MKL1888:Wohlfahrtseinrichtungen
[991] Wohlfahrtseinrichtungen für Arbeiter nennt man gewöhnlich die von Kommunen, Vereinen (s. Arbeiterwohl) und Privaten ins Leben gerufenen Einrichtungen zur Förderung des materiellen und geistigen Wohles der Arbeiter. Sie verdanken ihre Entstehung der Auffassung, daß der Staat in der Sorge um die wirtschaftlich schwachen Volksklassen nur Massenerscheinungen ins Auge fassen und daher nur solche Einrichtungen schaffen kann, welche der Allgemeinheit oder einem großen Teile derselben bei gleicher Berücksichtigung des einzelnen Individuums zu gute kommen; eine Rücksicht auf besondere Verhältnisse, entweder personeller oder lokaler Natur, können nur die Kommunen, Verbände oder Privaten nehmen. Die W. dürfen nun keineswegs als Akte der Wohlthätigkeit angesehen werden, sie sind vielmehr der Ausdruck einer neuern Richtung in der Volkswirtschaftslehre, welche neben dem technisch-wirtschaftlichen Standpunkt des Smithianismus auch den sozialen in unsrer Volkswirtschaft vertreten wissen will. Zu den W. zur Hebung des materiellen Wohls der Arbeiter gehören zunächst solche Einrichtungen, welche das Einkommen der Arbeiter direkt erhöhen, also z. B. Abmachungen über Akkord- und Prämienlöhnung sowie Beteiligung an dem Geschäftsgewinn des Unternehmers; ferner Unterstützungskassen für Krankheits- und Sterbefälle, für Wöchnerinnen, für die zum Militär einberufenen Arbeiter, für andre außergewöhnliche Fälle, für alte und invalide Arbeiter (Alters- und Invalidenhäuser); hierzu ist des weitern zu rechnen die Sorge für billige und gesunde Wohnungen, sei es, daß die Arbeiter bei dem Bau von Häusern durch Darlehen etc. unterstützt werden, sei es, daß von andrer Seite Wohnhäuser gebaut werden, welche dem Arbeiter zu einem billigen Mietszins oder einem möglichst geringen Kaufpreis bei besondern Zahlungserleichterungen überlassen werden. Zu den W., welche die Ausgaben der Arbeiter zu vermindern im stande sind, dürften hauptsächlich solche zu zählen sein, welche die Nahrungs- und Haushaltungsgegenstände verbilligen, also z. B. Konsumvereine, Masseneinkäufe durch die Arbeitgeber, Speiseanstalten, Kaffeehallen, Fabrikbäckereien und -Schlächtereien. Ein ähnliches Prinzip verfolgen neben dem mindestens ebenso wichtigen moralischen die Bestrebungen zur Bekämpfung der Trunksucht durch Verabfolgung von Erfrischungen während der Arbeit, durch Gründung von Mäßigkeitsvereinen, durch Flugschriften u. a. Die Sorge für die Gesundheits- und Reinlichkeitspflege drückt sich aus in der Anstellung von Fabrikärzten, der Einrichtung von Fabrikapotheken, Turn- und Badeanstalten, Genesungshäusern, Ferienkolonien, der Anlage von Unfallverhütungsvorrichtungen, der Beschaffung von zweckmäßigen Arbeitskleidern. Der Sparsinn der Arbeiter wird geweckt durch Einführung des obligatorischen Sparens für jugendliche Arbeiter durch Sparprämien, Zinszuschüsse, Pfennigsparkassen. Das friedliche Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitern wird gefördert durch die Einsetzung von aus den Reihen der letztern gewählten Vertretungen (Ältestenkollegium, Ältestenrat), welche bei der Änderung der Arbeitsordnung und bei andern Gelegenheiten von den Arbeitgebern zu Rate gezogen werden. W. zur Hebung des geistigen Wohls der Arbeiter sind die Kleinkinderbewahranstalten, Fortbildungs- und Fachschulen für jugendliche Arbeiter, Haushaltungs-, Näh-, Flick- und Strickschulen für Arbeiterinnen, Bildungsvereine, Unterhaltungsabende, Bibliotheken und Lesezirkel, Vortragsabende u. a. Vgl. Öchelhäuser, Die sozialen Aufgaben der Arbeitgeber (Berl. 1887); Meininghaus, Die sozialen Aufgaben der industriellen Arbeitgeber (Tübing. 1890); Hitze, Pflichten und Aufgaben der Arbeitgeber in der Arbeiterfrage (Köln 1888); die im Art. „Arbeiterwohl“ (S. 45) angeführten Zeitschriften.