Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Tiro“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 15 (1889), Seite 720721
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Tiro. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 15, Seite 720–721. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Tiro (Version vom 11.04.2021)

[720] Tiro (lat.), junger Soldat, Rekrut; überhaupt Anfänger, Neuling; daher Tirocinium, der erste Feldzug eines Soldaten; die erste Probe in einer Sache; auch Titel von Lehrbüchern für Anfänger.

Tiro, Marcus Tullius, röm. Gelehrter, geboren um 94 v. Chr., anfänglich Sklave, seit 54 Freigelassener des Cicero, dem er durch besondere Gelehrsamkeit und Geschicklichkeit ein geschätzter Begleiter und Gehilfe wurde. Nach Ciceros Tod zog er sich auf ein kleines Landgut bei Puteoli zurück, wo er, fast hundertjährig, 5 n. Chr. starb. Von seinen Schriften sind uns nur einzelne Bruchstücke erhalten. Er gab die Werke Ciceros heraus, sammelte und veröffentlichte dessen Witzworte und schrieb eine Biographie desselben, welche Plutarch im „Leben Ciceros“ benutzt hat. Außerdem verfaßte er eine Schrift über den lateinischen Sprachgebrauch und eine große Encyklopädie unter dem Titel: „De variis atque promiscuis quaestionibus“. Am bekanntesten aber ist T. [721] wegen der altrömischen Kurzschrift, die man seit dem 16. Jahrh. als die Tironischen Noten bezeichnet. Das Alphabet der Tironischen Stenographie ist gebildet durch Verkürzung und Vereinfachung der römischen Majuskelzeichen. In der Verbindung miteinander erfahren die Tironischen Buchstaben mancherlei Modifikationen und Verschmelzungen, für einige Vokale besteht eine einfache symbolische Bezeichnung an dem vorangehenden Konsonantenzeichen. Als Abkürzungen benutzt, stehen die Tironischen Buchstabenzeichen für häufig vorkommende Wörter, und zwar werden durch Benutzung kleiner diakritischer Merkmale, durch Ansetzen von Endungszeichen u. dgl. aus einem einzigen alphabetischen Zeichen oft viele Abkürzungen dieser Art gebildet. Bei der Mehrzahl der nicht auf solche Weise gekürzten Wörter geschieht die notwendige Vereinfachung durch Buchstabenauslassen, in dessen Vornahme eine systematische Regelmäßigkeit nicht erkannt werden kann. Das geschickte Verwerten des Punktes und der verkleinerten Buchstaben als Nebenzeichen liefert weitere Mittel zur Kürzung, die auch im zusammenhängenden Satz ihre Anwendung findet (Schriftprobe s. auf Tafel „Stenographie“). Aus zahlreichen Stellen der alten Autoren wissen wir, daß Geschwindschreiber (notarii) mit den Tironischen Noten öffentliche Reden und Verhandlungen wörtlich aufnahmen. Unter den Kaisern ward das Tironischen Notensystem als Lehrgegenstadt in den Schulen vorgetragen. Mit dem Sinken des römischen Reichs schwand auch die Kenntnis der Tironischen Noten, doch erlebten diese unter den Karolingern noch eine Nachblüte, ehe sie ganz der Geschichte anheimfielen. Unsre Kenntnis der Tironischen Noten beruht teils auf ganzen Werken oder einzelnen Abschnitten in Tironischen Zügen, die sich erhalten haben, teils auf lexikonähnlichen Lehrbüchern. Die ältesten Handschriften dieser Art stammen aus dem 8. Jahrh. n. Chr. Vgl. Engelbronner, De M. T. Tirone (Amsterd. 1804); Mitzschke, M. T. Tiro (Berl. 1875); Egger, Latini sermonis vetustioris reliquiae selectae (Par. 1843); Kopp, Palaeographia critica (Mannh. 1817); Schmitz im „Panstenographikon“ Leipz. (1869–74); Lehmann, Quaestiones de notis Tironis et Senecae (das. 1869); Mitzschke, Quaestiones Tironianae (Berl. 1875); Rueß, Über die Tachygraphie der Römer (Münch. 1879); Zeibig, Geschichte und Litteratur der Geschwindschreibkunst (2. Aufl., Dresd. 1878); Lehmann, Das Tironische Psalterium der Wolfenbüttler Bibliothek (Leipz. 1885).