MKL1888:Wassergas
[419] Wassergas (Hydrokarbongas), Gasgemisch aus Wasserstoff, Kohlenoxyd und Kohlensäure, welches bei Einwirkung von Wasserdampf auf glühende Kohle entsteht, mannigfacher technischer Verwendung, namentlich als Brennmaterial, fähig ist und vielfach als Brennstoff der Zukunft angesehen wird. Die Bedeutung des Wassergases als Brennmaterial ergibt sich aus einer einfachen Betrachtung. 1 kg guter Steinkohle kann im exakten wissenschaftlichen Versuch 7500 kg Wasser um 1° erwärmen, d. h. 7500 Wärmeeinheiten entwickeln. In der Praxis wird dieser Wert auch nicht annähernd erreicht. In der häuslichen Heizungsanlage hat man sich mit einem Zehntel desselben, also mit 750 Wärmeeinheiten, zu begnügen. Wird nun dieses Kilogramm Steinkohle in W. verwandelt, so gehen 2470 Wärmeeinheiten verloren, das Gas besitzt nur eine theoretische Heizkraft von 5030 Wärmeeinheiten; es kann aber in passend konstruierten Heizapparaten so ökonomisch verbrannt werden, daß höchstens 10 Proz. der erzeugten Wärme verloren gehen und mithin 4527 Wärmeeinheiten nutzbar zu machen sind. Dies entspricht 60 Proz. der theoretischen Heizkraft der Steinkohle, von welcher man bei direkter Benutzung der letztern, wie erwähnt, nur etwa 10 Proz. gewinnt. Dazu kommt nun, daß W. viel billiger an den Ort des Konsums geschafft werden kann als die Steinkohlen, und ferner, daß sehr geringwertige Brennmaterialien, wie die an der Kohlengrube massenhaft auftretende Staubkohle bis zu ordinärem Stichtorf, zur Darstellung von W. benutzt werden können und ein Produkt von gleicher Qualität liefern. Überdies liegen die Annehmlichkeiten, welche die Verwendung von Gas statt der Kohle gewährt, auf der Hand. In der Kleinindustrie begünstigt das W. die Einführung kleiner Motoren (Gaskraftmaschinen). Eine große Rohrleitung, von Zentralpunkten der Wassergaserzeugung ausgehend, wird den Städten das Material zur billigen Erzeugung von Wärme und Kraft zuführen, wie sie bis jetzt das Licht erhalten haben. Überdies kann das W. durch Imprägnieren mit Dämpfen gewisser Kohlenwasserstoffe in Leuchtgas verwandelt werden. Die [420] Darstellung von W. hatte mit Schwierigkeiten zu kämpfen, bis Lowe die Wasserzersetzung statt in Retorten in Schachtöfen vornahm und die Erhitzung der Kohle, des Dampfes und des Gases nicht durch äußere Heizung, sondern durch Verbrennung eines Teils der Kohle selbst abwechselnd in einer Luft- und einer Dampfatmosphäre hervorbrachte. Strong ermöglichte nach diesem Prinzip die Benutzung der geringwertigsten Brennmaterialien und eine günstigere Ausnutzung der erzeugten Wärme.
Einen von Quaglio und Dwight konstruierten Apparat zur Erzeugung von W. nach Strongs System zeigen Fig. 1 u. 2. AA sind die Wände und Abteilungen
Fig. 1. Durchschnitt. | Fig. 2. Grundriß. |
Fig. 1 u. 2. Apparat zur Darstellung von Wassergas. |
aus feuerfesten Steinen. B ist die Hauptverbrennungskammer, S der Rost, a eine Thür zum Einfüllen des Brennmaterials, cc Thüren zur Reinigung des Rostes, c1 der Aschenfall mit der Thür c2. Die Kammer B steht durch die Kanäle D1E1c1 in Verbindung mit den Kammern DEC, welche mit feuerfestem Material ausgefüllt sind, um beliebig Wärme aus heißen Gasen aufzunehmen und an kalte Gase abzugeben. Die Kammern C und E haben am Scheitel Auslässe für die ausgenutzten Verbrennungsprodukte, welche durch die Schieber oder Ventile a2 und a3 geöffnet und geschlossen werden können. C hat auch einen Gasauslaß F und E einen gleichen F1. Der Deckel G gibt Zutritt zur Kammer D bei Reparaturen, die Röhren H und H1 für Gebläseluft in die Kammern B oder C, resp. B oder D. Mittels des Apparats J mit dem Schieber a1 kann staubförmiges Material in den obern Teil der Kammer B eingebracht werden. k und k1 sind Röhren, welche Wasserdampf nach E, eventuell C liefern. Durch das Rohr L können flüssige Kohlenwasserstoffe in die Kammer B und durch Rohr m in die Kammer C geleitet werden. Soll nun W. aus Stückkohle erzeugt werden, so wird diese in der Kammer B entzündet, Ventil a3 geöffnet und a und a2 geschlossen. Alsdann wird durch H Luft eingeblasen, um die Verbrennung zu beschleunigen, und ebenso bei H1, um die aus B nach D u. E überströmenden brennbaren Gase zu verbrennen. Ist nun in BDE die Temperatur genügend gesteigert, so wird das Ventil a3 geschlossen, die Gebläseluft abgesperrt und das Rohr F an der Kammer C geöffnet. Nun wird bei K Wasserdampf eingelassen, welcher durch die Zwischenräume des feuerfesten Materials in E und D hindurchgeht, in überhitztem Zustand durch D1 nach B gelangt und hier durch die glühende Kohle abwärts strömt, wobei das Wasser zersetzt und ein aus Wasserstoff, Kohlenoxyd und Kohlensäure bestehendes Gasgemisch gebildet wird, welches durch die Aschenkammer und aufwärts durch die Kammer C strömt und in dieser einen sehr großen Teil seiner Wärme an das darin aufgespeicherte Material abgibt. Durch das Rohr F entweicht das Gas nach dem Gasbehälter. Ist nun die Temperatur der Kohle unter einen bestimmten Punkt gefallen, so wird der Dampf abgesperrt, das Ventil F geschlossen, a2 geöffnet, Gebläseluft erst durch H, später durch H1 eingeblasen, um die aus B nach C strömenden Gase zu verbrennen, bis die Hitze wieder genügend hergestellt ist. Dann wird die Luft abgesperrt, a2 geschlossen, F1 geöffnet, Wasserdampf bei K1 zugelassen, welcher nun durch die heißen Ziegel in C abwärts und durch den Rost L und die Kohle aufwärts strömt und zersetzt wird. Das erzeugte W. entweicht durch D und E1, die Ziegel in D erhitzend, und durch F1 zum Gasbehälter.
Soll staubförmiges Material verarbeitet werden, so wird dieses in den Trichter J gebracht, der Apparat wie im ersten Fall angefeuert und die Temperatur in den Kammern D und E viel höher getrieben als im ersten Fall. Dann sperrt man das Gebläse ab, schließt a3 und läßt Wasserdampf bei K ein. Öffnet man nun den Trichter J, so begegnet das allmählich in die Kammer B fallende Material dem stark überhitzten Dampf, und es vollzieht sich eine Zersetzung, welche durch das Passieren der Gase durch die glühende Kohlenschicht vollendet wird. Das resultierende W. strömt durch F ab. Genau in derselben Weise verfährt man bei Verarbeitung von Flüssigkeiten, nur daß diese durch das Rohr L zugeführt werden. Der Ofen kann hierbei alternierend benutzt werden, zuerst in der beschriebenen Weise, dann, indem man den Dampf bei K1 und die flüssigen Kohlenwasserstoffe bei m einläßt. Soll nun mit leuchtender Flamme verbrennendes Gas aus pulverförmigem Material und flüssigen Kohlenwasserstoffen erzeugt werden, so verfährt man, wie oben für die Verwendung von pulverförmigem Material angegeben, muß aber vorher auch die Kammer C erhitzen, indem man a2 öffnet, a3 schließt und Luft durch H1 und H einbläst. Sind alle drei Kammern genügend heiß, so werden die Kaminschieber geschlossen, die Luft wird abgesperrt, der Dampf bei K eingelassen und durch Einlassen des pulverförmigen Materials aus J W. erzeugt. Nun werden durch einen Injektor bei m flüssige Kohlenwasserstoffe in zerstäubter Form eingeblasen. Dieselben begegnen dem heißen Gas, werden durch dasselbe verdampft und dann, indem die Dämpfe durch die heißen Ziegel der Kammer C strömen, in zweckentsprechender Weise zersetzt. Das nunmehr mit schweren gasförmigen Kohlenwasserstoffen beladene Gas entweicht durch das Rohr F. Durch geringe Modifikationen kann man ferner das W. aus festen, stückförmigen oder aus flüssigen Substanzen und Wasserdampf erzeugen [421] und es dann ebenfalls mit flüssigen Substanzen in Leuchtgas verwandeln. Auch kann man gepulverte Kannel- oder Bogheadkohle durch den Trichter J dem heißen W. entgegen einlaufen lassen, um Leuchtgas zu erzeugen etc.; ja, man würde fast reines Wasserstoffgas erzeugen können, wenn man das feuerfeste Material aus den Kammern C und E entfernt und durch Eisen ersetzt. Der Ofen wird wie gewöhnlich angefeuert, so daß das Eisen zur Rotglut gelangt. Läßt man dann Wasserdampf in dasselbe einströmen, so gibt dieses seinen Sauerstoff an das Eisen ab, und der frei gewordene Wasserstoff entweicht durch die glühenden Kohlen in B etc.
Stockholmer Versuche haben ergeben, daß bei diesem Verfahren volle drei Viertel des Rohmaterials aus geringwertigen Brennstoffen, pulverförmigem Abfall etc., bestehen können, wogegen ein Viertel gute Stückkohle oder Stückkoks genommen werden muß, ferner, daß aus 1000 kg Kohle 1416 cbm Gas erhalten werden können. Stärkerer Wassergehalt des Rohmaterials setzt das Resultat herab, die aus dem Ofen abziehenden heißen Gase bieten indes gute Gelegenheit zum Trocknen des Materials. Ein großer Doppelofen mit einer Produktion von 400–500,000 Kubikfuß in 24 Stunden kann durch drei Arbeiter bei Tag und drei bei Nacht bedient werden. Die Unterhaltungskosten sind im Gegensatz zu den alten Gaswerken sehr klein. Bei Anwendung des Wassergases zum Kochen wurde 1 Lit. Wasser von 15° durch 2 Kubikfuß Gas zum Sieden erhitzt und durch weitere 3 Kubikfuß eine Stunde lang siedend erhalten. Dasselbe Resultat konnte nur mit 11,4 Pfd. Birkenholz erzielt werden. Zusammensetzung aus verschiedenem Material erhaltenen Wassergases:
Rohmaterialien | Volumenprozente | ||||
Kohlensäure | Kohlenoxyd | Wasserstoff | Äthylen | Luft | |
Anthracit | 2,05 | 35,38 | 52,76 | 4,11 | 5,20 |
Englische Ofenkoks | 4,00 | 40,00 | 49,00 | 6,00 | 1,00 |
Kohle aus Höganäs | 2,6 | 34,8 | 59,6 |
3,0 | |
Anthracit aus Wales | 3,6 | 34,1 | 61,3 | 1,0 | |
1/4 Koks, 3/4 trockner Torf | 7,0 | 35,5 | 57,0 | 0,5 | |
1/4 Koks, 3/4 nasser Torf | 9,0 | 33,4 | 57,1 | 0,5 | |
1/4 Koks, 3/4 Newcastler Kohlenstaub | 6,8 | 35,0 | 57,2 | 1,0 |
Das W. ist zwar keineswegs gesundheitsschädlicher als Leuchtgas, aber es ist gefährlicher, weil es nicht wie dieses seine Gegenwart durch den Geruch anzeigt. Aus undichten Rohrleitungen kann hinreichend W. ausströmen, um eine Vergiftung herbeizuführen, ohne daß man eine Gefahr ahnt. Es ist deshalb vorgeschlagen worden, das Gas mit einem Riechstoff zu imprägnieren. Vgl. Quaglio, W. als Brennstoff der Zukunft (Wiesb. 1880).