Mahadeo-Tempel in Hindostan
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Wenn der Reisende dem windenden Laufe des Ganges etwa 1500 englische Meilen von seinem Delta folgt, so gelangt er an die Grenze einer Landschaft, deren Schönheit und Klima gepriesen ist durch ganz Hindostan. Es ist das weite Thal von Dehra-Dhoon. Die steilen und finstern Mauern der Sivalikette umfassen es in Süd; in Nord thürmt der Himalajah seine Berge und in blauer Ferne glänzen seine höchsten Spitzen zwischen Wolken und Himmel. Dunkle Wälder umgürten das Gebirge, durch ihre Thäler wälzen sich der junge Ganges und der Jumna, und durch ihre Schluchten tausende der jenen zuströmenden Bäche, welche die heiße indische Sonne den Eis- und Schneewüsten des Hochgebirgs entlockt. Herrlich sind die Thäler jener größern Ströme, und heilig geachtet ihre Fluthen. Auf jeder ausgezeichneten Stelle steht ein Tempel, und dichte Bevölkerung drängt sich um sie in unzählichen Flecken und Dörfern. Viele Fürsten und Große des Landes haben hier Wohnungen für den Sommer, und die häufigen Landhäuser der Britten mit ihren parkmäßigen Umgebungen erhöhen die Mannichfaltigkeit der reizenden Szenerieen. Die Ansiedelungen der europäischen Kaufleute und Beamten nehmen mit jedem Jahre zu, und der Gebrauch ist allgemein geworden, im Hochsommer die feuchten, üppigen Ebenen Bengalens, wenn unerträgliche Hitze und Krankheiten sie geißeln, zu verlassen und in die gesündern Regionen der Berge zu fliehen, dort auszuruhen und sich zu stärken für die Zeit der Geschäfte, die wieder in die städtischen Wohnungen rufen.
Ein altes Vorurtheil spricht dem Hindu die Empfänglichkeit für das Schöne in der Natur ab, und läßt glauben, der Sinn für ihren Genuß sey ihm verschlossen. Schon die Ortswahl für die Tempel der Hindu, welche sie immer in die grandiosesten und eindrucksvollsten Landschaften verlegen, könnte das Gegentheil beweisen. Allerdings gehört immer ein Grad von Bildung dazu, das Schöne, sey es in der Natur, oder in der Kunst, zu erkennen; und der gemeine Pariah wird eben so wenig gerührt werden von der reizendsten Landschaft, oder von dem Sonnen-Auf- oder Untergang, als der rohe, deutsche Bauer. Aber unter den gebildeten Classen der Hindus ist das Wohlgefallen an der schönen Natur äußerst lebendig, und ihre Schriften sind voll von Beweisen dafür. So schildert z. B. Bubanda-Bamajan, in seiner Beschreibung Indiens, die Gegend der Mahadeo-Tempel: „Jede Luftwelle, die über die Ebene streicht, bringt süßen Wohlgeruch von den Bergen herab, welche sich, wie Himmelsgeister, in dünne und azurblaue Gewänder kleiden. Seht ihre fernen, schlanken Gestalten! Schimmernde Kronen von Rubinen und Gold und Silber [69] setzten die Götter ihren Lieblingen auf die hohen Häupter, und die klaren Bäche hängen an ihren Seiten wie diamantene Bänder. Hörst du die Quellen rauschen? sie eilen durch die dunklen Schluchten nach den sonnigen Thälern, wie Kinder aus dumpfigen Stuben zum Spiel auf die grüne Wiese. – Horch! wie der Wasserfall donnert und widerhallt durch die ferne Bergwelt. Das ist der Sturz des Jumna, in dessen weißen Schaumwolken sich die schwarzen Vögelschaaren gebadet haben, die dort am Himmel hinziehen. Mit ihnen zieht auch die Sonne heim; denn sieh’! es glühen schon die Flammen auf den Tempeln unsers großen Gottes.“
Die Mahadeo-Tempel gehören in jenen Cyklus heiliger Stätten, welche den Lauf des Ganges aus dem Himalajah bis zur großen bengalischen Ebene verfolgen. Jede dieser Stätten hat einen wunderthätigen Ruf und ist das besondere Ziel von Pilgerschaaren, welche aus allen Theilen Indiens herwandern, um ihre Andacht zu verrichten, ein Gelübde zu erfüllen und Vergebung der Sünden zu suchen. Nach Hurduwar allein kommen öfters über eine Million in einem Jahre; zu den Mahadeotempeln schaaren sich 40- bis 50,000. Ueberall in dieser heiligen Gegend hält die priesterliche Habsucht Aerndte; für Geld theilt sie im Namen der Gottheit an die schuldigen Gewissen Vergebung aus, und die Erfindung, auf die Absolution künftiger Verbrechen mit Gold-Mohurs pränumeriren zu können, machten sich hier die Braminen schon lange vor christlicher Zeit zu Nutzen. In besondern und schweren Fällen ist es die priesterliche Praxis, dem Pilger das Versprechen abzunehmen, jedem Braminen, der ihn irgendwo und zu irgend einer Zeit um eine Gabe ansprechen werde, solche zu reichen, und häufig werden durch die Erfüllung dieser Verpflichtung reiche Leute zu Bettlern.
Die Mahadeotempel rechnet man zu den ältesten Indiens. Sie haben alle die Gestalt eines schlanken vierkantigen Thurms, der in einer vergoldeten Spitze in Flammenform endigt. Sie sind von Quaderstücken gebaut, welche man ohne sichtbaren Mörtel, oder Cement, aber bewundernswürdig genau zusammen fügte. Skulpturen schmücken die äußern Wände, und man bemerkt, bei aller Rohheit der Ausführung, in den Umrissen Geist und Freiheit. In jedem Tempel sind beständig zwei Braminen gegenwärtig; während der Pilgerzeit aber viel mehr, und die Zahl der an sämmtlichen Wallfahrtsorten dieser Gegend dann anwesenden Priester ist wohl Zehntausend. Groß, fürwar! müssen die Opfer seyn, welche die mißbrauchte Dummheit bringt, um ein solches Heer faullenzender Betrüger zu erhalten.