Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Wislicēnus“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 16 (1890), Seite 694695
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Wislicēnus. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 16, Seite 694–695. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Wislic%C4%93nus (Version vom 08.01.2023)

[694] Wislicēnus, 1) Gustav Adolf, einer der Wortführer der Freien Gemeinden, geb. 20. Nov. 1803 zu Battaune in der Provinz Sachsen, ward 1824 als Mitglied der Burschenschaft zu zwölfjährigem Festungsarrest verurteilt, doch 1829 begnadigt. Seit 1834 Pfarrer zu Klein-Eichstedt bei Querfurt, seit 1841 an der Neumarktskirche in Halle, nahm er lebhaften Anteil an den lichtfreundlichen Bestrebungen. Sein am 29. Mai 1844 in Köthen gehaltener Vortrag über die Autorität der Schrift veranlaßte schließlich 1846 seine Amtsentsetzung (s. Freie Gemeinden). Seinen Prozeß stellte er dar in der Schrift „Die Amtsentsetzung des Pfarrers W. in Halle“ (Leipz. 1846). Er lebte seitdem in Halle als Prediger der Freien Gemeinde, ward jedoch infolge der Schrift „Die Bibel im Lichte der Bildung unsrer Zeit“ (Leipz. 1853) im September 1853 zu zweijähriger Gefängnisstrafe verurteilt. Der Vollstreckung entzog er sich durch die Flucht nach Amerika, kehrte aber im Mai 1856 nach Europa zurück und ließ sich zu Fluntern bei Zürich nieder, wo er 14. Okt. 1875 starb, nachdem er sein Hauptwerk: „Die Bibel, für denkende Leser betrachtet“ (2. Aufl., Leipz. 1866, 2 Bde.), veröffentlicht hatte.

2) Hermann, Maler, geb. 20. Sept. 1825 zu Eisenach, ging 1844 auf die Akademie zu Dresden und wurde später Schüler Bendemanns, dann Schnorrs. Sein erstes Bild: Überfluß und Elend, wurde für die Dresdener Galerie angekauft (Karton im Museum zu Leipzig). 1853 begab er sich mit einem Reisestipendium nach Italien, wo er sich in Rom besonders an Cornelius anschloß. Nach seiner Rückkehr ließ er sich in Weimar nieder. Er führte hier verschiedene Aufträge aus, wie den großen Karton: Götterbacchanal, zu einem Deckengemälde für ein Haus in Leipzig; die Ölbilder: die Nacht, für den Großherzog, die Phantasie, von den Träumen getragen, für den Grafen Schack in München, die vier Evangelisten, für die Grabkapelle der Großfürstin Maria Paulowna in Weimar, und mehrere Zeichnungen, wie: Ruhmeshalle deutscher Dichter (im Museum zu Weimar), die Deukalionische Flut (ebendaselbst), Prometheussage (im Museum zu Leipzig). Für das Treppenhaus des Römischen Hauses in Leipzig malte er Brutus’ Urteilsspruch und die Mutter der Gracchen. 1868 folgte W. einem Ruf als Professor an die Akademie in Düsseldorf. Hier entstanden die großen Gemälde: die vier Jahreszeiten (in der Berliner Nationalgalerie), Germania auf der Wacht am Rhein, die Lurlei; der Entwurf zu einem Wandbild für die Schloßkapelle zu Weimar u. a. Viele dieser Arbeiten sowie sämtliche Studien von W. wurden bei dem Brande der Düsseldorfer Akademie im März 1872 vernichtet und mußten deshalb nochmals ausgeführt werden. 1877 erhielt W. den ersten Preis in der Konkurrenz um die Ausmalung des Kaisersaals in der Pfalz zu Goslar mit Gemälden aus der deutschen Kaisergeschichte und Sage, deren Ausführung ihn bis 1890 beschäftigt hat. Seine Bilder zeichnen sich durch edlen Stil, Schönheit der Formen und Linien, treffliche Zeichnung sowie gedankenreiche Komposition aus.

[695] 3) Johannes, Chemiker, ältester Sohn von W. 1), geb. 24. Juni 1835 zu Klein-Eichstädt bei Querfurt, studierte in Halle Mathematik und Naturwissenschaften, wurde Assistent am chemischen Laboratorium und widmete sich nunmehr ausschließlich der Chemie. Nach der Auswanderung der Familie nach den Vereinigten Staaten 1853 wurde er Assistent bei Horsford in New Cambridge. Später unterhielt er in New York zwei Jahre hindurch ein analytisches Privatlaboratorium und hielt am Mechanics’ Institute technisch-chemische Vorlesungen. 1856 ging er mit den Eltern nach Zürich, setzte nun die chemischen Studien an der Universität und dem Polytechnikum fort und ging wieder als Assistent von Heintz nach Halle. 1860 promovierte W. in Zürich und habilitierte sich an Universität und Polytechnikum. Bald wurde er Professor an der Universität, 1870 aber ging er an das Polytechnikum über; 1871 wurde er zum Direktor dieser Lehranstalt ernannt, folgte aber 1872 einem Ruf nach Würzburg und 1885 einem solchen nach Leipzig. W. hat stets thätigen Anteil an der Entwickelung der theoretischen Ansichten der Chemie genommen. Schon seine Inauguraldissertation betraf die Theorie der gemischten Typen, und später trug er mit dazu bei, die Typentheorie überzuführen in die heute gültigen Ansichten über die Valenz der Atome und die Struktur der chemischen Verbindungen. Sehr wichtig in dieser Beziehung sind seine Arbeiten über die zweiatomigen Alkohole (Glykole) und die zweiatomigen Säuren (Oxysäuren). Andre Arbeiten betrafen die Milchsäure, die Isomeren und Homologen derselben, den Acetessigsäureäther, den Natriumacetessigsäureäther und die zahlreichen von diesen Körpern sich ableitenden Derivate. Er lieferte auch eine neue Bearbeitung von Regnault-Streckers „Lehrbuch der Chemie“ (Braunschw. 1874 u. 1877, 2 Bde.). – Sein Bruder Hugo W., geb. 29. Dez. 1836 zu Klein-Eichstädt, seit 1862 an der Universität Zürich für Germanistik habilitiert, bei einer Besteigung des Tödi 8. Aug. 1866 verunglückt, schrieb: „Die Symbolik von Sonne und Tag in der germanischen Mythologie“ (Zürich 1862) und die von seinem Vater herausgegebenen Abhandlungen: „Loki, Das Nibelungenlied, Das Dionysostheater in Athen“ (das. 1867).