Marienbader Elegie
[24]
Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt,
Gab mir ein Gott zu sagen was ich leide.
Was soll ich nun vom Wiedersehen hoffen,
Von dieses Tages noch geschloss’ner Blüthe?
Das Paradies, die Hölle steht dir offen;
Wie wankelsinnig regt sich’s im Gemüthe! –
Zu Ihren Armen hebt sie dich empor.
So warst du denn im Paradies empfangen
Als wärst du werth des ewig schönen Lebens;
Dir blieb kein Wunsch, kein Hoffen, kein Verlangen,
Und in dem Anschaun dieses einzig Schönen
Versiegte gleich der Quell sehnsüchtiger Thränen.
Wie regte nicht der Tag die raschen Flügel,
Schien die Minuten vor sich her zu treiben!
So wird es auch der nächsten Sonne bleiben.
Die Stunden glichen sich in zartem Wandern
Wie Schwestern zwar, doch keine ganz den andern.
Der Kuß der letzte, grausam süß, zerschneidend
Nun eilt, nun stockt der Fuß die Schwelle meidend,
Als trieb ein Cherub flammend ihn von hinnen;
Das Auge starrt auf düstrem Pfad verdrossen,
Es blickt zurück, die Pforte steht verschlossen.
Dieß Herz sich nie geöffnet, selige Stunden
Mit jedem Stern des Himmels um die Wette
An ihrer Seite leuchtend nicht empfunden;
Und Mißmuth, Reue, Vorwurf, Sorgenschwere
Ist denn die Welt nicht übrig? Felsenwände
Sind sie nicht mehr gekrönt von heiligen Schatten?
Die Erndte reift sie nicht? Ein grün Gelände
Zieht sich’s nicht hin am Fluß durch Busch und Matten?
Gestaltenreiche, bald gestaltenlose?
Wie leicht und zierlich, klar und zart gewoben,
Schwebt, Seraph gleich, aus ernster Wolken Chor,
Als glich es ihr, am blauen Aether droben,
So sahst du sie in frohem Tanze walten
Die Lieblichste der lieblichsten Gestalten.
Doch nur Momente darfst dich unterwinden
Ein Luftgebild statt ihrer fest zu halten;
Dort regt sie sich in wechselnden Gestalten;
Zu Vielen bildet Eine sich hinüber,
So tausendfach, und immer immer lieber.
Wie zum Empfang sie an den Pforten weilte
Selbst nach dem letzten Kuß mich noch ereilte,
Den letztesten mir auf die Lippen drückte:
So klar beweglich bleibt das Bild der Lieben,
Mit Flammenschrift in’s treue Herz geschrieben.
Sich ihr bewahrt und sie in sich bewahret,
Für sie sich freut an seiner eignen Dauer,
Nur weiß von sich, wenn sie sich offenbaret,
Sich freier fühlt in so geliebten Schranken
War Fähigkeit zu lieben, war Bedürfen
Von Gegenliebe weggelöscht, verschwunden;
Ist Hoffnungslust zu freudigen Entwürfen,
Entschlüssen, rascher That sogleich gefunden!
Ward es an mir auf’s lieblichste geleistet;
Und zwar durch sie! – Wie lag ein innres Bangen
Auf Geist und Körper, unwillkommner Schwere:
Von Schauerbildern rings der Blick umfangen
Nun dämmert Hoffnung von bekannter Schwelle,
Sie selbst erscheint in milder Sonnenhelle.
Dem Frieden Gottes, welcher euch hienieden
Mehr als Vernunft beseliget – wir lesen’s –
In Gegenwart des allgeliebten Wesens;
Da ruht das Herz und nichts vermag zu stören
Den tiefsten Sinn, den Sinn ihr zu gehören.
In unsers Busens Reine wogt ein Streben,
Aus Dankbarkeit freiwillig hinzugeben,
Enträthselnd sich den ewig Ungenannten;
Wir heißen’s: fromm seyn! – Solcher seligen Höhe
Fühl’ ich mich theilhaft, wenn ich vor ihr stehe.
Vor ihrem Athem, wie vor Frühlingslüften,
Zerschmilzt, so längst sich eisig starr gehalten,
Der Selbstsinn tief in winterlichen Grüften;
Kein Eigennutz, kein Eigenwille dauert,
Es ist als wenn sie sagte: „Stund um Stunde
Wird uns das Leben freundlich dargeboten,
Das Gestrige ließ uns geringe Kunde,
Das Morgende, zu wissen ist’s verboten;
Die Sonne sank und sah noch was mich freute.
Drum thu’ wie ich und schaue, froh verständig,
Dem Augenblick in’s Auge! Kein Verschieben!
Begegn’ ihm schnell, wohlwollend wie lebendig,
Nur wo du bist sey alles, immer kindlich,
So bist du alles, bist unüberwindlich.“
Du hast gut reden, dacht’ ich, zum Geleite
Gab dir ein Gott die Gunst des Augenblickes,
Sich Augenblicks den Günstling des Geschickes;
Mich schreckt der Wink von dir mich zu entfernen,
Was hilft es mir so hohe Weisheit lernen!
Nun bin ich fern! Der jetzigen Minute
Sie bietet mir zum Schönen manches Gute,
Das lastet nur, ich muss mich ihm entschlagen;
Mich treibt umher ein unbezwinglich Sehnen,
Da bleibt kein Rath als grenzenlose Thränen.
Doch nie geläng’s, die innre Gluth zu dämpfen!
Schon ras’t’s und reißt in meiner Brust gewaltsam,
Wo Tod und Leben grausend sich bekämpfen.
Wohl Kräuter gäb’s, des Körpers Qual zu stillen;
Fehlt’s am Begriff: wie sollt’ er sie vermissen?
Er wiederholt ihr Bild zu tausendmalen.
Das zaudert bald, bald wird es weggerissen,
Undeutlich jetzt und jetzt im reinsten Strahlen;
Die Ebb’ und Fluth, das Gehen wie das Kommen?
Verlaßt mich hier, getreue Weggenossen!
Laßt mich allein am Fels, in Moor und Moos;
Nur immer zu! euch ist die Welt erschlossen,
Betrachtet, forscht, die Einzelheiten sammelt,
Naturgeheimniß werde nachgestammelt.
Mir ist das All, ich bin mir selbst verloren,
Der ich noch erst den Göttern Liebling war;
So reich an Gütern, reicher an Gefahr;
Sie drängten mich zum gabeseligen Munde,
Sie trennen mich, und richten mich zu Grunde.