Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Wasserstoff“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Wasserstoff“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 16 (1890), Seite 436437
Mehr zum Thema bei
Wikisource-Logo
Wikisource: [[{{{Wikisource}}}]]
Wikipedia-Logo
Wikipedia: Wasserstoff
Wiktionary-Logo
Wiktionary: Wasserstoff
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Indexseite
Empfohlene Zitierweise
Wasserstoff. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 16, Seite 436–437. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Wasserstoff (Version vom 12.04.2022)

[436] Wasserstoff (Hydrogenium) H, chemisch einfacher gasförmiger Körper, findet sich im freien Zustand in sehr geringer Menge in der Atmosphäre, in den von Vulkanen ausgestoßenen Gasen, auch in den Gasen, welche den Erdölquellen entströmen, und im verdichteten Zustand in den Meteoriten. Es tritt auch bei der Zersetzung vieler organischer Stoffe durch Gärung und trockne Destillation auf und findet sich daher in den Darmgasen, in der ausgeatmeten Luft und im Leuchtgas. Viel weiter verbreitet sind Wasserstoffverbindungen, namentlich die Verbindung mit Sauerstoff, das Wasser (welches 11,11 Proz. W. enthält), die Stickstoffverbindung, das Ammoniak, Kohlenstoffverbindungen, die zahlreichen natürlich vorkommenden Kohlenwasserstoffe (Erdöl, Sumpfgas). Mit Sauerstoff und Kohlenstoff, oft auch mit Stickstoff verbunden, ist W. ein Bestandteil aller organischen Körper. Zur Darstellung von reinem W. zersetzt man Wasser durch den elektrischen Strom oder durch Natrium, welches sich des Sauerstoffs des Wassers bemächtigt, so daß der W. frei wird, oder durch Erhitzen von Zink mit Kalilauge oder durch Übergießen von reinem Zink mit reiner verdünnter Schwefelsäure. Im letztern Fall wird die Entwickelung sehr beschleunigt, wenn man Platinblech oder einige Tropfen Platinchloridlösung zu dem Zink bringt. Größere Mengen W. gewinnt man aus Eisen, besser aus Zink und gewöhnlicher verdünnter Schwefelsäure, wobei schwefelsaures Eisenoxydul, resp. schwefelsaures Zinkoxyd als Nebenprodukte erhalten werden. Dies Gas kann mit Arsen-, Phosphor- und Schwefelwasserstoff, bei Anwendung von Eisen mit übelriechenden Kohlenwasserstoffen verunreinigt sein und muß durch geeignete Waschflüssigkeiten gereinigt werden. Leitet man Wasserdampf über glühendes Eisen, so entstehen Eisenoxyduloxyd und W. Am vorteilhaftesten erhitzt man Ätzkalk mit Koks oder Anthracit in einer Retorte und leitet das entweichende Gemisch von W. und Kohlensäure durch Kalkmilch, um die Kohlensäure zu beseitigen. Über das in der Retorte bleibende Gemisch von kohlensaurem Kalk und Kohle wird überhitzter Wasserdampf geleitet und dadurch Ätzkalk regeneriert, so daß man ohne weiteres von neuem W. erhalten kann, solange noch Kohle vorhanden ist. Am bequemsten und besonders zum Füllen von Luftballons erhält man W. durch Erhitzen von Ätzkalk mit Zinkstaub. Die Mischung kann in verlöteten Blechbüchsen vorrätig gehalten werden, wenn man den Ätzkalk bei 300° scharf getrocknet hatte. Die Gasentwickelung erfolgt bei Rotglut. W. ist ein farb-, geruch- und geschmackloses Gas, wird durch sehr starken Druck und bei sehr niedriger Temperatur zu einer stahlblauen Flüssigkeit verdichtet, ist der leichteste aller Körper, spez. Gew. 0,069 (1 Lit. wiegt [437] 0,0896 g) und besitzt auch das kleinste Atomgewicht, welches daher = 1 angenommen wird. Er ist in Wasser weniger löslich als Sauerstoff, sehr leicht entzündlich, verbrennt mit schwach leuchtender, äußerst heißer Flamme, in welcher Platindraht weißglühend wird und intensives Licht ausstrahlt, zu Wasser. W. entzündet sich auch, wenn er auf Platinschwamm strömt, und ein Gemisch mit Sauerstoff oder Luft explodiert sehr heftig (s. Knallgas). Man darf deshalb aus Entwickelungsapparaten ausströmenden W. nicht entzünden, bevor die Luft vollständig ausgetrieben ist. Führt man eine kleine Wasserstoffflamme in eine an beiden Seiten offene, senkrecht stehende Glasröhre, so entstehen Töne, deren Höhe von der Länge und Weite des Rohrs über der Flamme abhängig ist (chemische Harmonika), und die man also durch Heben und Senken des Rohrs beliebig variieren kann. Bei gewöhnlicher Temperatur ist W. ziemlich indifferent, er verbindet sich auch mit Chlor im Dunkeln nicht, im zerstreuten Tageslicht nur langsam, im direkten Sonnenlicht dagegen unter heftiger Explosion. Mehrere Metalle absorbieren große Mengen W., ohne den metallischen Habitus zu verlieren, so daß die Verbindung wie eine Legierung des Metalls mit metallischem Hydrogenium zu betrachten ist. Sie geben diesen W. nur beim Erhitzen im luftleeren Raum wieder ab. Bei Rotglut sind Platin, Palladium, Eisen für W. durchdringlich. Viele Metalloxyde werden beim Erhitzen, manche schon bei gewöhnlicher Temperatur, durch W. unter Wasserbildung vollständig reduziert; viele Schwefelmetalle und Chlormetalle werden unter Bildung von Schwefelwasserstoff und Chlorwasserstoff durch W. reduziert. Besonders kräftig reduzierend wirkt W. im Entstehungsmoment. So wird vielen Körpern Sauerstoff entzogen, wenn man sie mit verdünnter Schwefelsäure übergießt und Zink hinzufügt, oder wenn man sie in Wasser bringt und Natriumamalgam in dasselbe einträgt. Der W. ist einwertig und bildet mit Sauerstoff das Wasser H2O und Wasserstoffsuperoxyd H2O2. Er dient zum Füllen der Luftballons, als Feuerzeug (Döbereinersche Zündmaschine), zur Bereitung von Knallgas und zu Beleuchtungszwecken, indem man billig bereiteten W. mit Kohlenwasserstoffdämpfen mengt oder Platindraht in der Flamme erhitzt. Ein mit Kohlenoxyd gemischtes Wasserstoffgas, durch Einwirkung von Wasserdampf auf glühende Kohlen erhalten, dient als Heizmaterial (Wassergas). Die Entwickelung brennbaren Gases bei Einwirkung verdünnter Säuren auf gewisse Metalle wurde schon im 16. Jahrh. von Paracelsus beobachtet, aber erst 1766 erkannte Cavendish den W. (brennbare Luft) als eigentümliche Luftart.


Jahres-Supplement 1890–1891
Band 18 (1891), Seite 981
korrigiert
Indexseite

[981] Wasserstoff verbindet sich nicht ohne weiteres mit Sauerstoff und wirkt nicht auf gelöste, reduzierbare Substanzen, wenn man ihn durch deren Lösung leitet. Sehr viel größere Reaktionsfähigkeit zeigt er im Entstehungszustand und nach Cooke in gleicher Weise bei Gegenwart von fein verteiltem Platin, welches bekanntlich auch die direkte Verbindung mit Sauerstoff veranlaßt. Ein auf elektrolytischem Wege mit Platinmohr überzogenes Platinblech bewirkt eine starke, 5–6 Sekunden andauernde Kontraktion von Knallgas, worauf Explosion erfolgt. Salpetersäure wird bei Gegenwart des präparierten Platinblechs von W. leicht reduziert, verdünnte Salpetersäure beim Erwärmen zu salpetriger Säure und Ammoniak, Chlorwasser gibt Chlorwasserstoff, chlorsaures Kali gibt Chlorkalium. Stickoxyd wird je nach der Menge des vorhandenen Wasserstoffs zu Stickoxydul, Stickstoff, Hydroxylamin und Ammoniak reduziert.