Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Ultramarīn“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 15 (1889), Seite 987
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Ultramarīn. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 15, Seite 987. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Ultramar%C4%ABn (Version vom 15.03.2024)

[987] Ultramarīn (Lasurblau, Azurblau), blauer Farbstoff, der ursprünglich durch ein rein mechanisches Verfahren aus dem Lasurstein gewonnen wurde und sehr hohen Wert besaß, jetzt aber in gleicher Schönheit aus eisenfreiem Thon, Schwefel und Soda (Sodaultramarin) oder Glaubersalz (Sulfatultramarin) und Kohle künstlich dargestellt wird und sehr billig geworden ist. Man unterscheidet kieselarmes U. von hellem, rein blauem Farbenton, leicht zersetzbar durch Alaun, und kieselreiches U. mit eigentümlich rötlichem Ton und widerstandsfähiger gegen Alaun. Zur Darstellung des Ultramarins werden die Materialien, der Thon nach dem Schlämmen und Glühen, sehr fein gepulvert und innig gemischt. Für Sulfatultramarin benutzt man ein Gemisch aus

Porzellanthon 100 100
kalciniertem schwefelsauren Natron 83–100 41
kalcinierter Soda 000 41
Kohle 17 17
Schwefel 000 13

Dieser Satz wird im Schamottetiegel eingestampft und in einer Art Muffelofen bei möglichst gehindertem Luftzutritt anhaltend stark erhitzt. Hierbei entsteht eine gesinterte, poröse, graue, oft gelbgrüne Masse, welche gewaschen, gemahlen, abermals gewaschen, getrocknet und gesiebt wird. Das Produkt, das grüne U., wird zum Teil als solches verwertet, zum bei weitem größten Teil aber durch Erhitzen mit Schwefel bei Luftzutritt in blaues U. verwandelt. Dies geschieht in liegenden Cylindern, in welchen das U. während des Verbrennens des nach und nach zugesetzten Schwefels durch eine Flügelwelle umgerührt wird, um die Einwirkung der Luft zu befördern. Die gebildete schweflige Säure entweicht durch die Esse. Das Eintragen von Schwefel wird fortgesetzt, bis das U. rein blau erscheint, dann wird dasselbe ausgewaschen, gemahlen, geschlämmt, eventuell mit Kaolin oder Gips vermischt, getrocknet und gesiebt. Die Waschwasser vom grünen und blauen U. werden verdampft, um in ihnen enthaltene Natronsalze wiederzugewinnen. Sodaultramarin wird in ähnlicher Weise aus 100 Thon, 100 Soda, 12 Kohle und 60 Schwefel erhalten und zeichnet sich durch dunklere Färbung und größern Farbenreichtum aus. Das kieselreiche U. ist ein Sodaultramarin mit 5–10 Proz. vom Gewicht des Kaolins fein zerteilter Kieselsäure. Man erhält es in einer einzigen Operation, doch macht die Neigung, zu sintern, Schwierigkeiten. Dies Präparat wird mit steigendem Kieselsäuregehalt rötlicher und alaunfester. Auch violette, rote und gelbe Präparate hat man dargestellt, doch sind deren Beziehungen zu dem blauen U. noch wenig aufgeklärt. Selbst die chemische Konstitution des blauen Ultramarins ist bis jetzt nicht sicher erkannt. Es enthält

  kieselsäurearmes U. kieselsäurereiches U.
Durch­schnitt reinstes Durch­schnitt reinstes
Thon 2,36 1,87 7,64 3,61
Kieselsäure­anhydrid 37,90 38,55 34,86 40,77
Thonerde 29,30 29,89 24,06 23,74
Kali 1,21 1,01 19,58
Natron 22,60 21,89 0,83 18,54
Schwefel 7,86 8,27 13,25 13,58

U. ist prächtig tiefblau, geruch- und geschmacklos, sehr hygroskopisch (lufttrocken 5 Proz. Feuchtigkeit), unlöslich in den gewöhnlichen Lösungsmitteln, widersteht der Luft, dem Licht und dem Wasser, auch Alkalien und dem Ammoniak, wird durch Säuren und sauer reagierende Salze unter Entwickelung von Schwefelwasserstoff zersetzt, erträgt bei Ausschluß der Luft Rotglut, wird aber in höherer Temperatur und beim Glühen an der Luft farblos. U. dient als Wasser-, Kalk- und Ölfarbe, im Buntpapier-, Tapeten- und Zeugdruck, zum Blauen von Wäsche, Papier, Zucker, Stärke, Barytweiß, Stearin, Paraffin. Grünes U. kann nur als ordinäre Tüncher- und Tapetenfarbe benutzt werden. Die gelegentliche Bildung von U. im Sodaofen beobachtete Tessaert 1814, und Vauquelin zeigte, daß die blaue Verbindung mit Lasurstein identisch sei. Gmelin stellte 1828 künstliches U. dar, doch hatte es schon 1826 Guimet in Lyon als Geheimnis fabriziert. Die ersten deutschen Ultramarinfabriken wurden 1836 in Wermelskirchen von Leverkus und 1837 in Nürnberg von Leykauf gegründet. Gegenwärtig beträgt die europäische (zum bei weitem größten Teil deutsche) Produktion jährlich 600,000 Ztr. Vgl. Lichtenberger, Ultramarinfabrikation (Weim. 1865); Vogelsang, Natürliche Ultramarinverbindungen (Bonn 1873); Heinze, Beitrag zur Ultramarinfabrikation (Dresd. 1879); Fürstenau, Das U. und seine Bereitung (Wien 1880).


Ergänzungen und Nachträge
Band 17 (1890), Seite 807
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[807] Ultramarin. Als nähere Bestandteile des Ultramarins kann man ein Natriumaluminiumsilikat und Schwefelnatrium annehmen, doch ist hiermit die blaue Farbe des Ultramarins keineswegs erklärt. Die beiden genannten Verbindungen sind farblos, und es liegt kein Grund zu der Annahme vor, daß die Verbindung derselben untereinander gefärbt sei. Man hat deshalb an einen besondern blauen Farbstoff gedacht und solchen in einer eigentümlichen Modifikation des Schwefels, etwa dem schwarzen Schwefel von Magnus entsprechend, zu finden geglaubt. Behandelt man das ungefärbte geglühte Gemenge von Thon, Soda und Schwefel (welches durch Rösten in U. verwandelt wird) mit einer Lösung von Natronschwefelleber, so färbt es sich blau. Auf dieselbe Weise kann man aber auch statt des Silikats ein entsprechendes Borat und selbst dreibasisches Calciumphosphat blau färben. Es handelt sich also gar nicht um die chemische, vielmehr nur um eine gewisse physikalische Beschaffenheit des blau zu färbenden Körpers. Nach Magnus bildet sich schwarzer Schwefel, wenn gewöhnlicher Schwefel plötzlich weit über seinen Siedepunkt erhitzt wird. Bei der Darstellung von Schwefelleber wird bei Rotglut Schwefel abgegeben, der zum Teil entweicht, zum Teil aber von der geschmolzenen Masse, und zwar in seiner schwarzen Modifikation, zurückgehalten wird. Dieser schwarze Schwefel ist in sehr feiner Verteilung mit blauer Farbe durchscheinend, und die Blaufärbung mit Schwefelleberlösung gleicht vollständig einem Färbeprozeß. Unter Entwickelung der blauen Farbe setzt sich der schwarze Schwefel als dünner Anflug auf der Oberfläche der Körper ab, welche geeignete physikalische Beschaffenheit darbieten. Kalischwefelleber bindet keinen blauen Schwefel, und entsprechend kann man auch mit kohlensaurem Kali statt Soda kein U. erzeugen.