Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Weihen“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 16 (1890), Seite 484486
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Weihen. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 16, Seite 484–486. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Weihen (Version vom 20.04.2022)

[484] Weihen (Milvinae), Unterfamilie der Falken (Falconidae), aus der Ordnung der Raubvögel, gestreckt gebaute Tiere mit kleinem oder mittelgroßem Kopf, kurzem Hals, schwachem, von Grund an gebogenem, langhakigem Schnabel, langen, spitzen Flügeln, meist langem, oft gegabeltem Schwanz, langen und schwachen oder kurzen und derben Läufen, stets kurzen Zehen und kurzen, spitzen Krallen. Sie fliegen vortrefflich, sind raubgierig, nicht mutig, dreist, aber nicht besonders klug, unstet, scheu, diebisch, leben gesellig oder [485] paarweise, nähren sich von kleinen Tieren und sind im allgemeinen mehr nützlich als schädlich. Beide Geschlechter scheinen zu brüten; die Weibchen sind größer als die Männchen. Der Gabelweih (schwarzer oder Schmarotzermilan, Waldgeier, Hydroictinia atra Cuv.), 58 cm lang, 145 cm breit (Weibchen), mit deutlichem Zahn und ziemlich langem Haken an dem schwachen Schnabel, langen Flügeln, in welchen die vierte Schwinge am längsten ist, und schwach gegabeltem Schwanz, ist an Kopf, Kehle und Hals weißlich, dunkel graubraun gestrichelt, auf der Brust rötlichbraun mit dunklerer Längszeichnung, auf dem Bauch und an den Hosen rostbraun mit schwarzen Schaftstrichen, auf den Schultern, dem Rücken und den Flügeldeckfedern dunkelbraun mit schmalen, hellen Säumen an den Federn, am Schwanz braun mit schmalen, schwarzen Querbinden und hell fahlgrauem Saum; der Schnabel ist schwarz, die Wachshaut gelb, die Augen sind braungrau, die Füße orangegelb. Er bewohnt namentlich Ost- und Südeuropa, Norddeutschland, Rheinhessen, Baden, weilt bei uns von März bis Oktober und geht im Winter bis Südafrika. Er lebt in der Ebene, besonders in Wäldern mit benachbarten Flüssen und stehenden Gewässern, fliegt außerordentlich schön, ist feig und faul, aber höchst zudringlich und nötigt andre Raubvögel durch beständige Belästigungen, ihm die bereits erhobene Beute zuzuwerfen. Er frißt namentlich Mäuse, Ratten, Hamster, junge Hasen, Maulwürfe, Fische, Frösche und Aas, raubt aber auch Küchlein und andres Federvieh. Er nistet auf hohen Waldbäumen, am liebsten in Reiherhorsten und legt Ende April 3–4 gelbliche oder gräulichweiße, braun marmorierte oder dicht gefleckte Eier. Wegen seiner Räubereien gilt er als überwiegend schädlich. Im Käfig wird er sehr zahm. Der Königsweih (roter Milan, Gabel-, Rötel-, Rüttelweih, Hühner-, Gabelgeier, Milvus regalis Cuv., s. Tafel „Raubvögel“, Fig. 5), 72 cm lang, 150 cm breit, mit etwas stärkerm, kurzhakigem Schnabel, sehr langen Flügeln, in welchen die dritte und vierte Schwinge am längsten sind, und sehr langem, etwa 10 cm tief gegabeltem Schwanz, ist rostrot, überall mit schwarzbraunen Schaftstrichen und Schaftflecken, am Kopf und Hals weiß, braun gestreift, an den Schwingen schwarz, die Schwanzfedern rostrot, die äußern schwärzlich, an der Spitze schmal weiß gesäumt. Das Auge ist blaßgelb, Schnabel bläulich, an der Spitze schwarz, Wachshaut und Fuß gelb. Er findet sich von Spanien bis Südschweden und Sibirien, weilt bei uns von März bis Oktober, bleibt auch einzeln in gelinden Wintern in der Heimat und reist in Gesellschaften von 50–200 Stück bis Innerafrika. Er bevorzugt die Ebene, ist klug, aber träge, ziemlich schwerfällig, sehr feig, aber dreist. Seine Nahrung besteht aus kleinen Säugetieren, jungen Vögeln, Reptilien, Fischen, Insekten, Würmern; doch raubt er auch Küchlein, junge Hasen, Rebhühner und jagt den Edelfalken ihre Beute ab. Durch jenes wird er schädlich, nützlich aber durch Vertilgung zahlloser Mäuse und schädlicher Insekten. Er nistet auf hohen Bäumen und legt 2–3 blauweißliche, rötlich gefleckte Eier (s. Tafel „Eier I“, Fig. 35). In der Gefangenschaft wird er sehr zahm, brütet Hühnereier aus und pflegt die Küchlein; frisch eingefangen, stellt er sich tot. Der Wespenbussard (Bienen-, Honigfalke, Pernis apivorus Gray), 62 cm lang, 140 cm breit, mit langem, niedrigem, schwachem, an der Spitze scharf gekrümmtem Schnabel, langen Flügeln, in welchen die dritte Schwinge am längsten ist, und langem Schwanz, kurzem Fuß, mittellangen Zehen, mit kurzen, steifen Federn bedecktem Zügel, wechselt im Gefieder stark ab, ist oft einfarbig braun, am Kopf graublau, mit mehreren Binden auf dem Schwanz, oft an der Unterseite weiß gefleckt oder weiß mit braunen Querflecken; das Auge ist weiß bis gelb, der Schnabel schwarz, Wachshaut und Fuß gelb. Er bewohnt ganz Europa mit Ausnahme der nördlichsten Länder, weilt bei uns von Ende April bis September und wandert einzeln oder in kleinen Gesellschaften bis Südafrika. Er geht ziemlich gut, fliegt langsam und schwerfällig, ist träge und feig, nährt sich von Insekten, namentlich Wespen, Bienen, Hummeln, von Fröschen, Eidechsen, Mäusen, plündert auch Vogelnester und scharrt Immennester aus, ist jedoch überwiegend nützlich. Er bevorzugt die Ebenen und Laubwälder, nistet auf den untern Ästen großer Bäume und legt im Juni 2–4 gelbweiße oder braunrote, heller oder dunkler marmorierte Eier (s. Tafel „Eier I“, Fig. 40). In der Gefangenschaft ist der Wespenbussard höchst unterhaltend. Eine andre Unterfamilie bilden die Feldweihen (Circinae), mittelgroße, schlank gebaute Vögel mit kleinem, schmächtigem Körper, relativ kleinem, stark gekrümmtem, langhakigem, stumpfzahnigem Schnabel, ziemlich schmalen, langen Flügeln, in welchen die dritte und vierte Schwinge am längsten sind, mittellangem, breitem Schwanz, hohen, schlanken Läufen und kurzen Zehen. Zur Gattung Strigiceps Bp., mit schwachem, von Grund an gebogenem Schnabel, nicht ganz bis zur Schwanzspitze reichenden Flügeln und sehr entwickeltem Schleier im Gesicht, gehört der Kornweih (Blau-, Weißweih, Blaufalk, Blauhabicht, Strigiceps cyaneus Bp.), 52 cm lang, 122 cm breit (Weibchen), oberseits hell aschblau, unterseits weiß, im Genick braun und weiß gestreift. Die erste Schwinge ist schwarzgrau, die fünf folgenden sind schwarz, die übrigen grau; der Schwanz ist durch dunkle Querflecke gebändert. Das Weibchen ist oberseits fahlbraun, am Hinterkopf, Hinterhals und Oberflügel rostgelblich gerändert, mit weißlichem Augenstreif, unterseits rostgelblich, bräunlich gefleckt, am Schwanz braun und rostgelb gebändert. Auge, Wachshaut und Füße sind zitronengelb, der Schnabel hornschwarz. Der Kornweih findet sich im größten Teil Europas bis 55° nördl. Br. und in Mittelasien, weilt bei uns von Ende März bis September, geht im Winter bis zum Äquator. Er bewohnt die Felder, meidet Waldungen und Gebirge, fliegt mit schwankendem Flug sehr niedrig über den Erdboden hin, ruht auch nachts nicht auf Bäumen, läuft sehr schnell, nährt sich von Mäusen, Fröschen, Heuschrecken, Zieseln, jungen Hasen, jungen Vögeln und Eiern. Fliegenden Vögeln kann er nichts anhaben. Er nistet auf dem Boden in einem Strauch, im Getreide, Gras oder Röhricht und legt im Mai 4–5 grünlichweiße, ungefleckte oder fein gefleckte Eier (s. Tafel „Eier I“, Fig. 41). In der Gefangenschaft ist er schwer zu erhalten. Der Rohrweih (Schilf-, Brandweih, Sumpfbussard, Circus rufus Lacép., s. Tafel „Raubvögel“, Fig. 6 u. 7), 59 cm lang, 145 cm breit (Weibchen), mit kräftigerm, geraderm Schnabel, bis zur Schwanzspitze reichenden Flügeln, ist auf Stirn und Scheitel braun mit gelben Federrändern, am Oberkörper braun, an Wange und Kehle blaßgelb mit dunklern Schäften, an Vorderhals und Oberbrust gelb mit braunen Längsflecken, am übrigen Unterkörper rostrot mit hellern Federspitzen. Die Handschwingen sind schwarzbraun, Armschwingen und Flügeldecken aschgrau, Steuerfedern hellgrau, rötlich überflogen. Beim Weibchen ist die Färbung eintöniger, [486] der Kopf gelblichweiß, dunkel gestrichelt, ein Fleck im Nacken jederseits, Schultern und Brust heller, der Schwanz graubraun; der Schnabel ist schwarz, Füße und Augen sind gelb. Der Rohrweih findet sich überall im gemäßigten Gürtel der Alten Welt an rohrbewachsenen Seen, Sümpfen und Brüchern, weilt bei uns von März bis Oktober, geht im Winter bis Innerafrika und Indien, hält sich am Tag im Schilf verborgen, jagt besonders Wasser- und Sumpfvögel, frißt deren Eier und Junge, auch Frösche, Fische, Spitzmäuse und Wasserratten, kann aber fliegenden Vögeln ebenfalls nichts anhaben. Er ist überwiegend schädlich, nistet im Röhricht, im Riedgras, auch im Getreide und in schwimmendem Horst auf dem Wasser und legt im Mai 4–6 grünlichweiße Eier. Baschkiren und Kirgisen richten ihn zur Entenjagd ab.