Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Wurmkrankheit“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 16 (1890), Seite 770
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Wurmkrankheit. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 16, Seite 770. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Wurmkrankheit (Version vom 04.04.2024)

[770] Wurmkrankheit (Wurmsucht, Helminthiasis, Verminatio), das Vorhandensein von Eingeweidewürmern (s. d.) im Innern des lebenden Körpers, insbesondere im Darmkanal. Die wichtigste, weil gefährlichste W. ist die Trichinenkrankheit, deren Wesen zu gleicher Zeit von Zencker und Virchow ergründet worden ist, nachdem schon die mosaische Gesetzgebung darauf hindeutet, daß im hohen Altertum gefährliche Folgen nach dem Genuß von Schweinefleisch beobachtet worden sind. Daß unter den wilden Schweinen in Mesopotamien thatsächlich die Trichinenkrankheit vorkommt, hat eine 1881 von Virchow gemachte Untersuchung derartigen Fleisches unzweifelhaft erwiesen. Bei dieser W. gelangen die in den Muskeln eingekapselten Tiere in den Darm, dort vermehren sie sich und erregen durch ihr massenhaftes Durchwandern der Darmwand eine Entzündung derselben; dann bohren sie sich in die umliegenden Muskeln, namentlich das Zwerchfell, ein und setzen nun ihren Weg bis in entfernte Muskelpartien fort. Während dieser Wanderung besteht neben großer Schmerzhaftigkeit der befallenen Glieder mehr oder minder heftiges Fieber, das sich bei äußerst zahlreicher Einfuhr der Trichinen zu bedrohlichen und tödlichen Graden steigern kann. Ist das Fieber überstanden, so kapseln sich die Würmer in den Muskeln ein und können in diesem Zustand ohne Schaden für die Gesundheit dauernd liegen bleiben. Man findet sie noch nach Jahren lebend, selbst wenn ihre Kapsel sich mit einer Kalkschale umgeben hat (was bei Menschen gewöhnlich, bei Schweinen dagegen nicht vorkommt), eine Entwickelung kann aber erst wieder in dem Darm eines neuen Wirts zu stande kommen. Den Trichinen gegenüber sind alle andern durch Würmer bedingten allgemeinen Krankheitsprozesse verhältnismäßig unbedeutend. Nur die Blasenwürmer, Finnen und Echinokokken, welche gleichfalls in den Geweben des Körpers wandern, können durch die Größe ihrer Blasen, durch den Sitz derselben in lebenswichtigen Organen, z. B. Gehirn oder Auge, und durch Entzündungen in ihrer Umgebung zuweilen ernstliche oder gar tödliche Folgen haben. Die Distomen oder Pentastomen, welche man in Leber und Milz findet (s. Tafel „Würmer“), sind ganz ungefährlich, nur bei Schafen, Rindern und Schweinen rufen die Leberegel Erweiterung der Gallengänge, Gelbsucht und zuweilen schwere Leberentzündungen hervor. Die eigentlichen Darmbewohner, der Klasse der Rund- und Plattwürmer angehörig, haben ziemlich abgegrenzte Domänen inne. Den Zwölffingerdarm bewohnt das Anchylostomum duodenale, den Dünndarm der Bandwurm (Tainia solium, Botryocephalus latus u. T. mediocanellata) und die Familie der Spulwürmer (Ascaris lumbricoides); im Blinddarm haust der Trichocephalus dispar, und selbst der Mastdarm ist erwählter Lieblingssitz für einen Madenwurm, Oxyuris vermicularis. Diese Gruppe hat man gewöhnlich im Sinn, wenn man von W. spricht, und man kann nur sagen, daß alle diese Schmarotzer ziemlich unschuldige Bewohner des menschlichen Darms sind, daß sie jedenfalls besser sind, als ihr Leumund unter ängstlichen Laien und Wurmdoktoren sie darzustellen sucht. In gewöhnlichen Fällen erregen sie einen lästigen Katarrh, der ihre Entfernung wünschenswert macht, höchst ausnahmsweise bereiten sie lebensgefährliche Anhäufungen im Darm. Die Behandlung der W. sollte sich niemals auf eine bloße Vermutung gründen, sondern erst eintreten, wenn Würmer oder Stücke davon in den Ausleerungen nachgewiesen worden sind. Unter Umständen genügt ein Abführmittel, z. B. auch bei den Trichinen, solange diese im Darm sich vermehren, also 2–6 Tage nach dem Fleischgenuß. Später ist ihnen ebensowenig beizukommen wie den Finnen oder Echinokokken. Die wurmtötenden Mittel nennt man Anthelmintica oder Antiparasitica; zu ihnen gehören der Zitwersame und das daraus bereitete Santonin (gegen Spulwürmer), die Farnkrautwurzel, die Granatwurzelrinde, Kamala und Kusso (gegen Bandwürmer). Auch diesen fügt man ein Abführmittel, Rizinusöl od. dgl., hinzu.