Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Tschudi“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 15 (1889), Seite 890891
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  1. Aegidius Tschudi
  2. Iwan von Tschudi (kein Artikel, Sept. 2022)
  3. Johann Jakob von Tschudi
  4. Friedrich von Tschudi (kein Artikel, Sept. 2022)
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Tschudi. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 15, Seite 890–891. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Tschudi (Version vom 21.09.2022)

[890] Tschudi, ältestes Adelsgeschlecht der Schweiz im Kanton Glarus. Nachdem dasselbe 906–1288 das säckingische Meieramt besessen, erlangte es durch Jost T., der mehr als 30 Jahre Glarus als Landammann vorstand und 1446 den Sieg bei Ragaz entschied, neues Ansehen. Sein Sohn Johannes T. befehligte die Glarner in den Burgunderkriegen und dessen Sohn Ludwig T. in den Schwabenkriegen. Des letztern jüngerer Sohn war Ägidius (s. unten). Vgl. Blumer, Das Geschlecht der T. von Glarus (St. Gallen 1853). Bemerkenswert sind:

1) Ägidius (Gilg), Geschichtschreiber, geb. 5. Febr. 1505, empfing seinen ersten Unterricht von Zwingli, damals Pfarrer in Glarus, studierte in Basel u. Paris und verfaßte 1528 eine „Beschreibung Rätiens“, welche gegen seinen Willen von Seb. Münster gedruckt wurde. In verschiedenen hohen eidgenössischen und kantonalen Stellungen wirkte er anfänglich, obwohl der Reformation entschieden abgeneigt, eifrig im Sinn der konfessionellen Versöhnung. 1558 zum Landammann gewählt, nahm er jedoch als Haupt der katholischen Minderheit in Glarus allmählich eine schroffere Stellung ein. Als er deshalb bei der Neuwahl 1560 von der Landsgemeinde übergangen wurde, widmete er sich bis zu seinem 28. Febr. 1572 erfolgten Tod fast ausschließlich der Vollendung seiner zwei großen Geschichtswerke, der „Gallia Comata“, welche neben einer Beschreibung des alten Gallien namentlich die Altertümer und Vorgeschichte der Schweiz enthält, und der viel wertvollern, bis 1470 reichenden „Schweizerchronik“, welche bis auf Joh. v. Müller herab als Hauptquelle für die ältere Schweizergeschichte benutzt, aber erst 1734–36 zu Basel gedruckt wurde (2 Bde.). Tschudis Darstellung der Entstehung der Eidgenossenschaft, die auf einer geschickten Verknüpfung von [891] Urkunden, sagenhafter Überlieferung und freier Erfindung des Autors beruht, ist jahrhundertelang die herrschende geblieben und durch Joh. v. Müller und Schiller europäisches Gemeingut geworden. Seit Kopps Forschungen dieselbe als Sage oder Roman haben erkennen lassen, beruht der Wert der Chronik Tschudis, abgesehen von ihrem litterarischen Verdienst, hauptsächlich auf den zahlreichen, jetzt verlornen Urkunden, deren Wortlaut sie uns erhalten hat. Vgl. Fuchs, Ägidius Tschudis Leben und Schriften (St. Gallen 1805, 2 Bde.); Vogel, Egidius T. als Staatsmann und Geschichtschreiber (Zürich 1856); Blumer, Ägidius T. (im „Jahrbuch des Historischen Vereins Glarus“ 1871 u. 1874); Herzog, Die Beziehungen des Chronisten Ä. T. zum Aargau (Aarau 1888).

2) Iwan von, geb. 19. Juni 1816 zu Glarus, seit 1846 Mitbesitzer der Verlagsbuchhandlung Scheitlein u. Zollikofer in St. Gallen, gest. 28. April 1887 daselbst, machte sich als Alpenforscher besonders verdient durch die Herausgabe eines trefflichen Reisehandbuchs: „Tourist in der Schweiz und dem angrenzenden Süddeutschland, Oberitalien und Savoyen“ (1855, 30. Aufl. 1888).

3) Johann Jakob von, Naturforscher, Bruder des vorigen, geb. 25. Juli 1818 zu Glarus, studierte in Leiden, Neuchâtel, Zürich und Paris, später auch in Berlin und Würzburg Naturwissenschaft, bereiste 1838–43 Peru, lebte seit 1848 auf seiner Besitzung Jakobshof in Niederösterreich, bereiste 1857–59 Brasilien, die La Plata-Staaten, Chile, Bolivia und Peru, ging 1859 als Gesandter der Schweiz nach Brasilien, wo er namentlich auch zum Studium der Einwanderungsverhältnisse die mittlern und südlichen Provinzen bereiste, kehrte 1861 zurück, ging 1866 als schweizerischer Geschäftsträger nach Wien und wurde 1868 zum außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister daselbst ernannt. Seit 1883 lebt er wieder auf seinem Gut. Er schrieb: „System der Batrachier“ (Neuchât. 1838); „Untersuchungen über die Fauna peruana“ (St. Gallen 1844–47, mit 76 Tafeln); „Die Kechuasprache“ (Wien 1853, 3 Tle.); „Ollanta, ein altperuanisches Drama, aus der Kechuasprache übersetzt und kommentiert“ (das. 1875); „Organismus der Khetsuasprache“ (Leipz. 1884); „Peru, Reiseskizzen“ (St. Gallen 1846, 2 Bde.); „Antiguedades peruanas“ (mit Don Mariano de Rivero, Wien 1851, mit Atlas); „Reisen durch Südamerika“ (Leipz. 1866–69, 5 Bde.). Auch bearbeitete er Winckells „Handbuch für Jäger“ (5. Aufl., Leipz. 1878, 2 Bde.).

4) Friedrich von, Bruder der vorigen, geb. 1. Mai 1820 zu Glarus, studierte in Basel, Bonn und Berlin Theologie, wurde 1843 Stadtpfarrer in Lichtensteig (Toggenburg), lebte seit 1847 als Privatmann in St. Gallen, übernahm dort seit 1856 verschiedene Beamtenstellungen, saß seit 1864 im Großen Rat, seit 1874 im Regierungsrat, wurde 1877 Mitglied des schweizerischen Ständerats und starb 24. Jan. 1886. Er erwarb sich besondere Verdienste um das Erziehungswesen und führte den Kampf mit dem Klerus ebenso taktvoll wie entschieden. Sein bekanntes Hauptwerk ist: „Das Tierleben der Alpenwelt“ (Leipz. 1853, 10. Aufl. 1875; vielfach übersetzt), ein auf eignen Forschungen und sorgfältigster Beobachtung beruhendes, auch sprachlich ausgezeichnetes Buch; andre Schriften von ihm sind: „Der Sonderbund und seine Auflösung“ (unter dem Pseudonym C. Weber, St. Gallen 1848); „Landwirtschaftliches Lesebuch“ (8. Aufl., Frauenfeld 1888); „Der Obstbau und seine Pflege“ (mit Schultheß, 4. Aufl., das. 1887).