichten gegen sich selbst?“
„Natürlich,“ entgegnete Mutter bereitwillig, „selbstverständlich hat man Pflichten gegen sich selbst, vor allem zum Beispiel die, sich immer so zu betragen, daß einen von keiner Seite ein Vorwurf treffen kann.“
So – ja – so hatte ich es nun allerdings eigentlich nicht gemeint. „Ich meine,“ begann ich wieder ein bißchen flau, „ich meine –“ merkwürdig, wie unbescheiden es einem vorkam, es anzusprechen, während ich immer so selbstverständlich gefunden hatte, es zu denken „wenn man nun nach irgend einer Richtung hin ganz besondere Talente bekommen hat, ist es da nicht Pflicht –“ und dann stockte ich wieder.
„Natürlich,“ stimmte Mutter mir wieder aufs bereitwilligste zu, „nur muß es auch wirklich ein Talent sein, so eines, das sich sehen lassen kann, sonst ist es Zeitvergeudung! Wer nur ein bißchen Klavier klimpern oder Blumen nach Vorlagen mühsam nachpinseln oder sogenannte niedliche Verse schmieden kann, der hat weder das Recht noch die Pflicht, etwas anderes darüber zu vernachlässigen, sobald das andere seine ihm zugewiesene Arbeit ist. Dilettantenkram, mein Kind, ist gut für Mußestunden, wenn man welche hat; hat man keine, so muß man sich nicht damit befassen.“
Damit ging Mutter zum Plättofen, um sich ein neues Eisen zu holen, und indem sie zurückkehrte und im Gehen mit der angefeuchteten Fingerspitze den heißen Stahl berührte, um zu sehen, ob er den richtigen Wärmegrad hätte, bemerkte sie nicht, wie mir eine Thräne auf die Hand tropfte – die bittere Thräne des verkannten Genies. „Dilettantenkram“, natürlich, das sollte auf mich gehen, „niedliche Verse“, so ganz verächtlich! Nun ja, freilich, sie hatte den Inhalt meines geheiligten Poesiebuches nicht gelesen, sie ahnte nicht, daß das siebzehnte Kapitel meines Romans bereits begonnen war. Ein Roman von vierunddreißig Kapiteln ist kein Dilettantenkram. Aber allerdings, sie konnte das nicht wissen; sie sah nicht, was ich leistete. Vielleicht war es am besten, ihr zu verzeihen! Schon plättete sie wieder gleichmütig, ohne sonderlich auf mich zu achten, und ich stellte mein Eisen auf die Gardine, um mir verstohlen die Thräne fortzuwischen.
„Lene!“ rief es im nächsten Augenblick neben mir, in höchster Entrüstung, „habe ich es nicht geahnt? Siehst Du, da hast Du glücklich ein Loch gebrannt – das Eisen in voller Lebensgröße! Ein Segen, daß ich Dir wenigstens nur die alten, roten anvertraut habe!“
Ja, es war gut, diesmal wenigstens mußte ich Mutter uneingeschränkt recht geben.
In diesem kritischen Augenblick öffnete sich die Thür, und Male erschien in derselben mit kühn geschürzten Röcken und hoch aufgekrempelten Aermeln, in der einen Hand den „Feuel“, in der anderen den „Leuwagen“ haltend, denn sie hatte den Flur geschrubbt und war jetzt dabei, ihn aufzuwischen, zu „feueln“, wie man bei uns sagt.
„Da is ein’!“ meldete sie ziemlich ungnädig, denn Male konnte viel aushalten, aber mitten aus der schmutzigen Arbeit heraus ließ sie sich nicht gern wegholen. Was zu viel ist, ist zu viel!
„Es ist jemand da,“ verbesserte Mutter, welche zu vielen anderen Aufgaben auch noch die freiwillig auf sich genommen hatte, Males schon nicht mehr fragwürdiges Deutsch zu verbessern, ohne durch ihre Bemühungen je den leisesten Erfolg zu erzielen, da Male starrköpfig auf der von ihr selbst gewählten Ausdrucksweise zu beharren pflegte. „Wer ist’s denn?“
„Ich glaube, es is den neuen Doktor,“ erklärte Male. „Er hat ’n neuen Spinthut auf und ’n feinen schwarzen Liefrock an – ’ne Karte hat er mich auch gegeben.“ Dabei präsentierte sie mit der feuchten Hand eine Visitenkarte. Male war von der Kultur noch sehr wenig beleckt. Wir hatten sie, nachdem unsere vorige „Male“ Hochzeit gehabt hatte – die Mädchen heirateten immer von uns aus weg – erst kürzlich „ganz wild“ vom Lande bekommen, und sie erwies sich zwar als sehr treu und fleißig, aber leider auch als allen Bildungsbestrebungen völlig unzugänglich.
„Cylinder heißt es und Leibrock,“ belehrte Mutter trotzdem mechanisch, während sie die Karte nahm, „und eine Karte faßt man nicht mit – – ja wirklich, Lene, es ist der junge Arzt, der sich hier niederlassen will, natürlich will er seinen Antrittsbesuch machen! Sie haben den Herrn doch in das Wohnzimmer geführt, Male? Sonst thun Sie es gleich.“
Das hatte Male nun natürlich keineswegs gethan, verschwand darum schleunigst vom Schauplatz, und wir hörten sie draußen auf dem Flur mit lauter Stimme herablassend sagen: „Kommen Sie hier man so lange ’n büschen rein. Frau Rat is gerade mit unser Fräulein beis Plätten. Sie macht sich man ’n büschen zurecht, denn kommt sie.“
„Unpassender hätte der Mann die Zeit aber doch auch nicht wählen können,“ sagte Mutter, den großen Haufen Plättwäsche, der noch zu bewältigen war, mit verzweifelndem Blick überfliegend. „Es hätte ja doch nicht geeilt mit den Besuchen, jetzt, wo alle Welt reinmacht. Ich kann hier nicht weg, es ist unmöglich. Dir –“ ein Seufzer – „Dir kann man ja leider die Plätterei nicht anvertrauen. Geh Du hinein; annähernd ordentlich siehst Du ja aus, und der Mann wird ja wohl ein Einsehen haben; sage, Vater wäre nicht zu Hause, wir wären beim Reinmachen, ich ließe um Entschuldigung bitten und so weiter na, das wenigstens wird man Dir ja wohl überlassen können! Hoffentlich geht er dann gleich wieder.“
Damit steckte sie mir noch geschwind den dicken, schwarzen Zopf ein bißchen fester, fuhr mir mit der Hand hastig glättend über das krause, immer widerspenstige Haar und schob mich aus der Thür, als wäre ich eine auf Rollen stehende Figur.
[158] Ein bißchen zerzaust und erhitzt sah ich wohl aus, als ich mich anschickte, den Besuch zu empfangen; aber das ließ sich jetzt nicht ändern, obgleich es mir trotz meiner Gleichgültigkeit gegen die Männerwelt doch nicht ganz einerlei war, welchen Eindruck ich machte. Der junge Herr – „Franz Forst, Dr. med., prakt. Arzt“ stand auf der Karte, die Male uns überbracht hatte – mochte sich inzwischen die Kupferstiche und Photographien an unseren Wänden betrachtet haben; er kehrte der Thür den Rücken, als ich eintrat, wandte sich aber schnell und verbindlich um und zeigte ein hübsches junges Gesicht mit einem flotten braunen Schnurrbart und guten, ehrlichen Augen. Er sah weder geistreicher, noch schöner, noch eleganter aus als die meisten anderen Menschen, mit denen ich bisher verkehrt hatte, etwas Besonderes schien er in keiner Hinsicht zu sein. Wie sollte auch wohl etwas Besonderes nach unserem weltvergessenen Städtchen kommen? Lächerlich!
„Vater ist leider für ein paar Tage verreist, Herr Doktor,“ sagte ich, „er wird sehr bedauern, Sie verfehlt zu haben, und Mutter läßt bitten, sie entschuldigen zu wollen; es ist ihr augenblicklich unmöglich, hereinzukommen. Wir sind beim Reinmachen – auch ich bin im Morgenkleide, wie Sie sehen, Sie müssen es schon verzeihen.“
Sein Blick umfaßte für einen Augenblick meine ganze kleine Person – krauses, etwas zerzaustes Haar, blauen, bedruckten Kattunmorgenrock, leinene Hausschürze und so weiter, und seltsamerweise schien ihm der Anblick, der doch vermutlich nicht sehr schön war, keineswegs zu mißfallen, denn er lächelte, wie man über etwas Hübsches lächelt, und sagte: „O, was das anbelangt, ich habe eine besondere Vorliebe für Hauskleider, und im übrigen bin ich es ja wohl, der sich entschuldigen müßte, da ich Ihnen zu so sehr unpassender Zeit in das Haus falle.“
„Ja, das konnten Sie doch nicht wissen.“
„So ungefähr hätte ich es mir ja wohl denken können, als ich auf den Flur trat,“ meinte er und lachte über das ganze Gesicht, wohl in Erinnerung an Males holdselige Erscheinung. Was für prachtvolle Zähne er hatte, und wie merkwürdig das Lächeln sein Gesicht verschönte! Und ein hübsches Kinn hatte er auch. Mir dämmerte eine Ahnung auf, als könnte ich ihn mit der Zeit vielleicht ganz nett finden, aber ich entgegnete trotzdem ein bißchen impertinent: „Ach, von solchen Dingen werden Sie doch wohl nicht viel verstehen – ein junger Herr!“
„Sollte es nicht vielleicht möglich sein, daß junge Herren zuweilen liebe, alte Mütter und gute, wirtschaftliche Schwestern haben, und daß solche Mütter und Schwestern gelegentlich auf den Einfall kommen, auch einmal Scheuerfest zu halten? Oder sind die Scheuerfeste ein ganz besonderes Privilegium Ihrer Heimat?“ fragte er belustigt.
Ich lachte, weil ich nicht recht etwas zu antworten wußte, und ich weiß nicht, wie das so kam, anstatt daß er sich nun empfohlen hätte, wie ich es erwartet und Mutter es prophezeit hatte, saßen wir beide gleich darauf auf Stühlen und plauderten frisch drauf los. Und als wenn es das natürlichste Ding von der Welt wäre, daß ich selbständig den Besuch junger Herren entgegennähme, dauerte unsere Unterhaltung eine ganze lange Weile, bis der Herr Doktor auf einmal inne wurde, wie rücksichtslos und unpassend er die so überaus kostbare Zeit der vielbeschäftigten Haustochter in Anspruch nähme, aufstand und sich eilig empfahl, zum dritten- oder viertenmal lebhaft bedauernd, daß er nicht das Vergnügen hatte haben können, sich den Eltern vorzustellen.
Ich sah ihm durch das Wohnstubenfenster nach, bis nichts mehr von ihm zu erblicken war. Er hatte eine recht hübsche Figur, war aber nicht über Mittelgröße und eher ein wenig zu kräftig [159] als sehr schlank. Ueberhaupt nein – etwas Besonderes war er ja nicht – nur etwas Frankes, Frisches lag in seinem Wesen und auf seinem Gesichte, und dann lächelte er so hübsch, beinahe kindlich, – und wenn er einen ein klein wenig von der Seite ansah, – so – ich ahmte es unwillkürlich nach – dann gefiel er mir auch, und dann, wenn er etwas Ernsthaftes sagte, hatte er solchen schönen, klaren Blick, und mit einem Wort, er war nett, sehr nett sogar, und ich hoffte, daß die Eltern ihn mitunter einladen würden, den armen Menschen, damit er doch ein bißchen Familienanschluß haben möchte an dem fremden Ort.
Noch vor einer halben Stunde hatte ich den Augenblick herbeigesehnt, wo ich wenigstens den letzten, halb fertig geschriebenen Satz meines Romans vollenden konnte. Der armen Heldin war ja das Wort auf der Zunge schweben geblieben – jetzt dachte ich gar nicht daran, sondern kehrte, ein wenig langsam zwar, aber doch ohne Aufenthalt an mein Plättbrett zurück.
Ich möchte nicht gern bei voreiligen Menschen, deren es ja immer giebt, in den Verdacht geraten, als hätte ich mich in Herrn Franz Forst, Dr. med., auf den ersten Blick innerhalb einer guten Viertelstunde verliebt. Durchaus nicht! Ich möchte in keiner Weise so verstanden werden. Aber ich – nun, ich fand ihn nett, ich habe es schon mehrmals gesagt, und das darf man ja doch wohl, ohne Anstoß zu erregen.
Abends, als ich bei einem Lichtstümpfchen noch ein Stück Roman schrieb, geschah mir allerdings etwas sehr Sonderbares: anstatt gedankenvoll über seinen blonden Vollbart zu streichen, drehte mein Held sinnend an seinem braunen Schnurrbart; doch ich bemerkte den Irrtum gleich, verbesserte ihn empört und beging einen ähnlichen nicht wieder …
Nach wenigen Tagen waren wir mit der unerquicklichen Scheuerei, für welche selbst Mutter zuletzt keine Begeisterung mehr in ihrem Herzen hatte auftreiben können, fertig, das ganze Haus strahlte zum großen Verdruß unserer Gymnasiasten, die nirgends derb hintreten durften, von unerhörter Sauberkeit und Ordnung, und Mutter hielt infolgedessen den Zügel, mit welchem sie mich zu nützlichem Thun anzuleiten pflegte, nicht mehr ganz so straff. Ich konnte mein siebzehntes Kapitel in den nächsten acht Tagen erheblich fördern, und der beschriebene Papierballen, den ich von einem Versteck in das andere schleppte, schwoll mehr und mehr an.
Dann kamen die Pfingstferien. Unsere sämtlichen Schulkinder, mit Einschluß des Herrn Primaners und des Herrn Sekundaners, wurden während derselben alljährlich, wenn das Wetter es nur irgend erlaubte, aufs Land zu verschiedenen opferfreudigen Verwandten ausgethan und zogen auch diesmal, mit Butterbroten und einigen Reisegroschen wohlversehen, unter einem wahrhaft rothautmäßigen Jubelgeschrei ab. Es wurde auf einmal ganz wundervoll still bei uns.
Als das Jungvolk fort war, verleitete das prächtige Festwetter die Eltern zu dem Plan, auch einen kleinen achttägigen Ausflug in das schöne pfingstfröhliche Land zu machen, und nur der Gedanke, daß es die Reise über Gebühr verteuern würde, auch mich mitzunehmen, und man nicht recht wußte, was sonst aus mir werden sollte, erregte Bedenken. Da erbot ich mich zum nicht geringen Erstaunen der Eltern, die solche Selbstlosigkeit bisher nie an mir bemerkt hatten, freiwillig, allein mit Male das Haus zu hüten, und nach einigem Zögern und Schwanken wurde beschlossen, daß es wirklich so geschehen solle. Ich nahm die meinem Edelmut gespendeten Lobsprüche mit kleidsamer Bescheidenheit, das Mitleid wegen meiner langen Einsamkeit mit einer Miene heiterer Gefaßtheit und Mutters viele Ermahnungen, wie ich mich in ihrer Abwesenheit zu benehmen hätte, mit stiller Demut entgegen. In Wirklichkeit konnte nur, wenn ich doch nicht verreisen durfte, gar kein größerer Gefallen geschehen, als ohne Pflichten gegen irgend jemand allein gelassen zu werden. Mein Roman wurde gerade jetzt so fabelhaft spannend und verwickelt, daß ich wirklich notwendig einmal der Ruhe bedurfte, um an ihm weiter zu schreiben, wenn ich nicht selbst den durch das Labyrinth führenden Faden aus der Hand verlieren wollte. Ganz vergnügt begleitete ich die Eltern auf den Bahnhof, was mir ein anerkennendes Wangenstreicheln von Vater, dessen Lieblingskind ich im stillen war, eintrug.
Am Bahnhof war ein großes Menschengedränge. Alle Welt wollte reisen. Auch der neue Doktor, den ich inzwischen nur ein paarmal auf der Straße gesehen, welchem Vater aber seinen pflichtschuldigen Gegenbesuch längst erstattet hatte, war da. Als er uns sah, kam er gleich auf uns zu und fragte, ob wir verreisen wollten.
„Meine Frau und ich.“ sagte Vater, „wir machen eine kleine Rundreise durch das östliche Schleswig-Holstein – und Sie, Herr Doktor?“
„Auf ein paar Tage nach Hause, es giebt jetzt wenig Kranke,“ berichtete er, „der Sonnenschein macht alle Patienten gesund ohne Zaubertränke und Mixturen. Und Ihr Fräulein Tochter nehmen Sie auch mit?“
„Nein, unsere brave Lene bleibt daheim und sorgt fürs Haus,“ sagte Vater, mir freundlich zunickend, „nicht wahr, mein Töchterchen?“
Der junge Arzt zog lächelnd den Hut mit einer Verbeugung. „Alle Achtung, mein Fräulein, da werden Sie aber ein recht mühsames und bewegtes Fest haben. Hoffentlich machen Ihnen die Geschwister das Leben nicht gar zu sauer.“ Es lag etwas in seinen Augen von wirklicher Anerkennung, trotz seines Lächelns, und ich wurde unwillkürlich rot. Was für hübsche Augen er doch hatte, und wie deutlich sie sagten: Du gefällst mir, Du kleines, tüchtiges, zuverlässiges Mädchen. Schade, daß ich das Lob so gar nicht verdiente!
„Warum nicht gar,“ sagte ich schnell, „sie sind ja alle –“
„Einsteigen nach Ascheberg!“ – Ja, da war nun keine Zeit zu Erläuterungen. Der Herr Doktor stieg in ein Rauchcoupé, die Eltern gaben mir einen Kuß und die letzten Ermahnungen, die Thüren schlugen zu – und fahrwohl! dahin ging der Zug, keuchend und schnaubend wie ein scheußliches Ungeheuer, und barg doch nicht nur ein fröhliches Herz im Innern, sondern viele, viele!
Die Beschreibung der nächsten acht Tage kann ich in drei Worte zusammenfassen: ich schrieb Roman.
Ich vermute, daß die Sonne strahlte, wie sie es nur in einem wirklich schönen Mai kann, daß der See flimmerte und blitzte wie lauter Licht und Glanz, daß die großen Buchen sich in ihm spiegelten bis zu den allerobersten Wipfelblättern hinauf, daß Vogel jubilierten und holde kleine Blumen sich der Sonne entgegenstreckten und dufteten, eine immer noch süßer als die andere – wie gesagt, ich setze das voraus, aber ich merkte nicht viel davon: ich schrieb. Andere Leute machten sehr wahrscheinlich Bootfahrten und Waldpartien, mir kommt jetzt eine Erinnerung, als wenn Freundinnen bei mir gewesen wären, um mich ebenfalls zu dergleichen aufzufordern, doch muß ich sie wohl unter irgend einem Vorwande wieder fortgeschickt haben, denn ich weiß mit Bestimmtheit, daß ich immer nur schrieb. Ich entsinne mich, daß Male, der ich in der Küche freie Hand ließ, jeden Tag Klöße mit Pflaumenmus auf den Tisch brachte, einmal, weil dies ihr Lieblingsgericht war, und dann weil es sich als die einzige Speise erwies, auf deren Zubereitung sie sich verstand. Ich aß die zuletzt doch etwas einförmige Kost ohne Widerrede in mich hinein, denn mich hob die Geistesarbeit, die mich so ganz fesselte, über die kleinen Miseren des Alltagslebens hinaus. Ich schrieb, daß mir die Finger weh thaten und die Backen glühten, aber „wer ausharret, wird gekrönt“, und der Erfolg meines Fleißes war ein beinahe verblüffender.
Beängstigend schnell schwoll mein Manuskript an, und als ich an den Bahnhof ging, um die erste Portion Heimkehrender wieder in Empfang zu nehmen, da waren alle Verwicklungen, auch die scheinbar unentwirrbarsten, glücklich gelöst, fünf liebende Paare hatten sich gefunden, drei Bösewichter waren entlarvt und vernichtet, mehrere Personen, mit denen ich sonst nichts anzufangen wußte, waren eines rührenden Todes verblichen, und kurz und gut, mein Roman, der es allerdings doch nur auf achtundzwanzig Kapitel gebracht hatte, war fertig! Freilich konnte ich mich eines sehr tiefen Seufzers nicht erwehren, als ich den nach und nach angesammelten Papierballen nun aufrollte und die vielen, vielen Seiten überzählte, die es abzuschreiben gab; aber im großen und ganzen erfüllte mich doch ein Gefühl unbeschreiblichen Stolzes und Vergnügens. Ich hatte es also doch fertig gebracht, da lag er vor mir, mein Roman, der so viel Herzen schneller schlagen machen sollte! Der erste Schritt zur Berühmtheit war gethan!
Noch ehe ich zum Bahnhofe ging, kaufte ich für das Geld, welches eigentlich für ein Paar neuer Handschuhe bestimmt gewesen war, das nötige Ries Schreibpapier, extragute Federn und ein neues Glas Tinte, um recht aus dem vollen wirtschaften zu können, und schrieb mit meiner besten Schrift das Titelblatt: „Des Lebens Mai, Roman von Viola Odorata.“ Es machte sich, [162] sowohl in der Nähe, als aus der Ferne betrachtet, vorzüglich. Noch nie im Leben hatte ich mich so wichtig und stolz gefühlt, als da ich diese Schätze in der bewußten obersten Schublade meiner Kommode barg. Leider sah ich bei dieser Gelegenheit, daß die Schublade des Ausräumens dringend bedurfte, aber ich konnte mich jetzt mit solchen Nichtigkeiten nicht abgeben. Alles zu seiner Zeit!
Als Mutter nach Hause kam, fand sie, anspruchsvoll, wie sie nun einmal in häuslichen Dingen war, mancherlei nicht nach ihrem Sinne, ich hatte mehr als einen Tadel zu schlucken, aber ich schluckte ihn schweigend nieder. Konnte Mutter einen Roman von achtundzwanzig Kapiteln schreiben? Nein! Hätte ich den Staub wischen und die anderen Alltagsdinge verrichten können, wenn ich gewollt hätte? Ja! Ich fühlte mich also in diesem Falle als die Ueberlegene.
Sommertage sind lang, und Begeisterung und guter Wille bringen viel fertig, und obgleich es mir vorkam, als wenn Mutter von Tag zu Tag höhere Ansprüche an mich stellte, lag doch in verhältnismäßig kurzer Zeit die fertige Reinschrift vor mir, ein, wenn ich jetzt daran zurückdenke, mir beängstigend dick erscheinendes Paket! Damals fand ich, daß gerade die Dicke ihm etwas Imponierendes verlieh, und ich gab mir die erdenklichste Mühe, mir vorzustellen, wie etwa der Totaleindruck auf jemand sein könnte, der noch nie einen Blick darauf geworfen hätte. Meiner Ansicht nach mußte er gut sein. Schon legte ich mir Papier und Feder zurecht, um den nötigen Begleitbrief zu schreiben, als ich hörte, daß Mutter nach mir rief. Eilig schloß ich alles fort und lief hinunter, denn es war Vesperzeit, und da lag mir ob, für unsere hungrige Schuljugend die Butterbrote zu schneiden und zu streichen.
Natürlich, ich brauchte nur die Thür zum Eßzimmer zu öffnen, da wurde mir auch schon in sechs verschiedenen jugendlichen Stimmlagen in Moll und Dur mitgeteilt, daß ich „immer so lange auf mich warten ließe“ und „man bei solcher Wirtschaft verhungern könnte!“
„Nun ja doch, ja, ich komme ja schon,“ sagte ich unfreundlich, schnell die Aermel meines hellen Kattunkleides ein wenig zurückstreifend, eine Hausschürze vorbindend und Brot und Butter herbeiholend. O, wie ich es haßte, dieses ewige Sorgen für die gewöhnlichsten Dinge! Und in meinem Aerger schnitt ich die Brotscheiben so dick, daß darob allgemeines Murren und lebhafter Protest im Kreise der anspruchsvollen Jugend entstand.
Da ging die Hausthürglocke. „Sieh nach, wer da ist, Peter Laß!“ kommandierte ich. Peter Laß, mit seinem richtigen Namen Max getauft, war einer der Kleinen und sah mich als große Schwester für eine Autorität an, eine Anschauung, der die anderen Geschwister nur bis zu sehr eng gezogenen Grenzen huldigten. Er ging deshalb ohne Widerrede, sein Butterbrot in der Hand, an die Thür und machte dieselbe hinter sich zu.
Gleich darauf trottete er wieder herein. „Da ist’n Mann,“ sagte er, sich mit großer Gemütsruhe wieder niedersetzend.
„So? was will der Mann denn?“
„Vater sprechen.“ Peter Laß griff nach seinem Milchbecher.
„Hast Du ihn denn hingeführt?“
„Nä,“ sagte mein liebenswürdiger kleiner Bruder, den Kopf schüttelnd und gemächlich in sein dickes Butterbrot beißend.
„Dummer Junge doch!“ Ich lief an die Thür, und dieselbe hinter mir weit offen lassend, das Brotmesser in der Rechten haltend, trat ich auf den Flur.
Da stand ganz geduldig wartend Doktor Forst und verbeugte sich wie ein rechter Gentleman, als er mich sah. Er hatte Vater im Klub gesprochen, von ihm die Zusage erhalten, ihm ein Buch, welches ihn interessierte, zu leihen, und kam, sich dasselbe abzuholen. Ich führte ihn bis zu Vaters Arbeitszimmer, und er warf im Vorbeigehen – es geschah gewiß unabsichtlich – einen Blick durch die weit offen stehende Thür unserer Eßstube.
„Wie reizend hausmütterlich Sie immer beschäftigt sind, Fräulein Peters,“ sagte er, meine Augen mit seinem Blick treffend, „man muß ja an Werthers Lotte denken, wenn man Sie so im Kreise Ihrer Geschwister walten sieht.“
Ich hatte „Werthers Leiden“ bis jetzt nicht gelesen, da ich neuere Litteraturerzeugnisse bevorzugte, aber ich kannte das anmutige Lottebild aus der Goethegalerie und fühlte mich geschmeichelt, obgleich ich mir bewußt war, wie wenig der Vergleich auf mich paßte. Ehe ich aber noch etwas Passendes antworten konnte, hatten wir Vaters Stube erreicht, und ich öffnete die Thür für den Gast, dem eine dichtere Tabakswolke entgegenströmte, als ihm vielleicht lieb war.
Nachher in meiner Dichterkammer warf ich, daß ich’s nur gestehe, schnell einen Blick in den Spiegel, um mich zu überzeugen, ob ich wirklich etwas „reizend Hausmütterliches“ an mir hätte, konnte aber nichts dergleichen entdecken, im Gegenteil, gerade mitten auf meiner ohnehin schon impertinenten kleinen Nasenspitze saß ein zwar winzig kleiner, aber kohlpechrabenschwarzer Tintenklex, den Lotte dort gewiß nie gehabt hat.
Jedoch ich sah mich nicht veranlaßt, mich lange darüber zu grämen, sondern schrieb nach einem bereits entworfenen Konzept den Begleitbrief für meinen Roman. Er erreichte eine Länge von etwa sechs eng beschriebenen Zeiten und klärte, wenn ich nicht irre, den Redakteur, an welchen er gerichtet war, nicht nur über meinen bisherigen Lebenslauf, sondern auch über meine Wünsche, Pläne und Hoffnungen, die ihn ja gewiß sehr interessierten, in ziemlich umfassender Weise auf. Wenn ich es auch nicht für wahrscheinlich hielt, daß ich das Manuskript zurückerhalten würde, so sah ich doch ein, daß ich auch diese Möglichkeit in Erwägung ziehen müßte. Ich bat also, mir das Paket nötigenfalls postlagernd unter X. Y. Z. wieder zugehen zu lassen.
Als die Adresse an die Redaktion einer sehr großen Zeitschrift in Berlin gemacht und alles gut verschnürt und versiegelt war, barg ich meinen kostbaren Schatz unter dem Regenmantel, suchte mir auf der Straße ein fremdes Kind und versprach dem selben einen Nickel, wenn es mir etwas auf die Post tragen wollte, was es bereitwillig that, während ich in einer Seitenstraße wartete, um dem zurückkehrenden kleinen Boten den ausbedungenen Lohn auszuzahlen.
So, nun war er fort, mein Roman. Glück auf den Weg!
Es war, als wenn der Dichtergeist in mir sich vorläufig nun einmal ausgetobt hätte, wenigstens hatte ich nicht das Bedürfnis, sofort wieder ein neues Werk in Angriff zu nehmen. Natürlich fing ich in den nächsten vierzehn Tagen den Briefboten jedesmal, wenn er unser Haus betrat, auf der Treppe ab, um zu fragen, ob kein Brief für mich aus Berlin da sei, aber er schüttelte immer den Kopf. Natürlich ging ich nach Ablauf dieser Zeit eines Abends in der Dämmerung auf die Post und fragte mit klopfendem Herzen nach einem postlagernden Paket „X. Y. Z.“ Man sah mich nur verwundert an und wußte von einer derartigen geheimnisvollen Sendung nichts. Natürlich hatte ich des Nachts schlaflose halbe Stunden, in denen ich meinte, vor Unruhe und Ungeduld überhaupt nicht wieder einschlafen zu können, – und natürlich kam mir, wie den meisten ungeduldigen Menschen, zuletzt die Erkenntnis, daß mir nichts übrig bliebe, als zu warten. Deshalb faßte ich den vernünftigen Entschluß, es mit so viel Fassung zu thun, als ich auftreiben konnte, wozu mir übrigens schließlich mancherlei, an das ich gar nicht vorher gedacht hatte, erheblich half.
Zuerst gaben wir eine kleine Abendgesellschaft, was bei uns immer ein besonderes und angenehmes Ereignis war. Die Eltern waren beide von Haus aus sehr gastfrei, aber die Kosten, welche eine lebhafte Geselligkeit ja leider zu veranlassen pflegt, ließen sie trotzdem mit ihren Einladungen sparsam umgehen. Nun hatte aber Vater sich im Klub mit dem jungen Doktor angefreundet und meinte, es wäre an der Zeit, ihn einmal bei uns zu sehen. Eigentlich war es auch keine rechte Gesellschaft, sondern nur ein ganz kleiner Kreis von Freunden, und wir gaben nur kalte Küche und Heringssalat. Aber es war sehr gemütlich, wie immer bei uns, wenn wir Besuch hatten.
Den Heringssalat hatte ich angefertigt. Ich war sonst nichts weniger als eine große Kochkünstlerin, aber für Heringssalat hatte ich ein ganz besonderes Talent, vielleicht weil ich ihn selbst sehr gern mochte, und Mutter vertraute mir seine Zubereitung auch immer unbedenklich an. Auch diesmal war mein einziges Paradestück mir wieder ausgezeichnet gelungen, so daß Tante Jule, die für eine große Feinschmeckerin gilt, ganz laut über den Tisch herüber zu Mutter sagte:
„Dein Heringssalat ist wieder einmal vorzüglich, Nanny, der hat bei Euch immer ein gewisses ‚je ne sais quoi‘, was er nirgend sonst hat. Wie machst Du das nur?“
„Ja, da mußt Du Lene schon fragen,“ sagte Mutter lächelnd, „die ist hier im Hause, was Heringssalat anbelangt, die erste Autorität.“ Worauf mir sofort mehrere Herren ihr Kompliment [163] über mein wohlgelungenes Werk machten und Doktor Forst, der die Schüssel vorher hatte vorübergehen lassen, sich eine große Portion auffüllte und anscheinend mit dem besten Appetit verspeiste.
Ich schenkte den Thee ein und besorgte die Aufwartung, da Mutter fand, daß Dienstboten im Zimmer die Gemütlichkeit stören, und ein besonderes Glück wollte, daß ich an diesem Abend weder einen Rahmtopf umstieß, noch einen Tassenhenkel zerbrach. Ueberhaupt war es ein wirklich hübscher Abend. Ich saß bei Tisch neben Doktor Forst; er war sehr lustig und nett. Später sang er auch am Klavier einige hübsche Lieder. Er hatte eine nicht gerade sehr geschulte, aber frische Stimme, einen schönen, weichen Bariton und begleitete sich selbst ohne Noten. Stundenlang hätte ich ihm zuhören können; es war gerade solch ein Klang in der Stimme, der mir zu Herzen ging.
Ich saß in der Nähe des Klaviers und konnte sein Gesicht sehen. Zuletzt sang er noch das reizende Studentenlied von der Lore, bei dem mir immer zu Mute ist, als müßte ich gleich mit einstimmen. Und jedesmal, wenn da kam:
„Sie ist mein Gedanke bei Tag und bei Nacht
Und wohnet im Winkel am Thore,“
traf mich auf einmal sein Blick. Zuerst meinte ich, es wäre Zufall, und ärgerte mich, daß ich rot wurde. Ich heiße ja auch gar nicht Lore, sondern Lene und wohne allerdings im Winkel, aber nicht am Thor, sondern am See. Aber der Zufall wiederholte sich – und zuletzt wartete ich schon förmlich darauf, daß der Doktor mich ansehen sollte, als der Refrain wiederkehrte.
Und als die Gäste sich endlich, wie immer bei uns, ziemlich spät in heiterer Laune entfernten, da sagte dieser sonderbare Mensch, als er mir ein wenig abseits von den anderen die Hand zum Abschied gab: „Gute Nacht, Fräulein Lore.“ Ich that, als merkte ich nichts davon, da ich mir nicht gleich klar darüber war, ob ich ihn korrigieren müßte oder nicht.
Alles in allem war es, wie gesagt, ein hübscher Abend, der mir schließlich sogar noch ein Lob von Mutter eintrug, weil ich mich nach ihrer Ansicht „so ziemlich benommen“ und nichts zerbrochen hatte.
Kurze Zeit darauf hielt eine meiner Freundinnen Hochzeit, und der Polterabend wurde mit sehr vielen Aufführungen und Scherzen ins Werk gesetzt. Das kostete natürlich viele Vorbereitungen. Zwei von uns, Grete Müller und ich, stellten Poesie und Prosa dar, die das Leben des jungen Ehepaares künftig beherrschen sollten. Der Gedanke war wohl schon ein bißchen abgedroschen, aber Grete Müller, die herrliches blondes Haar hatte und unglaublich eitel darauf war, wollte auf die Gelegenheit, die schweren mattgoldenen Massen lang aufgelöst um sich herwallen zu lassen, durchaus nicht verzichten und beharrte darauf, die Rolle der „Poesie“ zu übernehmen. So mußte ich denn wohl oder übel die „Prosa“ vorstellen im Gewande einer altdeutschen Hausfrau, mit dem klirrenden Schlüsselbund an der Seite.
Der Anzug war ja soweit ganz kleidsam, aber ich ärgerte mich doch ein bißchen, denn Grete Müller hatte nicht einen Funken poetischen Geistes in sich. Warum mußte sie nun trotzdem gerade die Poesie darstellen und ich die Prosa, die mir doch so verhaßt war?
Natürlich sah Grete mit dem süßen, zarten Gesicht und den großen blauen Augen „voll Seele“, mit dem weißen, schlichten, leichten Tüllkleide und dem Kranz von blaßroten Rosen entzückend aus, wenn sie auch die Verse herunterhaspelte, als wüßte sie garnicht, was sie sagte, und natürlich waren alle entzückt von ihrer Schönheit. Ich, das weiß ich wohl, sah lange nicht so gut aus, und das war auch nicht von mir zu verlangen. Doktor Forst hatte freilich trotzdem den schlechten Geschmack, mich hübscher zu finden als Grete, wenigstens that er so, und er sah so ehrlich dazu aus und tanzte so viel mit mir, daß ich kaum anders konnte, als ihm glauben. Ich hätte so gern noch etwas für mich allein vorgestellt, etwas Poetisches mit eigenen Versen, wenn auch ohne aufgelöste Haare, aber es waren schon zu viele Aufführungen angemeldet, ich mußte mich bescheiden. So war und blieb ich denn den ganzen Abend altdeutsche Hausfrau und Prosa des Lebens, habe mich aber doch, daß ich’s nur gestehe, recht poetisch glücklich dabei gefühlt. Tanzen ist doch etwas Herrliches, und Doktor Forst tanzte so gut. – Zur Hochzeit am nächsten Tage war ich als Brautjungfer auch geladen. Da war es aber langweilig. Ich hatte einen öden Gerichtsassessor als Tischherrn, und Doktor Forst war gar nicht eingeladen worden.
Es war ein recht bewegter Sommer. Wieder kurz darauf veranstaltete der Herrenklub für die während des Winters angesammelten Skatgelder eine Kahnpartie mit Damen. Selbstverständlich waren wir dabei. So etwas ist ja nun immer reizend. Ich hatte meinen Platz hinten in einem der Boote neben dem Steuer, dessen Doktor Forst sich bemächtigt hatte. Anfangs wußte er nicht recht damit umzugehen, denn er war nicht aus einer Wassergegend, sondern in den Bergen zu Hause, ich aber hatte oft gesteuert und zeigte ihm, wie es gemacht wird. Es war sehr nett – wirklich sehr! Ich bin ja tausendmal auf dem Wasser gefahren und kannte schon immer kein schöneres Vergnügen, aber ich wüßte nicht, daß es mir jemals vorher so ausnehmend gut gefallen hätte wie diesmal.
Ja, wie schön war es doch, als wir landeten, uns im Gehölz lagerten und die furchtbar prosaischen, aber doch recht angenehmen Eßkörbe hervorgeholt wurden, die Herren trockene Reiser sammelten und Feuer anmachten, das zuerst so gräßlich qualmte und nachher beinahe den Wald angezündet hätte, wie wir Kaffee kochten und Butterbröte und Kuchen vertilgten! Und die Freude, die ich dabei empfand. Unsere Plättchen hatte ich selbst gebacken, es war ein einfaches Rezept, aber sie waren gut geraten, und Doktor Forst aß sie beinahe allein, er aß gar nichts anderes! Dann zerstreuten wir uns gruppenweise in unserem herrlichen, grünen, frischen Wald und ganz zufällig blieben wir, Doktor Forst und ich, ein wenig hinter den anderen zurück und sprachen so mancherlei, und es war so still und grün um uns her, die kleine Quelle rieselte so blank und leise neben uns, die Vögel zwitscherten, und aus der Ferne hörte man zuweilen ein Lachen oder einen hellen Ruf, bis ich dann auf einmal ganz beklommen leise sagte: „Ich glaube, wir müssen schneller gehen“, und er die Hand auf meinen Arm legte und bat: „Ach nein!“ und mich so – so – sonderbar dabei ansah … Und wie wir dann nachher, viel später, wieder in unseren Kähnen zurückfuhren und der Mond auf das Wasser schien, glänzend wie Silber und Gold und träumerisch wie das Glück – wie der Gesang dann vielstimmig über das Wasser hinhallte, so wie er nie bei Tage klingt, und ich nicht mitsang, sondern nur immer auf die eine schöne Stimme horchte, die mir so nahe war – wie eine warme Hand die meine faßte, und die beiden Hände dann ganz still und zutraulich so blieben, bis zuletzt … ach Gott, das klingt ja alles nach gar nichts, wenn ich es so hinschreibe, man muß es auch eigentlich gar nicht schreiben oder davon sprechen, wenn man nicht den Duft davon streifen will – aber ich weiß ganz gewiß, es war das Liebste und Süßeste, was ich bis dahin erlebt hatte.
Als ich an diesem Abend zu Bett ging, konnte ich lange, lange nicht einschlafen. Ich hatte den Vorhang vom Fenster zurückgeschlagen und konnte gerade zum Himmel emporsehen, von dem der Mond so ruhig, klar und schön herniederleuchtete und an dem die Millionen Sterne so feierlich strahlten. In meinem Herzen war es auch feierlich, als wenn etwas ganz Neues und Reines darin eingezogen wäre, und ich sagte mir leise, wie man sein Gebet sagt, daß ich nichts auf der Welt, kein Ding und keinen Menschen, so lieb hätte wie Franz Forst.
„Franz“, ich sagte es ein paarmal in Gedanken vor mich hin. „Franz“ – eigentlich fand ich den Namen nicht hübsch, seit ich die „Räuber“ gelesen hatte, aber wenn man ihn ganz leise und sanft sprach und sich ein Paar schöner brauner Augen dazu dachte, klang er doch merkwürdig gut.
„Franz – mein Franz“, ob ich das wohl einmal sagen würde, indessen mich ein kräftiger Arm fest, ganz fest umschlang und ich meinen Kopf ganz sicher und geborgen an ihn schmiegen durfte? Ich atmete tief auf. Ja doch, ja, es mußte ja so kommen! Er hatte mich ja auch lieb, ganz gewiß, nur gesagt hatte er mir’s noch nicht. Und das sollte er auch gar nicht. Gerade so hinleben und jeden Augenblick denken, nun könne es kommen, das köstliche Wort, gerade das war ja schön, – noch viele, viele Male so wie heute es fühlen, und doch nicht sagen – o Gott, was für eine schone Welt war es doch!
Aber endlich schlief ich doch wohl ein, denn ich glaube nicht, daß selbst die heißeste Liebe, wenn sie in einem zwanzigjährigen Herzen glüht, es fertig bringt, eine ganze lange Nacht über sich selbst nachzudenken. Ich schlummerte also doch ein und schlief, bis in den hellen Tag.
[172] Du hast wohl vergessen, daß wir heute Wäsche haben?“ sagte Mutter ein bißchen scharf, als ich am andern Morgen in die Eßstube trat. Ja, ich hatte es vergessen!
„Lene, meine französische Uebersetzung solltest Du doch noch mit mir durchnehmen,“ sagte Lolli, unsere Töchterschülerin. Richtig, ja, ich entsann mich nun. Jetzt war es zu spät!
„Wenn ich Dir aber das In-Ordnung-Halten meiner Handschuhe übertrage, so kümmere Dich auch gefälligst darum; hier fehlt wieder ein Knopf,“ bemerkte Vater verdrießlich. Ich nähte den Knopf, der, nur noch an einem Faden hängend, sein unsicheres Leben fristete, hastig und wahrscheinlich sehr mangelhaft fest und eilte dann hinaus, um die Waschfrau mit Frühstück zu versorgen. Sie machte bereits einen ganz überflüssigen Lärm in der Waschküche, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Ja, so war es nun, mein Schicksal – nicht einmal ein bißchen träumen durfte ich von meiner Liebe, immer stand Mutter oder sonst jemand bereit, mir die Prosa des Lebens wie einen Besen in die Hand zu drücken!
Nachmittags mußte ich Male helfen, die Wäsche aufhängen. Das mochte ich gar nicht gern, denn der Bleichplatz war nur durch einen Zaun von der Straße getrennt, und es kam immer jemand vorbei, wenn ich solche Arbeit verrichtete, die ich nach meiner leider ja unmaßgeblichen Meinung ungeeignet für eine Dame fand. Auch diesmal mußte es natürlich geschehen. Ein Schatten fiel über den Zaun, gerade auf das große weiße Laken, welches ich aufhing, und es war, als zwänge mich eine unsichtbare Gewalt, mich umzuwenden.
„Herr Doktor,“ stotterte ich, indem ich heiß errötend grüßte. Er zog den Hut sehr tief, und ich glaube, er hatte brennende Lust, stillzustehen und etwas zu sagen, aber er wurde bloß ebenso rot wie ich – wirklich wie ein junges Mädchen, und wie gut es ihm stand! – und ging sehr langsam weiter.
„Der arme Mensch!“ sagte Male mitleidig, ein Paar Strümpfe aufklammernd.
Ich fuhr ein bißchen plötzlich mit dem Kopf zu ihr herum. „Wieso?“
„Gott, Fräulein, ich glaube, Patschenten hat der nich! Immer liegt er auf die Straße. Wie manchmal der hier in die letzte Zeit vorbeigegangen is, da mag ich gar nich über sein zu zählen! Er weiß sein Zeit ja woll nich tot zu kriegen. Heute is er hier nu dreimal vorbeigestappt, – ümmer langsam, alleben, alleben! Wo lebt er von, Fräulein, wenn er so’n Berg Zeit hat?“
Ich schwieg. Die Wahrheit zu sagen, glaube ich jetzt selbst nicht, daß Doktor Forst damals schon eine nicht zu bewältigende Zahl von Patienten gehabt haben kann, denn er fand in der That Zeit für viele und oft wiederholte Spaziergänge in der Nähe unseres Hauses; aber es ist natürlich über jeden Zweifel erhaben, daß dies einzig und allein seinen Grund in dem gesunden Klima unseres Städtchens und der allen Krankheiten überhaupt abholden Sommerszeit hatte. Jetzt, das darf ich mit gutem Gewissen versichern, würde er die Zeit für Fensterpromenaden schwerlich auftreiben können. Doch das sei nur nebenbei gesagt. Mir klopfte jedenfalls damals das Herz vor Freude, als ich von ihnen hörte.
Ja, er hatte viel Zeit, und er faßte auf einmal eine ganz wunderbare Freundschaft für Vater, bei dem er täglich wenigstens einmal irgend eine Besorgung zu machen hatte. Bald war ein Buch oder eine Zeitung zu bringen, bald dergleichen zu holen oder eine Verabredung für den Klub zu treffen. Ich glaube nicht, daß er Vater gerade immer sehr gelegen kam, aber Vater ist gutmütig und ließ es ihn nie empfinden. Mitunter begegneten wir uns auf [174] dem Flur, mitunter im Garten, zuweilen natürlich auch gar nicht; denn der Zufall laßt sich nicht bevormunden, das hat er mit allen unzurechnungsfähigen Wesen gemein. Wenn man ihm allzu gefällig in die Hand arbeitet, wird er störrisch und ist für gar nichts mehr zu haben.
Das ging nun so, so lang’ es ging, und dann kam einmal ein großer Tag, an dem Mutter mich zum Bohnenpflücken in den hintersten Teil unseres Gartens geschickt hatte. Es war köstliches Sommerwetter. Mir scheint es jetzt überhaupt, als wäre das Wetter während jenes ganzen Sommers ideal schön gewesen. Ich pflückte ganz emsig und summte dabei, da in diesem weltentlegenen Winkel kein Mensch meinen leider etwas fragwürdigen Gesang vernehmen konnte, eines von den Liedern vor mich hin, die ich Franz immer so gern hatte singen hören. Ich fühlte mich sehr vergnügt. Die Sonne schien und die Vögel sangen, alles blühte und duftete um mich her, ich dachte an Franz, und mir war gerade so zu Mute, als müßte heute ein ganz besonderes Glück in der Luft liegen, wie man das ja manchmal meint, ohne daß man einen rechten Grund dafür angeben könnte.
„Immer so fleißig, Fräulein Lene?“ sagte da eine Stimme neben mir. Ich fuhr herum, rot bis an die Haare. Da stand der, an den ich eben noch gedacht hatte.
„Woher – o woher –?“ stammelte ich verwirrt. „Sind Sie aus der Erde gewachsen?“
„Nein,“ sagte er, ein bißchen verlegen lachend, „das nicht gerade. Ich sah Sie hier so emsig beschäftigt, und da fiel mir ein, daß der Garten an dieser Seite eine kleine Hinterpforte hat. Sie war zufällig offen, da bin ich ohne jede Hexerei auf ganz natürlichem Wege hereingekommen.“
„Aber warum sind Sie nicht durch die –,“ fing ich an, um dann wieder zu verstummen.
„Andere Pforte hereingekommen?“ vollendete er. „Ja, – ich fand diese für meinen Zweck bequemer. Liebes Fräulein Lene –“ er trat näher heran, „ich habe nun seit vierzehn Tagen so inständig gewünscht, Sie einmal ganz allein zu sprechen. Ich möchte Ihnen so gern etwas sagen. Ach bitte, bitte, lassen Sie nun die Bohnen sein! Solch hausfräuliches Thun steht Ihnen ja so reizend, aber lassen Sie es nun eine kleine Weile, bitte!“ Er faßte meine Hand und zog mich mit sanfter Gewalt, deren es übrigens kaum bedurfte, bis zu einer kleinen Bank, die ganz in der Nähe stand. Ich setzte meinen Bohnenkorb gehorsam auf die Erde und ließ meine Hand beklommen in der seinen. Ob es nun kam – ob es nun kam, das große Glück, nach dem mir heute so zu Mute gewesen war? Ob es nun kam? Wie mir das Herz schlug!
„Ich brauche es ja gewiß kaum mehr auszusprechen,“ sagte er leise, „ich glaube, Sie wissen es schon. Vom ersten Augenblick an haben Sie mir’s angethan, seit ich Sie zuerst sah, so anmutig und frisch in Ihrem Hauskleide, und dann nachher immer mehr, je öfter ich Sie sah, so haustöchterlich, so emsig, so bemüht für alle, dabei so klug, so lieb und hold. So, gerade so habe ich mir immer das Mädchen gedacht, das mir einmal das liebste von allen sein müßte und mit dem allein ich glücklich sein könnte! – Ich habe, ehe ich hierher kam, so viele Gelegenheit gehabt, emancipierte, schriftstellernde und verschrobene Frauen kennenzulernen, Blaustrümpfe, die sich zu gut dünkten, die kleinen Pflichten des Alltagslebens auf sich zu nehmen, mit Tintenflecken an den Fingern und allerlei halbverstandener Gelehrsamkeit in den Köpfen, daß Sie mir in Ihrer frischen Natürlichkeit und mit Ihrem häuslichen Sinn doppelt reizend erschienen. Und ehe ich mich dessen versah, habe ich Sie nun so lieb, daß ich nicht mehr anders kann, ich muß es Ihnen sagen! Liebe Lene, – liebe, süße Lene, wollen Sie meine –“
„Lene, wo bist Du?“
Es war, als ob es uns jemand ins Ohr geschrieen hätte, so nahe klang es. Ich fuhr zusammen, als wäre ich auf einem Verbrechen ertappt, und Franz ließ hastig meine Hand los.
„Lene!“ rief es zum zweitenmal. Das war Peter Laß – mit solchen Stimmmitteln war unter all meinen mit sehr gesunden Lungen begabten Geschwistern nur er versehen.
„Der dumme Junge,“ sagte Franz ärgerlich und war mit einem sehr unpoetischen Sprung hinter der nächsten hohen Wand von Bohnen verschwunden. Wäre mir nicht so schrecklich verdutzt und zugleich feierlich-glücklich-beschämt zu Mute gewesen, ich hätte hell auflachen müssen. Mit einer Geistesgegenwart, die Anerkennung verdiente, da ich doch noch nie in ähnlicher Lage mich befunden hatte, griff ich flink zu meinem Bohnenkorbe, duckte mich auf die Erde und pflückte im nächsten Augenblicke, meine glühenden Wangen möglichst im Laubwerk versteckend, mit einem Eifer, als gälte es mein Leben.
Da erschien auch schon Peter Laß in höchsteigener Person. „Da ist ein Paket für Dich angekommen,“ krähte er wichtig, „ein großes, dickes. In grauem Papier ist es gewesen.“
„Ein Paket?“ sagte ich, ein Interesse heuchelnd, welches mir ganz fern lag. „Wo ist es denn?“
„Mutter hat es. Sechzig Pfennig hat es gekostet, und der Postbote sagt, auf der Post wollten sie es nicht länger haben, es hätte da schon so lange herumgelegen, da hätten sie es mal offen gemacht, um zu sehen, wem es gehörte, und Dein Name stände darin. Und Mutter hat es ausgepackt, und da war ein ganzer Berg Papier drin, und Mutter, die wurde ordentlich böse, als der Postbote weg war, und sagte –“
„Papier?“ sagte ich verwirrt. Und dann entfiel der Bohnenkorb meiner Hand und ich wurde blaß. Seit Wochen gedachte ich zum erstenmal wieder meines Romans. Mir wurde alles klar. Er war zurückgeschickt, hatte vielleicht wochenlang auf der Post gelegen, ohne daß ich daran dachte, ihn abzuholen, und nun wurde er mir in diesem – diesem unpassenden Augenblick, in dieser schmerzlichen Art in das Haus gebracht!
„Sieh, da kommt Mutter,“ sagte Peter Laß triumphierend, „und das Paket hat sie auch. Du, Lene, was soll all das geschriebene Papier? Was willst Du damit?“
Hinter der Bohnenwand nahebei raschelte es leise. Mir sank das Herz. Was hatte doch der da hinter den Bohnen, zu dem jedes Wort, das gesprochen wurde, mit boshafter Deutlichkeit dringen mußte, vorhin von schriftstellernden und emancipierten Frauen gesagt? O! – Wenn er doch nur weggehen wollte, ehe Mutter kam, tausendmal lieber wollte ich ihm ja selbst alles erklären! Wie ich in diesem Augenblick meinen mit so großer Wonne geschriebenen und mit so unendlichem Stolz abgeschickten Roman haßte, kann ich gar nicht sagen.
Mutter kam inzwischen eilenden Schrittes den schmalen Gartensteig entlang auf mich zu, das dicke, graue, bereits geöffnete Paket in der Hand. Und wieder raschelte es leise in den Bohnen.
„Es ist eine Postsendung für Dich abgegeben worden,“ sagte Mutter, sobald sie mir nahe genug war, ruhiger und kühler, als ich erwartet hatte. „Du kannst gehen, Max, wir brauchen Dich hier nicht. Ich habe mir erlaubt, sie zu öffnen, da ich mir nicht denken konnte, daß sie wirklich für Dich wäre. Du wirst es schon entschuldigen müssen!“
Ich schwieg.
„Ich sehe zu meinem unbegrenzten Erstaunen, daß es ein – ein – das Manuskript eines Romanes enthält!“ Es ist unmöglich, sich vorzustellen, welchen verächtlichen Nachdruck Mutter auf das Wort „Roman“ legte. „Stammt das wirklich, ich kann es nicht glauben – aus Deiner Feder, Lene?“
Ich sagte nichts, es wurde ungemütlich still.
„Wenn Du den Kopf voll solcher Narretei hast,“ sagte Mutter dann kühl, „wundert es mich allerdings nicht mehr, daß Du im Hause seit Monaten zu nichts Ordentlichem zu gebrauchen gewesen bist. Nicht, als wärst Du mir jemals eine Hilfe gewesen, aber jetzt verstehe ich, warum es neuerdings so ganz arg mit Dir ist! Du hättest besser gethan, mein Kind, Deine kleinen, wahrlich nicht zu schweren Pflichten gegen Eltern und Geschwister zu erfüllen, anstatt in Deinem Alter, in welchem man weder von Welt noch Menschen etwas versteht, schriftstellern zu wollen. Aber da wurde zu jeder kleinen Arbeit, die man der Prinzessin zumutete, ein unfreundliches Gesicht gemacht, als wäre so etwas unter ihrer Würde. Da konnte die Mutter allein fast alle Arbeit thun, damit das Töchterchen talentloses, konfuses Zeug zusammenschreiben mochte.“
„Aber Mutter,“ sagte ich mit einem leisen Schimmer wiedererwachenden Stolzes, „das kannst Du doch nicht so ohne weiteres wissen, Du hast den – den Roman doch gar nicht gelesen!“
„Nein, gottlob nicht. Aber den Brief, den Dir der Redakteur dazu schreibt, den habe ich gelesen. Ein sehr verständiger Brief! Da – stecke ihn Dir an den Spiegel, mein Kind, und lies ihn jeden Tag dreimal. Ich denke, das wird Dir gesund sein. Und nun mache einmal ein bißchen geschwind mit den Bohnen, sie werden sonst nimmermehr gar bis heute mittag!“
Damit legte Mutter das abscheuliche Paket auf die Bank, [175] den Brief, dessen Lektüre sie mir so freundlich empfahl, oben darauf und ging eilig in das Haus zurück.
Nein, es fiel mir nicht ein, „ein bißchen geschwind mit den Bohnen zu machen“ – durchaus nicht. Ich sank ganz vernichtet auf die Bank und schlug die Hände vor das Gesicht.
Ich weinte nicht, aber mir war ganz trostlos ums Herz.
Nachdem Franz dies alles mit angehört hatte, konnte er mich nicht mehr lieb haben, das wußte ich. Das, was ihm an mir gefallen hatte, mußte ihm nun erscheinen wie eine Komödie, die ich ihm vorgespielt hatte – es war aus zwischen uns!
Ein Windhauch trieb mir das unglückliche Briefblatt gerade auf den Schoß. Mechanisch griff ich danach und las es. Ich glaube nicht, daß ich verstand, was es enthielt, meine Augen glitten nur darüber hin, aber ich habe das Blatt aufbewahrt und weiß deshalb, was darauf stand. Es war nicht einmal so arg, wie Mutter gemeint hatte, sie mußte wohl hastig gelesen haben; aber schmeichelhaft war der Brief allerdings nicht gerade.
„Sehr geehrtes Fräulein! Leider müssen wir das beifolgende Manuskript unbenutzt wieder in Ihre Hände zurücklegen, da es in den Rahmen unseres Blattes durchaus nicht paßt. Sie bitten uns um unser Urteil über die Arbeit, und obschon wir ein solches infolge unangenehmer Erfahrungen nur sehr ungern abgeben, wollen wir doch diesmal eine Ausnahme machen. Ihnen ein Talent zur Schriftstellerei ganz absprechen zu wollen, wäre zu weit gegangen, doch fehlt es Ihnen bis jetzt noch durchaus an Lebenserfahrung, Korrektheit des Stils und der Fähigkeit, die Personen aus sich selbst heraus handeln zu lassen, ganz abgesehen von derjenigen, eine so verwickelte Handlung übersichtlich anzuordnen. Jedoch Sie sind offenbar noch sehr jung. Wenn Sie nach zehn oder zwölf Jahren, nachdem Sie das Leben kennengelernt und recht viel Gutes mit Verstand gelesen haben, uns wieder einmal eine kleine Arbeit, jedoch von sehr viel geringerem Umfange als die vorliegende, zur Prüfung einsenden wollen, so ist die Möglichkeit nicht ganz ausgeschlossen, daß sich dieselbe dann als druckreif erweist. Inzwischen zeichnen wir – etc.“
Ich las darüber hin, ohne es zu verstehen, aber meine Thränen lösten sich nun und fielen auf das Blatt, die Schrift befleckend und verwischend. Nicht um den so grausam vernünftigen Brief weinte ich; der war mir in dem Augenblick ganz gleichgültig, nein, nur um das eine Wort, das auf des Doktors Lippen geschwebt hatte und das er nun nie aussprechen würde, das wußte ich. Ich war ja nicht das, was er sich unter mir vorgestellt hatte – durchaus nicht!
Wo war er nur? Ob er so fortgegangen war, selbst ohne Gruß, nachdem Mutter sich entfernt hatte? Nein – da kam er langsam den schmalen Steig entlang, der durch die Bohnen führte, auf mich zu. Nachher erst, viel später, fiel es mir ein, wie blaß er ausgesehen hatte. Er zog den Hut.
„Ich habe um Entschuldigung zu bitten, Fräulein Peters, daß ich hier wider Willen den Lauscher spielen mußte“, sagte er, an mir vorbeisehend, „auch wegen meines unbefugten Urteils vorhin über die schriftstellernden Damen. Es konnte mir unmöglich einfallen, daß ich Sie damit träfe.“ Es kam sonderbar und unnatürlich heraus, gar nicht so, wie Franz sonst zu sprechen pflegte.
Ich schlug einen Augenblick die Augen zu ihm auf. „Bitte, bitte,“ sagte ich leise, mit zitternden Lippen, „sprechen Sie nicht so zu mir, – sprechen Sie jetzt gar nicht zu mir, – gehen Sie weg. – Ich – ich wollte Sie nicht belügen! Ich hätte Ihnen auch von selbst alles gesagt, – daß ich ganz, ganz anders bin als Sie sich eingebildet haben, – daß ich immer nur daran gedacht habe, berühmt zu werden, – nun haben Sie es auf diese Weise – o bitte, bitte, gehen Sie weg!“
Sah er denn meinen Jammer nicht? Verstand er nicht, wie ich es meinte? Daß mein „Gehen Sie weg“ im tiefsten Herzensgrund doch nur hieß „Bleibe! bleibe! bleibe!“ – Es schien nicht so. Wie schwer von Begriff doch Männer manchmal sind!
„Wenn Sie das so dringend wünschen, kann ich ja nicht anders als Ihrem Wunsche nachkommen,“ sagte er steif. „Sie sind jetzt wohl auch zu sehr hingenommen von Ihren eigenen Angelegenheiten, um den meinigen Aufmerksamkeit schenken zu mögen. Es scheint, daß wir beide eine Enttäuschung erfahren haben. So wünsche ich Ihnen denn, Fräulein Peters, daß Sie den so schmerzlich ersehnten Ruhm einst erlangen. Mögen Sie dann nie finden, daß er zu teuer erkauft ist!“
Ich denke mir, daß er nun ging, wenigstens war er, als ich eine Weile später die Hände vom Gesicht nahm, fort und ich saß allein da mit meinem Manuskript, meinen Bohnen und meinen Thränen.
Nun war mein Traum ausgeträumt, mein schöner, holder Traum – oder vielmehr beide Träume, der vom Ruhm und der von der Liebe! Aber mir lag nur an dem einen. Ich wußte nun, wenn ich auch die größte Schriftstellerin der Welt hätte werden können, was ich ja ohnehin keineswegs konnte, ich würde solches Glück freudig hingegeben haben für meines Doktors Liebe! Mein Talent mußte wirklich nicht gerade überwältigend groß sein, denn es pochte gar nicht mehr auf sein Recht, sondern verkroch sich wie ein gescholtenes Kind in einen Winkel. Mochte es da bleiben – mir war es nur recht! Ach, wenn doch nur Franz geblieben wäre, mich nach dem allen auch nur gefragt hätte, vielleicht wäre doch noch alles gut geworden! Aber er war fort, ich selbst hatte es so gewollt, und er dachte nun in Zukunft immer an mich als an ein unwahres, eingebildetes Ding, das sich ihm aus Koketterie oder sonst irgend einem gräßlichen Grunde ganz anders gezeigt hatte als es in Wirklichkeit war. Das verzeiht ein so ehrlicher Mensch nicht, das fühlte ich. Und doch hatte ich nie heucheln wollen; ich mochte sonst sein wie ich wollte, eine Lügnerin war ich nie gewesen! Aber ich empfand mit schmerzlicher Bitterkeit, daß ich ihm so erscheinen mußte.
Den unglücklichen Roman, der mir so teuer zu stehen gekommen war, verbrannte ich am Nachmittage, als niemand in der Küche war, auf dem Herd bis auf das letzte Blatt. Vater klagte über den „unausstehlichen Brandgeruch“ im Hause und Male über die viele Papierasche, die sie nachher vorfand, aber Mutter sagte nichts, und mir hatte es förmlich wohlgethan, die Blätter in Brand und Rauch aufgehen zu sehen. Daß ich mein Manuskript noch irgend einer anderen Zeitschrift hätte anbieten können, kam mir gar nicht in den Sinn; daß ich überhaupt nach den heutigen Erfahrungen jemals wieder darauf verfallen könnte, berühmt werden zu wollen, schien mir undenkbar. Der Weg zu den Ruhmesrosen ging gar zu sehr durch Dornen. Von allem, was mein unglückliches Paket enthalten hatte, hob ich nur den Brief des klugen Redakteurs zum schmerzlichen Andenken an diesen verhängnisvollen Tag auf.
Vierzehn Tage lang wunderte sich Vater, daß ihm „sein Doktor“ auf einmal so abhanden gekommen sei – denn Franz mied unser Haus jetzt ebenso beharrlich, wie er es früher aufgesucht hatte. Dann fragte er ihn einmal im Klub nach dem Grunde seines Ausbleibens, erhielt die Antwort, es mangle dem Doktor an Zeit, und beruhigte sich bald über die Sache.
Wohl vier Wochen schüttelten alle Bekannten den Kopf darüber, daß der sonst allezeit fröhliche junge Arzt auf einmal so ernst und still geworden war und so viel zu Hause arbeiten mußte, so daß er fast jede Einladung ablehnte. Da er aber blieb, wie er so plötzlich geworden war, nahm man an, daß nichts dagegen zu machen und auch nichts darüber zu erfahren sei, beschloß großmütig, ihn so zu verbrauchen, und ging zur Tagesordnung über.
Viel länger als ein Vierteljahr staunte meine gesamte Familie mit Mutter an der Spitze über den plötzlichen Wechsel, der mit mir vorgegangen war. So wie jetzt war ich noch nie gewesen! Mir war so viel auf einmal weggenommen, daß ich eine große Leere in mir und um mich fühlte und krampfhaft nach dem Ersten und glücklicherweise auch Besten griff, um sie auszufüllen: zur Pflicht. Die Eltern hatten nicht mehr über Nachlässigkeit, die Geschwister nicht mehr über Unfreundlichkeit zu klagen. Wenn ich nicht berühmt und nicht geliebt sein konnte, so wollte ich wenigstens gut und tüchtig werden, so wie „er“ gemeint hatte, daß ich es schon wäre.
Zuerst sah Mutter die Geschichte mit einigem Argwohn an. Mein Pflichteifer war zu plötzlich erwacht, als daß es ihr ganz geheuer damit hätte scheinen können. Aber der Herbst kam und ich hielt mich – ein wenig still und blaß zwar, aber doch ganz tapfer – auch weiter auf dem eingeschlagenen Wege. Der Winter war da, und ich fing an, Mutter nicht bloß dem Namen nach eine Stütze zu werden. Es wurde Frühling, und ich war mit wirklichem Interesse, wenn auch natürlich immer mit gebrochenem Herzen, beim Reinmachen und wurde von Mutter Tante Jule gegenüber mit ehrlichem Lobe und mütterlichem Stolz für „ihre rechte Hand“ erklärt. Es freute mich natürlich. Ich freute mich jetzt überhaupt viel mehr als früher, wenn Mutter mich einmal lobte; aber so recht fröhlich wurde ich bei alledem doch nicht. Es konnte jetzt sogar geschehen, daß Mutter gelegentlich sagte: „Wenn Du mal heiraten solltest, Lene, mußt Du es Dir so und so einrichten.“ Dann schüttelte ich leise den Kopf. Ich wußte nur Einen, dessen [176] Frau ich hätte werden mögen, ja, von dem ein einziges freundliches Wort mir Jahre meines Lebens wert gewesen wäre – aber für ihn war ich nicht die Rechte gewesen. Das war vorbei!
Wir sahen uns natürlich zuweilen, das Städtchen war ja zu klein, als daß wir ganz aneinander hätten vorübergehen können, und ich horchte auf jedes Wort, das ich irgendwo über ihn hörte. Er gewann schnell einen großen Patientenkreis und Kranke und Gesunde waren seines Lobes voll. Alles an ihm war so echt: die Tüchtigkeit, die Teilnahme und alles. Natürlich sprachen wir auch miteinander, wenn es sich gar nicht vermeiden ließ; aber nur wie zwei Menschen miteinander sprechen, die sich oberflächlich kennen und eine nähere Bekanntschaft nicht wünschen. Ich kann nicht behaupten, daß ich mich hinterher jemals sehr beglückt gefühlt hätte.
Am ersten Pfingsttage war großes sogenanntes Familiendiner bei Tante Jule. Das war alljährlich so, Tante Jule ließ sich das nicht nehmen, das heißt, eigentlich war es kein ganz echtes Familiendiner, sondern es wurden allerlei Menschen zusammen eingeladen, die sich gegenseitig duzten, beonkelten und betanteten, ohne in Wirklichkeit miteinander verwandt zu sein.
„Ich habe diesmal ein paar Fremde mit eingeladen, Kinder, nehmt’s nicht übel,“ flüsterte uns Tante Jule zu, als wir eintrafen, „ein paar verlorene Junggesellen, die ich doch einmal haben mußte, Es ist gutes Volk, ich hoffe, sie werden nicht stören. Ihr seid die Letzten, wir können gleich zu Tisch gehen. Du gehst mit Doktor Forst, Lene – habe ich Dir nicht etwas Nettes ausgesucht?“
„Mit wem?“ fragte ich, erschrocken zurückfahrend.
Tante Jule lachte. „Er beißt nicht, Kind. Hast Du was gegen ihn, daß Du solch ein Gesicht machst? Dann mußt Du Dich an Deinen Nachbar zur Rechten halten, ändern läßt es sich nun nicht gut mehr. Also – darf ich bitten, meine Herrschaften?“
Stumm legte ich meinen Arm in den des Doktors, den er mir schweigend bot. Still und ernsthaft saßen wir bei Tische nebeneinander. Wenn er sprechen wollte, so wandte er sich an seine linke Nachbarin; wenn ich glaubte, mich anstandshalber unterhalten zu müssen, so redete ich meinen Nachbar zur Rechten an. Wenn alle Gläser aneinander klangen – die unsrigen begegneten sich nicht, und nur einmal, ein einziges Mal, als Onkel Gerichtsrat den Toast auf „was wir lieben“ ausbrachte, den er sich nie entgehen ließ, fühlte ich, daß mich meines Tischherrn Blick verstohlen traf. Ich wurde heiß und rot, und das Glas zitterte mir in der Hand, aber stumm und steif saßen wir nebeneinander wie zuvor. Jedoch mochte es in dem allgemeinen lebhaften Gespräch nicht sehr auffallen, wenigstens sagte niemand etwas darüber.
O, was für ein langes, langes Mittagessen es war! Und doch, daß ich’s nur gestehe, ein Tröpfchen Seligkeit lag dennoch darin, nur neben ihm zu sitzen, seine Nähe zu fühlen – schmerzliche Seligkeit!
Und nun endlich waren sie alle satt. Zeit genug hatten sie dazu gebraucht!
„Große Promenade durch den Garten, jeder Herr führt seine Dame!“ kommandierte Onkel Gerichtsrat, der sich nie wohler fühlte, als wenn er den Festordner machen konnte.
Und so geschah es. Die Alten voran, die Jungen hinterher, so stiegen alle hinab in langem Zuge in den frischen, frühlingslachenden Garten, der im Schmuck von Goldregen, Syringen und Rotdorn wie ein kleines Feenland aussah.
Wir beide hatten einen Augenblick gezögert, ehe wir uns noch einmal wieder zusammenfügten; so kam es, daß wir die Letzten waren.
„Ich glaube – wir können es uns ersparen,“ sagte ich schnell atmend, „der Zug ist so lang, es bemerkt niemand, wenn wir fehlen.“ Und ich versuchte, meinen Arm aus dem seinigen zu ziehen.
„Ist es Ihnen so schrecklich, neben mir zu gehen?“ fragte er sanft. Es klang ganz traurig. Wie – konnte er noch so zu mir sprechen?
„Ja!“ und auf einmal rollten mir, ich wußte selbst nicht, wie es zuging, zwei große Thränen über die Wangen. Ich glaube, sie hatten mir während all der letzten Stunden in den Augen gestanden und nur auf den passenden Augenblick gewartet, um hervorzubrechen.
Das große Eßzimmer war leer, sie waren schon alle unten im Garten. Hastig machte ich meinen Arm frei, lief ins Nebenzimmer, warf mich in einen Lehnsessel und weinte zum Herzbrechen.
Aber schon kniete der, dem ich entfliehen wollte, neben mir und suchte mir die Hände vom Gesicht zu ziehen. „Lene, Lene, ums Himmelswillen, weinen Sie nicht! Seien Sie mir wieder gut! So kann es ja doch nicht zwischen uns bleiben, wir können es ja beide nicht aushalten. Ich bin ja ein Thor gewesen damals, als ich meinte, ohne Sie fertig werden zu können, verzeihen Sie mir! Dieses ganze Jahr bin ich meines Lebens nicht froh geworden. Ich habe Sie lieb, Lene – ich mag nicht sein ohne Sie! Endlich muß ich es Ihnen einmal sagen; dieses ganze Jahr habe ich es nicht gewagt, ich hatte Sie zu tief gekränkt. Schreiben Sie Romane so viel Sie wollen, wenn Sie es nun einmal nicht lassen können – nur habe mich lieb, Lene, und werde meine Frau!“
Ich denke mir gewiß, er hat noch mehr gesagt, aber ich entsinne mich dessen nicht genau. Für mich ging alles unter in einem großen, großen Glücksgefühl.
„Komm,“ sagte er weich, mich an sich ziehend und mir über das Haar streichend, „wir wollen uns lieb haben so wie wir sind, auch Geduld miteinander haben, wenn es einmal sein muß – nur uns niemals wieder erzürnen, nicht wahr?“
„Niemals! O, es war zu schrecklich!“ und ich schauderte noch in der Erinnerung, so daß er mir einen beruhigenden Kuß geben mußte.
„Und wenn meine kleine Frau denn durchaus ein Blaustrumpf sein muß – wenn es gar nicht anders geht – mir soll sogar das recht sein, wenn ich Dich nur habe, Lene!“
„Nein,“ sagte ich lachend und errötend, „auf eine berühmte Frau mußt Du verzichten, Romane schreibe ich nicht wieder – mein Lebtag nicht!“
„Nicht?“ beinahe klang es enttäuscht. Der Gute, Liebe: er war bereit, ein Opfer zu bringen, und nun verlangte ich’s gar nicht!
„Und,“ sagte ich ein bißchen verlegen, an seinem Rockknopf drehend, „ich glaube – ich bin nun wirklich – in allem Ernst ein bißchen so geworden, wie Du damals dachtest, daß ich wäre. Ich habe mir so viel Mühe gegeben. Damals täuschtest Du Dich selbst, ich habe nicht daran gedacht, es zu thun, ganz gewiß nicht.“
„Aber das habe ich doch nicht –“
„Doch, doch, damals glaubtest Du es.“
Er schwieg einen Augenblick. „Wenn ich das wirklich einmal eine kurze Weile that – nein, komm, wir wollen von etwas anderm sprechen!“
„Ja gerne, aber Du hörst nicht auf das, was ich sage. Ich bin nun wirklich ein furchtbarer Scheuerbesen geworden. Wenn Dir’s nur nicht zu arg wird mit meiner Wirtschaftlichkeit.“
„Du bist ein –“
„Ja.“
„Oh! – aber was fange ich denn nun an mit all meinem Edelmut?“
„Ja, das kann ich unmöglich wissen,“ sagte ich und zuckte mit den Schultern, „ich habe keine Verwendung dafür.“
Worauf wir beide glücklich lachten wie ein paar Kinder – und dann kamen leider die anderen, alle die alten, langweiligen Onkel und Tanten, und das Schönste war vorbei.
Nein, nein, es ist nicht wahr! Das Schönste kam erst, damals, als wir Hand in Hand in unser gemeinsames Heim traten – und dann nachher, als unser Aeltester getauft wurde; und manchmal jetzt, wo wir nach zehn Jahren so fröhlich und ruhig miteinander hinleben und eins das andere versteht ohne viel Worte, da meine ich gar, das Allerschönste und Beste sei nun erst gekommen.
Ein rechter, echter Scheuerbesen bin ich zwar trotz allem nicht geworden. Es liegt nicht in mir. Aber Franz ist nicht anspruchsvoll, er nimmt auch so fürlieb mit mir. Er hält es sogar für angenehmer, daß „alle Tage Sonntag bei uns ist“, als wenn immer Sonnabend wäre. Das ist natürlich Geschmackssache.
Mein bißchen Hauspoesie hat er sich immer gutwillig gefallen lassen, nachdem ich erst einmal gewagt hatte, schüchtern damit vor sein Richterauge zu treten. Sie hat ihm nie eine Suppe versalzen oder einen Braten verbrannt, sie geht auch nicht mit aufgelösten, wallenden Haaren einher, sondern im schlichten Gewand. Ich habe nun erkannt, daß sie das ganz gern thut.
Heute begehen wir unseren zehnjährigen Hochzeitstag.
Vor meinem Platz am Frühstückstisch prangt, wie alljährlich an diesem Tage, ein herrlicher Rosenstrauß, und ich küsse dafür den guten Mann, der nie vergißt, mich zu erfreuen.
„Noch viele, viele Jahre so miteinander, Lene, nicht wahr? Erst noch bergan und dann bergab Hand in Hand,“ sagt er und nickt mir zu. Ich nicke auch, erst ihm zu und dann noch leise vor mich hin, und sage dann nicht mehr viel, bis unsere beiden Großen sich auf den Schulweg gemacht haben und das Kleine in den Kindergarten gebracht ist.
[178] Dann rieche ich ein wenig an meinen Rosen, lege meine Hand auf meines Mannes Rockärmel und sage ein bißchen zaghaft: „Du – Franz!“
„Nun?“
„Ich habe noch eine Kleinigkeit für Dich gearbeitet, eine kleine Ueberraschung – aber ich weiß nicht recht, ob Du Dich darüber freuen wirst. – Du bist doch glücklich gewesen diese zehn Jahre lang, Franz, wie?“
„Na, es geht so an,“ sagt er gnädig, aber seine lieben Augen sagen mehr.
„Und dieses letzte Jahr – Du hast nicht etwa etwas entbehrt im Hause – hast es nicht ungemütlich oder unordentlich gefunden – oder das Essen schlecht – oder – oder – die Kinder und mich schmutzig und verwahrlost – oder –“
„Nein,“ sagt er und macht sehr verwunderte Augen.
„Und Deine Knöpfe waren immer ordentlich angenäht?“ forsche ich weiter.
„Na,“ sagt er lachend, „das weiß ich nun nicht; es schwebt mir vor, als ob vor einigen Monaten einmal ein Handschuhknopf etwas lose gewesen wäre.“
„Und Du hast keine Tintenflecke an meinen Fingern bemerkt?“
„Nein, ich glaube auch nicht, daß Du Gift in die Suppe gethan hast. Wünschest Du sonst noch etwas zu wissen?“
„Nein, und nun sollst Du Dein Geschenk haben.“
Mit einer gewissen Feierlichkeit stehe ich auf, gehe an meinen Schreibtisch, entnehme demselben ein in Seidenpapier gehülltes Päckchen und lege es vor meinen Herrn und Gebieter hin. Er löst neugierig die Hülle und ein schlicht gebundenes Büchlein liegt in seiner Hand. Hin und her dreht er es. Er schenkt mir zu meiner Freude oft Bücher, aber ich habe sonst nicht die Gewohnheit, ihm ein gleiches zu thun.
„Willst Du das Titelblatt nicht ansehen?“ schlage ich vor.
Er thut es. „Aus der meerumschlungenen Heimat – Erzählungen von Lena Wald – ach so, das kleine Buch, welches in verschiedenen Zeitungen so günstig besprochen wurde. Da haben wir ja abends etwas zum Vorlesen.“
„Ich kenne es schon,“ sage ich, rot werdend und mir an seinem Rockkragen etwas zu schaffen machend.
„Natürlich, ein neues Buch ungelesen im Schrank zu lassen, das brächtest Du nicht acht Tage lang fertig,“ lacht Franz. Merkt er denn gar nichts? Männer sind ja im allgemeinen gewiß klüger als wir Frauen, wenigstens behaupten sie es ja selbst, aber manchmal sind sie doch sicherlich unglaublich dumm!
„Lena Wald, – kommt Dir der Name gar nicht ein bißchen bekannt vor, Franz?“
„Nein, wieso?“
Mir bleibt nichts anderes übrig, ich muß es gerade heraus sagen, denn gesagt muß es ja doch sein.
„Franz,“ sage ich und zupfe ihm ein wenig nervös die Krawatte zurecht, „bitte, werde nicht ärgerlich, besinne Dich im voraus schnell auf ein paar freundliche Worte – vielleicht war es nicht recht von mir – aber die Geschichtchen habe ich geschrieben.“
„Was, Du?“ Er legt das Buch schnell auf den Tisch, als hätte er sich daran verbrannt, „aber das ist ja –“
„So nach und nach im Laufe des letzten Jahres,“ sage ich schnell. „Seit Du darauf bestehst, mir so viel Bedienung zu halten, die Kinder alle in die Schule gehen und sich Deine Sprechstunde nachmittags so lange hinzieht, habe ich manche freie Stunde. Da kam mir die Lust zum Fabulieren wieder, sieh, es steckt nun einmal in mir und ich konnt’ es nicht lassen. – Franz, Liebster, Du sagtest vorhin selbst, Du hättest nichts entbehrt das ganze Jahr?“
Ja, nun muß ich zugeben, auch Frauen sind manchmal dumm. Wie konnten mir sonst wohl Thränen in die Augen kommen?
Da bückt er sich schnell zu mir hin und sieht mir in die feuchten Augen. „Nun bin ich zehn Jahre lang stolz auf meine kleine Frau gewesen,“ sagt er lächelnd, „wenn sie nun auch gar noch unter die berühmten Leute gehen will, werde ich mich dem Hochmutsteufel ja wohl ganz in die Arme werfen!“
„Ach nein, Du,“ rufe ich lachend und unbeschreiblich erleichtert die Arme ausbreitend, „das übereile nur lieber nicht. Vorläufig wirf Dich nur lieber in meine Arme. Ich fürchte, mit dem Berühmtwerden hat es trotz dem Buch noch gute, gute Weile!“