Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Turnier“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 15 (1889), Seite 942
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Turnier. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 15, Seite 942. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Turnier (Version vom 26.03.2023)

[942] Turnier (Turnei, franz. Tournoi, lat. Torneamentum, Hastiludium), eine im 11. Jahrh. angeblich von dem französischen Ritter Godefroy de Preuilly erfundene Umgestaltung der bei allen kriegerischen Völkern nachweisbaren Waffenspiele. Während der Buhurt (s. d.) bloß die Gelegenheit bot, die Gewandtheit des Reiters zur Geltung zu bringen, in der Tjost (franz. joute, lat. justa, ital. giostra) nur zwei Gegner sich gegenüberstanden, die mit abgestumpften, oft aber auch mit scharfen Waffen miteinander kämpften, ist das T. ursprünglich das Abbild einer großen Reiterschlacht, vertritt gewissermaßen unsre Manöver. Vor Beginn des Turniers wurden die Scharen geteilt, so daß auf jeder Partei gleichviel Kämpfer sind. Schon den Tag vor dem Kampfspiel hatten die Ritter in der Tjost ihre Kräfte gemessen; das ist die Vesperîe oder Vespereide. Das T. begann mit dem Speerkampf; jeder suchte seinen Gegner durch einen geschickten Stoß gegen das Kinnbein, gegen das Zentrum des Schildes (die vier Nägel) etc. aus dem Sattel zu heben. Zugleich aber manövrierte auch Schar gegen Schar unter Kommando ihrer Befehlshaber. Auch über diese Angriffsarten sind wir ziemlich unterrichtet. Waren die Speere verstochen, so wurde das Gefecht mit den Schwertern fortgesetzt, endlich durch Ringen der Kampf entschieden; daß einer unterlag und sich als Gefangener seinem Gegner ergab, das ist die Sicherheit, die Fîanze. Das Roß des Besiegten gehörte dem Sieger, der es von seinen Leuten in Sicherheit bringen ließ; ebenso nahm er den Harnisch und die Waffen in Anspruch und verlangte von seinem gefangenen Gegner auch noch ein angemessenes Lösegeld. So ist die Teilnahme an einem T. eine Art Glücksspiel: man konnte alles verlieren, aber auch viel gewinnen, und es gab deshalb damals schon Leute („Glücksritter“), die aus reiner Gewinnsucht sich an Turnieren gewohnheitsmäßig beteiligten. Aber auch lebensgefährlich war das T.; zahllose Unglücksfälle haben sich bei ihnen ereignet, und deshalb erschien es durchaus gerechtfertigt, daß die Päpste Innocenz II., Eugen III., Alexander III. und Cölestin III. die Teilnahme an den Turnieren, freilich ohne jeden Erfolg, bei Strafe der Exkommunikation verboten. Damen haben wohl hin und wieder bei den Turnieren zugesehen, und in der zweiten Hälfte des 13. Jahrh. mag auch zuweilen ein Preis dem hervorragendsten Ritter zuerkannt worden sein; aber alle diese Verschönerungen, die das T. zu einem höfischen Fest umgestalten, haben eigentlich mit der Hauptsache: den Rittern Gelegenheit zu geben, sich im Reitergefecht praktisch zu üben, nichts zu thun. Vgl. Niedner, Das deutsche T. des 12. und 13. Jahrhunderts (Berl. 1881); Reinh. Becker, Ritterliche Waffenspiele nach Ulrich v. Lichtenstein (Düren 1887); A. Schultz, Das höfische Leben zur Zeit der Minnesinger, Bd. 2, S. 106 ff. (2. Aufl., Leipz. 1889).

Die Geldgier der Ritter machte schon in der zweiten Hälfte des 13. Jahrh. die Turniere zu Schauplätzen der Roheit und der gemeinen Raubsucht. Im 14. Jahrh. wird das T. als ein adliges Vergnügen noch eifrig gepflegt, besonders war Johann von Luxemburg, der König von Böhmen, ein großer Freund dieser Leibesübung. Auch im 15. Jahrh. finden noch viele Turniere statt, aber es sind schon mehr bloße Schaustellungen von persönlicher Geschicklichkeit; den Charakter eines Reitermanövers haben sie verloren. In der Regel handelt es sich nur um einen Zweikampf, der auch bei den schweren Eisenrüstungen kaum mehr gefährlich ist, natürlich nur ganz kurze Zeit andauern konnte. Über die verschiedenen Arten des Turniers, das Stechen und Rennen, im hohen Zeug etc., hat Q. v. Leitner in der Einleitung seiner Ausgabe des „Freidal, des Kaisers Maximilian I. Turniere und Mummereien“ (Wien 1880–82) wohl das Beste veröffentlicht. Die Ritter hatten sich im 15. Jahrh. zu Turniergesellschaften vereinigt, welche die neugeadelten Kaufleute von ihren Kampfspielen ausschlossen, über die Art des Turniers, die Ehrenhaftigkeit der Teilnehmer etc. Beschlüsse faßten. Diese Partie des ehedem so hochgeehrten Turnierbuchs von dem bayrischen Herold Georg Rüxner (2. Ausg. 1532) ist wohl unbedingt glaubwürdig. Kaiser Maximilian I. war ein eifriger Pfleger der Turnierkunst und hat sich um die Ausbildung derselben viele Verdienste erworben. Nach dem Tod Maximilians werden die Turniere seltener, und der Unglücksfall, der 1559 dem französischen König Heinrich II. das Leben kostete, brachte das eigentliche Waffenspiel immer mehr in Mißkredit. Statt des Turniers wird nun beliebt das ungefährliche Karussellreiten, das Ringelrennen, das Stechen nach der Quintane und wie alle diese Spiele heißen, die dem Reiter Gelegenheit boten, seine Kunst und Geschicklichkeit ins beste Licht zu setzen. Dabei konnte aller Prunk entfaltet werden, und so entsprach ein solches Fest allen Anforderungen, die man im 17. und 18. Jahrh. an höfische Vergnügungen stellte. Seit dem Tode des Königs August des Starken sind auch diese Leibesübungen in Vergessenheit gekommen, nur bei großen Hoffestlichkeiten werden von Zeit zu Zeit noch Schauspiele veranstaltet, die zwar als „Turniere“ zuweilen bezeichnet werden, mit den mittelalterlichen Turnieren der ältern Zeit aber nichts als den Namen gemein haben.