Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Thorbecke“ in Meyers Konversations-Lexikon
Seite mit dem Stichwort „Thorbecke“ in Meyers Konversations-Lexikon
Band 15 (1889), Seite 668
Mehr zum Thema bei
Wikisource-Logo
Wikisource: [[{{{Wikisource}}}]]
Wiktionary-Logo
Wiktionary:
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Indexseite
Empfohlene Zitierweise
Thorbecke. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 15, Seite 668. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Thorbecke (Version vom 01.07.2022)

[668] Thorbecke, Johann Rudolf, niederländ. Staatsmann, geb. 15. Jan. 1798 zu Zwolle, studierte in Leiden die Rechte, dann in Deutschland Philosophie, habilitierte sich 1822 als Dozent in Gießen, dann in Göttingen und ward 1825 Professor der politischen Wissenschaften zu Gent, 1830 Professor der Rechte zu Leiden. 1840 in die Erste Kammer berufen, stimmte er für durchgreifende Verfassungsreform, welche er bereits durch seine Schriften: „Aanteekening op de grondwet“ und „Proeve van herziene grondwet“ verteidigt hatte, und legte 1844 einen vollständig ausgearbeiteten Entwurf einer Verfassungsreform vor, der aber erst im Oktober 1848 von einer mit Revision des Grundgesetzes unter Thorbeckes Leitung beauftragten Kommission angenommen wurde. Im Oktober 1849 mit Bildung eines neuen Ministeriums beauftragt, übernahm er in diesem das Portefeuille des Innern und wirkte in dieser Stellung mit Eifer für Durchführung der Verfassung. Da er indes den König durch schroffes Auftreten, das protestantisch gesinnte Volk durch die Zulassung katholischer Bistümer verletzte, ward er von seinen Gegnern 1853 gestürzt. T. war nicht bloß dem König, sondern auch vielen sogen. Liberalen seines ernsten, rücksichtslosen Wesens und seiner strengen politischen Doktrin wegen verhaßt, und erst 30. Jan. 1862 trat er endlich wieder an die Spitze des Ministeriums. Da indes seine Reformpläne im Kolonialwesen die Interessen zu vieler, auch Liberaler, verletzten, ward er im März 1866 wieder gestürzt, obwohl er der einzige Staatsmann in den Niederlanden war, welcher wußte, was er wollte, und die liberale Partei einigermaßen zusammenzuhalten verstand. Das Verhalten des Ministeriums van Zuylen in der Luxemburger Frage tadelte er aufs schärfste und führte 1868 dessen Sturz herbei, worauf er zwar 22. Mai den Auftrag übernahm, ein neues Ministerium zu bilden, aber nicht selbst eintrat, sondern dasselbe Fock übertrug und bloß in der Kammer unterstützte. Nach dessen Abdankung, Anfang 1871, trat er indes selbst wieder als Minister des Innern an die Spitze des Kabinetts und bemühte sich, die Reform des Heerwesens zur Sicherung der niederländischen Unabhängigkeit, die T. durch Preußen bedroht glaubte, und die Einführung einer Einkommensteuer durchzusetzen. Mit beiden Vorschlägen drang er indes nicht durch und nahm im Mai 1872 deshalb seine Entlassung. Noch ehe das neue Ministerium gebildet war, für welches T. die Geschäfte noch fortführte, starb er 4. Juni 1872. Nach seinem Tod erst würdigte man den Verlust des überzeugungstreuen, energischen und praktisch befähigten Staatsmanns und ehrte ihn 1876 durch ein Denkmal zu Amsterdam. Gesammelt erschienen Thorbeckes kleinere Schriften („Historische schetsen“, 2. Aufl., Haag 1872), seine Briefe aus den Jahren 1830–32 (Amsterd. 1873) und seine Reden (Deventer 1856–70, 6 Bde.). Vgl. Olivier, Herinneringen aan T. (Haag 1872).