Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Zwingli“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 16 (1890), Seite 10181019
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Zwingli. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 16, Seite 1018–1019. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Zwingli (Version vom 27.08.2024)

[1018] Zwingli, Ulrich (Huldereich), neben Calvin Gründer der reformierten Kirche, geb. 1. Jan. 1484 in der toggenburgischen Berggemeinde Wildhaus, woselbst sein Vater Ammann war, machte seine philosophischen und humanistischen Studien in Bern und Wien, absolvierte dann seit 1502 das theologische Studium zu Basel als Schüler von Thomas Wyttenbach und wurde 1506 Pfarrer in Glarus. Als solcher nahm er teil an den Feldzügen der Glarner für den Papst gegen die Franzosen in der Lombardei 1512–15, wofür er bis 1517 vom Papst eine Pension von 50 Guld. jährlich bezog. Schon hier mit dem Neuen Testament sich viel beschäftigend, brach sich in ihm die Erkenntnis Bahn, daß mit diesem die Lehre der Kirche in manchen Stücken nicht übereinstimme. 1516 berief ihn Diebold v. Geroldseck als Prediger in das durch Wallfahrten berühmte Kloster Maria-Einsiedeln. Auf solche Weise auf den Schauplatz des krassesten Aberglaubens versetzt, fing er bald an, wider Wallfahrten und andre Mißbräuche, auch wider den 1518 in der Schweiz erschienenen päpstlichen Ablaßkrämer Bernardin Samson (s. d.) zu predigen; er forderte sogar die Bischöfe zu Sion und Konstanz auf, die Kirche nach Anleitung des göttlichen Wortes zu verbessern. Am 1. Jan. 1519 trat er sein neues Amt als Pfarrer am Großen Münster in Zürich an. Indem er durch seine kunstlosen, aber klaren, allgemein verständlichen Predigten die Begriffe in Sachen der Religion und des Glaubens erhellte und entwickelte, erfocht er binnen wenigen Jahren der Sache der Reformation in Zürich einen vollständigen Sieg. Zu gleicher Zeit trat er aber auch als Patriot gegen die Demoralisation des Volkes durch das Reislaufen, d. h. die Kriegsdienste der Züricher im Sold Frankreichs, Mailands, insbesondere aber des Papstes, auf, so die politische mit der religiösen Reformation verbindend, im Gegensatz zu Luther, der streng an seiner religiösen Aufgabe festhielt. Dem Ablaßkrämer wurde der Besuch von Zürich nicht gestattet; sämtliche Prediger in Stadt und Land wurden 1520 von der Obrigkeit angewiesen, dem Evangelium gemäß zu predigen; 1522 veröffentlichte er seine erste reformatorische Schrift gegen die Fasten der römischen Kirche. An den Bischof von Konstanz sandte er ein ebenso bescheidenes wie nachdrückliches Bittschreiben, in welchem er und zehn seiner Genossen erklärten, daß sie „mit Gott fest entschlossen seien, das Evangelium ohne Unterlaß zu predigen“, und um Aufhebung der Cölibatsgesetze nachsuchten. Damals bemühte sich Papst Hadrian VI., Z. durch einen die Frömmigkeit des Reformators anerkennenden Brief von weitern Schritten gegen die katholische Kirche abzuhalten. Als nun die Dominikaner in Zürich dem Z. Ketzerei vorwarfen, lud der Große Rat alle Theologen, die Z. eines Bessern überführen könnten, auf 29. Jan. 1523 zu einer Disputation über die von Z. aufgestellten Thesen nach Zürich ein, und es wohnten derselben gegen 600 geistliche und weltliche Personen bei. Da die Abgeordneten des Bischofs, namentlich Johann Faber, gegen Zwinglis Thesen nur die Autorität der Tradition und der Konzile geltend zu machen wußten, erkannte der Rat von Zürich Z. den Sieg zu. Auf einem zweiten, vom 26. bis 29. Okt. 1523 gehaltenen Religionsgespräch in Zürich wurde in Gegenwart von fast 900 Zeugen aus eidgenössischen Orten über Bilderdienst und Messe gestritten. Die Folge war die Entfernung aller Werke der bildenden Kunst aus den Kirchen Zürichs, und ein drittes Gespräch 13. und 14. Jan. 1524 beseitigte auch die Messe. Noch in demselben Jahr verheiratete sich Z. mit der 43jährigen Witwe Anna Meyer, gebornen Reinhard. Seitdem wirkte er, vom Rate thatkräftig unterstützt, aber von der Tagsatzung immer bedrohlicher angefeindet, fast wie ein weltlicher und geistlicher Diktator Zürichs, ordnete Schul-, Kirchen- und Ehewesen neu und gab auch 1525 sein Glaubensbekenntnis „Von der wahren und falschen Religion“ heraus, das er dem König Franz I. von Frankreich überschickte. Mit Luther und den andern deutschen Reformatoren in vielen Punkten einig, verfuhr Z. doch in liturgischer Beziehung radikaler und verwarf die leibliche Gegenwart Christi im Abendmahl (s. d.). Wohl wollte Z. mit Luther den Staat aus den erdrückenden Fesseln der Kirche befreien, kehrte aber doch zu den mittelalterlichen Anschauungen hinsichtlich des Verhältnisses von Staat und Kirche zurück, indem er erklärte, daß „die Obrigkeit, welche außer der Schnur Christi fahren“, d. h. die Vorschriften Christi sich nicht zum Maßstab nehmen wolle, „mit Gott entsetzt werden möge“. Auf dem vom Landgrafen von Hessen, Philipp dem Großmütigen, welcher Zwinglis weittragende politische Gesichtspunkte teilte, im Oktober 1529 zur Beilegung des Abendmahlsstreites zu Marburg veranstalteten Religionsgespräch ward Z. von Luther schroff zurückgestoßen, und der Plan einer gemeinsamen protestantischen Unternehmung gegen Kaiser und Papst scheiterte an theologischen Bedenken. Doch immer kühner wurden die Pläne der beiden innig verbundenen Freunde, des Landgrafen und Zwinglis. Dieser begeisterte 1530 jenen für den fast überkühnen Plan, „durch einen Bund von der Adria bis zum Belt und zum Ozean die Welt aus der Umklammerung des Habsburgers zu retten“. Damals hatte Z. schon im Januar 1528 bei einem Religionsgespräch zu Bern auch diesen Kanton für die Reformation gewonnen. Aber nachdem durch den ersten Kappeler Frieden 1529 die drohende Gefahr eines Glaubenskriegs zwischen Zürich und den fünf katholischen Urkantonen (freilich gegen Zwinglis Wunsch, der diese mit Gewalt der Waffen dem Evangelium öffnen wollte) beseitigt schien, kam es doch 1531 zum [1019] offenen Krieg zwischen Zürich und den katholischen Kantonen Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug. Am 11. Okt. 1531 unterlagen die Züricher bei Kappel, und Z. selbst fand auf dem Schlachtfeld seinen Tod. Am folgenden Tag schleppte man den Leichnam zum Scheiterhaufen und streute die Asche in den Wind. Erst 1838 ward ihm zu Kappel, 1885 zu Zürich ein Denkmal errichtet. Z. war ein edler, toleranter, frommer und uneigennütziger Mann, ausgezeichnet durch Kenntnisse wie Sinn für das Praktische, der ihn zu den umfassendsten politischen Kombinationen befähigte. Seinem theologischen Lehrbegriff lag Streben nach Klarheit und Vernünftigkeit zu Grunde. Was ihn zum Begründer einer eignen Kirche neben Luther machte, war die durch und durch sittlich bestimmte, an keine Zeremonien ursachlich gebundene Natur des christlichen Glaubens, welchen er vertrat, die in solchem Glauben begründete Freiheit der christlichen Persönlichkeit von den geschichtlich vermittelten Gnadenspendungen der Kirche, die er, freilich nicht ohne Inkonsequenzen, betonte. Zwinglis Hauptschriften sind: „De vera et falsa religione“ (Zürich 1525); „Fidei ratio“ (das. 1530) und besonders die „Christianae fidei brevis et clara expositio ad regem christianum“ (das. 1536). Seine „Sämtlichen Werke“ erschienen zuerst in Folio (Zürich 1545 u. 1581), neuerdings herausgegeben von Schuler und Schultheß (das. 1828–42, 8 Bde.; dazu Supplemente 1861). Vgl. Hottinger, Huldreich Z. und seine Zeit (Zürich 1842); Tichler, Z., de kerkhervormer (Utr. 1857–58, 2 Bde.); Christoffel, Zwinglis Leben und ausgewählte Schriften (Elberf. 1857, 2 Bde.); Mörikofer, Ulrich Z. (Leipz. 1867–69, 2 Bde.); Zeller, Das theologische System Zwinglis (Tübing. 1853); Sigwart, Ulrich Z. (Stuttg. 1855); Spörri, Zwingli-Studien (Leipz. 1866); Werder, Z. als politischer Reformator (Basel 1882); A. Baur, Zwinglis Theologie (Halle 1885–89, 2 Bde.); Witz, Ulrich Z., Vorträge (Gotha 1884).