MKL1888:Wagen
[317] Wagen, Fuhrwerk mit (gewöhnlich vier) Rädern. Der Gebrauch der W. reicht bis in die frühsten Zeiten, bei den Ägyptern nachweislich bis mindestens um 2000 v. Chr., hinauf; um 1300 führten die Ägypter zweiräderige Streitwagen (s. d.) mit sechsspeichigen Rädern und unmittelbar auf der Achse stehendem Wagenkasten. An ihm war die Deichsel unbeweglich befestigt, die vorn das Joch mit Polster trug, das am Widerrist durch Riemen um Brust und Bauch des Pferdes geschnallt wurde. Neben diesen W. waren für wirtschaftliche Zwecke auch solche mit Scheibenrädern, durch Rinder gezogen, gebräuchlich. Vierräderige W. waren sehr selten und dienten dann nur religiösen Zwecken. Die W. der Assyrer, Hebräer, Phöniker waren den ägyptischen nachgebildet. Um 1200 hatten die Assyrer Karren mit zwei Speichenrädern und einem mit seiner Mitte auf der Achse stehenden Kasten, wie sie gegenwärtig noch überall üblich sind. Ebenso zeigen die Streitwagen der Griechen des heroischen Zeitalters (Kleinasien) eine auffallende Übereinstimmung mit den ägyptischen. In der historischen Zeit Griechenlands erscheinen sie als Streitwagen, des bergigen Terrains wegen, nur vereinzelt, sind aber, leichter und eleganter gebaut, bei den festlichen Spielen im Gebrauch. Das Fahren zu W. galt als ein Zeichen von Üppigkeit und Hochmut und kam deshalb nur ausnahmsweise vor, wurde selbst Frauen ungern gestattet. Als Lastfuhrwerke dienten vierräderige W. Die Perser, deren Streitwagen sich durch feste Fügung und kostbare Ausstattung auszeichneten, galten als Erfinder der Sichelwagen [318] (s. d.). Die Römer benutzten W. nur zu Wettrennen, für den Personenverkehr und Lasttransport. Die Rennwagen (curricula), nur für eine Person, waren denen der Griechen ähnlich, hatten niedrige Räder, breites Geleise und waren sehr leicht; als Last- und Personenwagen kamen zwei- und vierräderige W. mit verschieden gestaltetem Obergestell vor. Als unbedeckter Reisewagen, besonders zum Schnellreisen, diente das Cisium, das von vorn bestiegen wurde; für den Stadt- und Landverkehr war das aus Britannien stammende Essedum, unbedeckt und von hinten zu besteigen, sowie der Covinus, aus Gallien eingeführt, mit Lederdecke, im Gebrauch. Bedeckt war außerdem das zweiräderige Carpentum, während die vierräderige Carruca (carosse), der eigentliche Galawagen, offen war. Das Pilentum wurde nur von Matronen benutzt. Als gewöhnlicher vierräderiger Reisewagen diente die Rheda, der russischen Kibitke ähnlich. Die herrschaftliche Rheda, bedeckt und mit allen erdenkbaren Bequemlichkeiten ausgestattet, ähnelt der noch heute in der Türkei gebräuchlichen Araba oder Kotscky. In Deutschland gehörten anfangs die W. noch zu den Überbleibseln aus der nomadischen Zeit, denn wie die Sarmaten, nach Tacitus, noch auf W. wohnten, so früher die Deutschen. Die fürstlichen W. in der merowingischen Zeit waren mit Ochsen bespannte Karren, durch Rinderhirten geführt; Karl d. Gr. fuhr mit vier Ochsen; Ende des 12. Jahrh. wurden sie schon durch Pferde gezogen, die mit Kumten und Zugsträngen beschirrt waren. Ende des 13. Jahrh. waren schon vierräderige W. gebräuchlich; um 1500 waren Karren und Pferdebeschirrung dieselben, wie wir sie noch heute am Rhein und in Frankreich sehen; bald darauf kamen vierräderige W. mit Lenkscheit in Gebrauch, deren Wagenkasten in Riemen über dem Untergestell hing. Hieraus entstanden um 1600 die Luxuswagen mit geschlossenem Wagenkasten unter dem Namen Kutsche. Um ihre Lenkbarkeit zu erhöhen, wurden um 1650 die beiden Langbäume nach oben gebogen, so daß die niedrigen Vorderräder unter ihnen Platz fanden (unterlaufende Räder); auf dem Vorderwagen war ein besonderer Kutschersitz. Gegen Ende des 17. Jahrh. wurden in Berlin gebaute Kutschen unter dem Namen „Berlinen“ eingeführt, bei denen der viersitzige Kutschkasten über, nicht zwischen den sehr hoch gekröpften Langbäumen aufgehängt war, so daß die Vorderräder höher sein und doch unterlaufen konnten. Der Kutschkasten hatte zwei bis auf den Boden reichende Thüren und hing in Riemen an hölzernen oder stählernen Federn. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts kamen die in C-Federn hängenden zweisitzigen Halbberlinen (wie die jetzigen Berliner Droschken erster Klasse), gegen Ende des Jahrhunderts Kutschen (Stadtberline) mit beweglichem Verdeck (zurückzuschlagendem Himmel), in Frankreich und England das zweiräderige Kabriolett, dem römischen Cisium nachgebildet, auf. Um 1800 wurden in England Kutschen ohne Langbaum gebaut, deren Kasten auf elliptischen Federn ruhte. Diese Konstruktionsbedingungen sind auch für unsre heutigen Luxuswagen noch dieselben, gleichviel welche Form und Lage der Kutschkasten hat. Die Bauart der Arbeitswagen ist lange auf dem Standpunkt früherer Jahrhunderte stehen geblieben und erst in neuerer Zeit mit der Entwickelung der Eisenindustrie und des Maschinenwesens energischer gefördert worden. Während die Untergestelle in allem Wesentlichen sich gleichen, haben die Obergestelle dem besondern Zweck des Wagens entsprechende Einrichtungen erhalten. Namentlich wurden in neuerer Zeit sehr zweckmäßige Vorrichtungen zum Kippen des Oberwagens eingeführt, wodurch eine schnelle Entleerung des Wagens ermöglicht wird. Zur Ersparung an Zugkraft und Förderung der Fahrbarkeit muß die Reibung zwischen Achsschenkel und Rad (s. d.) möglichst gering sein. Hier finden bei W. für Personentransport fast ausschließlich die sogen. Patentachsen Verwendung, welche eine Benutzung flüssiger Schmiere gestatten und den Achsschenkel sowie die Nabe gegen das Eindringen von Staub und Schmutz schützen. Zum Aufhalten der W. beim Bergabfahren dient eine Hemmvorrichtung, ein quer vor den Hinterrädern liegender Bremsbaum, der durch eine Schraubenvorrichtung gegen den Umfang des Radreifens gepreßt wird; an diesen Stellen trägt er Bremsklötze, welche nach ihrer Abnutzung erneuert werden können. Bei Lastwagen sitzt die Kurbel der Bremsschraube in der Regel hinten am W., bei Personenwagen aber derart, daß sie vom Kutschersitz aus bewegt werden kann. Auch bei Lastwagen findet in neuerer Zeit vielfach die Einschaltung von Federn zwischen dem Ober- und Untergestell Anwendung, wodurch die Zugkraft vermindert und die Erschütterungen der Waren vermieden werden. Lehrbücher des Wagenbaues schrieben Lemme (Berl. 1876), Rausch (2. Aufl., Weim. 1884), A. Schmidt (Berl. 1880).